Kea Bast

Flucht nach Kos



Es war so ein träger Abend… Draussen nieselte es schon seit Stunden, Sport war erst morgen angesagt und da auch das TV-Programm nichts hergab, lief im Hintergrund MTV und ich blätterte in meiner Annabelle. Vereinzelt nahm ich das englische Geplapper vom Moderator wahr. Plötzlich drang „amazing“ in mein Ohr und ich konnte mich nicht mehr auf Annabelle konzentrieren. Ich sah auf und hörte dem Moderator zu. Doch schon innert Sekunden schweiften meine Gedanken ab zum Ursprung. Zu welchem Ursprung? Zum Ur-Ursprung. Zum Ursprung von einfach allem.
 
Gerade dreissig geworden, geriet mein Leben damals völlig aus den Fugen: Single, obdachlos, arbeitslos. Und das alles, weil mich mein Verlobter, Mitbewohner und Chef für ein 20 Jahre altes, sorry, junges Mädchen verlassen hatte. Mein Herz war gebrochen, meine Seele zerstört, mein Selbstbewusstsein verschwunden, ich war am Ende. Nachdem ich monatelang versucht hatte wieder auf die Beine zu kommen und abwechselnd bei meinen verheirateten Freundinnen gewohnt hatte, beschloss ich, dass ich weg musste. Und zwar sofort und alleine. Bis dahin konnte ich noch nicht einmal alleine ins Kino. Und dann flog ich einfach so alleine nach Kos.
 
An die ersten Tage auf dieser zauberhaften Insel konnte ich mich gar nicht richtig erinnern, ich verbrachte sie hauptsächlich schlafend. Als ich mich endlich genug ausgeruht hatte, begann ich mich Kos gegenüber zu öffnen und erkundete langsam aber sicher die komplette Insel. Ich könnte jetzt stundenlang über Kos Stadt und ihre Ausgrabungen oder über das feine frische Essen oder über die Hügel, welche man mit den Pferden bereiten sollte oder über das wunderwunderschöne Meer schwärmen. Aber kurz gesagt: Alleine auf Kos war meine Heilung. Ein Teil davon. Teil eins.
 
Der zweite Teil war Ross. Ross from London. Plötzlich war er da. Natürlich war er von Anfang an da, aber ich hatte ihn nicht gesehen. Irgendwie kamen wir irgendwann ins Gespräch und er erzählte mir, dass er sich hier als Animateur eine Auszeit vom stressigen Managerleben nehmen würde. Ich erzählte ihm, dass ich mir hier eine Auszeit vom Leben an sich nehmen würde und er hakte nicht nach. Stattdessen lud er mich auf einen Drink ein, ausserhalb des Hotels. I just said yes. Gehörte wohl zu meinem neuen Ich.
 
Ich spürte, schmeckte und roch, dass ein Mann anwesend war, bevor ich überhaupt richtig wach war. Diese Erkenntnis liess mich meine Augen noch ein wenig länger geschlossen halten. Ich fühlte mich angekommen. Komplett. Ausgefüllt. Einfach hervorragend. Und das lag nicht nur am Hammersex der letzten Nacht. Er drehte sich und zog mich zu sich. Unsere Körper passten perfekt zueinander. Nun erwachte er wohl richtig und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Ich öffnete langsam die Augen. Die Sonne warf erste Strahlen auf das Bett, konnte aber nicht mit dem Strahlen von Ross Augen mithalten. Er küsste mich auf die Stirn, sah mir in die Augen und sagte: „You look amazing in the morning“.
 
Nachdem ich genug in alten Zeiten geschwelgt hatte, schnitt ich dem Moderator das Wort ab und legte ich mich schlafen. Allein. Ich kuschelte mich ins Bett und dachte nochmals an die strube und aufregende Zeit vor acht Jahren, welche mich hierher nach London geführt hatte. Natürlich sagte ich mir damals immer wieder, dass es nur ein Ferienflirt war… Ich dachte nochmals an ihn und schlief ein. Ich spürte, schmeckte und roch, dass ein Mann anwesend war, bevor ich überhaupt richtig wach war. „Sorry babe, der Termin gestern hat länger gedauert. You look amazing in the morning.“ flüsterte mir Ross in gebrochenem Deutsch ins Ohr.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.07.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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