Ernst Dr. Woll

Zeitzeugen sagen: „Nie wieder Krieg“ Teil 1

Zeitzeugen, die den 1. Weltkrieg, der vor 100 Jahren begann, erlebten, sind kaum noch zu finden. Gleichermaßen werden diese, die sich bewusst  an Ereignisse im  2. Weltkrieg erinnern, immer weniger. Meine Frau und ich, heute 82 und 83 Jahre alt, unterhalten uns gerade an Tagen, an denen sich Kriegsbeginn oder –ende in runden Zahlen jähren, über eigene Erlebnisse während des Krieges. Wir leben jetzt unbeschwert in Deutschland in Frieden, aber an vielen Orten in der Welt finden Kriege mit neuen sehr grausamen Vernichtungsszenarien statt. Befürchtungen, dass es auch in der Ukraine, also in Europa, wieder Krieg geben könnte, sind nicht unbegründet. Wir wollen deshalb mit unseren Zeitzeugenberichten denen, die heute in der Politik mitbestimmen und allen Menschen, besonders den Jugendlichen, die noch keinen Krieg mit erlebten, sagen: „Tut alles, damit wir nie mehr in eine Kriegsangst- oder -not gelangen. Stellt das in allen Religionen vorhandene Friedliche und nicht das feindliche Überlegenheitsstreben in den Vordergrund.“ Der folgende Bericht meiner Frau zeigt dabei noch Harmloses im Vergleich zu den Kriegsgeschehen und der Not der Flüchtlinge und der Menschen in Kriegsgebieten in Afrika und Asien.
Ich bin in der thüringer Kleinstadt Zeulenroda aufgewachsen. Meine Eltern hatten ein Kohlengeschäft, in dem meine Mutter in den bitter kalten Kriegswintern 1943/44 und 1944/45 allein zurecht kommen musste, weil mein Vater als Soldat eingezogen war. Als Hilfe in der Landwirtschaft und im Geschäft hatten wir zwei französische Kriegsgefangene. Im Haushalt half ein Pflichtjahrmädchen.
Uns Kindern – ich war 11 und mein Bruder 15 Jahre alt – oblag es, das Vieh zu füttern, im Haushalt mit zu helfen und an den Kohleverkaufstagen den Kunden die Handwagen oder Schlitten anzuschieben. Der Verkauf an die Haushalte war unregelmäßig, niemand wusste genau, wann Lieferung eintraf. Meistens verkauften wir zweimal wöchentlich – einmal am Bahnhof und das andere Mal in unserem Hof.  Pro Haushalt  wurde  1 Zentner Brikett  auf Marken abgegeben. Die Leute holten diesen mit Handwagen oder Schlitten ab und standen schon vor 6,00 Uhr morgens in Zwei- und Dreierreihen die Straße abwärts bis um die Kurve herum. Vor 9,00 Uhr fand kein Verkauf statt, es musste erst hell sein, denn es durfte während der Dunkelheit nirgendwo Licht aufleuchten. Wer gegen das „Verdunklungsgesetz“ verstieß, wurde hart bestraft.
Als Orientierungshilfe gab es „Leuchtplaketten“, die am Mantelrevers getragen wurden, pro Person eine. Wir Kinder sind gern gegen Abend im Dunklen durch die Straßen gelaufen, für uns war es lustig, wenn die Punkte sich schemenhaft bewegten. Glücklich war, wer 2 Plaketten besaß, der konnte die anderen irritieren. Ab 18,00 Uhr war die Stadt wie ausgestorben, die Läden geschlossen, die Fenster verdunkelt. In den Schaufenstern standen sowieso nur Attrappen, beim Fleischer ein rosa Schweinchen aus Gips, im Milchladen eine schwarzweiß gefleckte Kuh aus Pappmache´, dazu ein paar Alpenveilchen. Von den Schaufensterscheiben guckte grimmig die schwarze Figur des laufenden Mannes mit dem Hinweis: „Achtung, Feind hört mit“ und an den unteren Häuserwänden waren die Kellerfenster mit der Aufschrift „Schutzraum“ gekennzeichnet. Die Gitter davor mussten entfernt werden.
Fahrräder fuhren abends mit abgeblendeter Lampe, Autos gab es fast nicht, sie waren – wie die meisten Männer -  zum Kriegsdienst eingezogen worden. An den wenigen Pferdefuhrwerken baumelte zwischen den Rädern eine trübe Sturmlaterne. Mit einer solchen Petroleumlampe liefen wir zum Füttern der Tiere auch schnell über den Hof in die Ställe, Licht anmachen war verboten. Heu, Stroh und Häcksel musste schon am Tage parat gestellt werden, damit mit der Lampe auf dem Heuboden oder in der Scheune keine Feuergefahr entstehen konnte. Saßen wir zum Abendbrot dann am Küchentisch, flackerte oftmals die elektrische Birne auf und kündigte eine Stromsperre an. Kerzen oder Petroleumlampen, sogenannte Rußer, standen immer griffbereit. Häufig haben wir bei Kerzenschein noch Schularbeiten gemacht oder die abgeschnippelten Kohlenmarken  akkurat auf große Papierbogen geklebt, die Abrechnungen für die Behörden mussten stimmen. Dabei fällt mir ein, dass es auch „Zusatzbrennstoffe“ gab, das waren die besseren „Eierbriketts“  und die schlechte „Schlammkohle“. Sommers zerfielen die Eierbriketts zu Staub und Gries und stanken wie Schwefel, winters war die breiartige Schlammkohle in den Loren festgefroren, und die Männer mussten sie mit der Spitzhacke losschlagen. Im Sommer klebten ihre Stiefel in der zähen Paste fest. Aber Papierentsorgungsprobleme gab es damals nicht, die Kunden haben den Schlamm geformt, in Zeitungspapier gewickelt und irgendwo zu hause gelagert, für den Winter war es doch eine Heizungshilfe.
In diesen zwei Kriegswintern war kaum eine Nacht ungestört. Lautes Sirenengeheul – auch oft am Tage – kündete die feindlichen Bomberverbände an; die Bevölkerung war eigentlich verpflichtet, die Luftschutzräume im Keller aufzusuchen. Wir Kinder hörten aber bald am Gebrumm der Flugzeuge, ob sie über unseren Ort hinweg flogen und stiegen lieber auf den Hausboden, um vom Dachfenster aus zu sehen, welche Gegend wieder „dran“ war. Als Plauen ( 25 km entfernt ) bombardiert wurde, bebten bei uns die Straßen, als es Chemnitz (50 km weit weg) war, zitterte die Luft, aber am 13 Februar 1945 sahen wir ein teuflisch schönes Szenario am Nachthimmel. Aufklärungsflugzeuge setzten leuchtende „Christbäume“ als Markierungen für die Angriffsziele, danach folgte von Ferne ein Rauschen und Zischen und dann wurde der Himmel im Osten glutrot. Am nächsten Tag hörten wir in der Schule, dass es Dresden nicht mehr gab. Und dann fielen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft sogar während des Tages Bomben, die ein ganzes Haus zerstörten. Von da an gingen auch wir bei Fliegeralarm in den Schutzraum.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.07.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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