Thomas Kleinrensing

Dancing with my devils

Auch an mir gingen die erhobenen Zeigefinger der Aufgeklärten und Gesunden nicht unbemerkt vorüber. Seit Monaten achte ich auf ausgewogene Ernährung, vermeide Gewiegtes, esse, wenn überhaupt Fleisch, nur noch Glücksbrust von fröhlichen Landhennen, verzichte auf Kaffee, trinke nicht fermentierten Tee aus fair hergestellten Geschirr und bin aktives Mitglied der Glutenfreibewegung. Hatte ich früher nach exzessiven  Sauf- und Freßexsessen kurzfristige Phasen der Läuterung und Visionen der grundlegenden ernährungstechnischen Veränderungen, so befinde ich mich seit geraumer Zeit auf der gesunden Seite der Biokultur. Stetes Gemüse höhlt das Sein.

Umso überraschender das heute früh der fleischlose Wassertag mit einem unangenehmen Grummeln und Stampfen in der Bauchhöhle, begleitet von Unwohlsein und Schwächegefühl, mit mir aufstand. Als sich dieser Zustand nach dem Duschen und einem Knäckebrot nicht verbesserte, beschloss ich, ganz im Sinn der Homöopathie und Selbstheilung, auf einem Bio Kamillentee sodgebrannt zum rebellierenden Bauchgefühl hinabzugleiten.

„Ach was, der große Meister“, empfing mich meine härteste Kritikerin, die Leber. Faustig geballt, leicht bebend fixierte sie mich feindselig. In der Nähe knurrten leise drohend die Kettendarmatiener. Frei von der Drüse weg loszureden, wäre jetzt der falsche Weg. Ich wusste, wenn der Giftschleuder auch nur die kleinste Laus drüber gegangen war, spuckte sie sofort Gelb. Ich hielt den Mund und Blickkontakt. „Verlaufen“? provozierte sie weiter.

„Nö, wieso? Wollte nur mal sehen ob hier Unten alles in Ordnung ist“, versuchte ich entspannt zu klingen: „Aber Du siehst irgendwie knatschig aus, alte Freundin“.
„Irgendwie knatschig, alte Freundin“, äffte die Leber: „Irgendwie knatschig … Ich bin stink sauer“, platzte sie hervor während gelbes Sekret aus der Spalte zwischen ihren Lappen drang. „Wieso hast Du Spinner die Ernährung umgestellt? Was soll das!? Gemüse, Wasser, Tee, kein Zucker, kein Kaffee, nur naturtrüber Apfelsaft, kein Fleisch? Wo bleibt der Alk, das Fett, wo die Gifte und das Nikotin“? Sie war sichtlich erregt.

“Ich ernähre mich gesund. Vermeide belastendes und krankmachendes Zeug und denke ganzheitlich, verstehst Du“, versuchte ich sachlich zu bleiben.
„Seh ich vielleicht krank aus? Sieht hier sonst einer irgendwie krank aus? Nein! Wenn Du dich krank fühlst, ist das Dein Problem. Wegen uns musst Du auch nicht denken, schon gar nicht ganzheitlich. Als Deine Art noch rohen Mammut fraß, ihr euch Keulen zur Verständigung auf den Kopf geschlagen habt, hatten wir schon hochmoderne innovative Abwehrsysteme und superschnelle Datenautobahnen. Wir sind von Anfang an hoch spezialisierte Organe und machen alles platt was Du dir da Oben in die Luke schiebst und hier Schaden anrichtet und nicht hingehört. Dazu brauchen wir Dich nicht, schon gar nicht Dein Denken“, polterte sie weiterwährend der Magen sich zusammenzog und der Sodbrand sich verstärkte.

Die Leber kam jetzt auch richtig in Schwung: „Ist das jetzt der Dank für unseren stetigen Einsatz? Bio Gemüse und Soja? Unsere Fähigkeiten liegen brach, wir fühlen uns von Dir ins Abseits gestellt. Gab es jemals den kleinsten Anlass zur Beschwerde? Haben wir uns nicht den täglichen Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten entgegengestellt? All die Weißherbststürme, die fetten Fressattacken, die Westernwochen bei MC, die  emotional aufgeladenen Tequila Sunrisephasen und tausend andere Events. Wo wärste denn jetzt ohne uns? Hätteste noch den Führerschein? Nein! Ohne unseren selbstlosen Einsatz und große Teamfähigkeit dürfteste heute nicht mal mehr Tretroller fahren“!

Die Leber wechselte von Rotbraun auf Alarmrot:“ Pass auf, Du Spinner. Seitdem wir hier drin sind und deine Mutter, Gott hat sie vielleicht selig, den ersten Löffel selbstverbrannten Milchbrei mit ausreichend Absinth in Deinen Sechsmonatsblödschädel geschoben hat, haben wir gewusst, es wird ein langer harter Weg. Aber während Du und Deine Alten die Nächte immer narkotisiert durchschlafen konnten, haben wir hier Unten malocht und organisiert wie die Verrückten, damit Du in deiner Denkzentrale nicht verblödest. Wenn wir gewusst hätten, dass Du uns irgendwann abservieren, uns den Sinn des Daseins stehlen willst, hätten wir damals auch gepennt. Besser ein kurzes knackiges Leben, in dem wir Alles versucht und gegeben haben, als ein langes Dahindümpelndes“.   

Ich wurde sauer: „Ihr habt doch nicht mehr alle Enzyme im Stoffwechsel. Was wird das hier, ein Meuterei? Ihr seid sauer, weil ich jetzt gesünder lebe“? Angespannte Stille. „Oh, habt ihr das gehört“, flötete zynisch die Leber in die Runde: „Der Herr will gesund leben. Der Herr braucht uns nicht mehr, ihm geht’s anscheinend mental schlecht, seitdem er eine Brücke im Maul und lichteres Haar hat“. Gereizte Stimmung umschlang mich. „Das geht uns allen am Arsch vorbei“, machte sich der Darm geräuschvoll Luft. „Genau, ich könnte brechen“, kreischte gereizt der Blinddarm. 

Ich war irritiert: „Ich verbessere unser aller Lebensqualität, die Physiologie und Ihr hier drin macht Ärger ohne Grund? Ihr hab doch einen am Gewebe“!
„Dieser Weg wird steinig und schwer“, sangen die Nieren während der Zwölffingerdarm mitbrummte und mir einen Stinkefinger zeigte. „Ich schmeiß seit Monaten nur noch die alten Roten raus“, quietschte die Milz aus ihrer Ecke: „Dabei hab ich extra noch im letzten Jahr eine hochprozentige Weiterbildung in Giftstoffbekämpfung gemacht“. Das Zwerchfell kicherte hässlich wie eine Hyäne und die Galle raunte: „Ich kann Dir auch ein paar Steine in den Weg legen“. Die Darmatiener hatten sich auf gesetzt und legten die Ohren an während der Magen an den Ketten zog. Mir wurde schlecht.

Von einem Krampf gebeutelt ließ ich mich auf den Querdarm sinken. „Soll ich die Luft rauslassen oder noch warten“, fragte er in die Runde. „Warten, warten, warten“, schrien die anderen und die Lunge stellte ein Ultimatum: „Erst wenn meine Wege neu geteert werden, wird hier Gas abgefackelt“. Die Leber machte sich fett und groß: „Also hör jetzt gut zu, Du probiotischer Idiot. Wir haben uns in der Interessengemeinschaft der biotischen Stoffumsetzung, kurz IBS deren Vorsitz ich Inne habe, organisiert und stellen folgende Forderungen“.

Nach einer Kunstpause fuhr sie fort: „Wir wollen wieder unseren Fähigkeiten entsprechend arbeiten und fordern Mitbestimmung und Vetorecht bei allen Ernährungsfragen. Wir lehnen Gemüsesticks als Hauptnahrung ab, ebenso wie Tofu, alkoholfreies Bio Weizenbier mit Bananenaroma und all den anderen inhaltlosen Scheiß. Wir fordern die Herstellung des alten Zustandes der bierseligen Sauerbraten-Pommes-Kultur auf Basis des Methan-Mitbestimmungsgesetzes. Davon unberührt bleibt die Regelung der 5 Tage Woche und der 40 % Wochenend-, Nachtarbeits- und Feiertagszuschlag. Der im Tarifvertrag von 1989 vereinbarte Jahresurlaub von vier Wochen, verteilt auf zwei zusammenhängende Regenerationszeiten in einer Anstalt Deiner Wahl, wird um jeweils eine Sabbatwoche als Nachkur erweitert. All-Inklusive, versteht sich“, erläuterte die Leber. Noch während ich mich vor Schmerzen krümmte sagte sie sarkastisch: „Das ist unser Angebot … Ansonsten werden wir zum legitimen Druckmittel eines unbefristeten Streiks greifen. Denk drüber nach“! Von einem unglaublich starken und übelriechenden Luftzug mitgerissen, wirbelte ich, unter dem Gejohle der Organe, nach Oben.

Ich landete ungebremst auf dem Dielenboden meiner Küche. Zu meinem Erstaunen blieb mir zwar kurz die Luft aufgrund des Aufpralls weg, aber das Unwohlsein, die quälenden Unterleibskrämpfe waren verschwunden. Ich richtete mich auf, lehnte mich an die Küchenzeile und klingelte, auf der Suche nach Antworten an der Frontallappentür im Obergeschoß. Aus der Sprechanlage ertönte zunächst ein unangenehmes Ohr schmerzendes Pfeifen, bevor eine Computer animierte Stimme kühl mitteilte: „Aufgrund von akutem Eiweiß-, Zucker-, und Fettsäuremangel vorübergehend geschlossen. In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an das Bauchgefühl oder fragen Sie Ihre Metzger und an Teken“.

Der TOM (www.tom-kleinrensing.de)
4. Februar 2014

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