Tilly Boesche-Zacharow

ISBELLA UND DIE BRÜDER / Krimi

Zwanzig Jahre lang betrieb Matteo Forlanini  die kleine Trattoria am Rande der Straße, welche von Rom herunterführte, geradewegs nach San Mariana hinein. Als er sechzig Jahre alt geworden war, starb ihm seine Frau Teresa. Daraufhin schickte ihm sein jüngerer, vom Himmel einzig und allein mit Kinderreichtum gesegneter Bruder, der irgendwo in Sizilien lebte, Isabella, seine älteste Tochter, damit diese ihrem Onkel Matteo tüchtig zur Hand ginge und dadurch vielleicht ein Erbe zu erwarten habe.
Isabellas Anwesenheit lockte die jungen Burschen von San Mariana an, wie der Honig die Bienen anzieht. Ihr Haar war schwarz, die Augen grün, und ihr Rock leuchtete so rot wie eine Flamme. Alle verliebten sich in sie, und auch den Brüdern Ricci tat sie es an.
Alfonso war der Schnellere der Zwillinge, schon immer gewesen. Der Beweis lag zutage, denn er hatte bereits zwei Stunden vor seinem Bruder Mario das Licht der Welt erblickt. Somit glaubte er, sich stets auf das Recht des Erstgeborenen berufen zu dürfen. Deshalb sagte er: „ Lass uns um Isabella würfeln, Mario. Es kann sie schließlich nur einer von uns heiraten.“
Mario schüttelt den Kopf.
„Heilige Madonna, Isabella ist doch keine Ware, um die man würfeln könnte. Wir wollen sie einfach fragen, damit sie die Entscheidung trifft.“
Sie zogen gemeinsam zu Isabella.
„Wir lieben dich beide, aber wen von uns möchtest du heiraten? Wen von uns zwei liebst du mehr? Das letzte Wort hast du, und wir werden es akzeptieren.“
Isabella atmete rascher. “Oh, Mamma mia“, klagte sie, „wie soll ich das denn wissen? Ihr seht beide gleich aus, ich mag euch beide gleich gern. Eigentlich möchte ich euch erst ein bisschen näher kennen lernen. Vielleicht kann ich euch dann in zwei oder drei Monaten eine Antwort geben.“
Aber die Zeit verging, und noch immer hatte sich Isabellas Herz nicht entschieden. Die Brüder wurden von Tag zu Tag unruhiger Sie belauerten einander, und eines abends beschloss Alfonso, eine Entscheidung herbeizuführen. Zu später Stunde, als die Schänke angefüllt war mit Gästen und Isabella in den Keller stieg, um ein neues Fass Wein anzustechen, folgte er ihr. Er fasste sie einfach um die Schultern, zog die Überraschte mit einem Ruck an sich und drückte seine Lippen auf die ihren.
„Heirate  m i c h , Isabella. Nur mit mir wirst du wirklich glücklich sein können.”
Gleich einer sprühenden Katze entwand sie sich seinen Armen und schlug ihm in das Gesicht. Sie hielt auf sich und ihre Ehre.
Alfonso stieg aus dem Keller. Gleich einem Stockbetrunkenen taumelte er aus der Schänke. Er vermochte die Gegenwart und Gesellschaft der Übrigen nicht zu ertragen, glaubte, jeder müsste ihm die soeben erlittene Niederlage ansehen. Hier draußen wollte er auf Mario warten, der noch drinnen saß.
Endlich öffnete sich die Tür. Heller Lichtschein fiel heraus, und in ihm bewegten sich zwei Gestalten. Alfonso erkannte Mario, seinen Bruder. Daneben wehte Isabellas roter Rock. Deutlich vernahm Alfonso Marios Stimme, der sich ebenfalls zu einem Entschluss durchgerungen zu haben schien.
„Heirate mich, Isabella. Ich schwöre dir bei der heiligen Madonna, du wirst es nicht bereuen.“
Alfonsos Herz klopfte gleich einem Schmiedehammer. Was würde geschehen, wie lautete Isabellas Antwort? Würde sie auch Mario in seine Schranken zurückweisen, wie ihn? Noch schwieg sie. Auch Mario rührte sich nicht? Er war ein eher bedächtiger Typ und wusste wenig von einem glühenden Mädchenherzen. Er mochte kaum mit der Antwort gerechnet haben, die er nun erhielt.
Isabella sagte: „Küss mich, Mario!“
Der Erwählte schluckte. „Soll das heißen, dass du mich…?“
Sie stampfte mit dem Fuß auf. Weshalb fragst du so viel?“ murrte sie spröde. „Ich hab nur verlangt, dass du mich küssen sollst. Nichts weiter!“
Nichts weiter? Dabei besagte das doch alles, zumindest für Mario. Wie benommen von dem großen Glück, weil sich Isabella ihm zuwandte, nahm er sie behutsam in den Arm, als sei sie eine Kostbarkeit, die er nicht zerstören wollte. Scheu berührten seine Lippen die ihren. Doch schon wurde sie von ihrem Onkel gerufen. Sanft schob sie ihn von sich und eilte davon.
Alfonso sah seinen Bruder auf die Straße treten. I h n hatte Isabella nicht fortgestoßen, i h n hatte sie vielmehr aufgefordert, sie zu küssen. Das bedeutete, sie hatte ihre Entscheidung getroffen und zwar zugunsten Marios. Alfonso hatte das Gefühl, als sei dies nicht mehr sein Bruder, sondern nur sein Rivale, ein glücklicher dazu.
Von hinten sprang er ihn an, versetzte ihm mit dem Messer mehrere Stiche in den Rücken und schleppte den Toten danach über die Wiesen, die Felder bis zum Moor, wo er den Leichnam in eines der schwarz  glucksenden Löcher warf.
Dann atmete er hoch auf. Mario war verschwunden, der Weg zu Isabella war frei.
Doch dann fiel ihm Isabellas Stolz ein. Sie würde ihre Liebe nicht verraten. Sie liebte nun einmal Mario, wie sollte sie dann ihn, Alfonso, heiraten wollen? Ein irrwitziger Gedanke fiel ihn an. Wenn der Tote nun Alfonso wäre…?. Wenn e r  in die Person des Bruders schlüpfte und sozusagen Mario wieder auferstehen ließe? Was waren Namen? Isabella liebte Mario, also würde sie auch Mario heiraten. Ab sofort war e r  Mario.
 
Am folgenden Morgen suchte er die Forlanini-Schänke auf. Isabella scheuerte die Treppe. Sie war rot und verschwitzt, aber ihre Augen leuchteten auf, als sie den stürmischen Schritt vernahm, der sich näherte.
„Oh,  Alfonso, - du- ? So früh…?“
Er atmete tief ein. Er wusste, er musste sein Temperament zügeln, um den bedächtigen Mario spielen zu können.
„Du irrst“, sagte er langsam. „Ich bin doch Mario, erkennst du mich nicht? Alfonso ist fort. Er hat uns gestern nachts gesehen, als wir uns küssten. Daraus zog er die Konsequenz. Er will uns nicht im Wege stehen. Er ist fort und schwor mir, nie mehr zurückzukehren. Das ist gut so!“
Mit einem erstickten Wehlaut sprang sie auf und lief davon. Verdutzt sah er ihr nach. Aber da kam schon der alte Matteo auf ihn zu.
„Bitte, Mario, geh fort. Isabella möchte es so. Lass sie in Ruhe.“
„Weshalb denn?“ fragte der junge Mann verstört. „Gestern Abend haben wir uns geküsst. Sie wollte es, und damit hat sie ihre Entscheidung getroffen, zu meinen Gunsten.“
„Heute Nacht“ sagte der alte Mann, „als alle Gäste gegangen waren, kam Isabella zu mir, um ihr Herz auszuschütten. Ja, sie hat sich entschieden, ihr Herz hat gesprochen. Aber – es neigt sich Alfonso zu. Was den Anstoß dazu gab? Ach, Mario, was wissen wir von den Frauen und ihren Gefühlen? Es scheint, als sei Alfonso ihr zu nahe getreten, und sie ohrfeigte ihn, Aber nur, weil sie so erschreckt war. In Wahrheit jedoch, Mario,  - in Wahrheit hatte sein Kuss etwas in ihr angezündet und zum Flammen gebracht. Sie ist bereit, bereit für Alfonso. Der Kuss, den sie daraufhin d i r  abverlangte, war nichts als ein Abschiedskuss. Gerade er – so erzählte sie mir – hat ihr   den Unterschied zwischen euch Brüdern klar gemacht.“
Er nickte dem jungen Mann zu.
„Nimm es nicht allzu tragisch, Mario.  Es gibt noch mehr Frauen auf der Welt. Isabella wirst du nie erringen. Sie sagte, sie würde Alfonso suchen, überall in der Welt. Und wenn sie ihn nicht findet, wird sie keinem anderen gehören, auch dir nicht.“
 
Später erklärte der alte Forlanini, er habe sofort erkannt, dass der junge Ricci etwas Unüberlegtes tun würde. Das habe sich in seinen flammenden Augen gezeigt, und am Klang der heiseren Stimme ließ es sich hören, als er ausrief: „Oh, Madonna mia, das ist die Strafe, - das ist die gerechte Strafe.“
Dabei – so sagte Matteo Forlanini, sei Mario doch kein schlechterer Junge als alle anderen. Eigentlich sei er auch besser als sein Bruder Alfonso, der einfach in die Welt gezogen sei und nie wieder etwas von sich hören ließ.
Mario verschwand aus San Mariana ebenso wie sein Bruder Alfonso vor ihm verschwunden war. Später erzählte man sich, er sei in Indochinas Fiebersümpfen gestorben.
Isabella ging ins Kloster. Aber auch über der himmlischen Liebe konnte sie doch nie ganz das irdische Gefühl vergessen, welches Alfonsos leidenschaftlicher Kuss in ihr geweckt hatte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.10.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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