Hans K. Reiter

Der Hof - ein bayerisches Drama

Es passierte im letzten Jahrhundert, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Amis waren abgezogen und hatten Tachharting, den Ort im Bayerischen nahe der Österreichischen Grenze, unversehrt zurückgelassen. Überall hatten sie ihre Nasen hineingesteckt und bei manchen das Unterste zu Oberst gekehrt. Aber gefunden hatten sie nichts.

Die Leute schauten sich an, schüttelten den Kopf, und gingen weiter. Keiner sagte etwas. Der Pfarrer blickte verschwiegen gen Himmel und sprach ein Stoßgebet. Der Herr möge verzeihen, murmelte er, und auch er ging seines Weges. Die Bauern hatten kaum noch das Nötigste für die Feldarbeit, und es bangte Ihnen vor dem Herbst, wenn die Wintersaat im Boden sein sollte, und sie nicht wussten, woher die Saat nehmen. Deswegen waren die Amis aber nicht im Ort gewesen.

Die Soldaten im Feldzeug, bewaffnet mit Gewehren und Pistolen, vermissten einen ihrer Männer. Einen Offizier, hörte man die Leute tuscheln. Dann schwiegen sie wieder, in einer Weise, dass man meinen konnte, sie wüssten etwas darüber. Ein  verschwörerisches Schweigen war es, das sich im Ort breit machte, und niemanden ausliess.

Die Glocke des Kirchturms schlug ihren einsamen Klang. Vier Mal für die volle Stunde, dann zehn Mal für die Zeit. Es war finstere Nacht, und nur vereinzelt sah man hinter den Scheiben der trüben Fenster ein Licht aufscheinen. Meistens Kerzen oder Petroleumlampen, denn nicht überall gab es schon wieder elektrischen Strom. In einem Hof, weiter außerhalb des Ortes, versammelten sich ein paar Männer in dunklen Umhängen aus Loden. Ihre Gesichter verschwanden unter den übergestülpten Kapuzen. Sie sagten nichts und es schien, als warteten sie noch auf jemanden.

Dann, vielleicht eine viertel Stunde später, klopfte eine derbe Faust gegen die massive Türe des Hauses. Im matten Schein des Mondes, der just hinter einer Wolke hervorlugte, sah man das Eisen der Beschläge dunkel aufglitzern. Dann verschwand der Mond wieder, und es war finster, wie zuvor.

Mach auf und gieb eam aussa, de Sau. Sunst kemma eina und hoin'an, sagte der Anführer der Gruppe. Des kunt eich so passn. Schaut's, dass weita kemmts! Es habt's hier nix verlorn!, antwortete eine dunkle Männerstimme. Und fois'es doch probiern woits, nur zua. De Erst'n nimm i mit. Mei Bixn is g'lon und so a Zeig wia eich, trif i oiwei no!

Die Gruppe hielt unschlüssig inne und überlegte, ob es sein konnte, dass der Lehner tatsächlich noch ein Gewehr besaß. Die Amis hatten doch alle Waffen konfisziert. Möglich wär' es aber schon gewesen, denn einige von Ihnen hatten schließlich ihre Flinten auch verstecken können. Überleg das guat, auf weicha Seitn, dass'd stähst. Auf da unsern oder auf der von dem Gschwerl.  Dei Tochta hot a ja net pakt, de Sau de mistige. Oder host Angst vor de Ami? Des brauchst net, denn wenn mia mit eam fertig san, dann kennt'n eam net amoi mehr sei Muatta, versuchte der Anführer einen neuen Anlauf. Schleichts eich und dabei bleibst!, kam prompt die Stimme von innen.

Die Gruppe löste sich auf, nicht ohne vorher noch einmal wilde Drohungen ausgestoßen zu haben. Sie würden morgen wieder kommen und der Lehner und seine Leut' sollten sich nicht im Ort blicken lassen, sonst würde es ihnen schlecht ergehen.

Der Lehner hingegen scherte sich nicht um das Geschwätz der Leute und machte sich zeitig am nächsten Tag auf und marschierte in den Ort. Einer seine Söhne begleitete ihn, der andere bewachte mit dem Karabiner den Hof. Schnurstracks  gingen sie zum Pfarrhof und läuteten den Pfarrer heraus. Steckst du mit dene unter oana Deck'n oder host no an eigna Verstand, Hochwürd'n?, fragte der Lehner. Ich weiss, es ist nicht richtig, was die Leute da vorhaben, aber, was soll ich machen?, fragte der Pfarrer, dem sichtlich unwohl war. Du muaßt as verhindern! Mord, des is a Todsünd und d'Ami wean des bestimmt net so hinemma, moanst net a?, sagte der Lehner. Außerdem war'as gor net. Des wos die moana, dass a do hot, hot a ganz bestimmt net g'macht, des woas i sicher!, fügte der Lehner noch an.

Mittlerweile hatten sich einige Männer dazu gesellt und hörten der Unterhaltung zu. Woher wuist des wissn, dass er des net gwen is? fragte einer. I woass und des soitat langa, moanst net?, antwortete der Lehner und drehte den Kopf zu den Männern. Habt's as Madl scho g'frogt? Na, des habt's net, weil so war's einfacher füa eich, net wahr? Weil d'Wahrheit, de woits es gor net wissn! Do kunnt sunst wos rauskemma, was eich gor net schmecka dat. Frogt's s'Madl, aber da Pfarra soi dabei sei, damit dem Deandl nix passiert!

Die Lehners stapften zurück zum Hof und schon von weitem sahen sie, dass ein Unglück geschehen sein musste. Die Frau  vom Lehner und die Tochter liefen wie aufgelöst herum. Der Sohn lag am Boden, daneben ein Fremder, der Ami, ein farbiger Soldat. Die beiden legten die letzten Meter im Laufschritt zurück.

Stockend berichteten Frau und Tochter, was vorgefallen war. Kaum dass der Lehner mit seinem Sohn den Hof verlassen hatten, waren Männer aus dem Ort aufgetaucht und gewaltsam ins Haus eingedrungen. Der andere Sohn hielt den Karabiner im Anschlag, brachte es aber nicht über sich, abzudrücken. Dann war es schnell passiert. Einer zog ein Messer und rammte es dem Sohn in den Leib. Die anderen zogen den Farbigen vor's Haus und der mit dem Messer stach wieder zu. Einmal, zweimal, dann sackte der Farbige zusammen und fiel auf den Boden.

Wer war des mit dem Messa?, wollte der Lehner mit bebender Stimme wissen. Sie sagten es ihm. Da brach der Lehner zusammen. Schritte nahten und der Pfarrer, begleitet vom Doktor, schafften sich Platz. Er lebt noch!, rief der Doktor, bringt ihn schnell ins Haus. Heißes Wasser brauch' ich und an Tisch, wo wir ihn drauflegen können. Ich muss sehen, dass ich die Wunden sauber krieg und dann muss ich's zunähen. Rasch eilte der Doktor ins Haus, gefolgt vom Pfarrer und dem älteren Sohn, die den Verletzten hinterher schleppten.

Immer mehr Menschen versammelten sich vor dem Hof und schwiegen betreten. Sie hatten dem Lehner unrecht getan. Das Mädchen hat's gesagt. Es war nicht der Farbige gewesen, sondern der, der vorhin mit dem Messer zugestochen hat; der Anführer und Aufwiegler vom Vorabend. Der Lehner hatte es schon gewusst. Der Farbige hatte es ihm gesagt, als er den Onkel des Mädchens überraschte, wie er in der Kirche hinter einem Beichtstuhl seine schändliche Tat beging.

Als der Lehner wieder zu sich kommt und eine Weile vor sich hinstarrt, kommt der Doktor kurz aus dem Haus und sagt zu ihm: Er wird es übersteh'n, aber für deinen Sohn tut's mir leid, Lehner, da kann ich nichts mehr tun. Direkt ins Herz, des kannst net überleben! Ein leises Stöhnen entringt sich dem Lehner, als er sich über seinen toten Sohn wirft. Danach weint er nur noch.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.09.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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