Irene Beddies

Wendel: Hexentanz




Die Nacht war dunkel und unheimlich. Der Wind heulte und riss Blätter von den Bäumen.
Das kleine Gespenst machte sich auf den Weg in den Wald zur Eule.
Der Wald schüttelte seine Zweige im Wind. Das Brausen klang wie eine dumpfe Musik. Ab und zu knackten Äste oder knarrten, wenn sie sich aneinander rieben.
„Das ist das reinste Konzert“, begrüßte die Eule unseren kleinen Freund. „Ich lausche schon den ganzen Abend den Geräuschen.“
„Und was erzählt dir der Wald? Du verstehst doch sicherlich seine Sprache.“
„Nein“, erwiderte die Eule, „ich kann nicht verstehen, was der Wald sagt, aber ich kann aus den Geräuschen heraushören, dass morgen herrliches Wetter wird, wenn der Wind gegen Mittag aufhört. Da gibt es reichlich Beute für mich.“
Plötzlich hörten sie in all dem Waldesrauschen Gelächter. War das der Wind mit einem neuen Ton? Oder war jemand im Wald?
Nicht weit vom Nest der Eule entdeckten sie den Schimmer der roten Laterne. Unter einer dicken Eiche tanzte die Hexe ganz allein. Sie sprang im Kreis herum mit ausgebreiteten Armen. Ihre Röcke flogen um sie herum. Sie drehte sich schneller und schneller und lachte dabei aus vollem Herzen.
Als sie einen Augenblick stehen blieb, um Atem zu holen, fragte Wendel: „Warum tanzt du hier ganz allein im Wind?“
„Da bist du ja wieder. Kannst du noch den Zauberspruch?“
„O ja, den kann ich nicht nur auswendig, ich habe auch die Armbewegung herausgefunden, mit der ich mich schwarz zaubern kann“, erklärte er stolz.
„Dann mach mir das mal vor“, forderte die Hexe.
„Heute geht das leider nicht, denn ich brauche Mondschein, damit es klappt.“
„Aha. – Komm tanz mit mir. Jetzt sind wir zwei Hexenwesen.“
„Ich bin ein Gespenst und keine Hexe“, empörte sich unser Freund, „ich kann niemand anderen verzaubern.“
„Ich auch nicht“, gab die Hexe kleinlaut zu, „das habe ich noch nicht gelernt. Ich kann nur Gegenstände und mich selbst verzaubern, aber keine Menschen oder Tiere. – Nun komm endlich und tanz mit mir.“
Das ließ sich das kleine Gespenst nicht noch einmal sagen. Es tanzte mit der Hexe im  Lampenschein. Der Eule wurde ganz schwindelig vom Zuschauen.
„Warum tanzt du heute in unserem Wald?“ fragte Wendel noch einmal in einer Pause.
„Ich bin so glücklich, so glücklich“, antwortete die Hexe. „Ich habe heute eine schwierige Aufgabe gelöst, die ich seit fast einem Jahr immer wieder versucht habe. Da kann man doch einfach nur tanzen, findest du nicht auch?“
„Klar, ich tanze auch immer, wenn ich mich freue.“
Wendel drehte sich noch einmal im Kreis mit der Hexe, dann aber musste er sich schleunigst auf den Weg nach Hause machen.


© I. Beddies

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.05.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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