Detlef Kleinelsen

Die Verwandlung

 
Als Hannes Buhmann eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem riesigen, unförmigen Radiergummi verwandelt.
Die gründlich-blaue Färbung, die sein Oberkörper nunmehr aufwies, wenn man ihn denn überhaupt noch als solchen bezeichnen wollte, irritierte und verärgerte ihn mehr als der Tatbestand der Verwandlung an sich.
„Grün und Blau harmonieren nicht miteinander“, so dachte er.
Harmonie war für ihn wichtig, denn Harmonie ist der Sockel der Ordnung und Ordnung der Anker der zivilisierten freien Welt. Darum war sein Schlafzimmer ähnlich wie sein Büro in seiner Lieblingsfarbe gestrichen:
Grau in Grau, denn grau ist alle Theorie.
Dieser aufgrund seiner schnellen Auffassungsgabe rasch entdeckte Mangel an sich, war also zunächst zu beseitigen, bevor man an andere Dinge denken konnte.
Doch schon der Versuch sich aufzurichten ging fehl, seine Arme gehorchten ihm nicht mehr; wir ahnen bereits warum.
Verblüfft hielt Herr Buhmann inne, und beschloss vielleicht doch zunächst über andere Dinge nachzudenken.
Während er in dieser Weise grübelnd im Bette lag, ging, wenn schon nicht ihm, so doch der Zimmerdecke ein Licht auf.
Eine weibliche Hand hatte sich nachlässig durch einen Spalt an der Tür geschoben und ungerührt die Deckenbeleuchtung in Gang gesetzt ohne viel darüber nachzudenken.
06:30 Uhr, der Beginn der gleitenden Arbeitszeit kündigte sich an. Leise fluchend versuchte Herr Buhmann abermals aufzustehen.
Bevor allzu große Gedanken des Mitleids beim geneigten Leser entstehen, sei darauf hingewiesen, dass bei niemandem in der Verwaltung, in der er tätig war, eine Verwandlung in ein Radiergummi weniger gravierend gewesen wäre als bei ihm.
Sein ganzes Werken, ja sein ganzes Leben, ähnelte bis dato einer einzigen Radiererei der Arbeit der anderen.
Frei von jeglicher störender Kreativität, die doch nur Änderungen und damit zumindest vorübergehend Unordnung in sein Leben gebracht hätten, sorgte er für einen reibungslosen Ablauf der Arbeiten seiner Untergebenen, von Dritten auch abfällig Lakaien oder schlicht Stifte genannt.
Dieser Mann hatte also nun das nicht unwesentliche Problem in ein Radiergummi verwandelt worden zu sein. Inzwischen hatte er seine Bemühungen verstärkt, sich in einen aufrechten Zustand zu befördern.
Als Ausdruck seiner konzeptionellen Stärke verfügte er – quasi nebenbei -, dass die bläuliche Seite seiner selbst als oberer Teil seiner Erscheinung zu gelten habe, damit das schon mal klar sei. Die Verbreitung dieser Verfügung legte er sich gedanklich schon einmal auf Wiedervorlage.
„Purzelchen“, rief es – es war seine Frau, die immer wenn sie sich alleine mit Ihrem Mann wähnte Kosenamen zu gebrauchen pflegte - , „ es ist drei Viertel sieben. Was sollen denn die Nachbarn denken ?“
Typisch Grete, dachte er, denkt immer nur daran, was die Nachbarn denken.
Hannes Buhmann hatte ausführlich erklären, handeln wollen, litt aber unter den gegebenen Umständen weiterhin an den für Radiergummis wohl typischen Kommunikationsschwierigkeiten.
Nur in Gedanken formulierte er dann doch eine Antwort:
„Ja, ja, mein kleiner Glückskäfer, ich stehe schon auf“.

Überraschenderweise muß schon hier diese absonderliche Geschichte enden, die noch gut und gerne etliche Seiten weiter hätte erzählt werden können.
Eine ungeschickte Bewegung nach links, eine unbedachte Wendung nach rechts, und – Sie ahnen es bereits – Exitus. Hannes Buhmann hatte sich leider dem Fortgang der Geschichte durch Selbstradierung entzogen.
Wäre er wenigstens in einen Käfer verwandelt worden, wäre ihm das wohl nicht passiert.
 
(Detlef Kleinelsen 1992, nach: „Die Verwandlung“, Franz Kafka 1912)
 

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