Peter Somma

Eine unerwartete Begegnung

Bernd hatte einen leichten Schlaf und lag oft unruhig im Bett, wälzte sich von einer Seite auf die andere und nahm dann jeden Laut mit besonderer Deutlichkeit wahr. Seit Jahren litt er schon an dieser Schlaflosigkeit und konnte sich nicht daran gewöhnen. Seine Frau lag dann an seiner Seite aber ihr konnte nichts den Schlaf rauben. Auch erinnerte er sich nicht daran, sie jemals im Schlaf sprechen gehört zu haben. Aber dann, es war mitten in der Nacht gewesen, da hatte er gehört, wie sie im Schlaf diesen Namen ausgesprochen hatte. Mehrere Male hatte sie ihn in dieser Nacht laut und unüberhörbar von sich gegeben. Er kannte niemanden, der so hieß und er konnte sich auch nicht erinnern, dass sie je diesen Namen erwähnt hätte. Er war nicht wirklich beunruhigt oder gar eifersüchtig deswegen, aber neugierig war er doch geworden und deshalb fragte er Berta, seine Frau, beim Frühstück: „Wer ist Jan, von dem Du heute Nacht im Schlaf gesprochen hast?“

Sie konnte ihm darauf keine Antwort geben, denn sie erinnerte sich gar nicht, geträumt zu haben. Und sie erinnerte sich auch an keinen Jan und es war ihr unerklärlich, wie sie im Traum auf diesen Namen verfallen sein konnte. Die Sache ging ihr nun nicht mehr aus dem Kopf und sie dachte seit damals immer wieder darüber nach, ob es nicht irgendeinmal in ihrem Leben einen Mann gegeben haben könnte, der so geheißen hatte.

Ein paar Tage später, sie machten gerade einen Spaziergang auf einem Hang, unter ihnen lag der herbstliche See, kein Windhauch bewegte die Oberfläche des Wassers, die so glatt war wie ein Spiegel und nur wenige Ruderboote, die leichte Bugwellen ins Wasser zeichneten, zerstörten die Glätte der Wasserfläche, da sagte sie: „Als du mich vor ein paar Tagen fragtest, wer Jan sei, wusste ich es wirklich nicht. Das Sonderbare ist, dass ich mich, als ich wach geworden war, an nichts mehr erinnern konnte, denn es war mir überhaupt nicht bewusst gewesen war, geträumt zu haben. Aber es ließ mir keine Ruhe und ich durchsuchte alte Fotos, in der Hoffnung, dass ich darauf jemanden erkennen könnte, der diesen Namen gehabt hatte. Und tatsächlich fand ich einen Jungen, mit dem ich zur Schule gegangen war. Wir waren nicht einmal besonders gut befreundet und ich wundere mich, wie ich dazu kam, von ihm zu träumen. Die Sache schien Bernd damit abgetan, umso mehr als es nur Neugierde gewesen war, die ihn veranlasst hatte sie überhaupt nach Jan zu fragen und einige Zeit geschah nichts mehr, das ihn dazu gebracht hätte, einen weiteren Gedanken an die Trugbilder seiner Frau zu verschwenden. Aber dann kam sie überraschenderweise wieder auf das Thema zurück.

Abermals waren sie auf dem Weg unterwegs, der zu ihren Lieblingsspaziergängen zählte. Diesmal kräuselte ein leichter Wind die Oberfläche des Wassers, am Himmel zogen Wolken und man konnte nicht erahnen, ob sich das Wetter verschlechtern, oder ob sich die Wolken auflösen würden, und einem blauen Himmel Platz machen würden, da begann sie wieder: „Ich weiß nicht warum, aber ich habe wieder von Jan geträumt.“ „Der Mann, der da in meinem Traum vorgekommen war, war ein erwachsener Mann. Ich aber kannte Jan damals ja nur als Jugendlichen und sicher hat er sich seit damals verändert und ob ich ihn heute noch erkennen würde, ich weiß es nicht, und doch bin ich sicher, dass dieser Mann Jan war“ sagte sie.

Schon damals hatte Bernd so eine Ahnung, dass ihn die Traumgeschichte seiner Frau noch länger beschäftigen würde, denn er fühlte, noch wusste er nicht warum, dass ihn diese Sache mehr anging, als ihm lieb sein konnte. Obwohl er es eigentlich erwarten hätte müssen, erschrak er, als sie einige Zeit später tatsächlich wieder diesen Traum erwähnte.

“Habe ich bisher stets gut geschlafen, so quält mich dieser Traum mit Jan jetzt immer öfter und lässt mich nicht mehr los. Immer wieder erscheint er mir im Traum und immer deutlicher werden dann die Bilder und sie bleiben mir auch noch im Gedächtnis, nachdem ich erwache.“

Am Himmel waren dunkle Wolken aufgezogen, als sie den Hang entlang gingen und die Wellen unten am See trugen weiße Schaumkronen. Das Wetter versprach nichts Gutes, es sah nach Sturm aus und er fürchtete, obwohl er eigentlich nicht wusste warum, die Geschichte könnte auch in sein Leben stürmische Zeiten bringen.

„Es gab da auch noch eine Frau, die Tina hieß und auch du spieltest in diesem Traum irgendeine Rolle“ setzte sie ihre Erzählung fort.

„Wie in aller Welt kam sie auf Tina?! Sie kannte sie ja gar nicht! Und es war ja alles vor seiner Zeit mit Berta, seiner Frau.“ dachte Bernd. Denn was er längst vergessen glaubte, stand jetzt plötzlich wieder klar vor seinen Augen. Damals, er war noch sehr jung gewesen, hatte es ihn nicht viel Mühe gekostet, sie zu erobern, er war dann eine Zeit lang mit ihr herumgezogen, aber das Verhältnis hatte nie eine besondere Bedeutung für ihn gehabt und er hatte bald das Interesse an ihr verloren. Viel später, Tina war längst vergessen, hatte er seine jetzige Gattin kennen gelernt und geheiratet.

Es war eine recht glückliche Ehe gewesen, nur eines war ihm versagt geblieben: Er hätte gerne Kinder gehabt, doch hatte es nie richtig geklappt und so waren sie kinderlos geblieben. Für Berta waren Kinder nie von großer Wichtigkeit gewesen und er hatte sich letztlich daran gewöhnt, gewöhnen müssen, hatte die Vorteile der Kinderlosigkeit schätzen gelernt aber dennoch hatte er sich immer Kinder gewünscht, sich gewünscht, es wäre anders gekommen.

In der Ferienzeit verbrachten sie ihren Urlaub, wie sie das schon öfter getan hatten, in einer kleinen Bergpension, Sie war preiswert, hatte eine familiäre Atmosphäre, die sie schätzten, weil dort nur wenige Gäste Platz fanden und man hatte einen herrlichen Ausblick über die Bergwelt

Beim Abendessen, das in dem rustikal eingerichteten Speiseraum aufgetragen wurde, trafen sie auf ein Ehepaar, das auch hier Urlaub mit einem Sohn von etwa zwölf Jahren machte. Wie ein Blitz traf es Berta als das Paar mit ihrem Sohn den Speiseraum betrat, denn sie erkannte in dem Mann, der den Speisesaal betrat sofort Jan, jenen Jan, von dem sie immer geträumt hatte, der genau so aussah, wie er ihr im Traum erschienen war. Auch Jan erkannte sie wieder, denn offenbar hatte sie sich seit ihrer Jugend nicht allzu sehr verändert. Bernd erkannte seine ehemalige Freundin an Jans Seite nicht, denn offenbar war die Zeit nicht spurlos an ihr vorbeigegangen.

Obwohl die beiden Paare sich angefreundet hatten, verlor Berta bei ihren Gesprächen kein Wort über die Träume, die die beiden Paare auf so sonderbare Art und Weise miteinander verband. Und auch Bernd, der in Jans Frau ja nicht seine ehemalige Gefährtin erkannt hatte, sah keinen Anlass, das Gespräch auf die Zeit seiner jugendlichen Abenteuer zu lenken.

Es überraschte ihn dann umso mehr, als Tina sich einmal, als sie sich unbeobachtet fühlte, an ihn wandte: „Hab ich mich eigentlich so verändert?“ und erst da dämmerte Bernd, wen er da vor sich hatte. Tina hatte ihr damaliges Verhältnis durchaus nicht so locker genommen, wie Bernd es angenommen hatte und umso mehr irritierte es Bernd nun, dass Tinas Sohn ausgerechnet seinen Vornamen, Bernd, trug. War es möglich, dass Jans Sohn, sein Sohn war? Wieder und wieder grübelte er nun, ob er das Geburtsdatum Bernds mit seinem seinerzeitigen Verhältnis in Verbindung bringen konnte, aber immer wenn er versuchte dieses Thema anzusprechen, wich Tina allen diesbezüglichen Fragen immer sehr geschickt aus.

Als sie nach Beendigung ihres Urlaubes heimgekehrt waren, hatte Bernd sein gewohntes Leben weitergeführt, aber der Gedanke, dass Bernd, Jans Sohn, sein Sohn sein könnte, ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Er hatte sich immer Kinder gewünscht und jetzt ahnte er, ja er glaubte sicher zu sein, dass er einen Sohn hatte und durfte sich doch nicht zu ihm bekennen, denn das hätte die Ehe seiner ehemaligen Freundin in Gefahr bringen können und das wollt er ihr nicht antun. Auch seiner Frau gegenüber verlor er nie ein Wort darüber, was ihn seit ihrem letzten Urlaub bedrückte.

Der Herbst war ins Land gezogen und eine milde Sonne wärmte die Beiden auf der Aussichtsbank über dem See, wo sie gerade Rast machten. Die Oberfläche des Sees war ruhig und die Berge spiegelten sich in der glatten Wasserfläche, keine Welle bewegte das Wasser und den Himmel trübte kein Wölkchen. Es war ihm, an diesem herrlichen Herbsttag beinahe gelungen, die Gedanken, die ihn seit diesem Urlaub quälten, zu vergessen, da sagte seine Frau: “Jans Sohn ist ein lieber Bub, ich mochte ich gerne und ich bilde mir ein, er sieht dir ähnlich.“

Es war nicht das letzte Mal, dass sie von dieser Ähnlichkeit sprach und jedes Mal schmerzte es, aber er schwieg, denn er wusste nicht was er antworten sollte.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.09.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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