Michael Reißig

Fit wie ein Paar Turnschuhe

 

 
 

                                                                                    

                                                                                                                                                                                                                                    

„Warum holt uns denn keiner von diesem blöden Mast?“, röhrt der verzweifelte Turnschuh wie ein aufgekratzter Rothirsch, der sich bei der Suche nach einem liebestollen Weib abgöttisch die Hörner abgestoßen hat.
„Woher soll ich das wissen! Ich bin doch kein Alien!", antwortet sein Getreuer total aufgedreht.

Seit einigen Tagen tänzeln diese beiden Unzertrennlichen, die lediglich die Schnürsenkel noch zusammenhalten, schon an jenem Peitschenmast, an dem die vor Ehrfurcht leuchtende Ampel tagtäglich die Menschen entzückt. Die Mehrheit der heranrollenden Autofahrer haben den beiden ein freundliches Lächeln geschenkt, andere hingegen die alten Phrasen über die „Jugend von heute“, bei der sowieso aller Hopfen und Malz verloren ist, gedroschen. Verwunderlich ist aber schon, dass noch nicht mal den in adrettem Grün gekleideten Damen und Herren der stets in Take it easy-Manier agierenden Freund- und Helfertruppe in den Sinn gekommen ist, jenes, aus dem fränkischen Herzogenauchach stammende, unsäglich leidende Liebespaar, einfach mal herunterzuholen und es in die Obhut eines Fundbüros zu geben. Aber Schwamm drüber. Es kann doch schließlich nicht jeder genauso fit wie diese zwei Turnschuhe sein! So bleibt dem seiner Funktion und seiner Freiheit beraubten Paar nichts anderes übrig, als auf einen mitleidsvollen Menschen zu warten, deren ausgelatschte Turnschuhe das einzig zählbare Vermögen sind, was er noch besitzt.Doch passiert ist noch nichts. Und so verrinnen Tage und Nächte stets im selben Trott. Plötzlich jedoch, braut sich – wie von Geisterhand gesteuert – dunkles Ungemach am mittäglichen Himmel zusammen. Es hat den Anschein, als würde sich der warme, sonnige Frühling in ferne Welten verziehen. Stürmische Winde, begleitet von ordentlichen Regengüssen, nehmen alles mit, was hirnlos erscheinende Zeitgenossen mal so ganz nebenbei den Selbstreinigungskräften von Mutter Natur überlassen haben. Ein junger Mann in dünner Sommerjacke, durchnässt bis unter die Haut, ist flink wie ein Wiesel, um möglichst schnell unter dem schützenden Dach seiner Stammkneipe sein frisches Bier zu genießen. Auf dem Weg dorthin, passiert er jenen diversen Verkehrsknotenpunkt. So ist es wahrlich nicht verwunderlich, dass die traumhaft schönen türkisblauen Augen des gutaussehenden, Teenagers, deren Markenzeichen seine schlanke, sportliche Figur und sein Mädchenblicke auf sich ziehender, knackiger Po sind, natürlich nur noch den Fußgängerübergang ins Visier nehmen. Plötzlich passiert Unfassbares. Er glaubt, einen Hammer abbekommen zu haben. Total erschrocken, fällt er augenblicklich in sich zusammen und landet unsanft mit seinem Allerwertesten auf dem quietschnassen Pflaster der Verkehrsinsel, die beide Fahrbahnhälften akkurat voneinander trennt. Ein paar Sekunden sind nun schon zerronnen, als der von allen Sinnen beraubte Schwarzschopf namens Sandro schnallt, was da soeben abgegangen ist. Staunend erspäht er diese zusammengebundenen Turnschuhe, die schiedlich und friedlich am Rande des Asphalts ruhen.
„Turnschuhe, die plötzlich wie friedvolle Engel vom Himmel fallen. So etwas kann, so etwas darf doch nicht sein!“, hadert Sandro lauthals mit sich selbst und starrt ungläubig auf dieses skurrile Paar, das selbst die unglaubliche Wucht des Aufpralls noch nicht mal von ihrem von Menschenhand geknoteten Verbund gelöst hat. Wie ein aufgedönster, nasser Sack windet sich der hochtalentierte Sprinter in seine Aufrechte. Plötzlich fährt ihm wieder ein - wenn auch merklich kleinerer – Schreck durch die Glieder. Diesmal hat sich der neue Geist mit dem Nacken allerdings einen wesentlich netteren Ort ausgesucht.
„Hi mein Süßer. Mit dir noch alles o.k.?"
Sandro wendet sich, mit einer gekonnten Hundertachtzig Grad-Drehung flugs von den Turnschuhen ab, die ohnehin weder miff noch maff sagen.
„Ist schon“, antwortet er instinktiv und setzt nach einem Augenblick verwundernden Staunens ein schüchternes Lächeln auf, obwohl schwere Regentropfen nach wie vor unermüdlich auf ihn ein trommeln. Der Junge glaubt in einem falschen Film zu sein. Ein fesches Girl, rank und schlank, mit anmutig schimmernden meerblauen Augen, steht einfach so unversehens vor ihm. „Was heißt denn hier ist schon. Klingt nicht gerade überzeugend.“ Sandro schweigt. Es scheint, als bleiben ihm die Worte förmlich im Halse stecken. Und das ausgerechnet bei solch einem Girl, deren Traumfigur, inklusive Atombusen, bei fast allen jungen Männern lange Hälse und leuchtende Augen hervorzaubern würden!
„Komm doch einfach mit! Ich habe derzeit sturmfreie Bude. Da können wir uns wenigstens von den triefenden Klamotten befreien und uns unter der Dusche mal so richtig berieseln lassen.“
Ein für Tussis typisches Lächeln umspielt ihre im tiefen Rosa geschminkten Lippen, um die sich – man möge es kaum glauben - sogar noch lasziv anmutende Grübchen hinzugesellt haben. Vermutlich zu viel für das labile Nervenkostüm des Sechzehnjährigen, dessen südländische Wurzeln unschwer zu erkennen sind. Die knallige Röte in seinem Gesicht passt natürlich überhaupt nicht zu jenem Klischee, das besagt, dass die Südländer ihr überschäumendes Temperament bereits mit der Muttermilch aufgesaugt haben. Eigentlich hat die zierliche Blonde doch nur vor, den bibbernden Sandro vor einer möglichen Erkältung zu bewahren. „Ich weiß wirklich nicht, ob ich dazu fähig bin. Ich bin doch dafür viel zu schüchtern“, zweifelt Sandro, dessen Herz vor Aufregung fast droht zu zerspringen, an sich selbst. Das Anpreisen seiner Schüchternheit löst bei ihr einen Lachanfall aus, bei dem sie sich kaum noch halten kann. So amüsant empfinden Tussis eben schüchterne Typen.
„Vergiss aber nicht, uns mitzunehmen!“, bricht plötzlich der unmittelbar vor seinen Füßen liegende Turnschuh unüberhörbar in das wilde Gekicher herein. Das Mädchen schaut zunächst verdattert drein, verharrt aber nur kurzzeitig in Schreckstarre. „Zieh' doch diese Turnschuhe gleich mal an! Dann kannst du sehen, ob die wirklich passen!“ „Mach gefälligst das, was ich dir sagte! Ich verspreche dir heiligst: Danach bist du mindestens genauso fit wie diese beiden Turnschuhe!“
„Das könnte dir so passen!“


Und was wäre die Moral von der Geschicht'?


Turnschuh bleibt Turnschuh
Tussi bleibt Tussi
Schüchtern bleibt Schüchtern
Aber nur dann, wenn sie alle bleiben nüchtern!


 


 


 


 


 


 


 

 


 


 


 


 


 


 


 


 

 

 

 

Dieses ungewöhnliche Motiv, das ich am 5.5.2014 in der
sächsischen Bergstadt Freiberg zu Gesicht bekam, hat
mich inspiriert, dieses heitere Märchen, das ich
besonders Teenagern empfehlen möchte, zu schreiben.
Na dann, viel Vergnügen beim Lesen!
LG. Michael
Michael Reißig, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.05.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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