Torsten Jäger

Sandland

Endlich! Nach so langer Zeit Regen und Sturm, welche über das Land gezogen waren, lugte nun ein erster Sonnenstrahl hervor. Das schien wie ein göttliches Zeichen!
Es war Zeit, etwas Neues aufzubauen.
Helga, Pierre, Louis, Antonio, Emilie und Guy saßen da und beratschlagten darüber, wie das neue Gebilde aussehen sollte. Hier ein Turm, dort ein Tunnel, da eine verbindende Brücke.
Sie betraten die noch verwüstet und öd aussehende Welt innerhalb ihres neuen kleinen Reiches und nahmen Platz. Die ersten Versuche, Neues aufzubauen, begannen zaghaft. Doch mit fortrückender Stunde wurde alles routinierter und besser. Jeder nahm sich einen Teil seines Gebietes vor, begann zu grübeln, modellieren und zu verwerfen. Bis jeder schließlich seinen Plan im Kopf hatte und damit begann, alles zu formen. Die Bewohner sollten zunächst ein Dach über dem Kopf haben, sich gegen Eindringlinge wehren können und die Neuerbauer wollten zusammenstehen, damit eine Zerstörung, wie sie sie alle schon hatten erleben müssen, sich nicht wiederholen konnte.
Sie waren sich einig, dass ihre Länder zusammenwachsen sollten.
Die Sonne hatte den höchsten Stand erreicht, da waren ihre Bauwerke bereits imposant angewachsen.
Doch plötzlich kam jemand und ging zu Helgas Bauwerk.
„Ich würde diesen Turm noch etwas höher bauen.“. Schnell hatte sich ihr Onkel niedergelassen und Helga zur Seite geschoben.
„Siehst Du? - So würde ich das machen. Und wenn Du noch mehr Wasser benutzt, wird es besser halten.“
Helga kam nicht zu Wort, schon gesellte sich ein anderer Eindringling in die Runde. Antonios Vater.
„Hier, ich hab Dir eine Flagge mitgebracht. Die musst Du unbedingt in Deiner Burg hissen. Aber diesen Tunnel kannst Du nicht lassen, wo er ist. Der macht alles instabil. Du musst ihn zuschütten.“
„Aber dann ist ja alles geschlossen.“, sprach nun Helga und Antonio pflichtete ihr bei.
„Eine Burg muss sich vor Eindringlingen schützen.“
„Das ist ja mal wieder typisch Mann.“, sprach eine Frau.
„Sich nach außen hin abschotten, das geht doch nicht! Guy, das hast Du richtig gut gemacht! Du hast fünf Tunnel eingebaut, so können ganz viele Leute in Deine Burg kommen, um Handel zu betreiben.“ und es war ersichtlich, dass sie seine Mutter war.
„Pierre, hier schau mal. Da hab ich auch noch eine Flagge!“, sprach ein weiterer Mann, der herbei gelaufen kam. Er streckte ihm die tricolore entgegen, bat ihn, sie an seiner Burg zu befestigen.
„Aber wieso, Großvater? Wir wollen, dass das hier alles zusammen gehört. Es soll keine Grenzen geben!“, sprach schließlich Louis.
„Ah, ihr wollt hier ein gemeinschaftliches Land bauen? Das find ich toll!“, sprach Guys Mutter und klatschte in die Hände. „Was haltet ihr davon, wenn ihr alle dann auch ganz viele Tunnel in eure Burgen grabt, damit eure Bewohner von der einen in die andere Burg reisen können?“
„Ich weiß nicht, ob das so gut ist.“, sprach Helgas Onkel. „Ich wäre dafür, dass wir ein paar Mauern lassen. Das schadet nicht und trägt zur Stabilität bei.“
„Also wenn Sie mich fragen…“, begann Antonios Vater, „…sollten wir zumindest die Wände nach außen verschließen. Und untereinander mag es auch gut sein, ein paar der Tunnel zu schließen.“
„Du solltest aus diesem Turm einen noch viel größeren machen.“, begann schließlich Pierres Großvater zu brummen und beugte sich zu dem kleinen Turm an Pierres Burg. Er begann, fleißig umzugestalten. Antonios Vater blickte grimmig zur französischen Burg und wandte sich an seinen Sohn.
„Wenn Du hier noch ein wenig Sand aufschüttest, könntest Du auch so einen schönen großen Turm bauen.“
„Warum?“, fragte Antonio, sein Vater lächelte.
„Weil Deine Burg dann mehr Macht haben wird. Je mehr alles wächst, desto besser wird es.“
Er blickte zur französischen Burg und dem enthusiastisch bauenden, französischen Großvater, dann zu Helgas Onkel, der mit aller Innbrunst Helga umwarb, ihre Burg auch höher zu bauen.
Am Rande der Bauwerke wurde allmählich der Sand knapp, ein tiefer Graben entstand. Der Sandkasten eigentlich war riesengroß. Doch die anderen Kinder, die noch in der Nachbarschaft ihre kleinen Sandkuchen backten und Burgen bauten, schauten traurig, denn ihnen fehlte der Sand und auch der Platz. Sie konnten schließlich nur noch sehr kleine Kuchen backen.
„Warum machst Du das?“, fragte schließlich Guy seine Mutter und diese presste nur das Wörtchen „Gleichberechtigung“ durch die Zähne, während sie versuchte, den Turm an der Burg ihres Sohnes auch immer weiter wachsen zu lassen.
Die sechs Freunde blickten sich frustriert an. Irgendwie hatten sie sich das so nicht vorgestellt und sie sahen, wie ihre Burgen wuchsen, während die anderen Kinder rundherum traurig und sandarm da saßen, weinten, weggingen.
„Ihr seid Spielverderber!“, platzte es aus Helga heraus und die anderen fünf Freunde blickten bestätigend zu den Erwachsenen, die verbohrt daran arbeiteten, dass ihre Burgen immer weiter wuchsen. Man hatte den Kindern einfach ihre Idee weggenommen und man hatte einen Wettkampf daraus gemacht. Zugleich begann dann auch Guys Mutter damit, aufs Land der französischen Burg zu bauen, während der französische Großvater dem italienischen Land etwas abluchste. War das vielleicht doch noch die Chance des Zusammenwachsens? Nein!
Plötzlich kam das gesamte Gebilde auf einer Seite ins Rutschen, der Graben rund um die Burgen war einfach zu tief geworden, das Gefälle zwischen jenen Sandkörnern oben und jenen unten war zu gewaltig. Die Türme waren zu hoch gewachsen und mit einem Rutsch krachte die Hälfte der Burgen zusammen, wobei auch Teile der anderen Burgen beschädigt wurden, da ja alle inzwischen irgendwie zusammen hingen und sich doch nur mit Rivalitäten aufhielten. Die sechs Kinder saßen traurig da und blickten zu den Erwachsenen, deren Gesichter sich wieder von der Verbissenheit entledigten.
„Ist nicht so schlimm, ihr könnt es morgen ja wieder aufbauen!“
„Ihr seid doof!“, rief Helga und die anderen fünf schlossen sich dem Protest an.
„Das ist nicht das selbe!“, brüllte Antonio und sein Vater lächelte.
„Ach was, das ist halb so wild! Das kommt halt mal vor. Das war doch nur eine Sandburg, die geht halt mal kaputt.“
„Aber nicht diese!“, sprach Emilie. „Und ihr seid schuld! Ihr habt die Sandkörner niemals gefragt, ob sie überhaupt so zusammenwachsen wollen, wie ihr es wollt!“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.04.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Seinen wohlverdienten Urlaub hat sich Kommissar Heinz Kelchbrunner anders vorgestellt: Erst stößt er beim Graben in seinem Garten auf menschliche Gebeine, dann beschäftigt ihn ein weitaus aktuellerer Todesfall in seiner freien Zeit: Anna Einarsdóttír wird beim Spaziergang von einem Ast erschlagen – und das ist, wie sich herausstellt, nicht dem stürmischen Wetter geschuldet. Kelchbrunner und seine Kollegin Katharina Juvanic nehmen die Ermittlungen auf. Die Spur führt schließlich nach Island, die Heimat der Toten, und zum geplanten Bau eines Staudammes, der eine wertvolle Naturfläche akut gefährdet. Dass Kelchbrunner von oberster Stelle dorthin beordert wird, um weitere Nachforschungen anzustellen, kommt dem umweltbewussten Kommissar gerade recht. Vielleicht gelingt es ihm, nicht nur Licht ins Dunkel zu bringen, sondern gleichzeitig seine eigenen Schlafstörungen und einen schmerzhaften Verlust zu überwinden. Kaum in Island angekommen, muss er sich jedoch gleich mit störrischen Behörden und verstockten bis feindseligen Einheimischen auseinandersetzen. Es scheint, als sei niemandem hier an der Auflösung des Falles gelegen …

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