Peter Somma

Supermarkt

Sie hatten ihr ganzes Leben in dieser Kleinstadt verbracht, waren beide hier geboren, kannten jeden Winkel, jeden Platz und jede Gasse. Die Stadt war ihnen lieb geworden und sie hätten sich nicht vorstellen können, woanders zu leben, fühlten sich wohl in diesem Ort, der ihnen immer Heimat war und sie liebten die Umgebung, die so viele landschaftliche Schönheiten bot, die sie zu längeren oder kürzeren Ausflügen nutzten.
In letzter Zeit aber, mussten sie sich von vielen lieb gewordenen Gewohnheiten verabschieden und das schmerzte sie. Ihr Kreisler, den sie jahrelang frequentiert hatten, bei dem sie auch einmal anschreiben lassen hatten können, wenn sie knapp bei Geld waren, und der für seinen kleinen Laden keinen Nachfolger gefunden hatte, hatte gesperrt und nur ungern wechselten sie ihre Einkaufsquelle.
Jetzt fand sich in ihrer näheren Umgebung nur mehr die Möglichkeit, ihren Bedarf in jenem Supermarkt zu decken, der vor kurzer Zeit in einer Baulücke errichtet worden war, und den sie bisher gemieden hatten.
Die Besitzer des Großmarktes, ein Konsortium von einigen Personen, die ihr Geld möglichst gewinnbringend anlegen wollten, hatten dafür gesorgt, dass zumindest in jedem Ort ein Geschäft ihrer Firma zu finden war und wenn sie wussten, dass sich bereits die Konkurrenz dort niedergelassen hatte, hatten sie versucht, wenn irgend möglich, ihren Markt in unmittelbarer Nähe des Konkurrenten aufzustellen, und ihn mit möglichst aggressiven Preisen von dort zu vertreiben, denn es ging ihnen vor allem darum, Marktanteile zu gewinnen und möglichst überall den Markt zu beherrschen, und dafür nahmen sie auch in Kauf, einige Zeit mit Verlust zu verkaufen, denn wenn sie den Konkurrenten vertrieben hatten, dann beherrschten sie dort den Markt und konnten dann auch wieder mit gewinnbringenden Preisen das verlorene Kapital zurückgewinnen.
Die Läden sollten unverwechselbar sein, sollten jedem Ort ihren Stempel aufdrücken, und die Kaufhäuser dieser Marke sollten nicht mehr wegzudenken sein aus dem Stadtbild eines jeden Ortes und deshalb folgten die Architekten des Kaufhauskonzerns Entwürfen, die so gestaltet waren, dass man sie an jedem anderen Standort möglichst unverändert anwenden konnte. Schon von außen sollten sich die Supermärkte gleichen, wie ein Ei dem anderen, denn es war wichtig, dass sie sich schon am äußeren Erscheinungsbild von den Läden anderer Konzerne abhoben.
Auch die Einrichtungsfachleute, die lange über den Vorschlägen für die Aufstellung der einzelnen Stellagen gebrütet hatten, verfolgten ein ähnliches Ziel. Denn wo immer sich das Kaufhaus befand, sollten alle Besucher die Waren stets an derselben Stelle suchen und finden. Es galt vor allem, die Waren so anzuordnen, dass die Kunden die teurere Ware zu allererst zu Gesicht bekamen und sie ihnen sofort ins Auge sprangen, denn sie brachte den größten Gewinn. Weniger teure Dinge, vor allem Sonderangebote, die auch besonders beworben wurden, versteckten sich meist hinter den teureren Waren und sollten von den Kunden erst dann gefunden werden, wenn sie die teuren Artikel längst in ihr Einkaufswagerl gelegt hatten. Das garantierte einen zufrieden stellenden Umsatz und machte die Manager glücklich.
Es war ein grauer Tag und der Nebel versteckte die umgebenden Bergketten hinter einem dichten Schleier, als die beiden alten Leute das erste Mal diesen Laden betraten.
Anfangs hatten sie sich in den großen Hallen gar nicht wohl gefühlt, waren sich verloren vorgekommen und hatten sich nicht zurecht gefunden, denn sie waren es gewohnt gewesen, dass der freundliche Kaufmann ihnen immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Dass sie sich die Artikel jetzt selbst aus den Stellagen nehmen sollten, waren sie nicht gewohnt, aber langsam lebten sie sich in die ungewohnte Atmosphäre dieses Einkaufstempels ein. Leise Musik umschmeichelte sie und im Winter, wenn es draußen bitter kalt war und sie zu Hause am Brennmaterial sparten, schätzten sie die angenehme Wärme im Raum und verbrachten dort oft mehr Zeit, als eigentlich nötig gewesen wäre.
Bald war es für sie Gewohnheit geworden dort einzukaufen und als sie stundenlang durch die Hallen des Kaufhauses geschlendert, von einem Regal zum anderen gegangen waren, die vielen Waren von denen sie oft gar keine Ahnung hatten, dass es sie überhaupt gab, bewundert hatten, geschah es oft, dass sie viel zu viel Artikeln in ihr Einkaufswagerl und auf das Laufband gelegt, und sich dann gewundert hatten, dass sie viel mehr Geld ausgegeben hatten, als sie vorgehabt hatten.

Als sie an diesem Tag das Kaufhaus verlassen hatten, der Nebel, der ihnen die Sicht auf die Umgebung genommen hatte, war verschwunden und war einem Sonnenschein gewichen, erschraken sie, denn ihnen erschienen die Fassaden der gegenüberliegenden Häuser jetzt seltsam verwandelt. Wo waren die gewohnten Aufschriften der Kaufhäuser geblieben, die altbekannten Namen über den Geschäften der Kaufleute, die sie oft persönlich gekannt hatten? Überall um sie herum sahen sie nur Leuchtschriften von Supermärkten mit Namen, die ihnen fremd waren, die sie oft nicht einmal lesen konnten.
Zwar herrschte in ihrer Stadt stets rege Bautätigkeit, und sie war ein lebendiger Ort und deshalb wurde oft ein altes Haus abgerissen und dort ein neues errichtet, aber war es denn möglich, dass sich ihre Stadt in der kurzen Zeit, in der sie in dem Kaufhaus waren, sosehr verändert hatte, dass nur der, der sie gut kannte, sie wieder erkannte. Sie glaubten nicht mehr in derselben Stadt zu sein, in der sie aufgewachsen waren, so rasch hatte sich ihre Stadt verändert. An der Stelle, an der sie heute einen Neubau erblickten, war gestern noch gar kein Haus gestanden. Sie konnten nicht begreifen, dass sich in der kurzen Zeit, in der sie in dem Kaufhaus waren, außerhalb des Supermarktes soviel verändert haben sollte. Oder konnten die Baumaschinen heute wahre Wunder wirken? Waren all diese Veränderungen wirklich erst jetzt vor sich gegangen, oder waren sie ihnen nur noch nicht aufgefallen?
Oder hatte eine Zauberei ihre Stadt so verändert, dass sie sie nicht mehr erkannten? Hatten sie dort, in dem Kaufhaus nicht Stunden, sondern Tage verbracht? Die Stadt, die ihnen Heimat gewesen war, die ihre Besonderheiten hatte, die typisch waren für die Stadt, sie waren verschwunden, es gab sie nicht mehr.
Das war nicht mehr die Stadt, in der sie aufgewachsen waren, die sie seit Ewigkeiten kannten. Hier fühlten sie sich fremd und sie fürchteten, sich nicht mehr zurecht finden zu können. Sie hatten im Laufe ihres Lebens viele Änderungen in ihrer Stadt erlebt, aber diese Veränderungen konnten sie sich nicht erklären.
Verwirrt irrten sie durch die, ihnen fremd gewordenen Gassen und Straßen, die jetzt denen jeder anderen Stadt glichen wie ein Ei dem anderen und suchten nach Merkmalen, nach alten Geschäften, die es seit ewiger Zeit hier gegeben hatte, aber sie fanden nichts mehr, das sie an die Stadt erinnert hätte, in der sie geboren worden waren.

Diese Geschichte und die Geschichte Heimkehr sind als Streischrift gegen die Verschandelung und Entpersönlichung unserer Städte gedacht. Wenn früher zwei oder drei Geschäfte einer Stadt ihren Stempel aufgedrückt haben, so gleicht heute eine Stadt der anderen, denn überall gibt es die selben Geschäfte. Selbst einige Gewerbe sind fast ausgestorben. Es gibt kaum mehr Fleischhauer (Metzker) oder Bäcker. Den jungen Leuten wird es schwer gemacht, sich selbständig zu machen, denn sie werden von den großen erdrückt. Für diese Umstände möchte ich die Menschen sesibilisieren und auf eine ungute Entwicklung aufmerksam machen. Peter Somma, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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