Manfred Bieschke-Behm

Nur Verliebte sehen die Welt so, wie sie ist


Thomas kennt Marita jetzt knapp acht Monate. Kennengelernt haben sie sich in der Mensa. Marita war gerade dabei sich ein Glas Wasser einzuschenken, als Thomas sie beim Vorübergehen leicht anstieß. Die Folge davon war, dass Marita das Glas nicht halten konnte, es zunächst auf den Tisch fiel, dann umkippte und das Wasser sich auf Maritas Hose ergoss. Die zwei Kommilitonen, mit denen Thomas des Weges kam, und mit denen er sich angeregt über das Thema "Die Welt ist so, wie sie ist" unterhielt, verabschiedeten sich. Sie steuerten auf den nächstbesten freien Tisch zu und stellten ihre vollbeladenen Tabletts dort ab. Thomas ließen sie allein zurück. Warum hätten sie auch bei ihm bleiben sollen? Sie hatten mit dem Missgeschick nichts zu tun und wollten auch nicht mit hineingezogen werden. Thomas wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte. Er murmelte ein verhaltendes "Entschuldigung". Marita sah auf ihre nasse Hose und anschließend wütend zu ihm auf und entgegnete: "Kannst du nicht aufpassen?" Umgelenkt versuchte sie mit Papierservietten ihrer Hose zu trocknen, was ihr nur mäßig gelang. Thomas war die ganze Angelegenheit sehr unangenehm. Gerne würde er behilflich sein, wusste aber nicht wie. Dennoch fragte er: "Kann ich dir irgendwie helfen?" Marita entgegnete mit schroffen Ton: "Nee, kannste nicht." Thomas, noch immer sein volles Tablett in den Händen haltend, fragte höflich, ob er ihr wenigstens ein neues Wasser besorgen dürfe. Er bekam keine Antwort. Marita war noch immer mit ihrer nassen Hose beschäftigt. Was um sie herum geschah, nahm sie nicht wahr. Thomas hatte inzwischen sein Tablett auf dem Tisch, an dem Marita saß, abgestellt und lief zum Tresen und besorgte eine Flasche Wasser. Wieder zum Tisch zurück gekommen fragte er vorsichtig nach, ob er sich zu ihr setzten dürfe. Marita nickte kaum merklich. Thomas war verunsichert. Er wusste nicht ob das unwirkliche Nicken als Zustimmung zu deuten, oder gar keine Reaktion auf seine Frage war. Mutig setzte er sich ihr gegenüber. Die Stille am Tisch unterbrach Thomas indem er nochmals erklärte, dass es ihm wirklich leid täte, was passiert ist. Mit einem schnippischem "Ist schon gut" und "du hast es ja vermutlich nicht mit Absicht gemacht" versuchte Marita die Situation klein zu reden. Thomas merkte, wie es ihm besser ging und auch Marita schien den Schrecken überwunden zu haben. Thomas wurde mutig und sagte: "Ich habe dich hier in der Mensa noch nie gesehen?" Was ist das denn für eine plumpe Anmache, denkt Marita, und entgegnete: "Dich habe ich auch noch nie in der Mensa und auf dem Uni-Gelände gesehen. Bist du neu hier?".......
So fing alles an. Längst sind Marita und Thomas ein Paar. Immer, wenn Marita sich ein Glas Wasser einschenkt, und Thomas in ihrer Nähe ist, sagt sie spöttisch zu ihm: "Achtung! Ich gieße mir ein Glas Wasser ein, komm mir jetzt nicht zu nahe." Über dieses Ritual können beide immer wieder erneut herzhaft lachen und sich anschließend in die Arme nehmen und küssen.
Gestern saßen sie am Küchentisch, ihrem Lieblingsplatz in der gemeinsamen Wohnung. Während Marita einen Obstsalat vorbereitete, saß Thomas ihr gegenüber und studierte die Tageszeitung. Mit "sag mal Thomas" versuchte Marita ein Gespräch zu beginnen, "mir fällt gerade das Thema ein, über das du und deine Mitstreiter damals, als das Malheur mit dem Glas Wasser passierte, in der Mensa gesprochen habt". Thomas blickt über den Zeitungsrand und fragt etwas irritiert:  "Über welches Thema hatten wir denn gesprochen?" Während Marita einen Pfirsich zerteile fuhr sie fort: "Ich erinnere mich, dass ihr über "Die Welt ist so wie sie ist" gesprochen habt." "Ach ja? - Dass du dich daran noch erinnerst? Ich habe das längst aus meinem Gedächtnis gestrichen", erwiderte Thomas und hatte sich wieder hinter seiner Zeitung verkrochen. Martina aber ließ nicht locker. Sie wollte von Thomas wissen, ob das Gespräch zu einem Ergebnis führte. Jetzt sah sich Thomas genötigt seine Zeitung zur Seite zu legen. Er merkte, dass seine Freundin nicht locker ließ und wollte nicht unhöflich sein. "Mein lieber Schatz, soweit ich mich erinnern kann, kamen wir zu keinem Ergebnis, denn die Unterhaltung wurde, wie du ja weißt, durch die Unannehmlichkeit nicht nur unterbrochen, sondern abgebrochen. Das Thema wurde nie wieder aufgegriffen." Erst jetzt fragte er sich, weshalb seine Freundin an diesem Thema so interessiert sei. Er bekam keine Gelegenheit Marita nach den Beweggründen ihres Interesses zu fragen, denn sie ergriff sogleich wieder das Wort: "Ich habe mir schon des Öfteren Gedanken zu "Die Welt ist so wie sie ist" gemacht. Ich vertrete die Meinung, dass nur Verliebte die Welt so sehen, wie sie ist." "Wie", fragte Thomas ungläubig nach, "du meinst, das nur Verliebte die Welt sehen, so wie sie ist? Ich finde, das ist eine kühne Behauptung." Thomas sah Marita verwundert und leicht irritiert an und wartete auf eine Antwort. Marita, inzwischen mit dem Zerteilen des Pfirsichs fertig und jetzt damit beschäftigt eine Banane in Scheiben zu schneiden, sah, dass Thomas sie angrinste, was ihr nicht gefiel. Beleidigt sagte sie zu ihm: "Das Grinsen gefällt mir nicht. Ich habe das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst." Thomas fing an zu begreifen, dass seine Freundin voll hinter ihrer Behauptung stand, und dass es ihr wichtig war ernst genommen zu werden. Er merkte wie sich ihre Gesichtszüge veränderten. Ihre Augen verengten sich. Falten auf der Stirn wurden sichtbar. Und ihr hübscher Mund formte sich zu einem Schmollmund. Thomas sah seine Freundin rührig an, hatte aber gleichzeitig das Bedürfnis zu lachen. Gut, dass Marita selbst die Komik, die in der Situation steckte, erkannte und selbst anfing laut zu lachen. Nun konnte auch Thomas unbelastet lachen. Nachdem der Lachanfall vorüber war, nahmen sie sich quer über den Küchentisch gebeugt in die Arme und küssten sich. Danach nahmen sie wieder ihre Ausgangspositionen ein, wobei Thomas nicht auf die Idee kam seine Zeitung weiter zu lesen. Vielmehr nahm er das Gespräch wieder auf und fragte: "Du bist wirklich der Meinung, dass nur Verliebte die Welt so sehen, wie sie ist?" Er bekam ein knappes "Ja" als Antwort. Mit dieser doch sehr reduzierten Antwort war Thomas natürlich nicht zufrieden. Er bohrte nach. "Hast du dir den Satz selbst ausgedacht oder irgendwo aufgeschnappt?" Eine konkrete Antwort auf die Frage erhält Thomas nicht. Vielmehr erklärt Marita Thomas dass sie über diesen Satz viel nachgedacht hat, und zu dem Ergebnis kam, dass es stimmt. Bis dahin konnte Thomas den Ausführungen seiner Freundin folgen. Doch was dann kam versetzte ihn ins Staunen. Marita erklärte, dass Verliebte, so wie sie beide, die Welt durch eine rosarote Brille sehen, dass Probleme an Bedeutung verlieren, weil sie sich haben und teilen können, was sie belastet. Marita erklärte weiter, dass, wenn mehr Verliebtheit und Liebe die Welt beherrschen würde, Angst und Schrecken, Gewalt, Zorn, gegenseitiges Zerstören und Kriege minimiert werden könnten. "Wieso können wir, die wir verliebt sind, uns lieben, die Welt so ganz anders sehen?", fragte Marita unvorbereitet ihren Freund. Thomas noch ganz benommen von den Ausführungen seiner Freundin, rang nach Worten. Endlich gelang es ihm zu antworten: "Mein lieber Schatz. Ich habe dir aufmerksam zugehört. Alles was du anführst interessant aber entspricht nicht der Realität. Die Menschen streben seit jeher nach Reichtum und Macht. Sie zerstören sich gegenseitig, weil jeder glaubt, der bessere Mensch zu sein. Menschen nehmen sich das Recht Land und Leute in Angst und Schrecken zu versetzen. Liebe, auch verliebt sein, gab es immer und wird es auch in aller Zukunft geben. Verliebt sein hilft und Liebe im Allgemeinen sind Garanten, die Welt nicht als die große Enttäuschung zu erleben. Aber…. ", an dieser Stelle unterbrach Marita Thomas Ausführungen und machte einen Vorschlag: " Lass uns für das Verliebt sein und die Liebe auf die Straße gehen. Lass uns für den Fortbestand und die Kraft, die davon ausgeht demonstrieren. Nicht immer nur gegen was, sondern auch mal für was demonstrieren, das fände ich total cool." Thomas amüsierte der Vorschlag. Gleichzeitig wollte er seine Freundin wieder auf den Boden der Tatsachen zurück bringen und meinte: "Jetzt übertreibst du aber ein bisschen". Thomas fing an zu lachen. Marita ließ sich vom Lachen anstecken. Thomas stand auf, ging zu seiner Marita, nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest an sich. Sie ließ sich die Heftigkeit der Umarmung gefallen Sie spürte wie gut es ihr tat. Noch immer in der Umarmung verharrend sagte Thomas zu Marita, dass er sehr glücklich sei mit ihr, und das er sich eine Welt ohne sie nicht vorstellen könne und es auch nicht möchte. Marita war beglückt über das, was sie hörte und säuselte Thomas ins Ohr: "Siehst du Schatz, das ist das, was ich meine wenn ich sage, nur Verliebte sehen die Welt so, wie sie ist, nämlich großartig, und das passiert, weil wir sie uns durch unsere Liebe lebenswert machen." Thomas nickte und merkte an: "Warum können das nicht alle Menschen so machen, wie wir."
Gemeinsam genossen sie ihren Obstsalat, tranken dazu ein Glas Roséwein währen im Radio Louis Armstrong das Lied sang "What a wonderful world "

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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