Elke Lüder

Der Großstadtriese

 

Dem großen Baum in meiner Straße, nur ein paar Meter entfernt, konnte ich in den letzten Jahren beim wachsen zusehen.

 

Manchmal wünsche ich mir seinen Schattenwurf. Doch schon sogleich fällt mir dann ein, „hey, da würde mir aber das Licht zum malen fehlen.“

 

Stark ist er. Groß und wunderschön. Obgleich ihn ja an der einen Seite die Häuserfront, am sich völlig entfalten zu können, hindert. Jetzt, bei Temperaturen von über 30 Grad sieht man ihm sogar, selbst bei dieser Distanz, seine Müdigkeit an.

Starke Wurzeln schenken ihm nicht nur Halt, auch Wasser als Lebensspende.

Freundlich ist er „mein“ Baum.

Immer. Bei jedem Wetter.

 

Einmal, im letzten Spätsommer, da peitschte ein Sturm über die Stadt. Der Wind, kanalisiert durch die lange Straße, brauste mit einer ungeahnten Stärke auf diesen Riesen zu. Sein Laub rauschte. Seine Krone krümmte sich der Straße entgegen. Ein Schauspiel. Mein Atem stockte. Doch seine Wurzeln hielten dem Sturm stand. So gebogen hatte ich ihn noch nie gesehen.

 

Freundlich richtete er sich wieder auf, noch einmal fegte eine Böe durch seine große Laubkrone, noch einmal rauschen, dann war es, als schüttelte der Baum sein Haupt und schon stand er, als wäre nie ein Sturm durch sein Laub gefegt.

 

 

Ich sehe ihn gern an. Zu jeder Tageszeit.

Morgens, wenn ich den Tag vom Balkon aus begrüße, gilt auch ihm mein Tagesgruß. Mein Dank und viele ungezählte Blicke.

Ich mag es, wenn der Wind sich in seinem Laub verfängt und die Blätter ihre eigene Melodie in den Tag klingen lassen.

Und die Sonne. Zauberhaft, wie sich das Licht auf seinen Blättern und Früchten spiegelt und welche Farben er dann annimmt. Von ganz hell bis sehr dunkel. Gelb und hellgrün, dunkelgrün und manchmal spiegelt sich sogar das Blau des Himmels.

Das Sonnenlicht zaubert orange Lichtoasen auf die Blätter.

 

Da steht er. Sommer und Herbst. Winter und Frühling.

Ich kann sehen wenn er erwacht und sich das erste Grün zeigt. Schon bald finden sich seine Bewohner ein. Spatzen, Meisen, Stare, Amseln. Sogar Tauben und manchmal sieht man eine Elster.

In dem kleinen Baum vor meinem Balkon ist dieses zusammen wohnen nicht möglich. Entweder – oder. Da vertreiben gern mal die Tauben die Spatzen um anschließend von den Elstern vertrieben zu werden.

Vielleicht“; denke ich dann, „nein ganz sicher, ist dieser Baum dort groß genug und so ist es möglich das dort alle Vögel einen Schlafplatz finden.“

 

Jedes Jahr im Herbst singt eine Amsel in diesem Baum ihr Abschiedslied. Laut und wunderschön.

Voller Leben und auch ein wenig Wehmut.

Sie singt und singt und das Lied trägt sich durch die Straße und nicht sehr lange nach ihrem Gesang beginnen die Blätter zu fallen.

Als ich es das erste Mal erlebte, nahm ich das „Zusammenspiel“ von Gesang und Fall noch gar nicht wahr. Doch im nächsten Herbst wieder dieses schöne Lied. Abschied und Dank in der Melodie und kurz darauf ein leises hinab gleiten der Blätter.

Bald schon steht der Riese entblößt vor mir. Braun und starr greifen seine Äste zum Himmel.

Entblößt aber keineswegs seiner Schönheit beraubt steht er und trotzt den eisigen Tagen.

Noch immer bietet er den Vögeln seine Äste zum ausruhen an. Aber auch Schnee findet für eine kurze Zeit einen Platz auf seinen starken Ästen.

 

Der Riese ziert den Winterhimmel. Und so ziehen die Wochen ins Land. Der Winter versucht noch zu bleiben, doch der Frühling möchte endlich sein Zepter übernehmen. Schon bald beginnt die erste Taube mit dem Bau ihres Nestes. Noch zeigen sich nur zarte hellgrüne Knospen und nichts verwehrt mit den Blick und so kann ich zusehen wie ein kleines „Zuhause“ entsteht.

Doch je wärmer die Frühlingstage werden um so dichter wird das Laub und die Einblicke sind verhindert. Geschützt dürfen nun in all den Nestern die Jungvögel heranwachsen. Und bald darauf kann man sehen wie die Altvögel auf Futtersuche durch die Straßenschlucht fliegen.

 

Erst im Sommer, hin und wieder, wenn sich die Blätter unter der Hitze müde und schlapp nach unten neigen, kann man wieder ein wenig in das „Innere“ des Riesen blicken. Jedoch nur, bis sich sein Wasserhaushalt nach einem kräftigen Regenguss wieder reguliert hat. Hier und da sieht man dann ein welkes Blatt, das sich schon weit vor dem Herbst bräunlich färbt. Doch noch hält der Riese auch diese Blätter fest.

 

Nun wird es laut im Baum. Ein fietschen und quietschen beginnt. Und nach einigen Wochen sieht man die Jungvögel auf Übungsflug.

Im Baum ist immer etwas los.

Ruhe hat er nie. Äußerliche.

Er ruht in sich selbst.

 

Und mir, mir schenkt er jeden Tag ein Stück vom LEBEN …..

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.06.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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