Tilly Boesche-Zacharow

DAS HAUS AM STADTRAND / Krimi




Niemals hatte es Mathew Robson gepasst, ein armer Teufel  zu sein. Eigentlich hielt ihn nur die Hoffnung auf die ganz große Chance im Leben aufrecht. Und nun, so meinte er, war sie gekommen.
Alles, aber auch wirklich alles hatte er bis ins Detail geplant, und er war davon überzeugt, dass einfach nichts dabei schiefgehen könnte. Er kannte den genauen Tagesablauf der Familie Lessingham. Gegen neun Uhr begab sich der Chef in die Stadt zur Bank, deren Direktor er war. Das Kindermädchen ging mit den zwei Kleinen spazieren, und Mrs Lessingham hielt sich im Garten auf. Ja, sie öffnete sogar selber die Haustür, wenn jemand kam, etwas zu bringen oder abzuholen. Sie hielt keinen Menschen für böse, wie es schien, und auf die Idee, dass sich jemand ihrer kostbaren Person bemächtigen könnte, um ihren schwerreichen Mann um etliche tausend Pfund zu erleichtern, war sie sicherlich auch noch nicht gekommen
Mathew Robson hatte sogar noch mehr in Erfahrung gebracht. Er wusste, dass Lessingham seine Frau liebte und gewiss alles tun würde, um sie wiederzubekommen. Denn es wäre ja auch absurd gewesen, einem Mann die Frau zu entführen, über deren Abwesenheit dieser nur beglückt sein mochte.
Das Problem, was er nach der Entführung mit Mrs Lessingham tun würde, hatte er ebenfalls auf geniale Art und Weise gelöst. Schließlich konnte er sie nicht in seinem möbliert gemieteten Zimmer bei der Witwe Esser unterbringen und vielleicht noch behaupten, es handele sich um „seine Zukünftige.“
Das Haus am Stadtrand, zerfallen und seit längerer Zeit bereits unbewohnt, bot sich ihm für seine Zwecke geradezu beispiellos an. Aber nicht etwa, dass Mathew Robson nun so töricht gewesen wäre, das alte Haus nur aufzubrechen und illegal die Geisel dort auszusetzen. Oh nein, auch hier bewies Robson seine hohe Intelligenz gegenüber anderen kleinen Ganoven. Ganz legal besuchte er einen Makler, dessen Namensschild ihm an der verwitterten Haustür des begehrten Objektes auffiel und erklärte, das Haus kaufen zu wollen.
„Ich erwarte in Kürze eine große Erbschaft“, sagte er und dachte dabei, dass man den zukünftigen Geldsegen gut und gern auch so bezeichnen könne. „Es handelt sich um meinen alten Onkel“, fügte er hinzu. „Ich bin sein Lieblingsneffe, und er hat mir gesagt, dass ich mit einer hübschen Summe rechnen kann, wenn sein Herz zu schlagen aufhört. Aber weil das noch dauern kann, werde ich vorerst nur eine kleinere Anzahlung leisten. Ich habe an dem Objekt einen Narren gefressen und möchte nicht fürchten müssen, dass jemand mir zuvorkommt und es mir vor der Nase wegschnappt.“
Es war dem Makler nur recht. Seit ewigen Zeiten stand das Haus zum Verkauf ausgeschrieben. Viele Liebhaber eines so abgelegenen einsamen Gemäuers gab es nicht. Da hieß es, jede Gelegenheit und diesen Sonderling  beim Schopf zu packen, damit er endlich seinem Auftraggeber einen Erfolg würde melden können.
„Ich denke, das lässt sich machen“, stimmte er zu. „Die Anzahlung sichert Ihnen das Haus, und über den Rest werden wir zu gegebener Zeit  verhandeln. Ich rede mit den Verkäufern und lege zudem ein gutes Wort für Sie ein.“
Mathew kramte seine geringe Barschaft aus und legte sie auf den Tisch, von wo der Makler sie rasch wegräumte.
„Ich bitte nun nur noch um die Freundlichkeit, Sir, mir Ihren Namen und die jetzige Anschrift zu hinterlassen, damit ich Ihnen Nachricht zukommen lassen kann, wie sich die Verkäufer mit Ihnen auseinander zu setzen wünschen.“
Mathew reichte ihm seinen Pass. Es gab keinerlei Veranlassung, das nicht zu tun. Sobald Lessingham für seine Frau das nicht zu knapp geforderte Lösegeld gezahlt haben würde, wollte Robson die Lady aus dem Haus holen, um sie irgendwo in der Stadt abzusetzen. Er war ein anständiger Erpresser und keineswegs ein Mörder. Der Dame auch nur ein einziges Haar zu krümmen, lag nicht in seiner Absicht.  Er brauchte nur  Geld, um ein gutes Leben zu führen, ein so gutes wie zum Beispiel die Lessinghams.
Mrs  Lessingham würde niemals erfahren, in welchem Asyl sie sich befunden hatte. Von außen waren die Fenster durch Läden gesichert, und Mathew hatte sich davon überzeugt, dass die Räume im Erdgeschoß  einbruchsichere und damit – er grinste leicht vor sich hin – auch ausbruchsichere Gitter besaßen. Nach dem Coup würde er das Haus ganz bezahlen und sich das Gefühl verschaffen, ein selbst erworbenes Heim zu besitzen. Eine kleine Weltreise wollte er sich gönnen, um schließlich und letztendlich hier ein richtiges Zuhause zu genießen. Die Lessinghams würden ihn wohl kaum jemals  zu Gesicht bekommen, und selbst – wenn, wie sollten sie auf die Idee kommen, dass es  i h r Geld war, mit dem ein guter Bürger sein ebenso gutes Leben genoss.
Alles klappte wie am Schnürchen. Um neun Uhr verließ Mister Lessingham sein Haus. Kurz darauf ging das Kindermädchen Mabel mit den Lessingham-Sprößlingen Richtung Stadtpark. Die kleine Gruppe entschwand Mathews aufmerksamem Blick, der aus sicherer Entfernung alles beobachtete und auf den richtigen Moment wartete. Dieser Moment kam, als Eluise Lessingham im Garten erschien, um einen frischen Blumenstrauß für ihren Salon zu schneiden. Mathew schlenderte in seinem blauen Kombianzug hinüber und hoffte, echt wie ein Klempner zu wirken, der gekommen war, weil man seiner Hilfe bedurfte.
„Pardon, Madam“, sagte er zur kurz aufblickenden Dame des observierten Hauses. „Bin ich hier richtig bei – Mister – äh – Pardon – Lessingham? Man hat uns benachrichtigt, Ihre Wasserleitung tropft. Ich bin sofort gekommen, um nachzusehen, worum es geht.“
„Oh!“ Sie war offensichtlich überrascht und strich eine Haarlocke aus der Stirn. Sehr süß sah sie aus. Kein Wunder, dass ihr Mann so verliebt in sie war, dass es die Gazetten schon leicht belustigte. Mathew sah es anders, von der für ihn praktischen Seite. Sie war das richtige Opfer. Sie würde ihm viel Geld einbringen.
„Ich wusste gar nichts davon. Wahrscheinlich hat mein Mann das organisiert. Warten Sie, ich öffne Ihnen das Gartentor. Dann können Sie gleich von hier aus in den Wirtschaftstrakt.“
Sie war allein. Hinter den Bäumen  verborgen lag das Haus. Die Fenster der Küche, in der vielleicht noch eine Köchin am Werk war, lagen an der Stirnseite des Gebäudes und ließen keine Sicht zum Garten. Niemand bemerkte, dass der vorgebliche Handwerker blitzschnell nach Eluise griff, ihr etwas in den Mund stopfte, um sie am Schreien zu hindern, einen äthergefüllten Wattebausch vor ihre Nase hielt und die Zusammensinkende in sein Auto schleppte, wo er sie auf den Rücksitz kippte.
In rasender Fahrt durchquerte er die Stadt bis zu dem Haus, das er so gut wie gekauft hatte. Er trug sie hinein und befreite sie vom Knebel. Als sie die Augen öffnete, sah er blankes Entsetzen  in ihnen. Er beruhigte sie.
„Haben Sie keine Angst, Madam. Ich tue Ihnen nichts. Ich brauche nur etwas Kleingeld. Deshalb habe ich Sie entführt. Ich hoffe, Ihr Mann zahlt schnell und bereitwillig eine gewisse Summe seines Vermögens an mich. Dann können Sie sofort zu ihm zurückkehren.“
Sie atmete schwer, während ihr Blick umherflirrte.
„Wo bin ich?“
Er schob die Lippen vor. „Sie befinden sich in meinem Haus, Madam. Eigens zu dem Zweck, Ihnen etwas Gemütlichkeit zu verschaffen, habe ich es käuflich erworben. Das heißt, ich brauche das Geld Ihres Mannes, um es ganz bezahlen zu können. Ich hoffe, Sie fühlen sich  hier einigermaßen wohl. Zuerst aber wollen wir an Ihren Mann einen kleinen Brief schreiben. Ich diktiere Ihnen meine Forderung.“
Und so schrieb sie, leise vor sich hinächzend, was Mathew ihr diktierte, dass er nur das verlangte Lösegeld zu zahlen brauche, um seine Ehefrau gleich zurück zu erhalten. Es mochte ihr alles wie ein böser Traum erscheinen.
Er las – ein bisschen Schwierigkeiten hatte er mit ihrer Kritzelschrift – und nickte zufrieden.
„Ich habe Ihnen einige Lebensmittel eingekauft, Madam. Über mangelnde Gastfreundschaft sollen Sie nicht zu klagen haben. In der Bewegungsfreiheit muss ich Sie allerdings etwas einschränken. Ich schließe Sie hier ein, und Sie müssen  mit diesem und dem kleinen Nebenraum vorliebnehmen. Auch Licht kann ich Ihnen nicht bieten, damit niemand aufmerksam wird und vermutet, es seien Gäste hier im Haus.“
Er glaubte, ihr zulächeln zu müssen, aber das schien sie noch mehr zu verstören, als wenn er brutal gewesen wäre.
„Mir ist, als befände ich mich im Albtraum“, flüsterte sie.
Er grinste  stärker.
„Ich schätze, Sie werden bald daraus erwachen, Madam!“ tröstete er sie.
Sorgfältig verschloss er hinter sich die Tür und prüfte noch einmal Güte und Präzision der Fensterläden und Gitter. Unterwegs steckte er den Brief in den Postkasten. Morgen in der Frühe würde er Lessingham zugestellt werden, und dieser, zermürbt durch eine Nacht voller Entsetzen und Angst, würde gewiss so erleichtert über das im Brief angekündigte Telefonat sein, dass er auf jede Forderung einging.
Danach ging er heim zur Witwe Esser und legte sich ins Bett, bis ihn donnernde  Schläge an der Tür aus dem ersten Schlummer rissen. Er fuhr hoch und öffnete. Wer wollte etwas von ihm?
Zwei baumlange Polizisten standen vor ihm. „Mister Robson?“ – „Ja, der bin ich. Was wollen Sie?“ – „Sie sind verhaftet, Mister, wegen Kidnapping. Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit.“
Er war so aus allen Wolken gefallen, dass er vergaß, sich Gedanken über eine Flucht zu machen oder Widerstand zu leisten. Im Yard wartete die nächste Überraschung auf ihn. Dort saß Eluise  Lessingham und blickte ihm erwartungsvoll entgegen.
„Ja“, sagte sie kopfnickend zu den Polizisten, „das ist er. Das ist der Mann, der mich gestern entführte und zwang, an meinen Mann einen Brief zu schreiben, in dem er Lösegeld verlangte.“
„Bringt den Burschen ins Vernehmungszimmer“, sagte der diensthabende Beamte. „Ich komme gleich nach, will nur noch ein paar Formalitäten mit Mrs  Lessingham klären.“Der Polizist zur Rechten des Festgenommenen gab ihm einen Stoß. „Raus mit Ihnen, Mister. Mit Ihnen wird man sich gleich beschäftigen.“
Das weckte de erstarrten Lebensgeister Mathews. Trotz der barschen Aufforderung blieb er noch einmal an der Tür stehen und blickte zurück. „Madam“ sprach er die Lady an, „ich verstehe es einfach nicht, wie Sie da rauskommen konnten, ich meine, aus dem einsamen Haus…?“
„Ganz einfach, durch die Falltür im Fußboden. Sie ist ziemlich gut getarnt“, erwiderte sie bereitwillig
„Und wie lange haben Sie gesucht, bis Sie sie fanden?“
„Ich brauchte gar nicht zu suchen. Ich wusste, wo sie war. In diesem Haus bin ich nämlich aufgewachsen, es gehörte meinen Eltern.“
Der Polizist schob Mathew auf den Flur und schloss die Tür. Der Sergeant und Eluise Lessingham waren allein.“Eine Frage!“ sagte er, „eine kleine Frage noch von mir. Wie kommt es, dass Sie uns so genau den Namen und die Adresse des Burschen nennen konnten? Sie kannten ihn doch gar nicht.“
Sie sah auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
„Einen Tag vor der Entführung“, berichtete sie leise, „erhielt ich vom Makler die Nachricht, dass unser altes Haus am Stadtrand endlich einen Käufer gefunden hätte. Er teilte mir die Personalien des Interessenten mit. Ich brauchte nur, nachdem ich unser altes Haus verlassen hatte und wieder in der Stadt bei meinem Mann    war, diesen Namen und diese Adresse vom Brief des Maklers abzulesen. Es handelte sich dabei um – Mister Robson.“
 
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.10.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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