Hella Schümann

Meine Schwester

Was meine Mutter angerichtet hat zwischen uns, wurde mir erst bewusst, als ich 65 Jahre alt war. Sie hat einen boshaften Stachel in die Haut meiner Schwester gesetzt. Bis an ihr Lebensende behauptete sie, ich wäre eifersüchtig auf die Kleine. Als meine Mutter mit 69 Jahren starb, war ich 44 Jahre alt und schon lange nicht mehr eifersüchtig, auf niemanden, warum auch? Als Kind war ich es natürlich, aber das war auch kein Wunder, sie bekam eine Banane, ich nicht. Sie durfte meine gut gehüteten Leckereien vom Knusperhäuschen klauen und meine Eltern lachten darüber, wenn ich mich beschwerte. Sie bekam extra Taschengeld, wenn sie alles ausgegeben hatte, aber ich konnte mein Geld gut einteilen und das kam mir im späteren Leben zu gute, doch als Kind versteht man das nicht. Wie man sich denken kann, gab es noch andere viele kleine und große Sachen, die mich eifersüchtig machten. Meine Eltern waren einfach ungerecht.
Als ich dann mit 19 Jahren das Elternhaus verließ, vergaß ich meine Schwester eine Weile. Die Eifersucht gab es nicht mehr, denn jeder von uns beiden hatte nun sein eigenes Leben zu meistern und es war für uns beide nicht leicht. Ich lernte einen Beruf, während sie erst lange Zeit herumruderte, eine Ausbildung abbrach und schließlich Sozialarbeiterin wurde. In dem Beruf arbeitete sie nur kurze Zeit. Ich wusste sofort, dass das nicht der richtige Beruf für sie war. Sie machte Abitur, während ich mit der mittleren Reife abging, nachdem die Lehrer und ich uns das Leben gegenseitig schwer gemacht hatten.
Ich fing an, meine Schwester zu lieben. Das ist doch ganz normal, oder? Wofür sollte ich sie hassen? Jeder von uns versuchte sein Leben zu meistern. Ich sah, dass meine Schwester wie ich musische Talente hatte, sie spielte Altflöte, sie ging in eine Tanzgruppe und sie konnte toll zeichnen. Ich war so stolz auf sie. Als ich im Theater ihrem Tanz zusah, sagte ich zu meiner Nachbarin im Parkett: "Dahinten in rot das ist meine Schwester." Sie war eine der ältesten Tänzerinnen (50 J.) und es fiel überhaupt nicht auf. Da ich künstlerisch vieles mache, auch öffentlich, hatte ich immer die Hoffnung gehabt, dass wenigstens meine Schwester mal zu meinen Auftritten käme. Ich musste sie fast hinschubsen und von mindestens 10 meiner Auftritte hat sie 2 besucht. Ich habe eigene Geschichten vorgelesen, gesungen und Ausstellungen von meinen Fotos gehabt, meine Familie war immer schon desinteresiert.
Meine Schwester hat nicht einmal Achtung vor mir, wie man es vor jedem Menschen haben sollte, das ist auch ein Erbe meiner Mutter. Meine Schwester ließ ihren Welpen auf meinen neuen Teppich pieseln und lachte darüber. Da ich eine sehr gute Stimme habe, dachte ich, ich würde der Familie eine Freude machen ( alle spielen ein Instrument), wenn ich Weihnachten die Arie „Panis angelicus“ singe, mit Musikbegleitung. Dieses Lied habe ich jahrelang für meine Kollegen im Rathaus gesungen und sie waren so begeistert, dass ich auch nach dem Renteneinstieg immer wieder singen sollte. Von meiner Schwester und Familie  kam keine Reaktion. Ich war bei ihr eingeladen und als ich nach Hause wollte, damit ihre Familie noch ein bisschen Zeit für sich hatte, wollte sie, dass ich noch bleibe. Kurz darauf ging sie einfach ohne Kommentar aus dem Zimmer und ließ mich allein und das am Weihnachtsabend. Erst dachte ich, sie wäre auf die Toilette gegangen, dann fand ich sie schließlich mit der übrigen Familie im Zimmer meiner Nichte. Es sah so aus, als hätten sie mich einfach vergessen.
Da war auch noch die Geschichte von meiner Einweisung ins Krankenhaus. Ich war beim Kardiologen und ganz plötzlich sollte ich ins Krankenhaus, mit der Liege wurde ich einfach weitergereicht. Meine Nachbarin, die mir bei Notfällen immer hilft (meine Schwester frage ich erst gar nicht, weil ihr sonst die Ausreden ausgehen) war nicht zu erreichen, so musste ich doch meine Schwester bitten, mir meine notwendigen Sachen aus meiner Wohnung zu bringen. Sie tat es dann auch mit dem Hinweis, dass sie eigentlich keine Zeit hätte, weil sie morgen in Urlaub führe. 4 Wochen später, sie war schon lange wieder zu Hause, rief ich sie an. Sie fragte nicht was ich gehabt hätte und wie es mir ging, nein, ich beantwortete ihr die nicht gestellten Fragen: Ich hatte nämlich eine Lungenembolie, daran sind schon viele Menschen gestorben.
Es gibt noch einige solcher Geschichten, manche habe ich vergessen, weil es sich nicht lohnt über die Machenschaften meiner Schwester länger nachzudenken.
Anders herum war es so: Als meine Schwester im Theater tanzte, sagte ich ihr, dass es mir richtig gut gefallen hätte. Sie glaubte es nicht. Eines Tages kam ich unten an einen Hügel und oben stand eine bildhübsche Gestalt. Das rote Haar leuchtete in der Sonne und sie hatte eine tolle Figur. Als ich näher kam, erkannte ich meine Schwester. Ich sagte ihr, was ich gedacht hatte und sie glaubte es nicht.
Sie nimmt mir immer noch übel, das sich als 10-jährige zu ihr gesagt habe, sie hätte ein Gesicht wie ein Fußball. Das ist wirklich wahr, es kommt von einem Foto auf dem sie einen Ball vor sich trug und ich sah, dass ihr Kopf die gleiche Form hatte. Das war nur bildlich gemeint, ich zerstörte aber mit dem Satz ihr ganzes Leben. Darum trug sie ihre langen Haare immer wie einen Vorhang vor dem Gesicht. Ich habe sie oft gefragt, warum sie ihr hübsches Gesicht so versteckt. Sie wollte mir nicht glauben, dass ich ihr Gesicht hübsch fand.
Es gibt auch ein vorläufiges Ende der Geschichte. Nachdem ich versucht habe, meiner Schwester zu erklären, wie sie mich behandelt, nämlich so, wie meine Mutter es mir angetan hat, und meine Schwester alles abstritt, habe ich sie aus meinem Leben geworfen. Ich fühle mich gut damit.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.04.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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