Hans K. Reiter

Gemeindewahl (1)

Jetzt war es wieder soweit. In Dingharting, wie im übrigen Bayern, stehen die Wahlen der Gemeinderäte und Bürgermeister vor der Tür. Richtig nervös war deshalb hier am Ort keiner. Oder doch, vielleicht jene, die kleineren Parteien angehörten und deshalb nicht darauf vertrauen konnten, genügend Stimmen zusammenkratzen zu können.

Bei den Schwarzen gab es solcherlei Sorgen natürlich nicht. Bei den Roten, den Sozisdagegen schon. Die Anzahl ihrer Gemeinderäte war schon bei der letzten Wahl vor sechs Jahren drastisch geschrumpft. Sie waren einmal zu fünft gewesen, jetzt waren es ihrer gerade noch drei. Und wenn es blöd lief …, aber daran wollte keiner denken.

Eines samstagnachmittags, die erste Frühlingssonne strahlte über dem makellosen, blauen Himmel, spielte auf dem Dorfplatz eine Blasmusik auf. Sie galt offensichtlich einem dunklen BMW, der sich rasch näherte und vor einem Stand, bei dem ein Rednerpult aufgebaut war, zum Stehen kam. Der hintere rechte Wagenschlag öffnete sich und ein eleganter Trachtenanzug schälte sich ins Freie. Der Ortsvorsitzende der Sozis, unter dessen Regie wohl alles ablief, eilte sofort auf den Trachtenanzug zu und erbot überschwängliche Grüsse.

Ein paar Leute blieben stehen und wunderten sich, was da wohl vor sich ginge. Ja, ist das nicht der …, meinte einer. Nein, ich glaub’ nicht, sagte ein anderer. Dann gingen sie weiter. Der Mann im Trachtenanzug indessen war kein geringerer als der Vorsitzende der Sozis in Bayern. Die örtliche Partei hatte in eingeladen, auf dem Marktplatz eine Rede zu halten.

Der jugendlich, dynamisch wirkende Mann sah verdutzt auf den Ortsvorsitzenden, als er gewahr wurde, dass die Dimension der Zuhörerschaft weder ein Rednerpult noch ein Mikrofon mit Lautsprecheranlage erforderlich machte. Vielleicht ein dutzend Leute waren versammelt und es war unschwer auszumachen, dass es sich dabei um die vollzählig erschienenen Mitglieder des Ortsvereins jener Partei handelte, die man in Dingharting und anderswo in Bayern generell nur die Sozis nannte und deren Landesvorsitzender sich soeben die Ehre gab.

Ja, haben Sie denn keine Werbung gemacht?, fragte der Vorsitzende just in dem Moment, als man vom Stand aus hören konnte, wie ein Mitglied der Sozis einem Passanten erklärte, wer der Mann im Trachtenanzug sei. Hob i no nia g’sehn, sagte der Passant, schüttelte den Kopf und ging weiter. Dieses Schauspiel wiederholte sich noch ein paar Mal und trieb es sogar noch auf die Spitze, als ein Bub in Lederhosen meinte, ob der Vorsitzende der neue Kapellmeister der Blasmusik des örtlichen Trachtenvereins wäre.

Man sah, wie dem Vorsitzenden ob soviel Ignoranz und Frechheit langsam der Kamm schwoll. Wütend, aber doch noch einigermaßen beherrscht, stapfte er zurück zum Auto, schmiss den Wagenschlag zu, und gab Anweisung, das Weite zu suchen. Ich hab’ mei  Zeit ja schliesslich nicht gestohlen!, rief er den verlegen dreinblickenden Parteimitgliedern noch zu. Ja mei, bemerkte einer, wenn ihn halt keiner kennt. Den kennen’s ja nirgendwo, pflichtete ein anderes Parteimitglied bei. Wenn i net g’wusst hät, dass er heut kommt, hät’ i ihn selber net erkannt, gab ein weiteres Mitglied seinen Kommentar zum Besten.

Wie, um Gottes Willen, sollen wir eine Wahl gewinnen oder wenigstens ein paar Gemeinderatsmitglieder durchbringen, wenn im ganzen Land den Chef von unserer Partei koaner kennt?, meinte der Ortsvorsitzende verdrossen und gab Anweisung den Stand und alles andere abzubauen.

Hab’ts a Problem?, säuselte die Stimme des zufällig vorbeigekommenen Bürgermeisters dem Ortsvorsitzenden von hinten ins Ohr. Koana woass, wer er is, net wahr?, ergänzte der Bürgermeister noch und ging lauthals lachend seines Weges. Des a no, war alles, was dem Ortsvorsitzenden dazu einfiel. Am Montag konnte dann jedermann über das Desaster der Sozis in der Regionalzeitung lesen: Partei ohne Gesicht! Wer kennt den Vorsitzenden der Opposition? Gemeinerweise war im Text dann auch noch ausgeführt, dass dies nicht so schlimm sei, weil die Sozis ja gute Chancen hätten, bald überhaupt keine Rolle mehr zu spielen, jedenfalls nicht in Dingharting.

Mit sich und der Welt zufrieden spazierte der Bürgermeister durch sein Dingharting, hob grüssend die Hand und lüpfte den Hut, grad so, wie es sich auf dem Lande gehörte. Keine Frage, im Gemeinderat würde seine Partei wieder die stärkste werden und er selbst, auch daran hegte er keinerlei Zweifel, mit überwältigender Mehrheit erneut zum Bürgermeister gewählt werden. Da traf ihn, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, unvermittelt eine Nachricht. 

Der Bürgermeisterkandidat der Freien, immerhin der Sohn eines angesehenen und alt eingesessener Landwirtes, gab im Bräu eine Veranstaltung. Der Saal ist brechend voll, berichtete man dem amtierenden Bürgermeister, und an Haufen Leut von uns san a dort!, war die niederschmetternde Ergänzung.

Zefix, zefix war des Bürgermeisters Kommentar hierzu. Soll i da eps übersehen haben?, fragte er sich. Ja weisst, erklärte ihm ein Freund, d’Leut sagen, du wärst ihnen zu selbstherrlich g’worden, nur noch ansprechbar für die Oberen, kein Ohr mehr für den Kleinen und da meinen sie, es könnt net schlecht sein, den Bürgermeister mal von den Freien zu wählen, vielleicht sogar noch a paar Gemeinderäte von den Freien dazu g’wählt, des könnt ganz guat sei  für Diungharting.

Das war also der Dank dafür, dass er sich seit Jahren für Dingharting den A…. aufriss. Aber da hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ihr werd’s mi no kenna lerna!, sagte er und beschloss sofort Gegenmassnahmen einzuleiten. Was willst machen?, fragte ein enger Freund. Ward’s ab, antwortete der Bürgermeister und klopfte dem Freund auf die Schulter, des mach ma, wie immer bei uns in Bayern. Für was hat ma denn seine Spezl?

Und so kam es, dass der Bürgermeister ganz rührig und umsichtig, wie es schien, Leute zu Hause aufsuchte oder sie in seine Amtsstube bestellte. Erstaunlich war auch, dass Freunde des Bürgermeisters just genau das gleiche taten. Und zu diesen Freunden zählten honorige Bürger. Es drang nicht durch, was da im Einzelnen so gesprochen wurde, denn die Beteiligten behielten es für sich. Ja selbst die Frauen wussten nicht, was ihre Männer umtrieb und manchmal war es auch umgekehrt.

Freilich fiel allen auf, dass in diesem Jahr die Zusammenkunft der Partei des Bürgermeisters am Aschermittwoch so gut besucht war, wie schon lange nicht mehr. Sie fand nicht im Bräu statt, wie überhaupt der Bräu seit jener denkwürdigen Versammlung der Freien, plötzlich weniger Gäste zählte als zuvor. Böse Zungen behaupten, dies habe etwas zu tun mit des Bürgermeisters und dessen Freundes Aktivitäten. Aber Beweise gab es hierfür nicht. Gerüchte halt.

Im engsten Kreis seiner besten Freunde indessen schmiedete der Bürgermeister seine Eisen, die er im Feuer hatte. Macht’s euch keine Gedanken, sagte er, mia g’winna, so wie mia immer g’wunna ham! Beifälliges Gemurmel und Schulterklopfen. Es ist halt schön, wenn man gute Freunde hat, dachte der Bürgermeister, die von jedem und allem etwas wissen. Es brauchte nur einen findigen Kopf, wie den seinen, der die Dinge so zusammen brachte, wie sie zusammen gehörten, dann waren sie wieder eins und die Wahl konnte kommen.

Fortsetzung folgt nach den Wahlen!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.03.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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