Peter Spiegelbauer

Momente des Lebens (Dark Beauty)

Der Bildschirm zeigt eine Textdatei, an der ich gerade arbeite. Die zwei Wellensittiche zwitschern etwas zu laut im Hintergrund, weshalb ich auch die Türe zu meinem Arbeitszimmer etwas anlehne, doch nicht schließe. Ganz entfernt hört man die Dusche, die sie gerade nimmt. Ich halte kurz inne, um in die künstliche „Stille“ rund um mich hineinzuhören. Ein Versuch alles Wahrzunehmen, oder besser, herauszufinden, ob ich in der Lage bin, die gedämpfte Geräuschkulissen zu identifizieren. Ein Spiel. So wie alles im Leben ein Spiel ist.

Die Vögel, ich höre das Männchen lauter als das Weibchen kreischen, wollen beide wieder ihren allabendlichen Rundflug antreten und warten schon sehnsüchtig darauf, dass ich den Käfig öffne. Doch solange die Fenster zum Lüften geöffnet sind, werde ich das nicht tun. Manchmal frage ich mich, ob ich sie vor dem Kältetod ausserhalb dieser Mauern schützen möchte, oder ob es nicht doch eine Art „Besitzanspruch“ ist, der mich daran hindert sie einfach frei zu lassen. Und wie so oft fühle ich mich in einen Zwiespalt gedrängt, zwischen „die Freiheit befürworten“ und „Eigentum bewahren“. Doch die Vögel gehören gar nicht mir. Ich bin nur ihr Babysitter, wenn man so will. Nach meinen Vorstellungen, gehören sie niemandem.

Müde geworden aufgrund dieses Hin- und Herdenkens, schiebe ich den Gedanken und auch den Zweifel vorerst beiseite, und konzentriere mich wieder auf mein „Geräusch-Spiel“.
Ich höre den Wasserkocher, wie er blubbert und vermutlich bald das vertraute „Knack“ erklingen lässt, mit dem er mir anzeigt, dass das Wasser nun die richtige Temperatur hat, und ich mir meinen Tee endlich aufgießen kann.

Und zu guter Letzt, höre ich die Dusche, wie sie das Wasser durch die Düsen, auf ihren schönen Körper fließen lässt. Gebannt von diesem Bild, das in meinem Kopf Farbe und Form annimmt, sitze ich da und lausche weiter. Versuche weiter die Geräusche aufzufangen. Da entdecke ich das Detail, nachdem ich vermutlich unterbewusst gesucht habe. Es ist eine Melodie. Sehr leise und gedämpft, nehme ich sie wahr. Ich versuche den Ursprung zu lokalisieren und schon nach Sekunden werde ich fündig. Die Melodie kommt aus der Dusche.

Einige Momente brauche ich noch um herauszufinden, um was es sich handelt, doch dann erkenne ich es. Es ist Lou Reed – „Perfect Day“. Dieses Lied hören wir jedesmal, wenn wir uns am Wochenende verabreden. Es wurde irgendwann, im Laufe der Jahre, zu „unserem“ Lied. Sie singt gerade den ersten Refrain, und wie auf Kommando stehe ich auf und schleiche, so leise wie möglich zum Badezimmer, lausche noch einmal kurz an der verschlossenen Türe, durch die ich das Rauschen des Wassers und ihre Stimme nun besser hören kann, schließe die Augen und denke an den Moment, als wir dieses Lied zum ersten Mal gemeinsam gesungen haben.

Augenblicke später reiße ich mich von diesen glückseligen Erinnerungen los und öffne die Türe, schleiche hinein, sie scheint mich nicht bemerkt zu haben, öffne mein Hemd und die Hose, entferne langsam und leise alle Textilien, und trete in der Dusche hinter sie.
Sie steht mit dem Rücken zu mir und unterbricht kurz den Gesang, dreht sich um, öffnet ihre hellblauen Augen, die von ihren dunklen, langen Haaren umrandet werden, sieht mich verträumt an und fragt: „Warum hat das so lange gedauert?“
Ich lächle sie an und beginne das Lied von Neuem zu singen. Sie stimmt mit ein, doch den ersten Refrain erleben wir nicht mehr, da unser Spiel langsam und zärtlich erneut beginnt… bis sie später wieder in die Nacht hinaus verschwindet, so wie immer. Das ist das Spiel mit der schwarzen Katze. Der Katzentiere schönstes Kind…
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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