Christiane Mielck-Retzdorff

Geburtenkontrolle


 
 
Kurz nach dem zwei Männer, von denen einer etliche Seiten Papier ehrfurchtsvoll in den Händen hielt, den Raum verlassen hatten, forderte eine digitale Stimme die Nächsten auf, einzutreten. Prinzess und Joshua folgten erwartungsfroh der Aufforderung. Außer einem Tisch, auf dem ein Laptop thronte und zwei Stühlen befand sich nichts in dem Zimmer. Leise surrte die Lüftung. Joshua ließ seiner Partnerin höflich den Vortritt an dem Computer. Kaum hatte sich Prinzess gesetzt, erschien ein Begrüßungstext auf dem Bildschirm und forderte sie auf, ihre persönliche Identitätsnummer einzugeben und mit einem Fingerabdruck zu bestätigen.
 
Dann erschien zur Freude der Frau ihr aktuelles Foto, automatisch aufgenommen von der Webcam, vor ihren Augen.
„Wie aufmerksam“, bemerkte sie zu Joshua.
Tippte sie dieses an, zeigten sich alle wichtigen Daten ihres Lebens. Geburtsdatum, Geburtsort, die Namen der Eltern, Konfession, heutiger Wohnort, Handynummer und E-Mail-Adresse. Auf der nächsten Seite folgten die Ergebnisse aller Prüfungen, die sie je abgelegt hatte, ihr Arbeitgeber, dessen Beurteilung ihrer Person, Zugehörigkeit zum Unternehmen und die Höhe ihres Gehalts. Dann erschien eine Aufstellung ihrer Freizeitaktivitäten und dauerhaften Beziehungen. Die Informationen endeten mit den Ergebnissen einer umfangreichen, ärztlichen Untersuchung, die keinen Befund ergeben hatte.
 
Nun wurde auf dem Bildschirm gefragt, ob sie ihr Vorhaben allein oder mit einem Partner durchzuführen wünschte. Prinzess berührte das Feld „Partner“ und schob den Laptop zu Joshua. Kurz darauf konnten beide seine Daten lesen und die Bestätigung, dass die Grundvoraussetzungen für die gemeinsame Zeugung eines Kindes erfüllt seien. Beide mussten ihre Bereitschaft dazu per Klick und Fingerabdruck  bestätigen. Dann wurde ein weiterer Code verlangt, der die Vernetzung mit den Behörden erlaubte. Dort fanden sich keine hinderlichen Eintragungen. Schließlich erschien der Nachweis, dass der Antrag des Paares auf eine Ganztagsbetreuung ihres Nachwuchses in einer staatlichen Institution positiv beschieden worden war. Der Drucker setzte sich in Bewegung und manifestierte alle Daten auf Papier, welches von den Antragstellern unterschrieben werden musste. Ein strahlendes Lächeln zierte ihre Gesichter.
 
In einem anderen Raum erwartete das Paar eine etwas rundliche Frau, die auch als Prototyp der freundlichen Mutti herhalten konnte. Sie nahm die Papiere entgegen, überflog diese und gab etwas in ihren Computer ein. Schon wenig später richtete sie das Wort an die gespannten Besucher.
„Ich gratuliere. Die Tests haben ergeben, dass einer Vereinigung ihrer Eizelle, gnädige Frau, und ihres Samens, mein Herr, keine medizinischen Gründe entgegenstehen. Als Doppelverdiener mit sicherem Einkommen, einem Alter von unter 35 Jahren und bei guter Gesundheit werden sie als „bevorzugt“ eingestuft. Ein weiterer Pluspunkt ergibt sich aus der Tatsache, dass sie bereits eine Zusage für die Betreuung des Kindes vorweisen können. Wenn sie also ihr beidseitiges Einverständnis nochmals mir gegenüber erhärten, wird die Befruchtung in wenigen Stunden vorgenommen und sie können in spätestens neun Monaten ihr Baby im Arm halten.“
Prinzess und Joshua fielen sich in die Arme und küssten sich.
 
Auf dem Rückweg zu ihrem Auto durchquerten sie auch eine Abteilung, die beiden wohl bekannt war. Genau wie die vielen, durcheinander plappernden Leute von Anfang zwanzig hatten auch sie vor etlichen Jahren hier gestanden und darauf gewartet, ihre Samen oder Eizellen zur Konservierung abzugeben. Das war eine gesetzliche Pflicht für jeden jungen Menschen, wobei die Frauen es schwerer hatten, da sie ja pro Zyklus nur eine Eizelle produzierten und die Vorschrift verlangte, dass jeweils vier einzulagern sein. Mindestens eine davon stand dem freien Markt zur Verfügung. Nur so konnten sich auch männliche Paare den Kinderwunsch erfüllen, und jede fruchtbare Frau leistete ihren Beitrag zur Gleichberechtigung.
 
Anschließend wurden die Menschen sterilisiert, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Die meisten Bürger waren zufrieden mit dieser Regelung. Sie ersparte die teure und unbeliebte Verhütung und verhinderte das wahllose in die Welt setzen von Kindern. Dem Nachwuchs wurde damit, dass nur geprüfte Personen mit ihrer Aufzucht betraut wurden, seine Bedeutung als Träger der Zukunft beigemessen. Außerdem blieben die Frauen dem Arbeitsmarkt erhalten und mussten sich nicht mit Schwangerschaftsgymnastik quälen, da die Babys im Brutkasten heran wuchsen. Auch war es nicht zwingend erforderlich einen Partner zu haben, um ein Kind zu bekommen. Jeder, der die strengen behördlichen Auflagen erfüllte, hatte das Recht auf Nachwuchs. Welches Erbmaterial er aus welchen Gründen dafür wählte, blieb jedem Einzelnen überlassen.
 
Acht Monate später war es auf allen Bildschirmen zu lesen. Eine Katastrophe! Experten hatten zufällig herausgefunden, dass ein Hacker in den Zentralrechner des Instituts eingedrungen war und die Zuordnen der Eizellen und Samen zu den Eigentümern durcheinander gebracht hatte. Niemand konnte nun sicher sein, dass ein genetisch wenigstens halbwegs verwandtes Kind ausgebrütet wurde. Prinzess und Joshua waren verzweifelt, hatten sie doch schon ein Kinderzimmer eingerichtet und ihre Arbeitgeber informiert. Allerdings konnten sie sich des Mitgefühls vieler Menschen sicher sein. Alles schien so perfekt und wurde nun durch einen irren Kriminellen zu Nichte gemacht.
 
Sofort bot das Institut, das unter staatlicher Leitung stand, den Betroffenen an, die Ungeborenen entweder zu töten oder in einem Heim aufzuziehen. Es konnte ja niemandem zugemutet werden, ein fremdes Kind zu betreuen. Von Entschädigungen war auch die Rede. Zwar nahmen Prinzess und Joshua das angebotene Geld, doch war ihre Enttäuschung so groß, dass sie von einem Kinderwunsch Abstand nahmen. Die Garantie für genetisch reinen Nachwuchs war ohnehin für immer verloren. Sollten sich doch andere mit dem unkalkulierbaren Risiko von Mischlingen herumplagen. Sie kauften sich lieber einen reinrassigen Dalmatiner mit Ganztagsbetreuung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.05.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

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