Peter Somma

Der Spieler

Da ich schon ein bisschen älter bin und mir längere Spaziergänge zusehends schwerer fallen, nehme ich gerne die Möglichkeiten wahr, die der Stadtpark unserer Stadt mir bietet, der sehr schön angelegt ist und in dem man schattige Plätze ebenso findet, wie Bänke, auf denen man den Sonnenschein genießen kann,

Dort verbringe ich gerne einen Großteil meiner Zeit und beobachte die Menschen, die sich dort aufhalten. Vor allem sind es junge Mütter, die in der Mittagszeit ihre Sprösslinge in Kinderwägen vor sich her führen, auf einer von der Sonne beschienenen Bank Platz nehmen, dort stricken oder an anderen Handarbeiten werken, während ihre Säuglinge in ihren Wägen friedlich vor sich hin schlummern. Mütter älterer Kindern lesen in einem Buch oder einer Zeitschrift, während die Jugend fangen spielt oder einem Ball nachläuft. Auf den sonnigen Bänken spielen ältere Männer und Frauen Karten, andere huldigen dem Schachspiel mit den Riesenfiguren, die dafür zur Verfügung stehen.

Natürlich finden sich unter den Gästen dieses freundlichen Ortes auch weniger angenehme Zeitgenossen, wie Sandler oder Säufer, die hier ihren Rausch ausschlafen, aber durch sie darf man sich eben nicht stören lassen.

Eines Tages traf ich dort einen Mann, der schon wegen seines Alters nicht in diese Gesellschaft passen wollte. Er war noch jung genug, um zu dieser Zeit, am frühen Nachmittag, einer Arbeit nachzugehen, denn ich schätzte ihn auf um die vierzig. Er war ordentlich gekleidet, wenngleich man seinem Anzug doch ansehen konnte, dass er schon bessere Zeiten gesehen haben musste. Trotz des etwas schäbigen Aussehens konnte man ihn nicht in die Kategorie Sandler einordnen, denn seine Art aufzutreten hatte etwas von einem gewissen, verblassten Selbstbewusstseins und er war auch nicht besoffen.

Aus irgendwelchen Gründen suchte er nicht eine der zahlreichen leeren Bänke auf, sondern nahm auf meiner Bank Platz. Nach einigen Minuten, während denen er in seinen Taschen herumgekramt hatte, schnorrte er mich um eine Zigarette an. Diese Tatsache machte mich ärgerlich, denn ich hasste es wenn mich wer anschnorrt und ich hätte das Weite gesucht, hätte er neben mir eine Zigarette angezündet, da ich leidenschaftlicher Nichtraucher bin. Ich erwartete, dass er nun wo anders sein Glück versuchen würde, aber er meinte nur „Macht nix“ und blieb auf der Bank sitzen, die ich für mich ausgewählt hatte.

Ich denke, es musste wohl einen Grund gegeben haben, weswegen er nicht eine leere Bank aufgesucht, und lieber neben mir Platz genommen hatte und es wunderte mich gar nicht, als er mich nach einiger Zeit ansprach. Denn oft ist es ja so, dass, wenn man etwas loswerden will, das einen belastet, man sich bei einem Wildfremden leichter ausspricht, und es war offensichtlich, dass auch er etwas auf dem Herzen hatte dessen er sich entledigen wollte.

Nachdem er einige Zeit so getan hatte, als ob er sich sonnen wollte, fing er dann tatsächlich ein Gespräch an: „Mein Aufzug,“ begann er seine Erzählung „es wird ihnen sicher schon aufgefallen sein, entspricht ja nicht gerade der letzten Mode, aber es gab Zeiten, da trug ich ganz andere Kleidung und wäre mit so einem abgetragenen Anzug nicht aus dem Haus gegangen.“ Ich reagierte nicht, auf das was er gesagt hatte, aber er ließ sich dadurch nicht entmutigen und fuhr in seiner Erzählung fort: „Es ist noch nicht so lange her, da arbeiteten zehn Leute für mich und mein kleiner Betrieb warf genug ab um mich und meine Familie zu ernähren.“

Er machte eine Pause, stützte seine Ellbogen auf den Knien auf und stierte nachdenklich vor sich hin. „Meine Familie, die hab ich auch verloren. Ich weiß nicht wo sich meine Frau und meine Kinder jetzt aufhalten. Und Schuld an allem war eine Geburtstagsfeier eines meiner liebsten Freunde.“ Wieder unterbrach er sich. „Ja, er war mein liebster Freund und doch ist er Schuld an dem ganzen Elend das über mich gekommen ist. Er wollte damals unbedingt noch ins Kasino fahren.“

Da unterbrach ich ihn und fragte: „Und dort haben sie dann kräftig verloren?“ „Aber nein, ganz im Gegenteil, wenn ich nur verloren hätte, dann wäre ich dort nie mehr hingegangen und hätte auch nie irgend wo anders gespielt; Hunderttausend Euro hab ich auf einen Schlag dort gewonnen!“

„Aber da haben Sie doch Glück gehabt“ entgegnete ich ihm. „Könnte man glauben“, sagte er „wenn es nur dabei geblieben wäre! Aber weil es so leicht gewesen war, diese Summe zu gewinnen war ich bald wieder dort. Und diesmal verlor ich. Die Hunderttausend waren bald verloren und ich wollte sie unbedingt wieder zurückbekommen.

Von nun an drehte sich alles in meinem Leben nur mehr um das Spiel. Ich entwarf Systeme, von denen ich glaubte, sicher gewinnen zu können. Dafür musste ich jedoch höhere Einsätze wagen, denn nur mit hohen Einsätzen glaubte ich, eine Chance zu haben, mein Geld zurück zu gewinnen. Aber je mehr ich einsetzte, desto mehr verlor ich.
Meine Frau wusste natürlich nichts davon und noch konnte ich den Verlust, vor ihr geheim halten.“

Eine Weile schwieg er und versuchte in seinen Taschen vergeblich doch noch eine Zigarette aufzufinden, bevor er fortsetzte. „Es wäre besser gewesen, mich mit dem nun einmal verlorenen Geld abzufinden und das Geld durch einen größeren Arbeitseifer hereinzubringen, aber ich versuchte mit aller Macht, wenigstens das verlorene Geld zurück zu gewinnen. Die noblen Kasinos hatten mich bald gesperrt und ich musste auf die windigen Kasinos, die es jetzt an allen Ecken und Enden gab ausweichen. Ich spielte was und wo ich nur konnte. Ich spielte Hunde- und Pferdewetten, ich spielte auf Spielausgänge von Fußballspielen, genau so wie auf solche von Baseballspielen, aber das Glück, das mich zuerst so freundlich angelacht hatte, wollte und wollte mich nicht mehr finden.

Zunächst verspielte ich nur das Geld, das ich bei irgendeiner Kundschaft kassiert hatte, aber sehr bald musste mein Firmenkonto dafür herhalten.

Von nun an ging es sehr schnell abwärts, denn mein Bankkonto schmolz dahin wie der Schnee im Frühjahr und irgendwann rief mich der Direktor meiner Hausbank zu sich und erklärte mir, dass ich keinen Kredit mehr bekäme.

Bald darauf musste ich Konkurs anmelden und meine Frau, die bisher nichts von meinem Laster wusste, wollte den Weg abwärts, der nun unausbleiblich war nicht mehr mit mir gehen, ließ sich scheiden und verließ mich und nahm unsere beiden Kinder mit. Sie zog zunächst zu ihren Eltern, aber wo sie jetzt verblieben ist, merke ich immer nur auf den Pfändungen, die nun so pünktlich bei mir eintrafen, wie ein Gehalt.

„Und wovon leben sie jetzt?“ fragte ich ihn.
„Ich nahm mir ein kleines Zimmer, in dem ich jetzt hause und weil ich als guter Fachmann gelte, fand ich bald eine Stellung in einer anderen Firma meines Faches. Aber bald langte dort die erste Pfändung ein und von dem Rest, der mir blieb, konnte ich meinen Unterhalt nicht aufrechterhalten, geschweige denn das Geld zum Spielen aufbringen. Deshalb verließ ich diesen sicheren Posten und arbeite seither nur mehr schwarz.

Manches Mal habe ich Arbeit für ein paar Wochen, dann bin ich wieder lange Zeit ohne Arbeit. Oft reicht das Geld kaum für das Nötigste, aber lieber verzichte ich auf Essen und Trinken und ich verwende alles was möglich ist für das Spiel, denn immer noch hoffe ich, das Verlorene zurück zu gewinnen und spiele da und dort, denn ich bin dieser Leidenschaft, dieser Sucht restlos verfallen.“

Eine Weile, in der er wieder, mit auf seinen Knien aufgestützten Armen da gesessen war und vor sich hingestarrt hatte, sagte er: „Wenn ich nur damals diese Summe nicht gewonnen hätte! Wenn ich nur mit diesem teuflischen Laster aufhören könnte!“

Als ich so meinem Sitznachbar dasitzen sah, war ich froh, nie einen ansehnlichen Betrag gewonnen zu haben. Zwar spielte ich ein wenig in der Lotterie, aber mehr als einen Dreier oder einen Vierer hatte ich noch nie gewonnen.

Nachdem mein Nachbar ausgesprochen hatte, es war schon recht spät am Nachmittag, bemerkte ich an ihm eine seltsame Nervosität. Immer wieder rutschte er auf der Bank hin und her und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Schließlich stand er mit einem Ruck auf und sagte: “Ich muss gehen, es ist fünf Uhr, ich habe noch einen Fünfziger und das Kasino, hier in der Nähe öffnet bald, vielleicht lacht mir ja heute das Glück.“

Ich hätte zu gerne gewusst, was aus diesem Mann geworden ist, aber ich bin ihm danach nie mehr begegnet.