Christa Astl

Hänsel und Gretel (ganz anders)


 

 
Johann und Greta
 
 
Johann und Greta wuchsen in einer wohlhabenden Familie auf. Sie hatten alles, was sie sich wünschen konnten, denn ihr Vater verdiente sehr gut und beide Eltern liebten und verwöhnten ihre Kinder sehr.
Doch eines Tages verlor der Vater seine Arbeit, die Firma war pleite gegangen. In seinem Alter bekam er keine neue Stelle mehr, so sehr er auch suchte und sich bewarb. Er schämte sich, dies zu Hause einzugestehen, und ging weiterhin längere Zeit am Morgen fort und kam erst abends wieder zurück. Seine Tage verbrachte er allerdings mehr und mehr in Gasthäusern und sprach dem Alkohol zu um seine Sorgen zu ertränken, wie er glaubte.
Aber wenn Geld ausgegeben wird und keines herein kommt, ist es schließlich zu Ende und nach einiger Zeit kehrten die Sorgen um das tägliche Brot ein. Die Mutter machte dem Vater Vorwürfe, immer wieder gab es heftige Streitereien.
Die Kinder sollten in ein Heim gebracht werden. Doch das wollten sie nicht und so beschlossen sie, allein in die Welt zu gehen. Schlechter, glaubten sie, konnte es ihnen in der Fremde auch nicht ergehen.
Sie nahmen sich die letzten Scheiben Brot mit, klauten unterwegs ein paar Äpfel und gingen fort aus der Stadt, der Landstraße entlang bis zum in der Ferne aufragenden Wald. Dass dies ein berüchtigter Zauberwald war, der einer Hexe und einem Zauberer gehörte, wussten sie allerdings nicht.
Schon waren sie den ganzen Tag unterwegs, Brot und Äpfel waren längst gegessen, die Müdigkeit ließ sie immer langsamer ausschreiten und schließlich, als der Abend in die Nacht überging, suchten sie sich einen Platz unter einer weit ausladenden Buche, um dort auf dem weichen Moos ihr Nachtlager unter freiem Himmel zu beziehen. Die Sterne des Himmels behüteten sie, der Mond sendete sein mildes Licht herunter und ließ Elfen und Zwerge tanzen, um ihnen die Angst vor der Dunkelheit zu nehmen.
Als die Kinder am nächsten Morgen erwachten, mussten sie sich erst mal die Augen reiben. Träumten sie noch? Nicht weit entfernt stand ein kleines niedliches Häuschen, die Wände glänzten wie Zuckerguss und die Dachziegel sahen schon von weitem wie große Lebkuchen aus. Bei dem Gedanken bekamen die Kinder Hunger. "Komm, wir gehen etwas näher ran und schauen mal, wer in diesem Häuschen wohnt", ermunterte Johann seine Schwester Greta.
Das Haus war tatsächlich aus Zuckerwerk und Lebkuchen kunstvoll erbaut. Vorsichtig brach Greta eine Ecke aus der Mauer, während Johann sich einen Dachziegel herunter holte. Eine schwarze Katze kam daher und schmiegte sich an Gretas Beine. Das Mädchen bückte sich, um sie zu streicheln, da fiel eine Schlinge um sie, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Ihr lautes Hilfeschreien half nicht, sie wurde von unsichtbaren Händen gepackt und fort gezerrt.
Johann schaute angsterfüllt dem Verschwinden seiner Schwester zu. Da kam eine alte Frau auf ihn zu gehumpelt. "Komm doch herein zu mir, so einen starken Jungen könnte ich gut als meinen Helfer brauchen. Du siehst ja, wie alt und schwach ich schon bin.", sagte sie mit krächzender Stimme, die sich bemühte, freundlich zu sein. Willenlos ließ sich der Knabe ins Haus führen.
Wie staunte er, als es so reich und wertvoll eingerichtet war: ein goldenes Waschbecken gab es da, kostbare weiche Teppiche lagen auf den Fußböden, schöne Bilder hingen an den Wänden, wie sie sie zu Hause gehabt hatten, als sie noch nicht arm waren.
Die alte Frau führte ihn zum Tisch und stellte ihm herrliches Essen vor, das er dankbar annahm und sich schmecken ließ. Doch wo war seine Schwester? Johann getraute sich nicht zu fragen, aber als die Frau sich am Herd zu schaffen machte und nicht zu ihm schaute, steckte er einige der guten Sachen in seine Tasche, denn irgendwo würde seine Greta wohl sein.
Bald darauf führt ihn die alte Frau eine schmale Treppe hoch und zeigt ihm sein Zimmer. Hier hofft er nun seine Schwester wieder zu finden, doch vergeblich. "Jetzt schlaf schön, denn morgen früh musst du für mich arbeiten." meinte die Alte, löschte das Licht und stieg die Treppe hinunter. Traurig legte sich Johann ins Bett. Unruhige Träume plagten ihn.
Die letzten Nachtvögel schwiegen, still war es um ihn herum. Plötzlich vernahm er einen klagenden Ton. Ein Waldkauz? Wieder und wieder hörte er das Klagen, er wusste nicht von woher. Doch es musste sehr nahe sein. Johann stand auf, öffnete das Fenster  und lauschte hinaus. Nun hörte er das Rufen deutlicher, es musste von irgendwo hinter dem Haus herkommen. Er schlich zur Türe, um hinunter zu gehen, doch die böse Frau hatte ihn eingesperrt. Wieder stellte er sich ans Fenster, rief leise in die Nacht hinaus: "Greta, wo bist du?" - Die Antwort erstickt in einem leisen Klageton.
Endlich legte der Schlaf seine Arme um den traurigen und ruhelosen Jungen und gönnte ihm eine wohltuende Ruhe.
Früh am nächsten Morgen stand die Alte in seiner Kammer: "Aufstehen, du Faulpelz, du bist doch kein Königssohn!"  Er bekam eine Schale Milch und eine Scheibe trockenes Brot. Dann wird er zur Arbeit eingewiesen. Zuerst muss er mit einer Kanne zur weit entfernten Quelle gehen, um Wasser zu holen. "Aber trödle ja nicht herum!", keift die alte Frau hinter ihm her. An diesem Tag ist sie sehr unfreundlich zu ihm und Johann macht sich eilig auf den Weg. Die volle, schwere Kanne muss er in einen dunklen Raum im hinteren Teil des Hauses abstellen, und da glaubt er wieder den klagenden Ton zu vernehmen. Als er kurz stehen bleibt um zu lauschen und etwas zu erkennen, jagt ihn die Frau hinaus.
Hinter dem Haus befand sich ein angebauter Stall, in dem die Schafe und Schweine standen. Diese musste Johann auf die Wiese treiben und dort hüten. Den ganzen Tag verbrachte er damit, an den Waldrändern nach seiner Schwester zu suchen, aber vergeblich. Abends ertönte ein Pfiff, und der war das Zeichen, dass er seine Tiere jetzt heimtreiben könne. Es war nicht leicht, vor allem die Schweine aus ihrem Morast heraus zu locken.
Seine Arbeit war noch nicht zu Ende. Er musste Holz holen, im Ofen ein Feuer entzünden, da die Frau Suppe kochen wollte. Dann musste er den Topf mit Wasser füllen. Wieder hörte er ein schwaches Stöhnen, aber wieder trieb ihn die Alte zur Eile. Als sie bei Tisch saßen, nahm sich Johann ein Herz und fragte nach seiner Schwester. "Du hast sie schon gehört, sie liegt da drinnen in einem Käfig, und am übernächsten Sonntag braten wir sie zu Mittag, denn da kommt der Hexenmeister zu Besuch."
Entsetzt wich der Junge zurück, als er diese Worte hörte. Es war ihm wohl aufgefallen, dass die Frau immer wieder mit Essen durch diese Tür gegangen war. Zwei ganze Wochen waren noch Zeit! Er musste Rat und Hilfe finden. Doch die Tage verrannen und ihm fiel nichts ein.
Eines Abends sagte die alte Frau zu ihm, er müsse am nächsten Tag nicht gleich morgens auf die Weide, sondern solle vorher den alten Eber satteln, da sie mit ihm fortreiten wolle.
Endlich war Johann allein und konnte im Haus nach seiner Schwester suchen. Sobald die Alte außer Sicht war, wollte er in den dunklen Raum - aber o weh, die Türe war versperrt. "Greta!" rief er durch die verschlossene Türe, "bist du da drinnen?" - "Johann, hilf mir doch!", rief es von drinnen. Doch wie kann er hinein kommen? Auch Greta wusste es nicht, denn der Raum hatte kein Fenster, und das Dach war steil und dicht. Aber Greta konnte ihrem Bruder erzählen, dass sie in einem winzigen Verschlag, in dem sie kaum aufrecht stehen oder ein paar Schritte gehen konnte,  eingesperrt war, und sie überlegten hin und her, wie das Mädchen befreit werden könnte. "Hab keine Angst, ich hole dich ganz bestimmt heraus!", konnte er ihr noch zurufen. Da hörte er schon die Hexe, wie sie wütend auf ihren Eber einschlug und wüste Worte schrie. Johann machte sich in der Stube am Feuer zu schaffen, als die Alte hereintrat. "Dieses Biest, das müssen wir morgen schlachten, es taugt ja nicht einmal mehr zum Reiten. Wie soll ich da nächsten Sonntag mit meinem Braten zum Zauberer am anderen Ende des Waldes kommen..." so schrie und zeterte sie noch eine Weile.
Da kam Johann die Idee! Noch hatte er eine Woche Zeit. Es würde eine gefährliche Arbeit, aber vielleicht gelang es. Regelmäßig kam ein riesiges Wildschwein an den Waldrand, wenn er die Schafe und Schweine hütete. Der Knabe nahm ein langes Seil mit und wartete. Als der schwarze riesige Eber wieder auftauchte, versuchte er ihn mit einem Stück Brot näher zu locken. Als das Tier nach ein paar Tagen bereits etwas zutraulicher geworden war, gelang es ihm sogar, ihm die Schlinge umzulegen. Das Wildschwein trottete wirklich brav hinter den anderen Schweinen zum Haus. "Schau, liebe Frau, ich habe dir ein neues Reittier gebracht! Groß und stark ist es, das läuft bestimmt wie der Wind", sagte Johann. Die Hexe freute sich, denn sie wollte das Mädchen Greta dem Zauberer als Gastgeschenk mitbringen und es dort dann gemeinsam verzehren.
In der Nacht zum Sonntag konnte Johann nicht schlafen. Hoffentlich gelang sein Plan! Am Morgen musste er ganz ruhig bleiben, als er das große Wildschwein aus dem Stall führte. Er hielt es fest an seinem Seil, aber als es die Hexe sah, begann es unruhig zu werden. Diese hatte den Schlüssel schon in der Hand und wollte erst noch in den kleinen Verschlag um Greta zu holen. Das Wildschwein zog und zerrte an seiner Leine, Johann hatte schon ganz blutige und aufgeschürfte Hände.
Wie sah das arme Mädchen aus! Johann kamen fast die Tränen, als er seine Schwester sah. Blass, die schönen lockigen Haare zerzaust und struppig, Arme und Gesicht voller Kratzer und roter Flecken. Sie konnte kaum stehen und blinzelte geblendet in den Raum. "Setz dich du jetzt auf dein Reittier", forderte Johann die Hexe auf, und Greta fiel ihrem Bruder  direkt in die Arme.
Die Hexe trat auf das inzwischen ganz wild gewordene Wildschwein zu, schwang sich auf dessen Rücken und verlangte Greta zu sich. In dem Moment ließ Johann die Leine los, diese wickelte sich ein paarmal um die Hexe, sodass diese aufs Wildschwein festgebunden war, und dann rasten und sprangen sie in einem höllischen Tempo im Schweinsgalopp in den Wald. Wie weit sie gerannt und wo sie angekommen sind, weiß kein Mensch zu sagen, auch nicht, ob die Hexe diesen Ritt überlebt hatte.
Johann löste seiner Schwester die Fesseln, half ihr zur Bank, damit sie sich erst einmal ausruhen und ihre Augen an das Licht gewöhnen konnte. Dann suchte er in aller Eile kostbare Dinge zusammen, die sie mitnehmen und zu Hause verkaufen könnten. Jedes der Kinder trug einen schweren Sack, ganz obenauf legten sie ein paar Lebkuchen und Zuckernüsse, und dann marschierte sie los, nach Westen in die Richtung, in der sie ihre Heimatstadt wussten.
Die Wiedersehensfreude war sehr groß, als die Mutter ihre Kinder an der Haustüre begrüßen und umarmen konnte. Der Vater lag im Zimmer auf dem Krankenbett. Von den Reichtümern, welche die Kinder mitgebracht hatten, bezahlten sie einen Arzt, und so wurde der Vater nach einiger Zeit geheilt.
Jetzt erst konnten sie alle glücklich sein und zufrieden bis an ihr seliges Ende leben.
 
 
 
ChA 01.08.14

 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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