Jerome Winefield-Kraus

Die diebische Elster kehrt zurück

Hallo Kumiko,

während die Klänge der diebischen Elster meine Gehörgänge sanft umschlingeln und die einst porösen Teigwaren in Richtung al dente fließen, sitze ich hier an meinem kleinen grauen Kasten und versuche mich daran zu gewöhnen, dass ich das erste Mal, seit sehr langer Zeit, nicht an einem Montag Nachmittag mit dir die liebliche Malocherei zelebriere. Es ist ein wohl sehr eigenartiges, fast subtiles Gefühl, welches man nicht beschreiben kann. Zuerst will man sich nicht damit abfinden, dann kommt eine kurze Zeit der Rekonvaleszenz, vermischt mit Reue, Sucht und Melancholie. Letztendlich sitzt man wieder auf der großen Wiese, den mit frischem Benzin gefüllten Rasenmäher im rechten Augenwinkel und darüber nachdenkend, was eigentlich passiert ist. Wen man darüber nachdenkt, kommt es einem so vor, als ob alles in einem buntem Schleier, geschmückt mit Sonnenblumen, Zitronenbonbons und Euphorie vorbeigezogen ist. Doch es gab wohl keine Geschwindigkeitsbegrenzung und so wurde auch ich ein weiteres Opfer auf der Autobahn der Reminiszenz. Willkommen im Land des Aufziehvogels, Teil 4. Wir sehen uns seltener, lassen uns aber dennoch nicht davon abhalten, interstellar zu kommunizieren. Selbst ein leichter Flügelschlag hilft, gewisse Schwingungen von Gefühlen zu transferieren und zeigt den Wegpfeiler, der in die richtige Richtung weist. Dorthin, wo Brunnen ohne Wasser und Vögel ohne Tränen sind, dort lebe ich nun. Versteckt in meinem Nest, dessen Tarnung ich genieße. Hin und wieder verlasse ich mein Nest, doch nie ohne das schwarze Glas der Täuschung, dessen transparente Struktur, so amorph sie auch scheint, meine Welt nicht beeinträchtigt.
Manchmal lasse ich mich auch von fremden Klängen locken, die von der Ferne her in meine Sinne dringen und diodische Verknüpfungen beginnen. Klingt wie Zen für Anfänger. Doch mit der östlichen Philosophie ist nicht zu spaßen. Besagt sie doch, dass ein jeder als ein Sohn der Götter wiedergeboren ward. Für den westlichen Verstand ein zugegeben harter Tobak, doch für die Sternfänger unter uns, ist dies ein nur allzu bekannter Fakt.
Wenn nur diese Metaphorik nicht wäre, die uns daran hindert, Dinge zu erkennen, welche erst in einem verschleiertem Zustand uns nach und nach sichtbar wurden. Doch wir sehen sie. Wir, die den Brunnen als Medium erwählt haben. Uns entgeht nichts. Und sei es nur eine einzelne, sich im Wind wiegende Sonnenblume. Selbst diese Musik ist uns nicht vorbehalten. Und seien wir dochmal ehrlich.Ist diese Musik nicht das, wonach wir schon so lange gesucht haben?
Zuletzt ein weiser Satz: “Frauen sind wie Brunnen. Man schüttet all die Sinnlosigkeit in sie hinein.“
Es ist ein trauriges Zitat und scheint so gar nicht in die bunte Welt des Aufziehvogels zu passen. Doch wollte ich dir es nicht vorbehalten.
Bis dann,Kumiko.
Eins noch. Manche Äste auf dem Baum sind morsch. Pass auf!

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