Irene Beddies

Wendel: Heiligabend




Diese Nacht schlug nicht nur die Turmuhr zwölfmal ihr „Boinggg“, auch von den Kirchtürmen läuteten die Glocken. Die kleinen Gespenster waren sofort wach und auf dem Dach.
„Heute ist Heiliger Abend!“, jauchzte Wendel.
Auf der Straße hasteten noch einige Menschen zur Kirche. Als das Glockenläuten aufhörte, schien es ganz still. Nur aus einer Kirche in der Nähe klang ein Weihnachtslied herüber.
Plötzlich war ein helles Gebimmel über ihrem Dach zu hören. Die Gespenster reckten ihre Hälse. Was sie sahen, erstaunte sie sehr. Ein Rentier kam am Himmel mit einem großen Schlitten heran.
Auf dem Schlitten saß der Weihnachtsmann. Er schien sehr, sehr müde zu sein.
„Hallo ihr beiden, was macht ihr auf dem Dach?“, brummte der Weihnachtsmann.
„Wir wollten dich einmal sehen. Fährst du jetzt nach Hause?“
„Nein, leider noch nicht. Ich muss noch ein Geschenk wegbringen, ich weiß aber nicht wem. Alle Geschenke von den Wunschzetteln der Kinder, die die Fee mir aufgesagt hat, habe ich abgeliefert. Eins ist übrig geblieben. Wenn ich nur wüsste, wo ich es lassen soll!“
„Lass es bei uns. Wir kümmern uns darum“, schlug Kasimirius  vor. „Wir sind ja nur aus Hauch und Schleier, wie du weißt, und können nichts tragen, aber wenn du das Geschenk auf das Dach fallen lässt, wird es gehen.“
Der Weihnachtsmann lenkte den Schlitten noch eine Runde über das Dach, um einen geeigneten Platz auszusuchen. Dann schubste er das Päckchen vom Schlitten. Es landete genau hinter dem Schornstein, so dass es nicht vom Dach rutschen konnte. „Vielen Dank!“ –
„Gute Nacht, lieber Weihnachtsmann!“
Das Päckchen war nicht besonders groß. Es war in blaues Sternenpapier eingewickelt und hatte eine goldene Schleife. Was da wohl drin war? Die Gespenster wurden fast krank vor Neugier, aber sie konnten die Schleife natürlich nicht aufmachen. Zum Glück kam jetzt die Eule und setzte sich auf den Schornstein.
„Kannst du uns helfen, das Paket aufzumachen?“, bettelten sie.
„Wie denn, ich habe doch keine Hände“, sagte die Eule und lachte.
„Aber du hast einen scharfen Schnabel und Krallen an den Füßen! Damit kannst du leicht die Schleife aufmachen und das Papier zerreißen.“
Die Eule machte sich also an die Arbeit und zerrte mit dem Schnabel an der goldenen Schleife. O Schreck! Sie war ungeschickt und zog das Paket hinter dem Schornstein hervor. Sofort, als sie tief Atem holte, rutschte das Paket auf dem Schnee vom Dach herunter. Die Gespenster schwebten schnell hinterher. Ein Wunder geschah vor ihren Augen: das Paket fiel nicht mit einem Plumps in den Garten neben die Hundehütte. Es segelte langsam tiefer und landete sacht auf dem Gehweg.

Eben war die Feier in der Kirche zu Ende. Menschen kamen die Straße entlang auf dem Weg zu ihren Häusern. Ein Mädchen mit blauer Mütze und blonden Zöpfen war auch dabei. Es entdeckte das Päckchen auf dem Gehweg.
„Sieh doch, Mama, da liegt ein Geschenk. Das hat sicherlich der Weihnachtsmann verloren. Darf ich das behalten?“
„Ich weiß nicht…“, fing die Mutter an, aber da hatte das Mädchen schon das goldene Band vom Geschenk gelöst und das Papier zerrissen. Es hielt eine Pappschachtel in den Händen. Die machte es hastig auf. Heraus fiel ein knallbunter Ball, der den Weg entlang rollte.
Das Mädchen hüpfte glücklich hinterher, hob den Ball vom Boden auf und hielt ihn ganz, ganz fest.
„Das ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk!“
„Du hast doch schon lange zwei Bälle“, sagte die Mutter, „was willst du mit noch einem?“
„Das verstehst du nicht“, meinte das Mädchen. „Ich habe mir gar keinen Ball gewünscht und ja auch keinen bekommen. Dieser ist bestimmt besonders, denn er ist mir in der Weihnachtsnacht vor die Füße gerollt. Sicherlich bringt er mir viel Glück.“
„Wenn du so denkst, will ich auch glauben, dass dieser Ball etwas Besonderes ist. Viel Glück, meine kleine Maus“, sagte die Mutter zärtlich und drückte ihre Tochter fest an sich. „Und fröhliche Weihnachten!“
Auf einmal sahen sich die Gespenster an. „Nur noch eine Woche, dann bist du erlöst, Kasimirius“, fiel dem kleinen Gespenst ein, „nur noch eine Woche.“


(c) I. Beddies



Euch allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest!


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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