Felix M. Hummel

Trübe Mächte: Jonathan Aschreuthers letzter Fall - Kapitel I

Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass alles Übel in der Welt nur dadurch zu Stande kommt, dass alles, was geschieht, den Falschen zustößt. Sterben, so sehr sie sich auch ans Leben klammern, anderen scheitert auch ihr fünfzehnte Selbstmordversuch. Die einen hungern, die anderen können vor lauter Überfluss kein Essen mehr sehen. Macht, Geld und schöne Frauen bekommen nur jene, die damit gar nichts anfangen können, überfordert sind, oder diese Dinge schändlich missbrauchen. Natürlich wollen manche behaupten, dass es einfach niemand mit dem zufrieden ist, was er gerade hat, aber dies ist genauso wenig zu beweisen wie meine Theorie davon, dass es immer den falschen trifft. Bis zu jenem Tag zweifelte ich keine Sekunde an diesem ehernen Gesetz.
Es war eine leidlich kalte Nacht, eisig genug, dass man das Gefühl in den Ohren verlor und die Finger steif wurden, aber heiß genug, dass man in seiner Jacke unangenehmen Schweißgeruch produzierte. Der Vollmond schien durch eine winzige Lücke im sonst versuppten Himmel und warf sein kränkliches Licht auf die vom Streusplitt gefährlich glatten Gassen. Eigentlich drang sein Schein nicht einmal bis zu meinen vom wenigen Schneematsch durchgeweichten Schuhen hinab, weil ihm die boshaft surrenden Natriumdampflampen trotzig den Weg versperrten. Die Luft stank nach irgendetwas, das sich vermutlich im Kragen meines Mantels verfangen hatte, weil mich der Geruch so penetrant verfolgte. Ein Sorbet-artiger Eisregen klatschte monoton auf mein vollgesogenen Hut.
Es war eine jener Nächte, in welcher ich rein aus Trotz beschlossen hatte, im Büro zu schlafen, in dem Aberglauben, dass ich so etwas ändern könnte. Ein schöner Abend hätte es sein können, nein es war ein schöner Abend gewesen: Ich hatte alte Freunde wiedergetroffen, mich gepflegt unterhalten und mir ihre Geschichten angehört, was aus ihnen geworden war.
Wie üblich hatte ich dabei zu wenig getrunken, es irgendwann in den stickigen Kneipen nicht mehr ausgehalten und war zum erstmöglichen Zeitpunkt gegangen. Solche Begebenheiten machten mich immer wütend, weil sie mir vor Augen führten, wie jämmerlich alles bei mir bisher gelaufen war. Ich versuchte nicht einmal jemand oder etwas dafür verantwortlich zu machen.
Mit einem Biologiestudium und wenn es noch so gut war, konnte man keine Arbeit bekommen, wenn man grundlegend unfähig war bei einem Bewerbungsgespräch auch nur drei Sekunden die Nerven zu behalten. Nach vielen anstrengenden und erniedrigenden Arbeiten, die mir das Arbeitsamt zur Unterhaltssicherung eingebrockt hatte, starb mein Onkel. Er war in der Familie immer etwas belächelt worden, da er eine winzige Privatdetektei besaß. Niemand verstand, wie er seinen Unterhalt damit verdienen konnte, bis er letztendlich wegen Hehlerei, Drogenschmuggel, Menschenhandel und anderer netter Dinge ins Gefängnis wanderte. Als freiheitsliebender und lebenslustiger Mensch hielt er es dort nicht lange aus und knüpfte sich bereits in der zweiten Nacht mit seinem Pyjama am Fenstergitter auf.
Er vermachte alles mir, das Zweizimmerbüro mit Toilette, seinen rostigen VW-Käfer, auf Gasantrieb umgerüstet und eine Garage, deren Schloss aufzubrechen ich noch nicht übers Herz gebracht hatte, zumal die Polizei scheinbar nie etwas von diesem Raum erfahren hatte. Ich konnte mir lange keinen Reim darauf machen, warum mir sein Vermächtnis zu Teil geworden war, aber ich sollte es noch verstehen.
Eine Detektivlizenz zu bekommen war zu meinem Erstaunen alles andere als schwierig gewesen, nur das breite Grinsen der verschiedenen Beamten und Polizisten die ich für die Anträge und Prüfungen anflehen musste, stellte mich damals vor echte Probleme, denn es fraß sich in meinen festen Entschluss, das Andenken meines Onkels zu ehren, wie Leim in Styropor. Doch ich zog es durch, denn so wenig ich auch in meinen Leben angefangen hatte, so hatte ich doch bei nichts aufgegeben. Nun ja, nur bei wenigem.
Genauso erstaunlich wie der Weg zur Lizenz war meine erste Arbeitswoche: Es dauerte bis Donnerstag, dann meldete sich eine weinerliche ältere Dame in meiner brandneuen kleinen Detektei. Wie nicht anders zu erwarten, suchte sie Beweise dafür dass ihr Mann sie betrog und wollte sich nun nach meinen Tarifen erkundigen. Konkurrenzlos niedrig, wie ich sie aus lauter Panik und allgemeiner Inkompetenz angab, vereinbarten wir für den Freitag Morgen ein Treffen.
Ich suchte meinen tadellosen schwarzen Anzug heraus, ein echter Charles und Antony, hundert Prozent Kunstfaser und vollwaschbar, den ich äußerst gerne trug, weil ich damit den Eindruck eines Leichenbestatters aus einem Spaghettiwestern erwecken konnte, knochig und lang. Drei Stunden vor dem Termin nahm ich hinter meinem Schreibtisch platz um auf die Dame zu warten. Ich überlegte, ob ich mir eine Flasche Whisky und ein Glas beschaffen sollte, um es auf dem Tisch zu drapieren, oder zumindest, den Eisblumen am Fenster zum Trotz, den alten Ventilator vom Flohmarkt einzuschalten. Endlich entschloss ich mich, einfach nur eine Zeitung zu hohlen und mit den Füßen auf der Schreibunterlage zu dösen. Natürlich, eine Sekretärin hatte ich nicht, das Foyer hatte meinem Onkel als Büro gedient, wozu ich nun aus stilistischen Gründen die das hintere, ehemalige Aktenzimmer verwendete, aber wenn ich die Verbindungstür offen ließ, ging es auch ohne.
Letztendlich, zum Glück eine halbe Stunde zu früh, denn meine Beine begannen bereits taub zu werden, traf die ältere Dame ein. Wie sich herausstellte war sie fünfundachtzig und ihr Mann schon seit langem verblichen, am liebsten hätte ich sie also sofort vor die Tür gesetzt, doch die Aussicht zumindest vielleicht ihre Katze oder eine dieser kleinen Hundeimitationen suchen zu dürfen und meine allgemeine, durch Feigheit erzwungene Höflichkeit, hielten mich davon ab. Diesem Umstand hatte ich es zu verdanken, dass ich meinen ersten Fall bekam: Sie verlangte von mir, ihren Verdacht zu bestätigen, dass sie ihr Gärtner betrog. Scheinbar hatte ich sie am Telefon falsch verstanden und malte mir nun irgendeinen südländischen Gigolo im grünen Overall vor, der mit geölten Haaren und ebenso schmierigem Blick die Hecken in einer ganzen Nachbarschaft reicher alter Witwen versorgte.
Nun, auch hier waren meine Vorstellung und die Realität in zwei verschiedenen Kontinenten unterwegs, denn in der Folge hatte ich mir eine lange Mär über einen Gartenbauverein auf dem Bonzenhügel, Preise für englischen Rasen und viel gewächsspezifischem Fachwissen anzuhören. Alles was ich der Aussage entnahm war endlich, dass ich viel Geld für Fotos ihres Baumbarbiers im Garten ihrer Erzrivalin bekommen sollte.
So schlüpfte ich auch am Samstag noch einmal in meinen, nun leider etwas zerknitterten aber sonst tadellosen, schwarzen Anzug, nahm die schwarze, leere Aktentasche meines Onkels und meine kiloschwere Roleiflex, da ich für die superflache Spionkamera, die mein Oheim für solche Zwecke verwendet haben musste, keinen Film finden konnte. Dann quälte ich den Käfer den Grünen Hügel hinauf, wanderte zu dem feindlichen Garten, kletterte direkt an der Straße auf die Mauer und gab dabei mit ernstem und steinernem Gesicht zu verstehen, dass dies zu meinen Beruf gehörte, alles mit rechten Dingen zuging und ich genau wusste was ich tat. Als ich mich über das mit Lanzenspitzen bewehrte Zaungitter und durch die Hecke beugte, erblickte ich tatsächlich eine Person, die in diesem Garten die Blumenbeete vermaß. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie der Gärtner aussehen sollte, doch ich knipste auf gut Glück, sprang von der Mauer und gab, von plötzlicher Panik getrieben, Fersengeld.
Die Toilette des Büros war zwar zu einer Dunkelkammer ausgebaut, doch da ich mich damit aber nicht auskannte musste ich die Fotos entwickeln lassen. Zuvor war mir noch nie aufgefallen, dass es in unseren Breiten keine zwei-Stunden-Fotoläden gibt und so musste ich einige stammelnde Überzeugungsarbeit leisten, um noch am selben Nachmittag wieder bei meiner Witwe einzutreffen.
Kurz, die Fotos waren brauchbar, die Bezahlung Bar und ich mit meinem ersten, durch ehrliche Arbeit, als welche man ja meinen Zivildienst nicht bezeichnen hatte können, verdienten Geld im siebten Himmel. Ja, ich wurde so übermütig, dass ich mir den billigsten schwarzen Filzhut und eine Pfeife kaufte.
Von da an lief es so gut, dass ich meinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, doch alle Aufträge liefen auf die selbe Art und Weise ab. So sehr ich auch versuchte mir bessere Technik anzuschaffen oder auf geschicktere Weise zu operieren, so wenig war das nötig.
Zwei Monate waren es, bis zu jenem besagten Arbeit mit welchem ich meine Geschichte eigentlich beginnen wollte. Meine von den Gesprächen gesäte, von drei Bier gedüngte und vom Eisregen begossene Melancholie trieb muntere Blüten und ließ in mir die Früchte der Revolution reifen. Ich fand, dass sich etwas verändern musste, dass mir der Stillstand und der zähe Alltag nur irgendwann das gleiche Schicksal wie meinem Onkel bescheren würde. So setzte ich mir endlich in den Kopf, die Garage zu öffnen um zu sehen, was dort gelagert war. Vielleicht hatte er dort sein verschwundenes Bargeld gelagert. Ich wusste nicht, ob es so etwas bei ihm geben sollte, aber ich hätte es sicher nicht verschmäht. Ganz anders hätte es sich mit einer Wagenladung Kokain oder noch schlimmer, einem alten Geschäftspartner verhalten. In diesem Fall würde ich zumindest der Polizei einen Dienst erweisen können, auch wenn bei letzterer Möglichkeit womöglich noch ein Trauma für mich heraussprang. Kurz, ich begann noch einmal die gesamte Räumlichkeit nach dem Schlüssel abzusuchen.
Es war bereits Mitternacht als ich aufgab, hinter Möbelstücke zu spähen, die ich selbst aufgestellt hatte und die Papierspäne der Akten meines Onkels über den Boden zu verteilen und mich den Schubladen des Schreibtisches zuwandte. Es war eines jener schweren, dunklen Massivholzmodelle, die nach alter Bauart drei hängende Schubladen unter der Tischplatte angebracht hatten, eine Praxis, die ich bei neuen Tischen nie gesehen hatte, vermutlich weil man im laufe der Evolution der Tischlerei, darauf gekommen war, dass sich große Leute wie ich durch gleichzeitiges Sitzen und Öffnen einer der Läden, die Kniescheiben zertrümmern konnten. Dies war auch der Grund, warum ich dem mittleren Fach, welches unverrückbar klemmte, bisher so wenig Bedeutung zugesprochen hatte. An diesem Abend war es anders: Ich stemmte mich dagegen, ich zerrte daran und kroch schließlich unter den Tisch um vom hinteren Ende mit der Faust dagegenzuhämmern. Nach fünf Schlägen knackte es, Splitter bohrten sich mir in die Knöchel und ich bekam einen Hieb in den Magen, dass mir Hören und Sehen verging. Mit einem erschrockenen Satz knallte ich mit dem Kopf gegen die Tischplatte und warf meiner Schulter mit markerschütternder Kraft gegen eines der Eichenholzbeine um das Ding das mich angegriffen hatte abzuschütteln. Als sich der sprichwörtliche Staub legte, stellte ich fest, dass der Boden der alten Schublade herausgebrochen und der Inhalt über den Boden verteilt worden war. Viel war es nicht. Ein Briefumschlag aus giftgrünem Büttenpapier, der unpassenderweise mit einer Seidenschleife an einem Brecheisen befestigt war. Warum hatte die Polizei hier nicht nachgesehen.
Ich hob das Eisen auf, setzte mich an den Tisch und riss den Umschlag erwartungsvoll mit einem Bleistift auf. Sofort erkannte ich die gut lesbare, dennoch verwirrend unsaubere Handschrift meines Onkels. Jeder Buchstabe für sich war groß, wohlgeformt und mit Schnörkeln verziert, doch als ganzes ergaben sie einen verklebten, chaotischen Wust, der sich wie ein überfahrenes Stachelschwein zweidimensional in alle Richtungen neigte, so dass jede Zeile eher an eine Linie aus Rindenmulch, in welchem man Löcher geschnitten hatte, erinnerte, als an echte Schriftzeichen. Man konnte sie bei genauerer Betrachtung gut lesen, sofern man sich auf nicht mehr als eine Zeile konzentrierte. Sonst bekam man Migräne.
Ich legte den Schrieb noch einmal beiseite und betrachtete den Umschlag. „An meinen guten Neffen“, stand in verwischten Bleistiftdruckbuchstaben darauf. Also war der Brief für mich, meinen Bruder, oder einen meiner fünf Cousins bestimmt. Schließlich begann ich im grünen Licht der Schreibtischlampe zu lesen.

„Mein Guter Neffe!
Ich hoffe, dass du diesen Brief erhältst, denn du bist der einzige, für den die Dinge, über welche ich berichten will, überhaupt einen Sinn haben. Ich hoffe auch, dass ich mich richtig entschieden habe, indem ich dir etwas davon erzähle.
Ich weiß nicht woher es kommt, ich kenne seine genaue Funktion nicht, aber ich weiß, dass es nur für wenige Leute einen Wert hat, denn ich habe selbstverständlich versucht es zu verkaufen. Mehrmals. ---

Herrgott, ich habe es überhaupt verschwendet, falsch benutzt und es hat mir diese ganze Sache eingebrockt. Wenn du das jetzt ließt, heißt das, dass mir die Polizei endgültig auf die Schliche gekommen ist. Im Gefängnis ist es zu gefährlich für mich, denn die Wand aus Unglauben und Skepsis, die ich bisher um mich herum aufbauen habe können, würde dort unter der ständigen Beobachtung zerbrößeln wie die trocknenden Mauern einer Sandburg. Ich will nicht sterben und hoffe, ich werde es nicht. ---

Ich habe es geschafft, das Ding loszuwerden, aber ich glaube, es ist auf irgendeine Weise zu spät, denn ich werde nicht schwächer. Ich habe es weggepackt und den Schlüssel weggeworfen. Ich dachte, dass es niemand mehr haben sollte, aber irgendwie war es eine ziemliche Kurzschlussreaktion, ich bin zu betrunken. Ich habe nicht einmal versucht es zu zerschneiden, sondern nur den verdammten Schlüssel in den Teich geworfen. Oh Mann!

So schlimm ist es nicht. Es wäre ein Verlust gewesen es zu zerstören. Ich habe es von meinem Großvater bekommen, auf ganz ähnliche Weise. Er gab mir, nicht auf dem Sterbebett, aber bevor er in den Krieg zog, einen kleinen gedrechselten Pokal ohne Öffnung. Nachdem er nicht zurück kam, habe ich ihn als Glücksbringer behalten. Bis zu dem Tag, an welchem ich dieses Büro einrichtete und dem Holzding einen Ehrenplatz auf meinem Schreibtisch geben wollte. Es fiel runter, zerbrach und ließ mir in Anbetracht des vielen Goldes nicht einmal eine Chance bestürzt zu sein. Zwischen den scheinbar wahllos in die kleine Höhlung des Kruges gestopften Knöpfen, Münzen, Zahnfüllungen und Ringen - alles aus Gold versteht sich - fand ich einen eng zusammengefalteten Zettel um welchen eine speckige, dicke Lederschnur gewickelt war. Ich wollte sie eigentlich durchschneiden, doch der Gedanke, sie könne Teil eines wertvollen Schmuckstücks sein, hielt mich davon ab. Ein Glück. Leider habe ich den Zettel nicht mehr, also werde ich dir erklären, was es ist, und was du damit anzufangen hast.
In der Garage wirst du auf dem Regal eine Keksdose finden, in die ich es gepackt habe: Es sieht aus wie eine Lederschnur und ist wohl auch nichts anderes, doch besteht sie angeblich aus der Haut einer mythischen Kreatur, von der ich dir nicht viel erzählen werde, denn ich finde du solltest dir deine eigene Meinung bilden. Sie ist fast anderthalb Meter lang und muss, um sie zu verwenden, lediglich auf der Haut getragen werden. Ich habe sie mir meist um den Arm gebunden, da stört sie am wenigsten, wenn man sich viel bewegen muss.
Die Wirkung ist, nun ja, niederschmetternd und erhebend, aber soweit ich es verstanden habe, konnte ich sie nie ganz auskosten, da ich nicht vollkommen dafür geeignet bin. Auf dem Zettel in dem Pokal war eine Horoskoptabelle, ich habe sie abgerissen und zu der Schnur gelegt, falls du sie lesen willst. Ich kann dir aber auch so sagen, dass dein Geburtsdatum genau in den perfekten Zeitraum fällt. Ich weiß nicht was man davon halten soll, aber da die ganze Sache eindeutig übernatürlich ist, kann es ohne weiteres wichtig und richtig sein.
Für meine Arbeit als „Detektiv“ war es sehr nützlich. Aber ich habe es verbockt, ich wurde zu gierig und hab mich mit den falschen Leuten eingelassen. Dabei wäre das absolut nicht nötig gewesen. Bei dir wird es besser funktionieren. Als Biologe ist es sicher auch von großem Interesse für dich, aber du wirst kaum etwas davon veröffentlichen wollen.
Du solltest vielleicht auch noch wissen, dass es nur bei Dunkelheit funktioniert. Oder besser: Ohne Sonnenlicht besser gesagt, denn Kunstlicht macht nichts aus. Vielleicht aber Infrarot oder ultraviolettes Licht, das kannst du selber herausfinden. Die Sache in der Disko machte mir auf jeden Fall Probleme, also denke ich mal, das es wirklich ultraviolettes Licht ist, das schädlich ist. Ich vertrage die Sonne so auch ganz schlecht.
Es gibt da einige Veränderungen, zuerst habe ich sie vor Euphorie überhaupt nicht bemerkt, ich weiß nicht, ob sie ein Nebeneffekt oder die Hauptwirkung sind aber... Ich weiß nicht wie ich darüber schreiben soll... Sie sind unangenehm, sie werden mal stärker, mal schwächer...

Jedenfalls habe ich es falsch gemacht, ich werde es nicht mehr los, darum kann ich auch nicht ins Gefängnis. Ich werde versuchen zu abzuhauen und es so hinstellen, als ob ich irgendwo einen Unfall habe, einige Geschäftspartner werden mir dabei helfen können. Ich wünsche mir Glück.

Dein Onkel
Simon

PS: Langsam glaube ich auch, dass es überhaupt mehr in dieser Welt gibt, als allgemein – auch von Spinnern - angenommen wird. So habe ich auch diesen Brief vor jedem falschem Zugriff bewahrt. Ich glaub nicht, dass es gut ist weitere solche Dinge zu sehen, aber dir die Suche danach auszureden ist Blödsinn. Außerdem, was weiß ich schon?“

Ich legte das Blatt auf den Tisch und ließ den Kopf sinken. Meine Finger spielten mit dem Brecheisen, ließen es rollen und die Kante auf die Platte schlagen, während mein Blick die milchigen Reflexionen auf dem verkratzten, rot lackierten Metall einfing.
Er hatte seinen eigenen Tod vortäuschen wollen. Ob er also noch am Leben war? Vielleicht hatte er sich so einflussreiche Freunde in der Unterwelt gemacht, dass er das ganze einfädeln lassen konnte. Nein, ich glaubte es nicht. Er wollte sich wahrscheinlich ins Ausland absetzen aber sie kamen ihm zuvor. Sicher konnte man es nicht sagen, denn der Brief war nicht datiert.
Und ich? Was sollte ich jetzt tun? Die Garage aufbrechen? Mitten in der Nacht? Schlafen konnte ich ganz bestimmt nicht, denn mein Herz trommelte wie ein epileptischer Schlagzeuger und pumpte Adrenalin durch meinen Körper, dass für einige Stunden wirken musste. Ich hatte keine andere Wahl, jedenfalls keine besonders sinnvolle. Ich klopfte einige Male gegen das kalte Eisen. Ja, warum eigentlich nicht.
Ich nahm das Brecheisen, warf meinen Mantel über und stürmte zur Tür hinaus.
Wieder ging es durch die ungemütliche Nacht, denn der Abstellraum lag nicht in der Nähe der Agentur. Dies mochte der Grund sein, warum er verschont geblieben war, aber was konnte ich nach dieser so offensichtlichen Schreibtischschublade der Polizei überhaupt noch zutrauen.
Wie im Rausch hastete ich über die glitschigen Gehwege, hinaus aus dem alten Kern auf die breiten, hell erleuchteten Straßen der Gewerbegebiete. Hier wurden die Geschäfte flach, mit obsidianschimmernden Glasfronten, die meisten trübe, viele Scheiben zertrümmert und die ausladenden Parkplätze überwuchert. Auch die hohen Plattenbauten, die aus der Ferne in den Himmel ragten, waren vermutlich verlassen.
Ich hätte den Wagen nehmen sollen. Aber wenn ich nun aufgehalten worden wäre, es hätte mich bei meiner Nervosität Stunden kosten können. Viel hatte ich zwar nicht getrunken... das musste ich ändern. Ich tastete nach meinem Flachmann. Korn, wieso hatte ich da Korn hineingetan?
Ich war den Weg bereits mehrere Male abgefahren und war jedes Mal unverrichteter Dinge wieder verschwunden, aber dieses Mal würde es anders werden. Endlich bog ich in die richtige Straße ein.

---

Ich erwachte durch das schrillen des Telefons. Verwirrt schlug ich mit den Armen über den Schreibtisch als ich danach angelte und stieß dabei einen mir unbekannten Stoß Papiere herunter und klemmte mir die Finger in meinem Aktenkoffer ein. Krachend und polternd verteilte sich alles was mir im Weg stand über die Bodendielen.
„Jaa, hier... hum... Detektei Mmmm... Aschreuther und Co. Spe-Spezialisiert auf vermisste Haustiere. Wie kann ich ihnen helfen?”, stotterte ich verschlafen in den Hörer.
„Hallo Jonathan, Alfons hier. Schön das ich dich erreiche.”, schallte eine krächzende Stimme, kraftvoll und leicht besorgt in mein Ohr.
„Alfons? Welcher Alfons?”
„Mensch, du weißt doch: Alfons Igelmann. Von der Uni.”, die Stimme schien etwas gekränkt zu sein, büßte aber nichts von ihrer sich halb überschlagenden Aktivität ein.
„Aaach, genau. Klar, klar. Hab‘ ja ewig nichts mehr von dir gehört. Wie läuft‘s denn, was brauchst du?”, antwortete ich. Die Maschinerie meines verschlafenen Gehirns begann langsam den klebrigen Schleier der Nacht zwischen seinen Zahnrädern zu zermahlen, so dass es mir möglich wurde, ganze Sätze zu verstehen und auch selbst zu formen. Sehen konnte ich jedoch immernoch nichts.
„Naja es läuft so. Oder ist so gelaufen, bis vor ein paar Stunden. Jetzt habe ich ein Problem. Wenn es ganz dick kommt, dann vielleicht die ganze Stadt – was sag ich – die ganze Welt.”, murmelte Alfons, plötzlich sehr leise und bedrückt. „Aber am Telefon kann ich nicht mit dir darüber reden.”
„Am besten ist es du kommst bei mir im Büro vorbei. Wann würde es dir denn passen?” Ich tastete umher, aber da ich nur einen schwachen Streifen Lichtes, scheinbar von der Jalousie hinter mir, wahrnehmen konnte, wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, meinen Terminplaner zu finden. Geschweige denn ihn irgendwie sinnvoll verwenden zu können.
„Also eigentlich will ich hier nicht weg, mit diesem Problem. Machst du vielleicht auch Hausbesuche? Es wäre etwas dringend.”
„Wenn‘s sein muss. Wann soll ich denn kommen? Und wohin?”, gähnte ich.
„Wie, du kennst meine Adresse nicht?”, schnarrte Alfons. Dieses Mal schien er wirklich gekränkt zu sein. „Naja das erklärt wenigstens, warum du nie vorbeigekommen bist. Seeligerstrasse 27. Um acht.”
„Gut. Aber... du, wenn es dringend ist, kann ich auch früher kommen.”
„Nein, nein ich brauche noch ein paar Stunden um mich zu vergewissern. Wir haben dann noch den ganzen Tag Zeit. Also bis dann.” Er legte auf, ohne auf meine Antwort zu warten.
Acht Uhr... morgens? Noch einigen Stunden? Ich blickte auf die Leuchtziffern meiner Uhr. Es war vier Uhr dreißig und stockfinstere Nacht. Ich stöhnte, schlug meine Hände über das Gesicht und warf mich zurück in den Sessel.
Schlafen konnte ich jetzt auch nicht mehr. Außerdem schien es ein großer Fall zu werden und ich täte gut daran, meine gesamte Ausrüstung zu sammeln. Ich hatte nicht gewusst, dass Igelmann in der Stadt wohnte. Wie man immer wieder in seinem Timbre hören konnte stammte er aus Sachsen und war damals auch niemals hier gewesen. Aber immerhin konnte ich ihm genauso vorwerfen können, dass er mich nie besucht hätte. Also stand ich doch auf und machte Licht.
Beinahe hätte ich die Dinge, die ich vom Tisch gestoßen hatte in dem Chaos, welches ich bei der Suche nach dem Schlüssel angerichtet hatte, überhaupt nicht bemerkt. Doch das weiße, frische Papier stach unter dem vergilbten Material, welches ich noch von meinem Onkel verwendete, hervor. Und es war eine Menge.
Verwundert hob ich die Stapel auf und versuchte sie in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Zunächst verstand ich jedoch nicht einmal, worum es sich dabei handeln könnte. Es waren etliche dich beschriebener Seiten – offensichtlich mit einer Schreibmaschine getippt und nicht ausgedruckt – die höchste Nummer, die finden konnte, war 873, aber ich konnte auch keine mit nur zwei Stellen entdecken. Die Buchstaben waren sehr klein und in dem diesigen Licht kaum zu lesen. Außerdem bestanden fast alle Substantive aus Abkürzungen bestanden und sämtliche Adjektive und Verben in mir vollkommen unbekannten Zusammenhängen eingesetzt wurden. Hin und wieder war auch ein englischer Ausdruck eingestreut, allesamt einsilbig und gut zu übersetzen, aber dennoch unverständlich. Vielleicht würde es besser werden, wenn ich ausgeschlafen hatte.
Für den Augenblick war die Frage was es war, viel weniger wichtig, als woher ich diese Stapel hatte. Vielleicht war auch beides gleich wichtig, weil sicher eines zum anderen führen würde. Als ich nach dem Aktenkoffer, welcher offen auf dem Boden lag, griff, fiel leise rieselnd ein Häufchen Glassplitter heraus.
Als ich einen davon aufhob – sie waren etwa stecknadelkopfgroß und vieleckig, was mich auf Sicherheitsglas schließen lies – bemerkte ich, wie zerrissen meine Ärmelaufschläge waren.
Ich stand auf und überprüfte meine gesamte Kleidung. Alles schien sehr viel mitgemacht zu haben. Neben den Ellenbogen waren auch meine Ärmel und Knie durchgewetzt, mein Hemd hatte einige Knöpfe eingebüßt und der Krawattenknoten war weit gelockert. Alles war dreckig, Salzränder vom Streumaterial der Straßen waren sowohl an meinen Oberschenkeln als auch am Rücken. In meinen Taschen fand ich weitere Glassplitter, eine lange, schmierige Lederschnur und - was mich etwas mehr überraschte - eine nicht unerhebliche Menge an zerknüllten 100-Euroscheinen, einen kleinen Bergkristallstab mit silberner Anhängerfassung sowie eine goldene Damenarmbanduhr. Dafür hatte ich weder Schuhe noch Socken an meinen mit schwarzem, öligem Dreck verschmierten Füßen.
Fast wurde mir schwarz vor Augen. Ich konnte nichts von alledem einordnen. Irgendwo musste ich gewesen sein. Irgendetwas musste passiert sein.
Ich sank zurück in den Stuhl und rieb mir die schmerzende Stirn. An meinen Fingern klebte ein dünner, blutiger Film. Ich musste irgendetwas getan haben...
Nachdem ich einige Minuten gesessen hatte, begann sich vor meine geistigen Auge eine Geschichte zusammenzusetzen. Ich konnte keine Bilder ausmachen und keine einzige aufkommende Information mit Erinnerungen verifizieren, aber so erschien mir alles am logischsten:
Ich war irgendwohin gegangen. Ich hatte mich ziemlich stark betrunken. Ich geriet in eine Prügelei, die ich gewann und hatte dann einen, oder mehrere, meiner Kontrahenten um ihre Habseligkeiten erleichtert. Die Akten stammten wohl von einem Kunden. An welchen ich mich eben nicht mehr Erinnern konnte.
Was war nun meine letzte Erinnerung? Die Stadt auf dem Hügel, im Traum. Und davor?
Was war davor geschehen? Ich hatte diese Lederschnur aus der Garage angelegt. Auch wenn ich mir immer noch keinen Reim darauf machen konnte, begann mir nun zu dämmern, dass dieses Ding, wie mein Onkel schon geschrieben hatte, mehr war, als es zu sein schien. Es musste etwas sehr seltsames damit auf sich haben. Natürlich konnte ich dennoch nicht ausschließen, dass ich in der Nacht getrunken hatte, normalerweise träume ich dann auch sehr lebhaft. Aber das Geld und die Papiere konnte ich mir so beim besten Willen nicht erklären. Wenn ich nun darüber nachdachte, was mein Onkel mit der Nützlichkeit für seine Arbeit als „Detektiv” und den gehorteten Goldobjekten in dem Holzpokal angedeutet hatte, so konnte ich nur zu einem Schluss kommen: Mein Onkel hatte geglaubt, dass dieses Band ihm auf irgendeine Weise besondere Fähigkeiten verlieh.
So konnte das Sinn ergeben. Höchstwahrscheinlich hatte er noch einen weiteren Brief mit genaueren Beschreibungen und möglicherweise einigen seiner berühmten fantastischen Ausschweifungen in die Keksdose gelegt. Diesen hatte ich dann in einer Kneipe eingehend studiert und war dadurch so übermütig geworden, dass ich irgendwo eingebrochen war.
Ich knirschte mit den Zähnen und begann mir wieder über die Stirn zu streichen und die Haare zu raufen. Was hatte ich mir da nun eingebrockt? Was sollte ich jetzt mit diesen Sachen machen? Wenn ich so betrunken gewesen war, dann musste ich sicher genug Spuren hinterlassen haben. Wenn ich hier in der Nähe eingestiegen war, dann wäre es auch nur eine Frage von Tagen, bis sie mich - bei der Vergangenheit meines Onkels - einmal besuchen würden.
Am besten sollte ich den ganzen Krempel loswerden. Wenn ich zu Igelmann fahren würde, hätte ich auf dem Weg dort hin genügend Orte gefunden, wo ich die Dinge verbrennen hätte können.
Aber... Auch wenn es zu gefährlich war es zu behalten und ich keine Ahnung hatte, wozu es überhaupt gut war, irgendetwas hielt mich doch davon ab es zu vernichten. Ich schob einen der metallenen Aktenschränke an der Wand etwas zur Seite und kniete mich dann nieder um einige lose Bodenbretter aufzuheben. Darunter kam ein etwa 30 mal 30 Zentimeter großer und ebenso tiefer Raum zum Vorschein, welcher säuberlich mit mehreren Lagen Zeitungspapier, das an den Kanten mit Polsternägeln befestigt war, ausgeschlagen war.
Ich hatte dieses Geheimfach gleich bei Einzug, als ich die Schränke verschob, bemerkt und mir dabei irgendeine Sehne am Fuß angerissen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass auch die Polizei ebenfalls darauf gekommen wäre, aber ein Dietrichset, etwas, das vermutlich ein Glasschneider war und ein Bündel 100-Markscheine überzeugten mich davon, dass sie es übersehen hatten.
Ich packte nun den gesamten Stapel Papiere, die goldene Uhr und das Geld und ließ es in das Fach gleiten. Ich verschloss es danach wieder und schob den Aktenschrank an seine alte Stelle. Nachdem ich einen Moment gezögert hatte, nahm ich noch einen Aktendeckel und wischte die Spuren im Staub, die das Verschieben verursacht hatte, weg. Die Glassplitter sammelte ich säuberlich auf und warf sie in die Toilette.
Dies alles hatte mich eine gute Stunde gekostet, so dass ich mich beeilen musste um noch nach Hause zu fahren, etwas zu schlafen, mich zu duschen und umzuziehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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