Josef von Stackelberg

Zweites Leben

Nach einem langen arbeitsreichen Leben erhalten die Zug- und Lasttiere der Bauern das Gnadenbrot, wenn sie nicht gerade Pech haben wie der Esel der Bremer Stadtmusikanten, der von seinem Herrn vom Hof gejagt worden war, nachdem er die schweren Säcke nicht mehr zu Mühle schleppen konnte. Auch die eine oder andere Zugmaschine hat das Glück, nach dem langen harten Leben auf dem Acker oder im Wald noch ihren Gnadentreibstoff zu erhalten, wenn sie zum Beispiel zum Rentnertreffen oder zu einem sonntäglichen Ausritt gesteuert wird.
Viele der treuen Maschinen werden jedoch für einen neuen Traktor in Zahlung gegeben, was andererseits einem Liebhaber alter Maschinen die Möglichkeit gibt, seiner Leidenschaft ein Ziel zu geben und solch ein betagtes Gerät zu erwerben, um es liebevoll instand zu setzen und zur eigenen Freude zu fahren.
 
Nachdem die Marke und der Typ des Liebhaberobjektes definiert waren, ging es darum, vermittelst geeigneter Kontaktanzeigen ein Subjekt ausfindig zu machen, dem die Liebe zuzuwenden lohnend schien. Nach einigen Versuchen und Besuchen tauchte in einer Kontaktbörse ein Bild auf, bei dessen Ansicht sich der Begriff „Scheunenfund“ schamlos aufdrängte. Die Scheiben der Komfortkabine blind geworden vor Altersgrind, der Motorblock rostig, die Oberfläche bemalt mit fremden Farben, stand der treue Gefährte mit bildhaft gesprochen hängenden Ohren auf dem alten Stroh in der Scheune. Die seitlich montierten Traversen wiesen darauf hin, dass dem Fahrzeug noch ein Frontlader angehörte, was in dem Begleittext zum Bild bestätigt wurde. Weiterhin waren die beiden Kupplungen neu und der Motor überholt. Für diesen Zustand war der annoncierte Preis überraschend günstig, daher wurde der elektronische Brief für das erste Kennenlernen abgesandt.
 
Ein Besichtigungstermin war bald vereinbart und erwartungsfroh machte ich mich auf den Weg zu dem Rendezvous. Als ich auf dem Hof des Händlers ankam, bremste ich und nahm das Bild, das ich sah, erst einmal in mich auf: Die Maschine sah genau so hoffnungslos aus wie auf dem Bild, der Frontlader war nun jedoch montiert und angehoben. Es gibt Frontlader und Frontlader. Die einen ähneln in ihrer Zierlichkeit den Armen einer Tänzerin, die einer Elfe gleich Pirouetten drehend über das Parkett schwebt und deren Umarmungen süß sind und sündig, die anderen gemahnen an die kräftigen, schwere Arbeit gewohnten Arme eines Bauern, die in harte, schwielige Hände münden und unvermittelt Vertrauen in die Unerschütterlichkeit des Mannes geben. Von letzterer Sorte war dieser Frontlader, schwer, schwarz, stark.
Leider lief der Motor bereits warm. Zu gerne hätte ich das Startgeräusch selbst verursacht und vernommen, das heisere Husten, wenn der erste Kolben durch den oberen Totpunkt geht, das darauf folgende kräftige Bellen, wenn der zweite Kolben im oberen Totpunkt den Treibstoff injiziert bekommt und der stählerne Muskel die Kurbelwelle selbstbewusst und nachdrücklich anfängt zu drehen. Das ist der Vorteil einer alten Maschine, bei der die mechanische Einspritzpumpe mechanisch an die Kurbelwelle gefesselt ist und sofort anfängt zu arbeiten, sobald die Kurbelwelle dreht, ohne Intervention hochintelligenter Elektronik, die sich erst einmal ein Bild des Motors macht, ehe sie anfängt, wertvollen Kraftstoff zu vergeuden. Den Anspringwillen dieser alten Maschinen zu erleben, versetzt mich immer wieder in Erstaunen, gepaart mit Entzücken. Ein erster Rundgang um den alten Haudegen brachte eine Reihe von Schwächen zutage: Die Heckscheibe ist zertrümmert, die Scherben liegen überall in der Kabine verstreut, die hinteren Reifen haben tiefe Risse, die linke Tür ist schwer verbogen, überall Grind und Alterserscheinungen.
Bei näherem Hinhören ließ sich am sechsten Zylinder ein Blasegeräusch erlauschen. Hier scheint die Kopfdichtung nicht mehr in Ordnung zu sein, mit Glück ist es nur der Auspuff, der undicht ist. Die Füße des dritten und des vierten Zylinders standen im Ölbad, die letzte Überholung des Motors scheint wohl schon ein paar Tage zurück zu liegen. Dass der Motor einmal überholt worden war, konnte man an den Resten der Kabelbinder erkennen, die hinter den Druckfedern der Stößelstangenschutzhülsen klemmten. Nicht sehr professionell.
Die Tür öffnete sich überraschend leicht, das Schloss hing jedoch nur an zwei Schrauben, die zudem locker waren.
Das annoncierte Radio fehlte, der Fahrersitz belegte viele Tausend Stunden Ackerarbeit. Wahrscheinlich würden Kartoffeln in den Ritzen des Bezuges anwachsen, würde man die Erde nur gießen.
Ich fasste die Seitenscheibenarretierungen an, sie bewegten sich nicht. Die Frontscheibe klapperte mutlos vor sich hin, von den Stoßdämpfern, die die Scheibe in den beiden Endpositionen festhalten sollen, fehlte einer, der andere baumelte erdrosselt an einer Halteschraube. Ein leichtes Ziehen am Lenkrad offenbarte mir die ausgeschlagene Lagerung am Lenkkopf, auch hier ist eine Reparatur dringend nötig.
Da die Frage nach der Probefahrt bejaht wurde, zog ich die Kabinentür zu, löste die Feststellbremse, dabei feststellend, dass der Hebel selbiger bald abbrechen dürfte, versuchte die Kupplung durchzutreten, was nicht gelang – der tretbare Weg war sehr kurz – und würgte einen Gang hinein. Ruppig begann die Zugmaschine zu marschieren, kaum dass ich die Kupplung wieder etwas gelöst hatte. Beim Lösen der Fußbremse, als ich in die Straße einbog, zischte es hinter mir. Ach ja, Druckluftanlage hat er auch, sie scheint noch zu funktionieren. Das Schalten des angeblich synchronisierten Getriebes machte keine Freude, es krachte allenthalben. Die neue Kupplung bedarf dringend einer Justage. Wir drehten eine kleine Runde, während der ich die Funktionen des Frontladers durchspielte. Anschließend horchte ich wieder am Motor. Der Klang ist reichlich ruppig, jede Menge Raum für Überholungsarbeiten. Ich zog den Ölpeilstab und roch am Motorenöl. Es duftete nach sehr altem, sehr verbrauchtem Öl, hatte jedoch keinen Anklang von Abgas. Die Kolbenringe scheinen wohl in Ordnung zu sein.
Die Mechanik der Heckhydraulik scheint weitgehend vollständig zu sein, der Zustand ist überraschend gut, die einzelnen Teile lassen sich sogar noch bewegen.
Die Zapfwellenkupplung ist außer Funktion, ein Blick unter die Kabine belehrte mich über den Grund: Das Gestänge ist nicht montiert.
Wir verhandelten noch eine Weile über die Kaufbedingungen, dann fuhr ich wieder, in meinem Herzen das Bild eines Traktors, dessen bäriger Sechszylindermotor unter der glänzenden blauen Verkleidung freudig brummt und röhrt, die Kabine blitzt innen vor Sauberkeit, die üppige Rundumverglasung lässt den freundlichen Blick in die sonnenüberflutete Landschaft zu. Ein langer Weg liegt da wohl vor mir.
Ich machte eine lange Liste von Teilen, die ich bestellte und kaufte, lange ehe der Traktor wirklich mein war, dann wurde er bezahlt, die Nummernschilder wurden angefertigt beim Anmelden, er stand zur Abholung bereit, alle vereinbarten Arbeiten waren angeblich erledigt, er wurde abgeholt. Ich ließ ihn abholen, weil ich noch keine Zeit hatte, und konnte mir anschließend eine böse Tirade anhören, was alles nicht in Ordnung sei. Geduld, bald kann ich ihn selbst sehen, ich weiß ja, dass er (noch) nicht perfekt ist.
Endlich begann der Urlaub, der der Instandsetzung des bereits geliebten Boliden gewidmet sein sollte. Wir fuhren dahin, wo er vorläufig untergestellt war, in meinem Herzen schwere Unruhe, die Tirade klang immer noch nach.
Ja, er ist es, dieses Teil habe ich gekauft, viel zu hoch der Preis nach Ansicht einiger Experten, sie sehen nur die Oberfläche, sie sehen nicht die inneren Werte.
Ich startete den Motor, versuchte zu fahren. Die Kupplung verhielt sich wie gehabt, da war nichts justiert worden. Das Gestänge der Zapfwellenkupplung war jedoch vorhanden und montiert. Während der ersten Rundfahrt mit meinem Traktor war die Drehzahlverstellung plötzlich ohne Funktion, der Motor holperte in der niedrigsten Drehzahl vor sich hin, egal, was ich machte; ich stand gerade mitten auf einer Kreuzung, als die Drehzahl schlagartig abfiel, und stolperte in die nächste Straße. Ich schaltete den Warnblinker ein, der überraschenderweise funktionierte, und suchte etwas hilflos herum, bis ich sah, dass das Gasgestänge ausgehakt war. Ich hakte es ein und sah den Sicherungssplint auf dem Getriebeblock liegen, klickte den Splint ein. Die Drehzahlverstellung funktionierte wieder.
Die nächste Aktion mag zwar für Außenstehende unverständlich sein, für mich war dies zu erledigen aber erst einmal sehr wichtig. Mit heißer Seifenlauge reinigte ich die Kabinenscheiben, wischte über die Oberflächen in der Kabine, bis alles zwar noch nicht blitzte, aber auch nicht mehr ganz so trostlos im Grind versunken war. Dann baute ich die Stoßdämpfer für die Frontscheibe an, um diese bedarfsweise öffnen und schließen zu können. Der nächste Schritt war die Demontage des Frontladers. Immerhin wollte ich die Verkleidungsteile auf den ursprünglichen Lack entfärben. Aber erst mussten wir die Kupplungen justieren.
Normalerweise sieht die Kupplungsjustierung dergestalt aus, dass man das Pedal so einstellt, dass es am Anfang seines Weges nur den Gegendruck der Haltefeder überwindet, um sicherzustellen, dass das Drucklager lastfrei läuft. Dann wird das Drucklager mit Hilfe des Pedals so weit durchgedrückt, dass die Kupplung sicher öffnet. Der so genannte Druckpunkt der Kupplung, bei der die beiden Kupplungsscheiben gerade Kontakt haben und anfangen, die Kraft des Motors auf das Getriebe zu übertragen, liegt idealerweise am Anfang des zweiten Drittels des aktiven Drucklagerweges, von der ganz durchgedrückten Position aus gesehen.
Die Rückhaltefeder kam mir komisch vor, also konsultiere ich die mitgebrachten Montagezeichnungen. Dort ist eine gänzlich andere Konstruktion des Kupplungsgestänges dargestellt, als ich vorfand. Ich begann wieder eine Liste mit zu bestellenden Teilen anzufertigen, um das Kupplungsgestänge in den Originalzustand zurückzuversetzen. Dann machte ich mit der Justage weiter. Die Kupplung ließ sich nicht durchtreten. Warum? Weil das vorhandene Gestänge am Gestänge der Zapfwellenkupplung hakte. Wir demontierten dieses Gestänge und versuchten wieder, den Druckpunkt einzustellen. Es war machbar. Die Kupplung ließ sich justieren und funktionierte plötzlich. Allerdings war der Anfangsweg des Pedals etwas undefiniert, weil das Originalgestänge noch fehlte.
Anschließend versuchten wir, mit dem Gestänge der Zapfwellenkupplung fertig zu werden. Wir fanden eine mögliche Montage, nachdem wir ein Gestängeteil umgebaut hatten, das offenbar vorher manipuliert worden war. Die Teile für das Zapfwellenkupplungsgestänge kamen mit auf die Bestellliste. Wir testeten die Zapfwelle. Sie funktionierte nicht. Sie drehte sich zwar, aber beim geringsten Haltemoment blieb sie stehen. Wir versuchten andere Einstellungen. Erfolglos. Irgendwann trafen wir die Entscheidung, Motor und Getriebe zu trennen. Irgendetwas ist faul im Inneren der mächtigen Kupplungsglocke.
Motor und Getriebe zu trennen, bedeutet, den riesigen Tank zu demontieren, der sich über dem Motor über die gesamte Länge des Vorderbaus hinzieht, die Hydraulik- und Luftanschlüsse zu trennen, die Elektrik zu trennen, Drehzahlversteller und Treibstoffanschlüsse zu demontieren. Da wir ohnehin später noch den Motor abdichten wollten, demontierten wir auch die gesamte Luftkühlermechanik, unter anderem die mächtige Welle mit den sieben Schaufelrädern.
Dann wurden der Motor und das Getriebe getrennt abgestützt, der Motor auf einer fahrbaren Abstützung, und die Flanschschrauben der Glocke geöffnet. Anschließend zogen wir die beiden Teile auseinander. Die Zapfwellenkupplung konnte nicht funktionieren. Sie lag in Scherben in der Kupplungsglocke. Es hat in meinem Leben noch nicht viele Momente gegeben, in denen ich mich so beschissen fühlte wie in diesem Augenblick, als ich das Desaster vor mir sah.
Ich rief beim Ersatzteilhändler an und fragte, ob die Teile für die Kupplung noch lieferbar seien. Sie waren, jedoch ließ mich der Preis innerlich nach Luft schnappen. Ich bestellte die Teile, sie sollten am nächsten Morgen geliefert werden.
Dann machte ich mich an den Lenkkopf, um die Zeit zu überbrücken. Ich demontierte das Lenkrad und das Armaturenblech, um an den Lenkkopf zu kommen. Der Lenkkopf saß auf dem Servostat der hydraulischen Lenkung und war dergestalt montiert, dass die Hydraulikleitungen zum Servostat abgebaut werden mussten und selbiger auch zu demontieren war. Schließlich hatte ich die Teile in der Hand. Dann konsultierte ich wieder die Zeichnungen, nach denen sich das Lager des Lenkkopfes ganz leicht ausdrücken lassen sollte. Gedacht, getan. Leider funktionierte das Ausdrücken nicht und führte schließlich zur Zerstörung des Lenkkopfes. Wieder rief ich den Ersatzteilhändler an, jedoch waren Lenkköpfe ausverkauft. Mir zog es die Mundschleimhaut zusammen.
Wir kramten eine Weile im Alteisenhaufen herum, bis wir eine schwere alte Wagenachse fanden, die dick genug war, um aus ihr auf der Drehbank einen neuen Lenkkopf anzufertigen. Es kostete mich ungefähr einen Tag, bis ich das fertig bearbeitete Stahlteil in der Hand hielt, das fürderhin das Lenkrad stützen sollte. Eine Finesse war der nunmehr angebrachte Schmiernippel, der immer für gute Schmierung der Drehmechanik sorgen sollte.
Nachdem die Teile für die Zapfwellenkupplung angekommen waren, setzten wir sie wieder zusammen, montierten das Gestänge und siehe da, alles ließ sich bewegen. Allerdings rückte die Kupplung nicht ordentlich aus, weil der Hebel verbogen war. Mit Hilfe einer Azetylenflamme justierten wir die Biegung des Hebels. Leider ließ die Kupplung sich nun zwar ausrücken, öffnete aber nicht. Ich dachte, dass nach dem Zusammenbauen, wenn „richtige“ Verhältnisse herrschten, die Kupplung vielleicht ausrücken würde.
Das Zusammenschieben von Motor und Getriebe gestaltete sich schwieriger als gedacht, weil zwei konzentrisch angeordnete Vielzähne richtig ineinander greifen sollten. Wir wären fast verzweifelt. Schlussendlich fertigte ich an der Drehbank eine Lehre zur Zentrierung der Hauptkupplung an, um die große Mitnehmerscheibe an die richtige Stelle zu bekommen. Dann glitt der schwere Motor mit leichtem Rumpeln wieder an die Glocke, wir konnten die großen Schrauben wieder einsetzen und festziehen.
Die Tage wurden mittlerweile immer länger, aus dem geplanten Urlaub mit ein bisschen Ölwechsel und Farbarbeiten war harte Knochenarbeit geworden.
Ich hatte noch zwei Tage Zeit und da der Motor ohnehin teilweise demontiert war, beschloss ich, die beiden mittleren Zylinder wie geplant abzudichten. So demontierten wir den ersten der beiden, setzten neue Dichtungen ein, versuchten, den Zylinder wieder über den Kolben zu schieben. Unmöglich. Im Werkstatthandbuch fand ich schließlich den Hinweis, dass zum Montieren des Zylinders auf den Kolben das Pleuellager zu öffnen sei und der Kolben auf der Werkbank in den Zylinder gedrückt werden sollte. Nach dem Öffnen des Motorblocks mit Demontage der Dieselfiltereinheit war es kein Problem mehr, Kolben und Zylinder wieder eine Einheit werden zu lassen und zusammen zu setzen. Die nächste Herausforderung stellten die Druckfedern der Stößelstangenschutzrohre dar. Nach Werkstatthandbuch benötigte man für den Zusammenbau eine Spezialzange. Um diese einsetzen zu können, hätte jedoch die Einspritzpumpe demontiert werden müssen. Wir behalfen uns mit Bindedraht, mit dem wir die Federn zusammenzogen. Keine professionelle Arbeit.
Nach einem langen Arbeitstag war der Motor wieder zusammengebaut. Der Tank wurde aufgesetzt, die Dieselanlage wurde entlüftet, der Motor wurde gestartet. Endlich konnte ich wieder das Dröhnen des Sechszylinders hören, auf das ich so lange warten musste. Das Klopfen im Motor überhörte ich geflissentlich. Ich wollte nach Hause.
Wir montierten den Frontlader, dann räumte ich mein Werkzeug weg und drehte eine kleine Runde. Der Motor wurde wärmer, das Klopfen kräftiger. Es jetzt noch zu ignorieren wäre nicht klug gewesen.
Die Ursache für das Klopfen war, dass ich beim Zusammenbauen der beiden Zylinder nicht darauf geachtet hatte, dass das Spaltmaß, der Abstand zwischen Zylinderkopfboden und Kolbenboden, eingehalten worden war. Das Spaltmaß wird durch Unterlegen von Distanzscheiben am Zylinderfuß justiert und bedeutet demzufolge die Demontage des gesamten Lüfterkreises und des Tanks. Ich weiß heute, dass es auch anders funktioniert, aber ich war damals am Anfang gewesen auf dem langen Weg zum Fachmann für diesen Motortyp.
Um das Spaltmaß einstellen zu können, muss der jeweilige Kolben exakt auf den oberen Totpunkt gestellt werden. Es ist eine fürchterliche Arbeit, den Sechslitersechszylinder gegen den geschlossenen Hubraum zu drehen. Der Versuch, die Einspritzdüsen zu demontieren, scheiterte jedoch bei einem Zylinder, weil die Düse festsaß.
Zwei weitere Tage konzentrierter Arbeit waren vonnöten, um den Traktor erneut fahrbereit zu haben. Nebenbei montierte ich noch die Bowdenzüge für die Heizungsklappen und brachte ein paar andere Kleinigkeiten in Ordnung, wie zum Beispiel die Lichtanlage.
Schließlich war alles zusammengebaut, der Traktor ließ sich fahren, der Motor lief zwar noch nicht ganz rund, aber im Großen und Ganzen klang er schon nach Träumen.
Ich habe in der Nacht vor der Heimfahrt nicht viel geschlafen, so sehr freute ich mich über die knapp dreihundert Kilometer, die da vor mir lagen. Am Sonntag Morgen um drei Uhr stand ich auf und um kurz vor vier Uhr an einem wunderschönen Augusttag fuhr ich meinen Traktor aus der großen Maschinenhalle meines Bruders, um ihn nach Hause zu bringen.
 
Traktorfahren ist meditatives Fahren. Wer mit einem Auto unterwegs ist, zumal wenn dieses schnell fahren kann, dann versucht der immer zu überholen, wenn es möglich ist. Er ärgert sich über die langsamen Fahrer vor ihm, die ihn seiner
Freiheit berauben, die ihn zum langsamen Fahren nötigen. Der Traktor fährt langsam. Er ist laut und er ist ruppig. Die Federung besteht im Luftpolster der mächtigen Antriebsräder und auch wenn man mit aller Kraft auf das Gaspedal drückt, dann erreicht man nicht mehr als fünfunddreißig Stundenkilometer, was schon schnell ist für einen alten Kämpen des Ackers.
Auf einem Traktor sitzt man zwischen den Antriebsrädern und nicht über ihnen und man sitzt relativ hoch. Man steuert eine Masse von nahezu sechs Tonnen Stahl, was man spätestens dann merkt, wenn man abrupt bremsen muss oder einen steilen Berg hinunter fährt. Der Sitz eines Traktors ist nicht einem Sofa nachempfunden, sondern ergonomisch an den Fahrer angepasst, und man hat ein riesiges Getriebe mit einer großen Menge an Geschwindigkeitseinstellungen unter sich, die man nach Bedarf vornehmen kann.
Es gibt keine Anschnallpflicht bei Traktoren und die hydraulische Lenkung unterbricht die mechanische Verbindung zwischen der Straße und dem Fahrer. Eine hydraulische Lenkung reagiert kraftvoll und erfordert Fingerspitzengefühl. Wenn man sich einmal an sie gewöhnt hat, dann will man sie nicht mehr missen. Und man kann den Vorderrädern, die so hoch sind wie die Autos, neben denen man an der Ampel steht, beim Drehen zusehen, während man die Straße entlangfährt. Traktorfahren ist meditatives Fahren. Die Landschaft gleitet vorüber, sie huscht nicht vorbei, und einige Stunden später ist man immer noch im Landkreis München, wenn auch in den Außenbezirken.
 
Für die dreihundert Kilometer benötigte ich vierzehn Stunden inklusive zweier Stunden Mittagspause, und ich habe jede Minute dieser vierzehn Stunden genossen, inklusive der Mittagspause, bei der ich davon träumte, weiter zu fahren.
 
Auch wenn mein neues Spielzeug nun fahrbereit war, so war es von einem funktionierenden Traktor noch weit entfernt. Die nächsten Aktionen umfassten die ausstellbaren Seitenfenster der Kabine sowie die reichlich zerfetzte Dachplane. Die Seitenfenstermechaniken demontierte ich, nachdem ich mir entsprechendes Spezialwerkzeug gekauft hatte, machte sie vorsichtig wieder gangbar, um die alten Kunststoffteile nicht zu zerbrechen, schmierte sie ordentlich und baute sie wieder zusammen. Für die Dachplane gab es Ersatz. Allerdings brach ich mir fast die Finger beim Aufziehen der Plane, weil sie so straff über den Rahmen gespannt war. Sie sollte später nicht flattern, hieß es.
An den Unterlenkern der Heckhydraulik fehlte ein Bolzen, den ich anschließend einsetzte. Da die Befestigungsschraube des vormaligen Bolzens abgerissen war, musste ich das Gewinde erst ausbohren und neu schneiden, was nicht ganz unproblematisch war, weil das Hinterrad genau an der Stelle stand, an der die Bohrmaschine sein sollte.
Als mich der Kartoffelacker des Fahrersitzes ernsthaft zu stören begann und sich vor meinem inneren Auge ein weißer Ledersitz, der farblich gut zu dem Blau des Traktors passte, materialisiert hatte, kaufte ich ein größeres Stück weißen Nappaleders, demontierte den Komfortsitz samt seiner vielzähligen Einstellmöglichkeiten, zerlegte ihn komplett, befreite ihn von vierunddreißig Jahren Ackerdreck und verpasste ihm anstatt des bejahrten und zerrissenen Textilbezuges einen weißen Lederbezug, den ich exakt nach dem Layout des ursprünglichen Bezuges nachschneiderte. Er sah wirklich edel aus, der runderneuerte Komfortsitz, etwa eine Woche, weil weißes Leder natürlich auf jede unweiße Farbe reagiert.
Eine wichtige Aktion war der Umbau des Kupplungsgestänges. Anhand der mir vorliegenden Zeichnungen fertigte ich die notwendigen Teile an beziehungsweise besorgte sie mir beim Ersatzteilhändler, soweit er sie vorrätig hatte, und baute die Konstruktion schließlich zusammen. Es ist ein progressiv arbeitende Kupplungsbetätigung, das heißt, dass die Feder, die das Pedal in seiner Ruheposition hält, in ihrer Zugkraft über einen Totpunkt geführt wird und anschließend den Fuß beim Überwinden der Kraft der schweren Tellerfeder der Kupplung unterstützt. Der schwere Traktor lässt sich schalten wie ein Automobil, seit die Kupplung korrekt montiert ist.
 
Wenn man einen Traktor hat, wird man unweigerlich eingeladen, mit diesem an der einen oder anderen Stelle auszuhelfen. Es war ein Anhänger zu ziehen und ich freue mich über jede Gelegenheit zu meditieren.
Der Anhänger war angekuppelt, die Druckluftbremse machte ihren Job, der Hydraulikkreis zum Kippen funktionierte, ich zog die Handbremse fest und hielt den Bremshebel in der Hand. Es war vorauszusehen gewesen, er war mir bei der Probefahrt schon aufgefallen gewesen. Man musste halt den Steuerblock unter dem Fahrersitz demontieren. In dem Steuerblock befindet sich neben dem Gestänge der Handbremse noch die Einzelradbremsmechanik, die Allradbetätigung und die Ansteuerung für die Differentialsperre. Ich demontierte den gesamten Block, dann besorgte ich mir Flacheisen, die ich links und rechts am Handbremshebel anschweißte (der reißt nicht mehr ab) und machte bei der Gelegenheit alle anderen Funktionsgruppen wieder gangbar und schmierte sie. Dann war ich bereit für den nächsten Probebetrieb.
 
Nach einem Arbeitseinsatz und bisweilen zwischendurch ist die Zeit des Reinemachens. Mit Staubsauger und Seifenwasser werden Schmutz und Staub entfernt, um dem Grind keine Chance zu geben zu wachsen. Die Fensterscheiben der Kabine werden innen und außen gewienert, die Dichtungen mit Talg eingeschmiert, um sie vor weiterer Verrissung zu schützen. Mit Wachspolitur und Wattebausch werden die Verkleidungsteile, die mächtigen Felgen und die schweren Gussblockteile wieder auf Glanz gebracht, bis der geliebte Bolide strahlt wie fast am ersten Tag und es eine Augenweide ist, das fröhliche Reflektieren der Sonne in dem alten Lack zu beobachten, die Harmonie des hellen Blau der Verkleidungsteile mit dem dunklen Rot der Felgen. Wer sagt, dass alte Ackergäule neu lackiert werden müssen? Diese Blasphemie gemahnt an manche Frau, die meint, mit Haarfarbe, Hautstraffercremes und diversen Farben ihre Weisheit und ihre Erfahrung vertuschen zu müssen. Mit Schaudern denke ich an überlackierte Schmiernippel und vollgeschmierte Gummileitungen. Natürlich müssen die beweglichen Teile regelmäßig mit frischem Fett versorgt werden. Zeichen eines gepflegten Traktors ist die im Wind wehende dünne Fettfahne, die noch am Schmiernippel hängt, so wie die sauberen Fingernägel Zeichen eines gepflegten Mannes sind.
 
Der Frontlader begann an einem seiner Hydraulikzylinder massenhaft Öl zu verlieren. Um den Zylinder zur Abdichtung demontieren zu können, musste ich das Parallelogramm abbauen, welches natürlich fürchterlich zusammengerostet war und mich ein Wochenende kostete, es zu demontieren, zu reinigen und wieder zusammen zu bauen. Bei der Gelegenheit ersetzte ich eine Reihe von Schmiernippeln, die vor langer Zeit abgebrochen waren.
Da die Motorengeräusche immer unguter wurden und der fünfte Zylinder so klang, als sei er undicht, demontierte ich ihn bei aufgesetztem Tank und dichtete ihn neu ab. Um den fünften Zylinder demontieren zu können, musste ich den Kopf des sechsten Zylinders abnehmen, weil die Einspritzdüse sich immer noch nicht ziehen ließ.
 
Und Traktorfahren ist meditatives Fahren, ob man am Samstagmorgen in die Stadt fährt zum Einkaufen und sich zwischen die Autos auf den Parkstreifen zwängt oder ob man am Abend zum Essen fährt und sich neben den Porsche auf den Parkplatz vor dem Restaurant stellt, man ist immer langsam, das Vorankommen dauert seine Zeit, das urtümliche Gebrüll des unkultivierten luftgekühlten Sechszylinders erregt Aufmerksamkeit und so manchen anerkennend hochgerechten Daumen, man fährt meditativ und der Alltagsstress bleibt weit hinten.
 
Da die Zapfwellenkupplung nicht arbeitete, beschloss ich, eine Fachwerkstatt aufzusuchen, bei der wir den Traktor noch einmal trennten. Wir fanden dabei heraus, dass das Getriebe an den beiden Kupplungswellen undicht war (ich hatte das viel zu dickflüssige Getriebeöl ersetzt durch dünnflüssiges, wie es im Handbuch vorgeschrieben stand, und dieses sickert gnadenlos durch alle kleinsten Leckstellen). Wir dichteten die Wellendurchgänge neu ein und tauschten dabei auch das Drucklager der Zapfwellenkupplung aus, ebenso noch ein paar Verschleißteile. Seitdem funktioniert die Zapfwelle, auch wenn ich sie noch nie benutzen durfte.
 
Wozu hat man einen Frontlader, wenn nicht zum Schneeschaufeln im Winter? Also machten wir uns auf den Weg, um eine adäquate Schaufel zu kaufen. Adäquat bedeutet eine Breite von zwei komma zwanzig Metern und ein Fassungsvermögen von einem Kubikmeter bei einer Masse von etwa dreihundert Kilogramm verzinktem Stahl. Da die Euroaufnahme am Frontlader verzogen war, war reichlich Richtearbeit mit dem Vorschlaghammer notwendig, um die Schaufel anbauen zu können. Zwischendrin wurden die falschen Farbstreifen am Tank und den Seitenverkleidungen abgeschliffen und abpoliert. Dafür besorgte ich mir Schleifpapier mit tausender Körnung und Polierpaste bei einem Autolackierer, der mir prophezeite, dass ich es nicht schaffte, in die Trennschicht zwischen den beiden Lacken reinzuschleifen. Anschließend saß ich stundenlang mit dem Schwingschleifer und mit Polierpaste, aber ich schaffte das unmögliche und ersparte mir damit das Überlackieren des vierunddreißig Jahre alten Originallackes.
 
Da die unbedeckten Vorderreifen bei Regenfahrten das Wasser sehr hoch warfen, fragte ich beim Ersatzteilhändler neue vordere Kotflügel an, die es aber nicht mehr gab. Damit war eine neue Sparte der Instandsetzung geboren: Die Schlosserarbeit. Ich besorgte mir Baustahl und borgte mir einen Schweißinverter. Dann war ich ein Wochenende damit beschäftigt, die diversen Stahlteile zurecht zu schneiden, zu biegen und zu verschweißen, nachdem ich mir vorher eine Maske aus Holz angefertigt hatte, um die Winkel korrekt hinzubekommen. Schweißen hat etwas urtümlich kreatives an sich. Die grelle elektronische Flamme, mit deren Hilfe der Stahl geschmolzen wird, das nachlässige Ineinanderlaufen flüssigen Stahls in der Schweißnaht, anschließend das Abkühlen, das Entfernen der Schlacke, begleitet von der bangen Frage, ob die Naht wohl gut geworden ist, das alles gemahnt an Vulkanus, den alten römischen Gott des Feuers und der Schmiede und lässt Bilder haariger, nach Eisen und Schweiß duftender Männerkörper in Lederschürzen erstehen. Nach dem Wochenende mit dem Schweißinverter hatte ich einen fürchterlichen Sonnenbrand an beiden Händen, weil ich ohne Handschuhe gearbeitet hatte, und ich hatte zwei Halterahmen für Kotflügeldecken, die es in allen Größen sortiert zu kaufen gibt. Ein Traktor, der vorne Kotflügel hat, sieht ganz anders aus als ein Traktor, der vorne keine Kotflügel hat, so ungefähr, als hätte sich jemand über seine Doppelripp-Unterhosen endlich seinen Armani-Anzug angezogen. Dass ich beim Biegen nicht exakt den richtigen Winkel getroffen hatte und damit die Kotflügel außen etwas nach oben stehen, gibt dem Traktor ein verwegenes Aussehen.
 
Da der Lenkzylinder mittlerweile auch immer mehr Öl verlor, demontierte ich ihn, um ihn abzudichten. Es kostete mich eine Weile, die vertrackte Montage des Zylinderdeckels zu verstehen, und ich benötigte zwei Anläufe, bis er dicht war, weil ich beim ersten Zusammenbauen prompt einen O-Ring abscherte und erst wieder einen neuen Ring besorgen musste. Beim Demontieren fand ich zufällig heraus, dass der Lenkhebel, der die Kraft des Lenkzylinders auf die Vorderräder führt, fast komplett abgebrochen war. Dank neu erstandenem Schweißinverter war es kein Problem, ihn zu reparieren.
 
Was mich zunehmend unzufriedener stimmte, war das nicht gleichmäßige Motorengeräusch. Am sechsten Zylinder war das Blasegeräusch immer lauter geworden, im dritten Zylinder war immer wieder ein Klopfen zu hören und im fünften Zylinder stimmte auch irgend etwas nicht. Da diese Reparatur etwas umfangreicher war und meine Garage zuhause zu niedrig war für den Traktor, beschloss ich, die Decke der Garage anzuheben und bei dieser Gelegenheit ein Laufkatzensystem für einen Kettenzug zu bauen. Es waren wieder einige Arbeitstage mit dem Schweißinverter vonnöten, um die Torkrankonstruktion anzufertigen sowie die Laufkatzen für die Längs- und die Querfahrten. Es bereitete mir immense Freude, als ich nach fast zwei Wochen Arbeit, während denen ich die Teile der Torkräne ausgemessen und vorbereitet hatte sowie die Säulen in der Wand festbetoniert hatte, die Traversen oben auf die Stützschuhe der Säulen auflegte und die Befestigungsschrauben mit einem Klacken in die vorgesehenen Löcher rutschten, ohne dass ich an irgendeiner Stelle nachbessern musste, und als die Laufkatzen mit einem leisen Rumpeln leichtfüßig über die Schienen rollten.
Nun war der Arbeitsplatz vorbereitet, um den Tank abzuheben und den Motor gründlich neu aufzubauen.
 
Es fühlte sich erhebend an, als ich den Tank mit dem Kettenzug von seiner Position lüften konnte und mit der Laufkatze beiseite rollen. Dann baute ich einen Tisch auf und begann, systematisch den Motor abzuräumen: den Auspuff samt Krümmer, die Luftfiltereinheit samt Ansaugkrümmern, die Dieselzuleitungen, die Mehrmengeneinspritzung, die Dieselrücklaufleitungen, Stück für Stück wurde demontiert und  sauber auf dem Tisch ausgebreitet. Dann wurde die Luftkühlung abgebaut, die Hauben, die Lüfterwelle, die Luftleitbleche. Schließlich nahm ich die Zylinderköpfe ab und legte sie gemeinsam mit den Ventildeckeln, den Kipphebelblöcken, den Stößelstangen und den Schutzrohren nebeneinander auf dem Tisch ab. Ehe ich wieder mit dem Zusammenbau beginnen konnte, wollte ich noch den vorderen Kurbelwellenaustritt abdichten, weil auch hier schon seit geraumer Weile das Öl raustropfte. Dafür mussten der Kompressor samt Antrieb und die schweren Dämpferscheiben abgenommen werden. Hier konnte ich wieder meinen Kettenzug einsetzen und musste mich nicht mehr so plagen. Eine Herausforderung bildeten die Klemmelemente, mit denen die Mitnehmerplatte für die Riemenscheiben und die Dämpfer auf der Kurbelwelle befestigt ist. Sie hatten sich im Lauf der Jahre festgesetzt und ließen sich mit einem Abzieher nicht zum Loslassen bewegen. Ich erwärmte schließlich die Mitnehmerplatte mit einem Heißluftgerät und kühlte anschließend die Kurbelwelle mit Kältespray ab. Ein leichter Hammerschlag und mit einem leisen Ping lösten sich die Klemmelemente. Nachdem ich den Steuerkastendeckel abgenommen hatte, reinigte ich alles sorgfältig, drückte den alten Wellendichtring aus seinem Sitz, setzte einen neuen ein und begann mit der Montage, stattete dabei alle Flansche mit neuen Dichtungen aus und achtete auf sorgfältigen Zusammenbau. Es gab keine Eile, das Ziel war die Montage. Als der Vorderteil des Motors wieder montiert war, wandte ich mich den Muskeln zu, den sechs Zylindern. In erster Linie wollte ich die verklemmte Einspritzdüse des sechsten Zylinders lösen, nachdem nicht einmal die im Werkstatthandbuch empfohlene Methode, die Spannpratze der Einspritzdüse zu lösen und den Motor dann zu starten, gefruchtet hatte. Eigentlich hätte der Arbeitsdruck des Zylinders die Düse austreiben sollen.
Ich versuchte verschiedene liebevolle Methoden, sie aus ihrem Sitz zu bewegen, vergeblich. Schließlich nahm ich ein Rohr, das exakt auf den Kopf der Einspritzdüse passte, und einen zwei Kilogramm schweren Hammer und donnerte die Düse aus ihrem Sitz. Halber Millimeter für halber Millimeter, den sie preisgab. Als sie schließlich draußen war, sah ich das Dilemma. Da sie wohl schon vor langer Zeit undicht geworden war, war immer etwas Treibstoff neben der Düse in die Kühlrippen gesickert und war dort zu einem Kohlekuchen verbacken, der die Einspritzdüse festhielt. Der Kohlekuchen war so groß, dass er durch die Kühlrippen bis ganz nach draußen reichte. Wir hatten anfänglich gedacht, das schwarze wäre verbranntes Gras, als wir das erste Mal am Motor arbeiteten.
Sowohl der Kopf als auch die Düse überlebten die raue Behandlung. Allerdings musste der Dichtungssitz nachgearbeitet werden. Hierfür fertigte ich mir ein Werkzeug an. Das Werkzeug ließ sich natürlich auch für andere Einspritzdüsendichtungssitze einsetzen. Ich fand noch an zwei weiteren Köpfen Kriechspuren an den Einspritzdüsendichtungssitzen, die ich mit diesem Werkzeug beseitigen konnte.
Außerdem fand ich an der Kopfdichtung des fünften Zylinders Spuren von Durchblasen, ebenso an der Dichtung des vierten Zylinders.
 
Nachdem die Köpfe untersucht und gereinigt beziehungsweise bedarfsweise bearbeitet worden waren, reinigte ich die Zylinderfüße und stellte an allen sechs Zylindern die Spaltmaße exakt ein.
Ehe ich die Köpfe wieder aufsetzte, fertigte ich mir noch zwei Federspanner für die Druckfedern der Stößelstangenschutzrohre an und befreite die Schutzrohre von allen Überresten von Kabelbindern und Bindedraht.
Dann setzte ich Zylinderkopf für Zylinderkopf auf, ließ mir Zeit beim Einrichten des Kupferringes, der bei diesem Motortyp als Kopfdichtung fungiert, ordnete die Schutzrohre sauber an, zog die Kopfschrauben gleichmäßig fest und stellte die Ventile ordentlich ein. Es dauert doch eine Weile, ehe sechs Zylinderköpfe wieder an Ort und Stelle und alle Teile justiert sind. Zwischendrin verklebte ich an den Luftleitblechen diverse Bruchstellen mit Flüssigmetall. Als die sechs Zylinder wieder aufgebaut waren, verkleidete ich sie wieder mit den Luftleitblechen, reinigte und montierte die Lüfterwelle, schraubte die Einspritzleitungen auf und schloss die Öl- und Kraftstoffleitungen an. Dann bereitete ich alles für den Start vor. Ich entlüftete die Einspritzpumpe und bat meine Tochter, den Anlasser zu betätigen, während ich einen Zylinder nach dem andern entlüften wollte. Ich öffnete die Überwurfmutter der ersten Einspritzdüse, meine Tochter orgelte ein paar Umdrehungen mit dem Anlasser, bis Kraftstoff aus der Leitung austrat, dann zog ich die Überwurfmutter wieder fest. Anschließend öffnete ich die Überwurfmutter der zweiten Einspritzdüse und sagte ihr, sie solle wieder auf den Startknopf drücken. Sie drückte kurz und der Motor lief. Ich staune immer wieder über den starken Anspringwillen der alten Motoren. Ich schraubte die Überwurfmutter wieder fest und horchte auf den Motor. Wie die Perlen auf einer Schnur klang eine Explosion nach der anderen aus dem Auspuffkrümmer.
Mit dem Stethoskop horchte ich in die einzelnen Zylinder hinein. Der dritte hatte immer noch ein Pochen, hier war noch Nacharbeit vonnöten.
 
In der Zwischenzeit war wieder eine Anfrage für Traktorarbeiten eingegangen. Die Herstfeldbestellung nach der Ernte auf den Äckern begann und eine Zugmaschine, die hundert Mustangs in ihrer Herde hat, ist ein adäquates Werkzeug, um einen Grubber durch die Erde zu ziehen. Meine Tochter und ich meditierten zwei Tage auf diversen Hanglagen, der Sechsfachmuskel vor uns strahlte seine Wärme in die Kabine und lutschte den Treibstoff aus dem Tank, während er wollüstig brüllte und das Ackergerät vorwärts bewegte. Es hat etwas meditatives an sich, die lange gerade Linie auf dem Feld exakt nachzufahren, das Röhren der hundert Pferde wird dunkler und heller, je nachdem, wie weit der Regler der mechanischen Einspritzpumpe die Überströmkanäle der Druckflöten öffnet, die Haare im Nacken und am Rücken richten sich auf und Passanten bleiben stehen und blicken sinnend auf das Urtier, das da hin und her kriecht. Leider war das intermittierend auftauchende Pochen im dritten Zylinder ständiger Begleiter der Meditationssitzungen und verdarb etwas den Genuss, so ungefähr, als würde man sein Lieblingsessen zu sich nehmen, während links unten der zweite Backenzahn seine leichten Karies anmeldet. Hier muss ich unbedingt noch einmal ran. Ich wusste seit der großen Reparatur, dass mechanisch nichts im Argen lag, offenbar war entweder die Einspritzdüse nicht mehr ganz dicht und hatte einen Hang zum Nachtropfen oder in der Einspritzpumpe stimmte mit dem Rückschlagkölbchen etwas nicht; eventuell klemmte er und ließ die Entlastung der Einspritzdüse nicht zu. Der nächste Werkstattaufenthalt wurde vorbereitet, Ersatzteile wurden eingekauft.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Josef von Stackelberg).
Der Beitrag wurde von Josef von Stackelberg auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.10.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Josef von Stackelberg als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Dämonen im Labyrinth der Lüste - Dämonenlady Band 3 von Doris E. M. Bulenda



Beelzebub hatte diesen riesigen Titan verloren. Irgendwo im Weltenlabyrinth hatte er ihn ausgesetzt, und der Titan war auf und davon.
Und dann bat Beelzebub ausgerechnet mich, die Menschenfrau, den Verlorenen zu finden.
Natürlich würde ich nicht allein gehen, dafür wäre das berühmte Labyrinth viel zu gefährlich. Mein dämonischer Geliebter Aziz würde mich begleiten. Neben der Gefahr würde allerdings auch manche Verlockung auf mich warten, in den Gängen des faszinierenden, gewaltigen Labyrinths hausten viele seltsame Kreaturen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Leidenschaft" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Josef von Stackelberg

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Entspannung von Josef von Stackelberg (Leidenschaft)
Vielleicht verlange ich zu viel... von Rüdiger Nazar (Leidenschaft)
Sybilles Hände von Adalbert Nagele (Wie das Leben so spielt)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen