Peter Woznieck

Als Opa starb

Eigentlich war es ein relativ ruhiges Wochenende in Graz- ein typisches, wie es Anfang Dezember in der steirischen Landeshauptstadt oft vorkommt: die Stadt zeigt nicht wie im Frühjahr oder Sommer ihre prächtigen, südländisch angehauchten Farben sondern hält sich in einem biederen, langweiligen Grau.

Er sitzt vor seinem Fernseher- zappt durch die Kanäle, findet dabei aber nichts brauchbares das ihn von dem Gedanken abbringen kann, der ihm schon den ganzen Tag durch den Kopf schwirrt. Opa geht es nicht gut- laut Arzt habe er jede Menge „kritischer Baustellen“ in seinem Körper, doch er sei sehr zäh. Doch der Puls werde immer niedriger und niedriger.

In seinem Kopf werden Erinnerungen wach: als er, Opa und Stefan damals das Dach gedeckt hatten, und sich der alte Herr nicht von seiner besten Seite gezeigt hat. Er immer wieder betont hat, dass die junge Generation nicht arbeiten könne- keine Ahnung von Handwerksarbeit habe. Und wie er dann geschrien und die Einnahme der gemeinsam angesetzten Jause verweigert hatte, nachdem sie ihm die Leiter weggezogen hatten und er kurzfristig nicht vom Dach gekommen war.
Oder wie Opa alle Fahranfänger als grundsätzlich unfähig abgestempelt hat- wissend, dass er selbst schon seit langem eine ernstzunehmende Gefahr für den Straßenverkehr war. All das ging ihm durch den Kopf, während er sich noch immer nicht dazu entschieden hat, ob er sich auf nach Hartberg in das LKH machen soll.

Sein Stiefvater sagt ihm am Telefon, dass eigentlich alle schon bei ihm waren und es absolut nicht gut aussehe. Deshalb macht er sich nun auf.

Während der Fahrt hört er eine neue CD und denkt sich dabei wie er jetzt eigentlich auf die Idee kommen kann, mit Interesse eine neue CD zu hören, während sein Opa im Sterben liegt. Er tut diesen Gedanken damit ab, dass es ihn wohl auch nicht lebendig halten würde, wenn er den Radio ausschaltet- und dabei hat Opa ja selbst immer die Musik geliebt. Zumindest einmal im Monat hat er es sich nicht nehmen lassen in einem der vielen originellen oststeirischen Buschenschänke mit seiner steirischen Harmonika aufzuspielen. Das hat ihm große Freude bereitet.

Während er schon einen Teil der Strecke zurückgelegt hat, schreibt ihm seine Freundin ein SMS: wie kann er sich nun an einer mehrdeutigen Nachricht erfreuen und belustigen denkt er sich zuerst. Doch auch hier findet er rasch eine Antwort, die ihm das schlechte Gewissen nimmt. Sein Opa war in dieser Hinsicht nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Bis ins hohe Alter ließ er es sich nie nehmen, Frauen den Hof zu machen. Im Bewusstsein darüber, dass es seine Frau es aus katholischen Gründen nie übers Herz bringen würde, sich scheiden zu lassen.

Er spinnt diesen Gedanken sogar noch weiter:  wenn er seiner Frau schon nie im Leben Zeit gewidmet hat, hat er das wenigstens bei uns Enkelkindern getan? Ihm fallen dabei beispielsweise Geschichten ein, in denen der Großvater seine Enkelkinder auf Bushaltestellen nicht erkannt hat- und das nicht nur aus Fehlsichtigkeit.

Je näher er sich seinem Ziel nähert, desto mehr entdeckt er wie fremd ihm die Person ist, die er bald besuchen wird. Als er die Glocke zur Intensivstation betätigt eröffnet ihm der Pfleger, dass die Situation bereits sehr kritisch sei und man Opa nicht mehr aufwecken könne. „Sein Herz schlägt noch mit ca. 30 Pulsschlägen pro Minute“, so seine Aussage.

Er betritt das Zimmer, erblickt dort seinen sterbenden Großvater. Sein Erscheinen ist robust wie immer- ein alter Mann mit etwas gesetzterer Figur- beatmet durch eine Lungenmaschine. Sein Gesicht ist sehr bleich- durch die Beatmung hat es den Anschein, als würde er ganz fest und intensiv ein- und ausatmen. Er nimmt seine Hand, blickt daneben auf den Monitor, auf dem der Verlauf seiner medizinischen Werte dargestellt wird.
Plötzlich wird aus der vorher in Zacken dargestellten Anzeige eine gerade Linie- doch er hört keinen Ton wie in einem Hollywood-Film. Der Pfleger nimmt es kommentarlos zur Kenntnis und holt den Oberarzt. Dieser meint  knapp: „Er ist verstorben.“

Ein Moment der so schwer zu beschreiben ist- klein und groß, hell und dunkel, still und laut, warm und kalt, schön und furchtbar zugleich. Das Ende eines Menschenlebens. Sein Großvater liegt vor ihm- nach wie vor beatmet ihn die Lungenmaschine- was ihn daran zweifeln lässt dass der Tod wirklich bereits eingetreten ist.

All die Dinge die ihm im Auto noch verfolgt hatten sind jetzt anderen Gedanken gewichen. Beispielsweise an Erzählungen, nach denen Opas Vater gestorben ist, als er selbst noch acht Jahre alt war. Wie er dennoch Verantwortung übernehmen musste- für seine Geschwister und vor allem den Bauernhof. Dass er sich dabei verteidigen musste gegen die Nachbarn, die sich den gesamten Besitz  von diesem jungen Burschen lieber heute als morgen einverleibt hätten.
So viele Gedanken gehen ihm jetzt durch den Kopf- auch die Frage was denn jetzt anders sei als davor. Ihm wird klar, dass er zuvor ein Bild seines Großvaters im Kopf hatte- eines das mit zahlreichen Themen und Erzählungen ausgeschmückt war. Doch was ihm erst jetzt bewusst wird ist die Tatsache, was der vor wenigen Augenblicken geschehene Tod für eine Auswirkung hat: er macht das Bild komplett- verglichen mit einem Malkasten deckt er Farben auf, auf die kein Maler davor Zugriff hatte. Ohne Tod könnte kein Mensch je das gesamte Kunstwerk betrachten, und alles Malen verkäme zu einer ziellosen, endlosen Arbeit ohne Lohn. Es gäbe kein Leben ohne Tod.
Er nimmt nochmals die Hand seines Opas und flüstert leise: „dein Handwerk ist vollbracht. Genieße es jetzt es vollständig betrachten zu können.“Als Opa starb
Eigentlich war es ein relativ ruhiges Wochenende in Graz- ein typisches, wie es Anfang Dezember in der steirischen Landeshauptstadt oft vorkommt: die Stadt zeigt nicht wie im Frühjahr oder Sommer ihre prächtigen, südländisch angehauchten Farben sondern hält sich in einem biederen, langweiligen Grau.

Er sitzt vor seinem Fernseher- zappt durch die Kanäle, findet dabei aber nichts brauchbares das ihn von dem Gedanken abbringen kann, der ihm schon den ganzen Tag durch den Kopf schwirrt. Opa geht es nicht gut- laut Arzt habe er jede Menge „kritischer Baustellen“ in seinem Körper, doch er sei sehr zäh. Doch der Puls werde immer niedriger und niedriger.

In seinem Kopf werden Erinnerungen wach: als er, Opa und Stefan damals das Dach gedeckt hatten, und sich der alte Herr nicht von seiner besten Seite gezeigt hat. Er immer wieder betont hat, dass die junge Generation nicht arbeiten könne- keine Ahnung von Handwerksarbeit habe. Und wie er dann geschrien und die Einnahme der gemeinsam angesetzten Jause verweigert hatte, nachdem sie ihm die Leiter weggezogen hatten und er kurzfristig nicht vom Dach gekommen war.
Oder wie Opa alle Fahranfänger als grundsätzlich unfähig abgestempelt hat- wissend, dass er selbst schon seit langem eine ernstzunehmende Gefahr für den Straßenverkehr war. All das ging ihm durch den Kopf, während er sich noch immer nicht dazu entschieden hat, ob er sich auf nach Hartberg in das LKH machen soll.

Sein Stiefvater sagt ihm am Telefon, dass eigentlich alle schon bei ihm waren und es absolut nicht gut aussehe. Deshalb macht er sich nun auf.

Während der Fahrt hört er eine neue CD und denkt sich dabei wie er jetzt eigentlich auf die Idee kommen kann, mit Interesse eine neue CD zu hören, während sein Opa im Sterben liegt. Er tut diesen Gedanken damit ab, dass es ihn wohl auch nicht lebendig halten würde, wenn er den Radio ausschaltet- und dabei hat Opa ja selbst immer die Musik geliebt. Zumindest einmal im Monat hat er es sich nicht nehmen lassen in einem der vielen originellen oststeirischen Buschenschänke mit seiner steirischen Harmonika aufzuspielen. Das hat ihm große Freude bereitet.

Während er schon einen Teil der Strecke zurückgelegt hat, schreibt ihm seine Freundin ein SMS: wie kann er sich nun an einer mehrdeutigen Nachricht erfreuen und belustigen denkt er sich zuerst. Doch auch hier findet er rasch eine Antwort, die ihm das schlechte Gewissen nimmt. Sein Opa war in dieser Hinsicht nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Bis ins hohe Alter ließ er es sich nie nehmen, Frauen den Hof zu machen. Im Bewusstsein darüber, dass es seine Frau es aus katholischen Gründen nie übers Herz bringen würde, sich scheiden zu lassen.

Er spinnt diesen Gedanken sogar noch weiter:  wenn er seiner Frau schon nie im Leben Zeit gewidmet hat, hat er das wenigstens bei uns Enkelkindern getan? Ihm fallen dabei beispielsweise Geschichten ein, in denen der Großvater seine Enkelkinder auf Bushaltestellen nicht erkannt hat- und das nicht nur aus Fehlsichtigkeit.

Je näher er sich seinem Ziel nähert, desto mehr entdeckt er wie fremd ihm die Person ist, die er bald besuchen wird. Als er die Glocke zur Intensivstation betätigt eröffnet ihm der Pfleger, dass die Situation bereits sehr kritisch sei und man Opa nicht mehr aufwecken könne. „Sein Herz schlägt noch mit ca. 30 Pulsschlägen pro Minute“, so seine Aussage.
Er betritt das Zimmer, erblickt dort seinen sterbenden Großvater. Sein Erscheinen ist robust wie immer- ein alter Mann mit etwas gesetzterer Figur- beatmet durch eine Lungenmaschine. Sein Gesicht ist sehr bleich- durch die Beatmung hat es den Anschein, als würde er ganz fest und intensiv ein- und ausatmen. Er nimmt seine Hand, blickt daneben auf den Monitor, auf dem der Verlauf seiner medizinischen Werte dargestellt wird.
Plötzlich wird aus der vorher in Zacken dargestellten Anzeige eine gerade Linie- doch er hört keinen Ton wie in einem Hollywood-Film. Der Pfleger nimmt es kommentarlos zur Kenntnis und holt den Oberarzt. Dieser meint  knapp: „Er ist verstorben.“

Ein Moment der so schwer zu beschreiben ist- klein und groß, hell und dunkel, still und laut, warm und kalt, schön und furchtbar zugleich. Das Ende eines Menschenlebens. Sein Großvater liegt vor ihm- nach wie vor beatmet ihn die Lungenmaschine- was ihn daran zweifeln lässt dass der Tod wirklich bereits eingetreten ist.

All die Dinge die ihm im Auto noch verfolgt hatten sind jetzt anderen Gedanken gewichen. Beispielsweise an Erzählungen, nach denen Opas Vater gestorben ist, als er selbst noch acht Jahre alt war. Wie er dennoch Verantwortung übernehmen musste- für seine Geschwister und vor allem den Bauernhof. Dass er sich dabei verteidigen musste gegen die Nachbarn, die sich den gesamten Besitz  von diesem jungen Burschen lieber heute als morgen einverleibt hätten.
So viele Gedanken gehen ihm jetzt durch den Kopf- auch die Frage was denn jetzt anders sei als davor. Ihm wird klar, dass er zuvor ein Bild seines Großvaters im Kopf hatte- eines das mit zahlreichen Themen und Erzählungen ausgeschmückt war. Doch was ihm erst jetzt bewusst wird ist die Tatsache, was der vor wenigen Augenblicken geschehene Tod für eine Auswirkung hat: er macht das Bild komplett- verglichen mit einem Malkasten deckt er Farben auf, auf die kein Maler davor Zugriff hatte. Ohne Tod könnte kein Mensch je das gesamte Kunstwerk betrachten, und alles Malen verkäme zu einer ziellosen, endlosen Arbeit ohne Lohn. Es gäbe kein Leben ohne Tod.

Er nimmt nochmals die Hand seines Opas und flüstert leise: „dein Handwerk ist vollbracht. Genieße es jetzt es vollständig betrachten zu können.“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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