Hans K. Reiter

Im Tal der Sehnsucht - (2) Geduld

 

Sie hatte die Abfahrt des letzten Busses verpasst. Ihre Gedanken irrlichterten immer noch um Das Meer der Ruhe. Es war ein schöner, angenehmer Augenblick gewesen.  Immer wieder führte sie sich die einzelnen Schritte vor Augen. Zuhause würde sie einen Versuch wagen, es sollte gelingen, auch ohne Therapeutin. Warum war sie überhaupt vor Wochen schon zu dieser Gruppe gegangen?

Das Zeitraster verschwamm vor ihren Augen, schob sich ineinander, das Ende an den Anfang, der Anfang in die Mitte ... Genau so hatte alles angefangen, vor Monaten. Wieder einmal hatte sie die Schnauze voll gehabt von einem jener Typen, die ständig in ihr Leben platzten.  Ein aufgeblasener Idiot, der nach wenigen Wochen bereits die Hand auf sie legen wollte, ihr sagen, was sie zu tun und zu lassen habe. Dieses Besitz von ihr ergreifen, hatte sie noch nie gemocht. Schon als Kind nicht, wenn die Eltern sie herumreichten, den Freunden und Bekannten damit imponieren wollten, was für ein begabtes Kind sie doch ihr Eigen nannten. Bis zur Übelkeit hatte es sie angewidert, immer wieder etwas auf dem Klavier vorspielen zu müssen, im Garten Räder zu schlagen, irgend einen Blödsinn vorzulesen, nur um zu zeigen, wie gut sie es konnte, obwohl erst fünf.

Es war nicht so, dass sie Männer nicht gemocht hätte und es stimmte auch, was ihre Freundinnen mit Erstaunen quittierten, dass sie in immer schnellerer Abfolge neue Gestalten an Land zog. Sie gestand sich ein, Freude daran zu empfinden, ihnen den Laufpass zu geben. Einfach so, ohne lange Begründung. Sie klotzten immer so herrlich blöde, eine Erfahrung machend, die ihnen bisher nicht untergekommen war. Sonst waren sicher sie die Helden, die bei ihren Freunden damit prahlten, wenn sie wieder eine abserviere hatten. Nicht bei ihr. Bei ihr waren sie zahme Würstchen, die nicht verstanden, was ihnen soeben widerfahren war.

Dann hatte es plötzlich begonnen, von einer Sekunde auf die andere konnte sie bestimmte Geschehnisse zeitlich nicht mehr richtig einordnen. Genau genommen waren es ihre Männergeschichten. Es fing damit an, dass sie die Reihenfolge ihrer Bekanntschaften durcheinander brachte, dann konnte sie die Namen nicht mehr zuordnen, bis sich schließlich die Ereignisse in ihrem Kopf ineinander verschoben. Es entstanden völlig neue Bilder, neue Szenarien, bis sie Fiktion und Realität nicht mehr von einander unterscheiden konnte. Sie bekam Angst, fürchterliche Angst, wie noch niemals vorher. War sie dabei, ihre Identität zu verlieren?

Wem konnte sie sich anvertrauen? Im Film und in Romanen gibt es immer eine beste Freundin. In ihrem Leben nicht. Freundinnen  schon, aber niemanden für solche Geschichten. Die waren alle viel zu abgehoben. Alle schön, erfolgreich und weiss Gott, was noch alles? Sie hatten alle nur die tollsten Männer, Geld, darüber sprachen sie nicht einmal. Bei diesem Gedanken verspürte sie so etwas, wie Heiterkeit in sich aufsteigen. Die meisten liessen sich aushalten, liessen ihre Männer dafür blechen, dass sie sie vorzeigen durften. Gratuliere, was für eine tolle Frau Sie haben und ähnliches. Sie verstand nicht, was es da zu gratulieren gab? Etwa für die Blödheit der Männer, denen ihr Unvermögen, die Realität zu erkennen, eine Stange Geld kostete?

Es wurde immer schlimmer. Ihr Zustand überraschte sie mittlerweile mehrmals am Tag. Eine geregelte Arbeit war da kaum noch möglich. Sie nahm Urlaub. Dachte daran irgend wohin zu fahren, auf andere Gedanken zu kommen. Landete auf Sylt, ausgerechnet dort! Warum konnte sie nicht mehr sagen. Das Erste, was ihr über den Weg lief, war einer jener Typen, die sie doch zu Genüge kannte und vor denen sie die Flucht hatte ergreifen wollen. Die Flucht klappte nicht. Sie liess sich mit ihm ein, noch am selben Tag, als sie sich kennen gelernt hatten. Blödsinniger Zufall. Er stand so herum, wie sie fand, und sie fragte ihn, warum, hatte sie vergessen, ob sie ihn mitnehmen könne? Sie konnte und er kam gleich zur Sache, kaum, dass er geholfen hatte, ihre Koffer aufs Zimmer zu schleppen. Und sie, die Abstand hatte gewinnen wollen, ließ es zu. Das alte Muster. Sie schmiss ihn raus, aber er lachte nur höhnisch. Insofern war er anders gewesen, als seine Vorgänger. Was glaubst du, wer du bist, mehr hatte ich sowieso nicht gewollt, hatte er gesagt und die Türe ins Schloss geworfen.

Sie nahm eine Flasche aus der Minibar, irgend etwas, es brannte, und sie leerte sie in einem Zug. Dann noch eine. So fing es mit dem Alkohol an. Er betäubte ihre Stimmung, deckte einen Mantel der Sanftmut darüber, liess alles in einem weicheren Licht erscheinen. Als sie einige Tage später abreiste, fand sie sich nur noch beschissen, hielt an der nächsten Tankstelle und kaufte einen kleinen Vorrat an Hochprozentigem. Zuhause verkroch sie sich in ihr Bett, weinte hemmungslos, beklagte sich, die Welt und ihr verpfuschtes Leben. Ein paar Gläser des mitgebrachten Vorrats halfen ihr über das Gröbste hinweg.

Irgend ein Idiot früherer Tage tauchte eines Tages auf, wollte auf einen Sprung hereinkommen, mit ihr reden. Geerdet hatte er wenig, dafür sehr schnell angeknüpft an verflossene Träume. Sie setzte keinen Widerstand entgegen, trank einen Schluck, fand ihn danach etwas erträglicher und schmiss ihn schliesslich raus, aber das kannte er schon, verzog das Gesicht und schlich sich.

Es machte ihr keinen Spass mehr. Die Freude war dahin. Sie trank, holte Nachschub und trank. Sie verlor den Blick für ihre nächste Umgebung, sah nicht, wie ihr zuhause langsam verwahrloste, liess niemand mehr an sie heran, rief schließlich in der Firma an und fragte um ein paar Tage mehr Urlaub, Familienangelegenheit.

Einmal war ihr wieder einer über den Weg gelaufen. Er tat so, als würde er sie kennen, sie konnte ihn aber nicht einordnen, hatte gerade wieder die Rasterverschiebung, nahm es hin, zog eine kleine, flache Flasche aus der Tasche, nahm einen Schluck, leerte die ganze Flasche. Jetzt ging es ihr besser, das Raster verlor an Bedeutung, es war ihr egal, der Typ sagte etwas, sie verstand es nicht, fühlte sich plötzlich ohne Halt, verlor den Boden, fiel ..., nahm nichts mehr wahr.

Irgendwann war sie aufgewacht, wusste nicht, was geschehen war, fand sich in einer ihr völlig unbekannten Umgebung wieder. Neben ihr der Typ, wie hieß er noch mal? Wer war er? Er sagte etwas wie, sie solle sich keine Sorgen machen, soweit sei alles in Ordnung. Sie habe eine Art Schwächeanfall gehabt und er habe sie mit zu sich genommen, einen Arzt verständigt, ja, und nun sei sie eben hier.

Sie brachte ein zaghaftes Lächeln über die Lippen. Sie bei einem Typen, der sich um sie kümmerte? Verrückte Welt! Eine innere Stimme sagte, lass es bleiben, aber eines Tages erzählte sie ihm doch ein wenig aus ihrem Leben. Als wäre es das Selbstverständlichste, wohnte sie seit einer guten Woche bei ihm. Was war das bloss für ein Kerl? Er versuchte nichts bei ihr. Das war neu, anders, als sie es kannte. Sie fasste zaghaft etwas Vertrauen und er liess es irgendwie geschehen. Gab ihr zu verstehen, in seiner Art, wie er sprach, was er tat, sie könne mit ihm sprechen, wenn sie es wolle oder es auch sein lassen. Er drängte nicht, forderte nichts.

Ein Taxi tauchte auf, sie winkte. Lass dir Zeit, hatte der Typ eines Tages gesagt, du brauchst Geduld. Ich kenne das, habe es selbst durchgemacht, war beschissen, aber es geht, glaub mir. Du kannst es schaffen. Spielt sich alles nur in deinem Kopf ab, der Rest ist unwichtig. Nur dein Kopf zählt und nur er kann dich aus deinem Schlamassel befreien, nur er ..., sonst niemand.

Fortsetzung folgt!

 

 
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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