Iris Klinge

Okinawa

Dies ist die komisch-tragische Geschichte von Miko, einem jungen Mädchen aus dem Süden von Okinawa, oder besser gesagt, einer der kleinen vorgelagerten Inseln dieses großen japanischen Eilandes.

Ich lernte Miko durch eine Zeitungsannonce kennen, als ich mich drei Wochen lang zu Besuch bei einem amerikanischen Freund in Okinawa befand.

Miko war auf der Suche nach einer französischen Familie, die sie mit nach Europa nehmen würde, denn sie wollte unbedingt ihrem viel zu engen Käfig entfliehen, ihrer zu strengen Kultur, in der die Mädchen keine andere Aufgabe hatten als früh zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen.

Miko war anders als ihre Freundinnen. Sie war eine Rebellin, die sich gegen die Tradition ihrer japanischen Kultur auflehnte. – Und sie traf auf mich, die ihre Anzeige in der Zeitung las und sie spontan anrief.

Ich sagte zu ihr, dass ich keine Familie und nur eine halbe Französin sei. Aber ich könne ihr anbieten, bei mir in Deutschland zu leben. Sie war sofort bereit, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Ihr Drang, nur weg, weit weg zu kommen, war wohl größer als alle Bedenken, die sie eventuell hatte.

So kam es, dass nach wenigen Wochen der Rückkehr nach Deutschland bei mir zwei große Kisten angeliefert wurden: aller Besitz Mikos, die wild entschlossen war, ein neues Leben in einem fremden Land zu beginnen.
Kurze Zeit später stand sie dann persönlich bei mir vor der Tür.

Als erstes besuchte sie eine Sprachschule, war sehr fleißig und lernte sehr schnell Deutsch. Schon bald konnte sie sich gut verständigen und bekam eine Arbeit als Kellnerin in einem Restaurant.

Dann stürzte meine schon 85 jährige Mutter und brach sich den Oberschenkel Hals. Nach der erfolgreichen Operation und Reha-Maßnahme bat mich ihre Schwester, meine Tante, sie bei mir aufzunehmen, denn sie konnte sich nur noch schlecht allein in ihrem Haus versorgen.

Also musste Miko ausziehen. Sie mietete ein Zimmer im Zentrum von Bonn und verdiente inzwischen genug, um sich allein durch zu bringen.

Meine Verbindung zu ihr war eine Zeitlang unterbrochen, denn sie hatte beschlossen, in ihre alte Heimat zurück zu reisen, um ihrer Familie einen Besuch abzustatten. Vielleicht hatte sie auch gehofft, wieder in ihr früheres Milieu zurück zu finden, weil ihr die deutsche Mentalität doch sehr fremd geblieben war. Vor allem litt sie unter der seelischen Kälte bei uns, wie sie mir einmal gestand.

Doch die geplante Rückkehr nach Japan entpuppte sich als eine Illusion. Nach ihrer Rückkehr in Bonn rief Miko  mich an und sagte: „Weißt du, jetzt hänge ich zwischen zwei Kontinenten, zwischen zwei Welten fest, und in keiner bin ich wirklich heimisch.  – Aber ich werde notgedrungen das Beste daraus machen und hier in Europa bleiben“.

Sie hatte Glück im Unglück, denn nach etwa zwei Jahren in der Fremde lernte sie einen netten jungen Japaner kennen, und die beiden beschlossen, gemeinsam Hand in Hand in ihre deutsche Zukunft zu gehen.

Miko zog von Bonn weg, und ihre Spur verlor sich, denn auch ich hatte inzwischen meine Mutter begraben müssen und war nach Südamerika ausgewandert.

Wenn ich an Miko denke, frage ich mich noch oft, ob es die richtige Entscheidung war, eine solch radikale Wende im Leben eines jungen Mädchens verursacht zu haben.  – Doch dann tröste ich mich mit dem Gedanken, dass sie es so gewollt hatte und ich nur das Werkzeug war, ihren Traum zu verwirklichen.

Aber war es ein Traum oder eher ein Albtraum? Schade, dass ich nicht weiß, ob Miko heute glücklich geworden ist und ob sie mit ihrem japanischen Geliebten wieder in Okinawa lebt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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