Chiara Fabiano

Erste Eindrücke - First Impressions

Eine Szene, aus Teil Eins
Als ich mit schweren Schritten den langen Flur, der netten Madame entlang ging, die mich so freundlich einlud, vernahm ich einen besonderen Geruch, der meine Nase äußerst entzückte. Eine Beschreibung dieses Geruches würde mir mit vollkommener Sicherheit nicht gelingen, da er für jeden anders duften würde. Für die Einen wäre es der Duft ihres bevorstehenden Schicksals, für die Anderen jedoch die reinste Obszönität. Für mich war es wie eine Vorahnung. Als hätte ich bereits in diesem Augenblick gewusst, dass Etwas oder Jemand der diesen Duft an sich trägt, entweder mein Schicksal, oder mein Verderben sein wird. Neugierig sah ich mich um und ließ meine zierlichen Hände die smaragdgrüne Tapete entglanggleiten. Wir kamen vorbei an alten Portraits, großen flackernden Kerzenständern und modrigen alten Bücherregalen. Von der ersten Sekunde, als ich dieses Haus betrat, fühlte ich den Zauber, der in diesen alten Gemäuern versteckt lag. Die Madame führte mich in einen Raum, der mit einem flackernden Kamin beleuchtet war. Ich spürte die eindringliche Wärme. Dieser Raum weckte mein Interesse. Es war, als wäre ich schon einmal hier gewesen. Als wäre ich schon öfters den rubinroten Samtbezug dieses Sessels mit meiner Hand entlanggegangen. Erstaunt ließ ich mich elegant in den Sessel gleiten. Die Madame stellte kunstvoll bemalte Porzellantassen auf den feinen Tisch und setzte sich mir gegenüber. Sie schien so wunderschön und makellos, doch ihre Augen tilgten eine Schuld. Ich wusste nicht, ob nur ich ihr das ansah, oder ob dies so offensichtlich war. Es stand mir nicht zu über sie zu urteilen. Eine Frau mit solch einer Güte, wie sie sie besaß, sollte nicht veruteilt werden. Ihr Mund, umrandet mit feinen Fältchen, zog sich zu einem lieben Lächeln.
"Nun, Christine", begann sie mit sanfter Stimme zu sprechen, "Wo kommst du her, Kind?".
Ich musste einen Augenblick überlegen. Wo kam ich her? Ein mittelloses Mädchen von 18 Jahren, unverheiratet und ohne Vergangenheit.
"Aus Hamphshire, Lady", antwortete ich schließlich. Madame sah mich mit weiten Augen an.
"England, nicht wahr?"
"Ja, so ist es"
"Aber deine Eltern waren..."
"Franzosen", unterbrach ich sie, "Sie gingen vor langer Zeit, noch in ihrer Jugend nach England. Doch mein Vater starb, als ich sechs Jahre alt war, und auch meine Mutter verließ mich vor einem Jahr. Sie war sehr krank. Schwindsucht. Ich habe gehofft, hier in Frankreich auf meine Großmutter zu treffen, doch diese verstarb vor zwei Jahren. Wahrscheinlich an altersschwäche. Niemand hinterließ mir etwas, oder bot mir eine Unterkunft. Ich bin weder verheiratet, noch in jederlei Hinsicht gebildet". Als wäre sie nicht sonderlich überrascht, nippte die Madame an ihrer Teetasse, und lächelte mich an.
"Nun, dann wollen wir doch mal sehen was wir aus dir machen, nicht?". Ich war völlig perplex über ihre Güte, sodass ich nur dankend nickte. Ihre Hände, gekleidet in weißen Samthandschuhen reichten mir eine Tasse Tee. Ein Moment der Stille folgte. Ich brauchte diesen zur Realisierung dieser surrealen Szene. Auf einmal hörte ich ein lautes Poltern, das die Treppe hinunter kam. Es störte mich nicht, und riss mich auch nicht aus meinen Gedanken. Schwere Schritte bewegten sich auf uns zu, und rissen die Türe auf. Mein Blick fiel auf einen jungen Mann, gekleidet in eine Rote Weste.
"Courfeyrac, wie schön, dass du eingetroffen bist. Das ist meine neue Schülerin Christine". Seine tiefbraunen Augen, musternten mich erstaunt, und als er liebevoll meine Hand nahm und sie küsste, fielen ihm seine dunklen Locken ins Gesicht.
"Ich bin sehr erfreut sie bei uns wilkommen zu heißen, Christine", sagte er mit solch einer sanften Stimme, dass ich wie eingenommen auf sie wirkte. Wie in Trance, erwiderte ich seine Begrüßung und senkte den Kopf. Als er mit schweren Schritten den Raum wieder verließ, drehte er noch einmal seinen Kopf, so dass seine braunen Augen, die meinigen genau trafen.
"Das ist mein Neffe, Courfeyrac. Du wirst ihn hier wahrscheinlich noch öfter sehen", lachte die Madame.
"Ja, er ist sehr... nett", antwortete ich immer noch in Trance. Wahrscheinlich wäre mir dieser junge Mann nicht im Gedächtnis verblieben, nein sogar aufgefallen, hätte er nicht genau den Duft an sich getragen, der entweder mein Schicksal oder mein Verderben bedeutete.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.04.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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