Hans K. Reiter

Wetterhahn

 

Ostwind, kalt. Wenn's aus dem Osten bläst, ist's immer kaltsagen d'Leut'. Ein Blick aus dem Fenster bestätigt den Bürgermeister. Ostwind wie ich's g'sagt hab', sagt er, der Wetterhahn vom Schulhaus zeigt es, dann muss es stimmen. 

Die Gemeinderatssitzung hatte gerade begonnen und einer der Gemeinderäte bemerkte: Dann pass nur auf, dass dir der Wind net ins Gsicht bläst. Verdutzt hielt der Bürgermeister inne, drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der dieser despektierliche Ausspruch kam und sagte: Natürlich, der Schmiedhuber, wer denn sonst? Er kann's halt net verputzen, dass de Sozis nix mehr z'melden ham. Werden halt immer weniger und des wurmt ihn, hab' ich net recht, Schmiedhuber?

Verdrossen blickte der so Angesprochene vor sich hin auf den Tisch, als läge die Wahrheit in der Maserung des Kirschbaums, aus dem der Tisch in handwerklicher Vollkommenheit gefertigt war. Aber so einfach war es nicht. Der Schmiedhuber glaubte, Anhaltspunkte dafür zu haben, dass der Bürgermeister sich hat schmieren lassen. Aber ein Anhaltspunkt war eben noch kein Beweis, und so musste er vorsichtig sein, mit dem, was er sagte.

Der Bürgermeister war ein alter Fuchs in Sachen Gemeindepolitik und ein Schmiedhuber brachte ihn nicht aus dem Konzept. Schon gleich gar nicht einer, der den Sozis angehörte. Die Sozis in Bayern und im Besonderen in Dingharting, nicht mehr als ein Fliegenschiss, dachte er. Aber auch ein alter Haudegen kann sich einmal irren und so wäre es vorteilhafter gewesen, der Bürgermeister hätte nicht in dieser Weise mit dem Schmiedhuber geredet.

Es fügte sich, das just die Lechner Anneliese eines montags in der Gemeindekanzlei aushelfen musste. Das wäre an sich nichts Erwähnenswertes gewesen, denn des Bürgermeisters persönliche Gemeindedienerin hatte sich einen Virus eingefangen und kam vom Häus'l nicht mehr runter und im Bauhof gab's gerade nicht soviel zu tun, also sass die Anneliese jetzt im Vorzimmer des Bürgermeisters. Verflixt war nur, und das wusste der Bürgermeister nicht, dass eben die Anneliese eine Nichte der Frau des Sozis Schmiedhuber war. Zwar nicht in der Partei des Sozis, aber doch sehr familienverbunden.

Und genau jener Anneliese sollte ein folgenschweres Ereignis zu einem beinahe kometenhaften Aufstieg in der Dinghartinger Gemeindeverwaltung verhelfen.  Es sei gegen 11 Uhr gewesen, so berichtete die Anneliese es ihrer Familie, als ein schwer beladener Sattelschlepper am Rathaus vorbei donnerte und der Aufleger der Zugmaschine dabei über den Bordstein rollte. Dadurch, so Anneliese, sei es in der Amtsstube zu einer unheilvollen Erschütterung gekommen, die bewirkte, dass einige Ordner aus dem oberen Regal zu Boden fielen.

Als nun Anneliese die Ordner wieder zurück stellte, bemerkte sie ein Buch, das hinter den Ordnern gestanden haben musste und deshalb liegen geblieben und nicht herausgestürzt war. Neugierig nahm sie das Buch und blätterte ein wenig darin herum. Auweh zwick!, entfuhr es der Anneliese, als ihr plötzlich ein Zettel entgegen flutschte, der in dem Buch versteckt gewesen war. Sie überflog ihn, steckte ihn in ihre Handtasche und zeigte ihn am Abend dem angeheirateten Onkel Schmiedhuber. Niemand nannte den Onkel beim Vornamen, grad so, als hätte er keinen. Er war bei allen nur der Schmiedhuber.

Ja Kruzefix, jetzt hab' ich dich!, stiess der Schmiedhuber aus. Das war der Beweis, nach dem er schon so lange gesucht hatte. Freundlich tätschelte er Anneliese und sagte noch, sie solle um Gottes Willen zu niemandem etwas über ihren Fund sagen.

Als der Bürgermeister am nächsten Tag  die Amtsstube betrat, kam ihm Anneliese gleich entgegen, nahm ihm Hut und Mantel ab und sagte, sie müsse ihn dringend sprechen. Der Bürgermeister, von so viel Freundlichkeit überrumpelt, sagte zuerst nichts und brummte dann ein Meinetwegen. Sekunden später hörte er staunend einer aufgekratzten Anneliese Lechner zu.

Wiss'ns, sagte die Anneliese forsch, ich möchte gern in meinem Beruf weiterkommen, das ist der eine Punkt, und der andere ist, ich mag den Schmiedhuber nicht. Der tätschelt mir zu viel herum und glotzt mir ständig auf'n ..., na ja, Sie wissen schon. Und so versprach der Bürgermeister, Annelieses berufliche Wünsche zu erfüllen und sagte, er verstünde auch, dass Anneliese aus Gehorsam der Familie gegenüber, dem Schmiedhuber den Zettel gezeigt hatte. Das, obwohl er ehrlich gesagt, eine Weile brauchte, um ihre Beweggründe zu durchschauen.

Neidlos gestand der Bürgermeister schliesslich ein, dass Anneliese äusserst clever vorgegangen war. Nur, wenn sie schwieg, würde sein Schachzug gelingen und gleichzeitig hatte sie ihn damit auch in der Hand. Was soll's, stöhnte er, es gibt Schlimmeres.

Schon am Nachmittag des selben Tages war der Schmiedhuber mit dem Bürgermeister verabredet. Jovial winkte er Anneliese zu, als er an ihr vorbei zum Zimmer des Oberhauptes der Gemeinde Dingharting huschte. Was willst von mir Schmiedhuber?, fragte der Bürgermeister. Jetzt hab' ich dich am Arsch, Bürgermeister, begann der Schmiedhuber die Unterredung und knallte den Zettel vor den Bürgermeister auf den Tisch.

Wegen dem? Spinnst jetzt komplett, Schmiedhuber, entgegnete der Bürgermeister und stoppte des Schmiedhubers zu befürchtenden Redefluss. Den Beleg hab' ich schon überall gesucht, war eine Spende vom Bauunternehmer am Ort. Für die Gemeinde, fügte er noch hinzu. Die Miene Schmiedhubers zeigte überdeutlich, welchen Wahrheitsgehalt er des Bürgermeisters Äußerung beimass. Dass ich net lach!, war sein abschließender Kommentar.

Du wirst dich bei der nächsten Sitzung ganz förmlich für deine Unverschämtheit bei mir entschuldigen. Vor allen. Haben wir uns da verstanden?, sagte der Bürgermeister in einem Ton, der keinen Widerspruch zuliess. Schmier'n hast dich lassen, so schaut es aus. Da kannst bloss noch zurücktreten, nicht wahr?, entgegnete der Schmiedhuber.

Na, dann pass mal auf, du Schlaumeier, sagte der Bürgermeister und schob ein größeres Buch, einem Kassenbuch gleich, vor Schmiedhubers Nase. Auf einer Seite, die vom Datum her gesehen mehrere Tage zurück lag, sprang eine kurze Notiz in Schmiedhubers Augen: Spende (20.000) von Baufirma Jobst für  Gemeindekindergarten erhalten. 

Der Bürgermeister verfasste wichtige Einträge im Gemeindebuch stets auf eine Weise, dass Lücken und Leerzeilen sehr gut nachträgliche Korrekturen und Ergänzungen erlaubten. Wohl oder Übel musste der Schmiedhuber den Forderungen des Bürgermeisters nachkommen. Dafür durfte er die Sozis als Gemeinderat weiterhin vertreten und der Bürgermeister verzichtete auf Massnahmen, wie er sich ausdrückte.

Anneliese Lechner musste nach der Wiedergenesung der Gemeindedienerin nicht zurück in den Bauhof, sondern übernahm aufgrund ihrer außerordentlichen Fähigkeiten und Qualifikation, wie der Bürgermeister bescheinigte, die Kassenführung der Gemeinde Dingharting. Der bisherige Amtsinhaber war überraschend erkrankt und begab sich in den vorzeitigen Ruhestand. Damit er aber nichts von seiner Pension einbüsste, blieb er der Gemeinde noch einige Zeit als externer Berater erhalten.

Zwischen dem Bürgermeister und den Sozis herrschte jetzt Frieden und of erstaunte es die Bevölkerung, wie einhellig wichtige Beschlüsse gefasst wurden, grad so, als gäbe es gar keine Opposition. Alles zum Wohle der Bürger, wie die Einheimischen fanden.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.03.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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