Diethelm Reiner Kaminski

Ans Schenken denken

 
In meiner Familie ist das Schenken weit verbreitet. Meine zaghaften Versuche, die fest in der Familientradition verankerte Geschenkeflut etwas einzudämmen, waren bisher zum Scheitern verurteilt. Dazu ist meine Position zu schwach. Einer gegen fünf – gegen meine Frau, drei Söhne und eine Tochter, das schaffe ich nicht. Schon lange vor der großen Geschenkausschüttung an Geburtstagen oder Hochzeitstagen, Kommunions- oder Abiturfeiern, zu Weihnachten oder Ostern, werden die fünf unruhig und räumen das halbe Wohnzimmer leer, um Platz für die erwarteten Geschenke zu schaffen. Einen Quadratmeter berechnen sie für jeden. Damit wollen sie mir als Alleinverdiener andeuten, was meine Fest- und Gedenktagspflichten sind. Ich bin ein friedliebender Mensch und kein Revolutionär. Solange ich es mir leisten kann, sollen die Fünf ihren Spaß haben. Der Spaß besteht vor allem in der Besitzergreifung. Wie ein Rudel Wölfe machen sie sich über die Geschenke her, zerfetzen die teuren Geschenkpapiere, reißen die farbigen Schleifen von den Paketen und Päckchen, nehmen, falls diese nicht gleich nachgeben, Schere und Messer zu Hilfe und zerren die Geschenke aus Kartons und Schachteln.
Erschöpft von der ungewohnten Anstrengung hocken sie in den Papierbergen, aus denen die Geschenke wie Gletscher ragen, schauen mit glücklichen Augen in die Runde, lassen sich von mir mit Sekt und Saft bedienen und warten darauf, dass ich Geschenke und Müll fein säuberlich trenne, ihnen die Geschenke in ihre Zimmer und den Müll in die Mülltonne trage. Kaum haben sie sich ein wenig erholt, setzt die Manöverkritik ein, die ich mir wie ein begossener Pudel anhören und Besserung für das nächste Mal geloben muss: „Das war wieder ein toller Abend. Und so schöne Geschenke. Nur … Aber … Warum bloß …?  Schon wieder … Die Bluse zu kurz, die Hose zu eng, der Ring zu auffällig, der Duft des Parfüms aufdringlich, das Buch mit zu kleiner Schrift, die Musik-CD – welch altmodischer Geschmack, die falsche Farbe, die unpassende Größe usw. usw. Ich kenne die Stoßrichtung: Sie möchten zukünftig lieber Briefumschläge mit Geld, Gutscheinen oder Schecks überreicht kriegen. Aber da stelle ich mich stur, da bin ich auf beiden Ohren taub. Einen kleinen Rest von Geschenkekultur möchte ich uns bewahren.
Ich genieße es außerdem, dass ich selbst von dem Geschenkerausch verschont bleibe. An meinem Geburtstag säuselt mir meine Frau ins Ohr: „Ich hätte dir so gerne etwas ganz Schönes geschenkt, aber du hast ja schon alles. Es gibt rein gar nichts, womit ich dir noch eine Freude machen könnte.“
Und meine Tochter kuschelt sich an mich und gesteht: „Bis vorgestern habe ich noch daran gedacht, aber ausgerechnet gestern, als ich in der Stadt war und dir ein Geschenk hätte kaufen können, da muss ich deinen Geburtstag vergessen. Ich hab dich lieb. Kannst du mir noch mal verzeihen?“
Nur bei den drei Söhnen gibt es keine Unterschiede. Die haben meinen Geburtstag noch immer vergessen. Sich dafür zu entschuldigen, wäre in ihren Augen nicht mannhaft.
In einem Punkt aber sind sich alle Fünfe einig: Zu meinem Geburtstag muss ich sie abends groß zum Essen einladen. Das schlingen die Kinder hinunter, um rechtzeitig in die Disko abschwirren zu können. Nur meine Frau bleibt noch ein gemütliches Stündchen bei mir sitzen, um die Geschenkeliste für die kommende Saison zu besprechen.
 

17.09.2006

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