Aarton Adenreich

Lego

 

~~Du erinnerst Dich noch ganz genau an den Tag, als Dein Freund Kim einen Tag nach dessen Geburtstag mit dem großen Legoraumschiff im Kindergarten erschienen war. Kim trug es schweigend durch den Raum. Die tiefen Ringe um seine Augen erzählten von der langen Nacht, die Kim sich um die Ohren geschlagen hatte, um jenes Monstrum, jenes Flaggschiff des Legouniversums nach der daumendicken Anleitung zusammen zu bauen. Dort kam Kim und hielt in seinen Armen den Traum eines jeden Jungen aus dem Kindergarten, das wirklich derbste Legoraumschiff von allen. Das Baby war länger als Kim groß war. Kim durchquerte würdevoll den Raum und jeder Junge, an dem Kim mit seinem Raumschiff vorüber schwebte, stand schweigend auf um ihm zu folgen. So hatte sich innerhalb kurzer Zeit eine Prozession aus Kindergartenjungs zusammengefunden, die geduldig und respektvoll hinter Kim her schlichen. Der coolste Junge des Kindergartens lies seinen Vogel schließlich in der Mitte des Raumes auf dem Teppich aufsetzen. Um ihn herum bildete sich ein Kreis aus ehrfürchtigen Legoraumschiffjüngern. Du warst einer der Staunenden. Das große Legoraumschiff kanntest du nur aus dem Prospekt, dort war ihm eine Doppelseite gewidmet worden und diese Doppelseite war bereits ganz knitterig denn du hattest sie immer und immer wieder aufgeschlagen und süchtig  deine klebrigen Finger auf die Abbildung gepresst. Nie hättest Du gedacht, jene Vollendung dessen, was Lego dir bedeutete, einmal in Echt zu sehen. Was Kim an jenem Tag angeschleppt hatte, war der Gegenwert von allem, was du selber besaßt. Den Inhalt sämtlicher Kisten und Schubladen in deinem Kinderzimmer wärst du sofort bereit gewesen, herzugeben, um jenes Raumschiff dein eigen nennen zu dürfen. Aber es gehörte Kim, und der hockte mit geschlossenen Augen gleich daneben, und labte sich an der Gier seiner Freunde. Erst viel später war Dir klar geworden, dass Kim nun mal das Einzelkind koreanischer Zuwanderer war, die außerdem sehr viel arbeiten mussten und deshalb nie Zeit für ihren Sohn hatten. Nur deshalb hatte Kim jenes Raumschiff zum Geburtstag bekommen. Das Raumschiff war eine Entschädigung dafür, dass Kims Familie ihn vernachlässigte und dafür, dass er Ausländer war. Und wenn schon! Wozu brauchte Kim überhaupt noch seine Eltern, wenn er doch Abend für Abend dieses unverschämt geile Raumschiff neben seinem Bett landen lassen konnte, während zum selben Zeitpunkt in derselben Stadt ein anderer Junge in einen zerfledderten Legoprospekt starrte und weinte?
Einige Zeit später, du gingst bereits in die Grundschule, solltest du selber ein Legoraumschiff zum Geburtstag bekommen. Es war bei weitem nicht das Flagschiff aber immerhin eine mittelgroße Raumpatroullie, unter anderem ausgestattet mit einer drehbaren Laserkanonenbank sowie der ansonsten üblichen Legoraumschiffbewaffnung. Jenes Geschenk stammte aber von einem deiner Verwandten, der sogar einen Brief beigelegt hatte, welchen du aber nicht last, denn du warst längst darin vertieft, das Raumvehikel gemäß der Bauanleitung zu konstruieren. Bereits bei Bauabschnitt 22.4 warst du stutzig geworden: die dort beschriebenen zwei "Frontgeschütze" fehlten offenbar. Etwas besorgt hattest du mehrmals den Haufen Steinchen auf deinem Kinderzimmerfußboden danach durchsucht, warst dann aber dazu übergegangen, mit Bauabschnitt 22.5 fortzufahren, denn deine langjährige Erfahrung mit Lego hatte dir längst die Erkenntnis beschert, dass vermeintlich fehlende Teile häufig wieder auftauchten, wenn die meisten Teile erst mal verbaut waren. Du hattest also weitergebaut. Beim Aufbau der drehbaren Laserkanonenbank, dem Herzstück des Raumkreuzers, warst du einmal mehr erstaunt darüber, dass zwar sämtliche Bauteile für den Drehmechanismus und die Kanonenbank vorhanden waren, die zwölf Strahlenkanonenstutzen jedoch definitiv fehlten. Du bekamst daraufhin leichte Kopfschmerzen und es pochte an deinen Schläfen, als du missmutig die restlichen Teile verbautest. Wie sich herausstellen sollte, fehlten auch die Handfeuerwaffen der dreiköpfigen Crew. Da standen sie mit ihren Helmen und leeren Holstern vor ihrem fertigen unbewaffneten Kriegsraumschiff. Und daneben lag immer noch der Brief des Verwandten, den du nun doch überflogst und von dessen Inhalt Dir übel wurde. Der Verwandte wünschte Dir darin alles Gute und lud Dich mit seinem Geschenk symbolisch dazu ein, die Tiefen des Weltalls zu erkunden. Aber dazu brauche man keine Waffen, meinte der Verwandte. Krieg sei voll doof und die Menschheit wisse doch bislang kaum was über das All. Die wirklich mutigen Astronauten würden nicht rumballern sondern Proben einsammeln und Untersuchungen machen und so weiter... Den Rest konntest du nicht mehr lesen, weil du den Brief längst vor Wut zerknüllt und in den Papierkorb geworfen hattest. Lethargisch hattest du die Legoverpackung betrachtet, auf der drei stolze Krieger vor ihrem Raumschiff posierten und immer wieder war vor deinem geistigen Auge der selbe Film abgelaufen: nämlich, wie dein Verwandter eben jene Verpackung auf seinen Knien balancierte, darin mit dem Zeigefinger herumwühlte und die entscheidenden Teile heraus fischte. Nur ein paar Teile waren es gewesen. Ohne sie war aus einem stolzen Raumkreuzer eine Raumkrücke geworden, und drei geborene Helden waren zu eigenbrötlerischen Außenseitern verkümmert. Mit amputierten Waffensystemen und leeren Holstern hatte jene Crew keinerlei Überlebenschance im Legouniversum. Dort war selbst der Transporter für kleine Schulmädchen mit wenigstens zwei Faserbänken bestückt und jedes Mädchen trug eine Mini-Strahlenkanone als Schlüsselanhänger. Sollte der Verwandte doch selber Proben von seiner Kordhose heruntersammeln und sie an die Nasa schicken. Du griffst Dir entschlossen das Raumschiff und zerbröseltest es in deine Legokiste. Die Crew vergrubst du ganz hinten im Garten, denn Dir war klar, dass diese drei Männer lieber gleich sterben würden, anstatt in ihrer lächerlichen Raumgurke durch das All zu driften und darauf warten zu müssen, dass endlich jemand Erbarmen hatte und ihnen im Vorbeiflug den Gnadenschuss verpasste. Aus Zahnstochern und Bindfaden wurden drei kleine Holzkreuze. Auf jedes Kreuz kam ein Plastikhelmchen. Es war der Friedhof der Helden, die keine Helden hatten sein dürfen, sondern stattdessen Proben sammeln sollten. Dort schworst du Dir, dass du eines Tages dem Verwandten ein Geschenk machen würdest, bei dem was Entscheidendes fehlen würde. Spontan kam Dir dabei eine Handgranate, bei der der Stift fehlte in den Sinn, was dich wieder etwas aufmunterte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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