Mat D. Skincap

Wie bist Du programmiert?



"Heute ist ihr Glückstag!" blinkt das Pop-Up auf meinem Startbildschirm und bietet mir beim Kauf von Visitenkarten noch eine Tasse mit meinem Foto an. Und einen Stift. Jeder Tag ist mein Glückstag, wenn ich das Leben einatmen darf und die tiefe Wolkendecke die Theaterbühne des Lebens nicht in allzu dunkles Licht taucht. Deshalb erscheint wahrscheinlich jeden Tag dieses Pop-Up auf meinem Bildschirm, sobald ich den PC einschalte. Die Angebote variieren, aber es ist immer "mein Glückstag". Vielen Dank an den lustigen Programmierer, der dies irgendwann einmal für die Werbefirma programmiert hat und jetzt den Rest des Lebens seine kleine Tauschschule auf Sri Lanka leitet. Und keiner kennt den Programmiercode!

Meinen eigenen Programmiercode meine ich so langsam zu kennen und nun sitze ich hier auf meiner roten Couch inmitten einer Pflanzenpracht, die ich zum Überwintern in die Wohnung gebracht habe, und schlürfe von der köstlichen Gemüsesuppe, die ich mir als Highlight des Tages in den letzten zwei Wochen meines Fastens jeweils gönne. Man glaubt ja gar nicht, wie scharf man auf einmal auf richtig gute Lebensmittel ist, wenn man tagelang nichts ißt. Gestern lief ich an einem Subway vorbei und dachte an den Geschmack von "Chicken Teriyaki", obwohl ich diesen Sub schon seit Jahren nicht mehr gegessen habe. Und als meine Tochter die Chipstüte an meiner Nase vorbeizog und mich mit "Komm, komm, komm..." köderte, da biß ich im Geiste in ein Stück Serrano-Schinken, der sich dann lecker auf meine Zunge legte um den Rest des Tages als feiner Geruch meine Nase zu umspielen. Aber es ist kein Hungergefühl, sondern die Lust am Essen. Da merke ich, was wir so beiläufig und unbeachtet in uns reinstopfen und wie lecker es sein kann, wenn man weniger, aber gute Nahrungsmittel genießt.

Wenn ich mir nun eine dieser Visitenkarten bestellen würde, käme auf die Tasse mein breit grinsendes Konterfei und der Slogan "Heute ist ihr Glückstag!" und auf dem Stift würde ich schreiben lassen, daß dieser Stift jeden Tag einen neues Kapitel in meinem Leben eröffnet. Und ich stelle hier auf der roten Couch mit der strahlenden Sonne in meinem Gesicht wieder einmal fest, daß sich nicht die Erde um die Sonne dreht sondern das ganze Universum um mich. Alles ist in beständigem Wandel, die einzige Konstante liegt in mir selber, auch wenn ich mich konstant wandele. Dieser Wandel ist für mich transparent - wenn auch kaum steuerbar. Das Drumherum - die äußeren Ringe der Galaxie - ändern sich auch ohne mich: Umso weiter die Dinge von meinem Kern entfernt sind, desto schneller bewegen sie sich um mich herum, von mir weg oder auf mich zu.

Meine Wohnung, Tisch, Bett und Stuhl, liegt meinem Kern noch am nächsten, wohl weil ich gerade in ihr sitze, aber es ist eine Kleinigkeit, die Wohnung zu wechseln. Meine Arbeit ist momentan sehr spannend, das ändert sich aber wieder und dann setzt vielleicht Langeweile, Stagnation und Lethargie ein. Bis ich die Arbeit dann wieder wechsele. Und in der Partnerschaft ist es mal so und so und dann plötzlich ohne Partner. Für Männer kommt ja interssanterweise das "Aus" einer Beziehung immer überraschend, während die Mädels das schon Wochen vorher wissen. Mit Reden und Zuhören können ist wohl nur eine Hälfte der Menschheit gesegnet. Den Programmiercode für eine Beziehung zu finden, und dann zu knacken, das wäre ja mal was! Aber ich habe bei jeder Beziehung erneut das Gefühl, das da jemand nach der Programmierung in eine fernes Land ohne Auslieferungsabkommen ausgewandert ist...

Es ist also alles im Wandel, was zwischen mir und dem Ende des Universums steht. Es dreht sich natürlich nicht um mich. Irgendwo kreise ich mitten drin auf einem blauen Planeten durch das All und werde von Weltraumschrott begleitet, von Meteoriten gegrüßt, die sich dann wieder in andere Bahnen begeben. Und auf diesem hübschen blauen Spielball aus Gottes Schatzkammer werden dann Klimaschutzgipfel veranstaltet, Diktatoren hingerichtet und schwäbische Bahnhöfe gebaut. Und mitten drin sitzt ein kleines Männlein auf seiner roten Couch und läßt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Wenn das nicht ein wirklich gemütlicher Sonntag ist? Wozu noch eine Tauschschule auf Sri Lanka?

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