Peter Somma

Neue Arbeitswelten

Ich hatte das Handwerk des Schlossers und Kunstschmiedes erlernt und in dem Betrieb, in dem ich ausgebildet worden war, wurden neben der Herstellung von Türen, Zargen und anderer wichtiger Bauteile auch kunstvolle Tore und Grabkreuze erzeugt. Da mein Lehrherr sehr bald mein zeichnerisches Können erkannt hatte, beauftragte er mich oft mit der Herstellung von Skizzen für schmiedeeiserne Arbeiten.

Ich übertrug dann die Zeichnungen in die richtige Größe, brachte die einzelnen Teile aus glühendem Eisen mit dem Hammer und anderen Werkzeugen in die entsprechende Form und setzte diese dann zu kleinen Kunstwerken zusammen. Das war eine Arbeit, die mir Spaß machte, für die ich viel Lob einheimste und auf die ich stolz war. Nachdem ich mich in diesem Betrieb wohl fühlte, war es kein Wunder, dass ich nun schon das fünfzehnte Jahr in diesem Betrieb arbeitete.

In jüngster Zeit hatten ähnliche Betriebe CAD/CAM[1]-Geräte angeschafft, die die Arbeit, mit einem Mausklick auf einen Bildschirm zauberten, diese Zeichnungen, auf einen Plotter oder andere Geräte übertrugen, die die einzelnen Formen dann aus dickem Aluminium oder anderen Materialien ausschnitten, die ich bisher mit großem Aufwand mit meinen Hände gezeichnet und später vergrößert auf ein Stück Eisen gezeichnet hatte. Man musste dann die Teile nur mehr in die richtige Form biegen und mit Blindnieten aneinanderfügen. Aber diese Geräte konnten noch viel mehr. Sie zeichneten Türen und Fenster, schnitten dann diese Teile im Ganzen auf einem Gerät zu, bogen sie zurecht, sodass sie nicht einmal mehr verschweißt werden mussten.

Mein Chef war überzeugt gewesen, dass ein gut ausgebildeter Arbeiter eine solche Arbeit genauer ausführen konnte, als das irgendein moderner Apparat könnte und hatte es stets abgelehnt, solche Geräte anzuschaffen. Aber nun blieben deshalb die kunstvollen Arbeiten, die ich liebte, mehr und mehr aus, denn die Kunden schauten auf den Preis und es störte sie auch nicht, wenn bei vielen Toren stets dieselben Ornamente, die in den Computern gespeichert waren, zu sehen waren. So musste ich mehr und mehr Aufgaben als Portalschlosser erledigen, aber auch hier blieben immer mehr Aufträge aus, denn auch diese Tätigkeiten erledigten die Computer leichter, schneller und billiger.

Es war dann ein kalter, klarer Winterabend gewesen, als mich mein Chef zu sich gerufen und mir erklärt hatte, dass in letzter Zeit die Aufträge ausgeblieben wären und dass er nun keine Arbeit mehr für mich habe. Er hatte mich zwar damit getröstet, dass er mich als guten Arbeiter schätzte, mich gerne wieder einstellte, sobald das Geschäft wieder angezogen haben werde, was mich zwar ein wenig beruhigt hatte, aber dann hatte der Brief mit dem er mir mitgeteilt hätte, dass er mich nun wieder brauchte und er mich gerne wieder einstelle, auf sich warten lassen.

Eigentlich hatte ich damals schon geahnt, dass das Ende des Betriebes nahe war, dass dieser Betrieb neben den gut Eingerichteten nicht werde bestehen können und ich dort nie mehr würde Arbeit finden können und tatsächlich musste ich bald darauf erfahren, dass meine Firma Konkurs hatte anmelden müssen, dass also keine Hoffnung mehr bestand, dort wieder eingestellt zu werden.

Das hatte mich hart getroffen, hatte nicht gerade zu meinem Wohlbehagen beigetragen, aber ich gab die Hoffnung nicht auf, denn ich war zweiundvierzig, hatte meine Gesellenprüfung mit sehr gutem Erfolg abgelegt und hatte langjährige Erfahrung in meinem Beruf. Warum sollte gerade ich nicht wieder eine Anstellung finden?

Deshalb fand ich mich schon am nächsten Tag im Arbeitsamt ein, bekam drei Adressen von Metall verarbeitenden Betrieben und besuchte sofort einen der Betriebe, sicher mit meinen Befähigungen, dort aufgenommen zu werden. Der Chef, ein vierschrötiger Mann, empfing mich eher mürrisch, las in meinen Dokumenten und meinte nur:“ So, so zwaravierzig san se scho, i fircht da sans schon zu alt für unsern Betrieb.“

Ich glaubte nicht richtig verstanden zu haben: Zu alt sollte ich sein mit meinen zweiundvierzig Jahren! Noch schleppte ich jeden Betonsack, noch war mir kein Klettersteig zu schwer, und jetzt sollte ich zu alt sein, um ein paar Eisenteile herumzuschleppen, am Schleifstock zu stehen und Eisenteile zurecht zu feilen, um Eisenblech in die richtige Form zu bringen?“

An diesem Tag kam ich bedrückt und verbittert nach Hause zurück, ging ins Gasthaus und ließ mich richtig vollaufen.

Ich hatte immer gerne gearbeitet, hatte nie auf der faulen Haut liegen wollen, und deshalb fühlte ich mich nun in meiner neuen Rolle, die ich nicht gewohnt war, gar nicht wohl. In der ersten Woche meines Daheimseins hatte ich mich in meiner Wohnung verkrochen, hatte mich geschämt, wochentags durch die Stadt zu gehen, hatte gefürchtet, jemandem zu begegnen, der mir Fragen hätte stellen können, auf die ich hätte antworten müssen, dass ich ohne Arbeit sei. Deshalb war ich lieber in meiner Wohnung geblieben und hatte meiner Frau bei der Hausarbeit geholfen und nur langsam hatte ich mich daran gewöhnt wegzugehen, hatte für meine Frau Besorgungen erledigt und meine Kinder von der Schule abgeholt.

In dieser Zeit hatte ich gemerkt wie sehr geregelte Arbeit den ganzen Tag strukturierte und wie wertvoll Freizeit war, wenn man sie sich durch ehrliche Arbeit verdient hatte, merkte wie sehr das Fehlen des gewohnten Einkommens ein großes Loch in meine Brieftasche riss, wie sehr der fehlende Verdienst mich und meine Familie immer mehr und mehr einschränkte. Dem Speisezettel fehlte die Vielfalt, Gewand, das eigentlich aussortiert werden sollte, musste weiter getragen werden und selbst kleine Geräte des Haushalts, die nicht mehr funktionierten, konnten nicht ersetzt werden.

Da ich als guter Handwerker geschätzt war, wurden immer wieder an mich Bitten herangetragen, kleinere Reparaturen in der Nachbarschaft zu erledigen, die ein wenig Geld ins Haus brachten. Aber auch wenn diese Arbeiten meine finanzielle Situation ein wenig erleichterten, konnten sie dennoch die Enge des Haushaltsbudgets nicht wirklich verbessern, gaben mir auch nicht das Gefühl etwas geleistet zu haben und ich empfand keine rechte Freude dabei, denn diese Tätigkeiten füllten mich nicht wirklich aus.

Nachdem es mir bei den anderen Betrieben, die ich aufsuchte, auch nicht besser gegangen war, und ich wegen meines Alters abgewiesen worden war, schlug mir das Arbeitsamt schließlich vor, ich sollte einen Computerkurs, der auf meine Branche zugeschnitten war, aufsuchen, um meine Qualifikation zu verbessern. Ich war zwar in meinem alten Betrieb bei meiner Arbeit auch ohne Computer recht gut zurecht gekommen, aber ich war bereit es zu versuchen. So schwer konnte das ja auch nicht sein, wenn man ein wenig Maschine schreiben konnte, konnte das wohl auch keine Hexerei sein.

Schon am ersten Tag, an dem ich den Kurs besuchte, bemerkte ich, dass ich einer der Ältesten unter den vielen Jungen Leuten war, die ihn besuchten. Zwar folgte ich den Anweisungen des Vortragenden aufmerksam, aber trotzdem blieb es nicht aus, dass ich irgendwann auf eine falsche Taste drückte. Verwirrt versuchte ich meinen Fehler gut zumachen, indem ich eine andere Taste drückte. Aber plötzlich fand ich mich auf einer ganz anderen Seite und musste einen jüngeren Kollegen bitten, mir aus der Patsche zu helfen. Der druckte nur irgendwo da und dort herum und der Fehler war behoben.

Langsam erkannte ich, was damit gemeint war, dass ich zu alt sei für meine Arbeit: Nicht Kraft war jetzt gefordert, sondern Hirnschmalz. Ich kam mir richtig dumm dabei vor, wenn ich mich von den Jüngeren belehren lassen musste, wenn ich sah, wie die Jungen mit dem, mir so fremden Gerät umgingen, als wären sie schon von klein auf damit aufgewachsen.

Mit Mühe beendete ich diesen Kurs und als ich das erste Mal in einem Betrieb meine Kenntnisse anwenden sollte, ratlos auf die Tasten drückte, blieb mir nichts anderes übrig, als einen jüngeren Kollegen um Hilfe zu bitten. War ich es früher, zu dem die Lehrlinge um Rat kamen, musste ich mich nun von den jungen Lümmeln oft zum Besten halten lassen, wenn ich etwas falsch gemacht hatte, es nicht sofort kapiert hatte.

Mein Chef brachte nicht die Geduld auf, mir die nötige Zeit zur Einarbeitung zu lassen, erwartete sich von mir, dass ich mit dem Gerät so selbstverständlich umgehen konnte, wie meine jüngeren Kollegen und kündigte mir.

Oft musste ich nun den Arbeitsplatz wechseln. War früher meine Qualifikation gut genug um Vorarbeiter zu sein, musste ich mich jetzt zufrieden geben, wenn mich jemand als Hilfsarbeiter einstellte. Das kränkte mich, denn noch bis knapp vor einem Jahr hatte ich den anderen vorgezeigt wie die Arbeit gemacht werden musste und andere hatten zu mir aufgesehen.

Plötzlich fühlte ich mich wirklich alt. Die Arbeit auf diesem neuen Gerät fiel mir nicht leicht. Und obwohl das nichts mit meiner körperlichen Konstitution zu tun hatte, fühlte ich mich jetzt schwach und alt, ich fand, wenn ich schwere Lasten trug, dass mir das früher leichter gefallen war. Und wenn ich mit dem Rad meine Touren machte, kam ich jetzt immer saumüde nach Hause und meine Beine konnten mich kaum mehr tragen.

Ich ließ mich fallen, kam immer öfter zu spät zur Arbeit, trank in den Arbeitspausen Bier, was ich früher nie getan hatte und ich machte die Arbeit lustlos und nachlässig, denn sie machte mir keine rechte Freude. Dadurch verlor ich meinen guten Ruf als Arbeiter und bald wollte mich kein Arbeitgeber mehr einstellen.

Ich musste deshalb häufig meinen Arbeitsplatz wechseln. In den Pausen zwischen zwei Anstellungen, die immer länger wurden, verbrachte ich viele Wochen zu Hause und begann mich an den Müßiggang zu gewöhnen. War mir früher nicht wohl, wenn ich nichts zu tun hatte und war ich früher, selbst wenn ich keine Arbeit hatte schon um sieben Uhr aufgestanden, hatte ich es mir jetzt angewöhnt am Morgen länger im Bett zu bleiben.

Hatte ich früher meiner Frau bei der Arbeit beigestanden, drückte ich mich jetzt, so gut es ging von jeder Mithilfe im Haushalt, verließ oft schon am Vormittag das Haus, kehrte in einem Gasthaus ein, wo ich nicht selten bis Mittag blieb, lag dann oft nutzlos nachmittags am Sofa herum und schlief meinen Rausch aus.

Alles lief darauf hinaus, dass mein Leben, das bisher in geordneten Bahnen verlaufen war, den Bach hinunter ging.

Unter meiner Sauferei und dem Fehlen des Geldes litten auch meine Familie und meine Ehe. Meine Frau fühlte sich von mir vernachlässigt und weil sie sich nicht daran gewöhnen wollte, wie ich mich jetzt aufführte, gab es immer mehr Streit zwischen uns und gerade dieser trieb mich von neuem aus dem Haus.

Zusehends litt nun auch meine Familie, dass ich jeden Stolz verloren hatte und mich gehen ließ. Das wollte meine Frau nicht länger ertragen und reichte die Scheidung ein.

Einige Monate unverschuldeter Arbeitslosigkeit hatten mich aus der Bahn geworfen. Weil mein handwerkliches Können plötzlich nichts mehr wert war, war aus einem fleißigen Arbeiter ein Nichtsnutz geworden und der plötzliche Wandel meiner Arbeitswelt hatte nicht nur mich zu einem Taugenichts gemacht, sondern auch meine Familie mit in den Abgrund gerissen.






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[1] Computer aided manufacturing technologies


Heute kommt praktisch kein Gewerbe ohne Computer aus. Die wohl größte Umwälzung durch den Computer gab es im Schildermalergewerbe. Musste früher eine Tafel mühsam auf Papier gezeichnet werden, mit Pausrad oder Stupfnadel durchlöchert werden, (so ähnlich wie ein Svhnittmuster), mit dem Pausbeutel auf die Tafel übertragen werden und dann mit dem Schreibpinsel mit der Hand geschrieben werden, wird heute das Schild auf einem Computer gestaltet, das Ergebnis auf einen Tintenstrahldrucker übertragen, der das fertige Produkt in einigen Minuten fertigtPeter Somma, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.04.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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