Sieglinde Jörg

Blicke

 

Sie sind seit Minuten schon mit der Mittagsmahlzeit fertig.
Sitzen einander gegenüber in diesem sehr ländlichen Gasthaus,
dessen Tische zu nobel geschmückt sind. Zu nobel, weil die
Mahlzeiten einfach, weit weg von Sterneküche sind und der
Stammtisch aus alten Männern sehr laut im ortsüblichen Dialekt
den Raum mit veraltetem männlichen Gehabe beschallt.


Sie lesen Zeitung. Sprechen nicht. Sie sind sich seit Jahren  
gewöhnt. Die Blicke sind hart und verbohrt. Das graue, kurze,
schlecht frisierte Haar begleitet ihre Bewegungen fast reglos.
Man macht ein wichtiges, sehr ernstes Gesicht bei der Lektüre
der Boulevardzeitungen. Sieht hinüber zu dem jungen Paar.

„Sieh nur“, wird da plötzlich mit alter Stimme gesprochen,
„die Handygeneration. Die unterhalten sich nicht.“ Verächtlich
wird das graue Haupt geschüttelt. Der alte Mann murrt
Unverständliches durch zusammengekniffene Lippen. Ihr Blick
verengt sich sehr, bevor er wieder in der Zeitung versinkt.


Das junge Paar indessen recherchiert per Smarphone, welcher
Tierarzt wann Sprechstunde hat oder Notdienst. Der Hund bewegt
sich so schlecht. Ein Tumor drückt die Hüfte, sei harmlos, hieß
es die Woche zuvor. Seit heute schwankt der Hund. Ausgerechnet
am Samstag. Ausgerechnet erst mittags. Das Internet liefert fach-
kundige Informationen. Sorgenvoll sehen sie sich in die Augen.
Ihre Blicke baden ineinander voller Kummer. Es hätte ein schöner
Tag werden sollen, aber in den Sonnenschein und die gelben Tisch-
decken hat sich eine graue Wolke der Sorge geschlichen.


Das Essen wird serviert. Man isst schweigend und spricht doch viel. 
Selbst das penetrante, die Bedienung belästigende Männergewitzel am 
Stammtisch, das sich laut anschwellend verbreitet und in Husten und 
Krächzen erstickt, hat keinen Zugang. Während sich das graue Ehepaar 
mit Sensationen füttert, sich in Verachtung übt und das junge Paar  
in den Mantel der Vorurteile hüllt, fließt zwischen den beiden jungen 
Leuten eine stille Liebe, eine gemeinsame Emotion und eine geteilte 
Sorge.

Wortlos gehen sie schließlich mit dem humpelnden Hund an der Leine.
Draußen sehen sie sich wieder an. Ein Kuss macht ihnen Mut, für das,
was kommen mag.


Drinnen herrscht der alte Mann seine ungeschickte Frau an. Die Ecke
ihrer Zeitung hat sich mit dem Bierschaum vereint. Es ist die Zweisam-
keit einer anderen Generation.


 

 

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