Paul Rudolf Uhl

Sonne am Kramer-Gipfel

 
Wer von uns die Idee hatte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls standen wir nachts um zwei auf, trafen uns in Garmisch beim Feldkreuz am Leitle und stiegen durch die Nacht den Kramer hinauf. Am Grasberg stapften wir gleich hinten an der St. Martin- Hütte vorbei, um diese Zeit war hier eh niemand wach. Es nieselte ein bisschen und bald waren wir an der Felsenkanzel, diesem Stahlgebilde, auf dessen Geländer mein alter Herr in seinen jungen Jahren einen Handstand gemacht hatte – zum Entsetzen seiner anwesenden Töchter. Nur, wer weiß, wie tief es dort hinuntergeht, kann den Mut meines Alten Herrn einschätzen!. 
 
Unser Aufstieg war nicht der gemütliche Gang durch die schöne Natur- es war ja Nacht und insgeheim spürten wir Unruhe, ja rechtzeitig da zu sein, denn wir wollten am Kramerkreuz den Sonnenaufgang erleben. Am Platz, an dem Reste der ehemals so gemütlichen Kramerhütte des TVDN* herum lagen, zogen wir vorbei - schade um diese Hütte! Mutter hatte hier viele schöne Freizeitstunden erlebt...
Es ging die Latschenhänge hinauf und bald waren wir am Grat und von dort in 20 Minuten am Gipfel.  Der Trachtenverein hatte in den 40er Jahren das Kreuz errichtet und mein Vater – Malermeister – hatte es mit Silberbronze gestrichen, damit es schön weit glänzen sollte. Noch war es recht dämmerig, aber im Osten erhellte es sich schon stark.  Wir packten die Brotzeit aus und frühstückten. Der Tee, den ich dabei hatte,  tat gut.
Bald schon wurde das helle Grau ein Rosa, dann gelb und nach kurzer Zeit war der Himmel weit hinauf grellrot! Gespenstisch! Es mussten viele Wolken vor der Sonne sein, um so ein Morgenrot zu zeugen. Ich machte ein paar Fotos mit meinem billigen Apparat, der aber die Farbenpracht gut darstellte, wie ich später begeistert feststellte. Diese Einsamkeit in Zweisamkeit bei so einer Stimmung war eines der tiefsten Gefühle, die wir hier oben und heute empfanden.
Werner stieß mich an. „Schau!  Dort unten bei 1700 Meter ist ja eine geschlossene Wolkendecke und ich glaube, im Tal regnet es!“ Da hatten wir es nicht sehr eilig, wieder abzusteigen. Ein paar Bergschafe kamen sehr nahe heran, blökten vorsichtig. Sie ließen sich aber nicht streicheln. Bergdohlen kreisten mit Schrillem Schrei um den Gipfel. Sie waren auf unsere Brotzeit scharf. Dennoch – man kann nicht immer nur am Gipfel sitzen und das Morgenrot war auch schon weg. Die Sonne stand schon ein gutes Stück über den Gipfeln des Karwendels  und es war einfach Zeit zum Aufbruch.
Rucksack auf, Foto rein, Regenzeug raus, dann stürmten wir auf gleichem Weg wieder hinunter, - ohne Handbremse – versteht sich!  Gleich unterhalb vom Mittergern, in den Latschen, kamen wir in die Wolken hinein und es regnete Hunde und Katzen. Eine gute Stunde später kehrten wir schnell noch am Grasberg ein, - hier waren sie gerade erst aufgewacht - ein Getränk hinuntergestürzt, den Schweiß abgewischt und weiter ging’s, ins Tal.
 
Es war uns unterwegs nicht ein Mensch begegnet, klar, bei dem Wetter. Der Berg hatte uns ganz alleine gehört und den Schafen und Dohlen. Und es gibt sicher nur ganz wenige Menschen, die so einen Sonnenaufgang auf einem Gipfel erlebt haben durften!
Ich meldete mich bei der Mutter zum zweiten Frühstück. Sie lamentierte: „Armer Bub, es war wohl nix mit Bergsteigen – bei so einem Sauwetter, gell?“ Sie glaubte an unseren Sonnenaufgang erst, als ich ihr meine Fotos zeigen konnte.


* Touristenverein der Naturfreunde
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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