Peter Kröger

Frankfurt




 
Die Frankfurter sind ehrbare Leute, aber was bin ich, sage ich zu Karin. Aus meinen Zusammenhängen außerhalb Frankfurts gerissen, erweist sich mein Innerstes ausgezehrt und verwüstet, sooft ich in Frankfurt bin, oder es liegt am Wetter, es ist sogar wahrscheinlich, dass es am Wetter liegt, an keinem bestimmten wohlgemerkt, vielmehr am falschen Wetter schlechthin, das es allerdings in dieser falschen Art und Weise meiner Ansicht nach nur in Frankfurt gibt, oder ich irre mich, aber ich irre mich nicht. Erst heute Morgen habe ich schwere, wasserdichte Schuhe angezogen, weil es regnen sollte, und nichts hätte ich schrecklicher gefunden, als mit durchnässten Schuhen durch Frankfurt zu laufen und durch den Dreck zu waten, das heißt, ebenso schrecklich ist es, mit schweren, wasserdichten Schuhen im Sonnenschein durch Frankfurt zu marschieren und Staub aufzuwirbeln, wie ich es jetzt tue, sage ich zu Karin, wie ich es zum x-ten Mal tue, denn alles hat seine Vorgeschichte, wer glaubt, ausgerechnet hier gäbe es keine Vorgeschichte, verkennt die Tatsachen. In diesem Fall habe ich also umsonst auf den angekündigten Regen gewartet, auf den ausbleibenden Scheißregen, nach Stunden des Wartens habe ich die Hoffnung aufgegeben, wie immer lässt der Regen auf sich warten, wenn ich wasserdichte Schuhe anziehe, ich hätte die leichten Sommerschuhe anziehen sollen, aber dann hätte es gegen jede Wahrscheinlichkeit plötzlich wie aus Eimern gekübelt, der weite Weg zurück zu meinem Hotel an der Ludwig-Ehrhard-Anlage wäre abscheulich und niederschmetternd gewesen, und ich hätte durch den Frankfurter Dreck waten müssen, mitten durch tiefe Frankfurter Dreckpfützen, natürlich mit falschem Schuhwerk. Frankfurt ist, was die Wetterprognose angeht, gelinde gesagt ein unsicheres Pflaster, ein absolut unsicheres Pflaster sogar, ich weiß, wovon ich spreche, ein schlagender Beweis für diese Behauptung ist die Tatsache, dass ich in fünfundzwanzig Jahren, seit ich Frankfurt bereise, noch nie mit den richtigen Schuhen unterwegs war, anfangs habe ich die Frankfurter Wetterprognose für voll genommen und lediglich für zufällig fehlerhaft gehalten, mittlerweile halte ich sie nur noch für eine Unverschämtheit und bewusste Irreführung, nach der ich mich gleichwohl richte, denn nach irgendetwas muss ich mich richten, wenn ich nicht den Kontakt zur Welt gänzlich verlieren will, also richte ich mich nach dem Falschen und leide. Es ist kaum fassbar aber die reine Wahrheit, dass ich mir vor fünfundzwanzig Jahren bereits nasse Füße geholt habe und zwar bei einem Spaziergang vom Goethehaus am Großen Hirschgraben zum Main, es mögen fünf oder sieben Minuten gewesen sein, zufällig habe ich sogar den kürzesten Weg genommen, den allerkürzesten, selbst Goethe als Kenner der Örtlichkeiten wäre nicht schneller an den Main gelangt,  aber die Füße waren nass, und ein Jahr später blieben sie trocken, aber die Schuhe waren viel zu klobig und zu schwer und zum Schluss waren sogar die Füße feucht, ohne dass es auch nur einen Tropfen geregnet hätte, und so ging es jedes Jahr bis zum heutigen Tage, ich glaube, vor fünfundzwanzig Jahren hat es eine falsche Weichenstellung und Urirreführung gegeben, Frankfurt wollte mir einen bösen Streich spielen, ganz und gar keinen lustigen, und ich falle darauf herein, immer im August, zum wiederholten Male, weiß es besser und falle herein. Was mich in besonderer Weise belastet, sage ich meiner lieben Freundin Karin, ist nicht der Scheißregen oder die Scheißsonne, die es genauso, sagen wir, in Bremen oder Dresden gibt, sondern die falsche, die offensichtlich vorsätzlich falsche Wettervorhersage, die vor allem dann besonders falsch, geradezu abgrundtief falsch zu sein scheint, wenn ich in Frankfurt bin und nichts Besonderes vorhabe, außer vielleicht zum Großen Hirschgraben oder hinunter an den Main oder ins Städelmuseum zu gehen, was ja erlaubt sein müsste, ohne in sinnlos schweren oder unglücklich leichten Schuhen umherzulaufen und sich komplett lächerlich zu machen, wie ich mich lächerlich mache, wenn ich, das Hotel an der Ludwig-Ehrhard-Anlage verlassend, nicht in den Frankfurter Himmel schaue, sondern der falschen Wettervorhersage folge und längst schon die falschen Schuhe trage, es ist ja Frankfurt, die Stadt falscher Schuhe, also bitte. Wahrscheinlich, sage ich zu Karin, komme ich seit fünfundzwanzig Jahren nur deshalb nach Frankfurt, um mich ein einziges Mal mit dem richtigen Schuhwerk zu versehen, ganz bewusst sage ich 'Schuhwerk' und 'versehen', weil es schon längst nicht mehr um den Schuh als solchen geht, sondern um das passende Gehinstrument schlechthin, was in Frankfurt einer unlösbaren Aufgabe gleichkommt aber die Voraussetzung dafür ist, den ehrbaren Bürgern der Stadt endlich den Rücken kehren zu können, ja, ich möchte ihnen den Rücken kehren, Zeit wäre es, nach fünfundzwanzig Jahren wäre ein Schnitt wünschenswert, ein Neubeginn, ich will, dass es endet, Frankfurt soll enden in meinem Kopf, und etwas Neues soll beginnen, die ehrbaren Frankfurter belasten meine Nerven jedes Jahr in zunehmender Weise, sage ich zu Karin, aber du weißt ja, die Schuhe, die Schuhe verderben alles, sogar den berühmten geordneten Rückzug. Mittlerweile, meine sehr liebe Karin, sage ich, bezweifle ich sogar, ob es überhaupt angemessen ist, von ehrbaren Frankfurtern zu sprechen, als seien sie stabile Küchentische oder maßgeschneiderte Hosenträger. Es ist wahr, immer habe ich gesagt, die Frankfurter sind ehrbar, aber geglaubt habe ich es höchstwahrscheinlich nie. Vielmehr glaube ich, dass sie wie die Dresdner oder Bremer ganz undurchsichtige Gestalten sind, aus denen niemand schlau wird, es sei denn, man wäre selbst Frankfurter, Bremer oder Dresdner, das änderte natürlich alles, die Geschäftsgrundlage der Erkenntnis wäre eine völlig andere, sage ich zu Karin, wie findest du diesen Ausdruck, ich habe ihn irgendwo gelesen, war es ein Philosoph oder ein Ökonom, am Ende habe ich es mir doch ausgedacht, wem gelingt schon mühelos eine Unterscheidung zwischen Vorgedachtem und Ausgedachtem, ich kenne niemanden, aber jetzt gerate ich auf Abwege, ich wollte eigentlich anmerken, dass die Dinge schlimmer stehen könnten als angenommen, dass nämlich ein Frankfurter einen Frankfurter vermutlich kaum besser kennt und versteht und somit würdigen kann, als sagen wir, einen Bremer oder Dresdner, dass im Extremfall oder sollte ich sagen im Normalfall ein Frankfurter gar nichts versteht und ignorant ist bis ins Mark, und somit als Frankfurter gar nicht mehr erkennbar ist, wenn nicht eben diese Ignoranz voll und ganz den Frankfurter ausmachte, wie er mir in fünfundzwanzig Jahren immer wieder untergekommen ist. Der Ignoranz seiner ehrbaren Bewohner entspricht bei näherem Hinsehen im Übrigen die Ignoranz des sogenannten kosmopolitischen Frankfurt, sage ich zu Karin. Überdies fällt mir seit fünfundzwanzig Jahren auf, wie schlecht und unübersichtlich das Straßennetz der Stadt ist. Der interessierte Mensch und kartographische Laie, der wie ich durch die sogenannten Häuserschluchten und Gassen Frankfurts taumelt, ist verloren, wenn er, sagen wir, vom Großen Hirschgraben zur Textorstraße gelangen will  und auf das dauernde Drehen und Wenden eines abgegriffenen, speckigen Stadtplans verzichten möchte, eines Papierungetüms, das den Nichtfrankfurter lediglich stigmatisiert, ohne ihm wirklich und dauerhaft zu helfen. In meinen Anfangsjahren, wie ich sie nennen möchte, während meiner ersten Frankfurtbesuche also, habe ich noch den Versuch unternommen, Frankfurter, oder solche, die als Frankfurter auftraten, nach dem Weg zu fragen, allerdings nie mit durchschlagendem Erfolg, dagegen habe ich es häufig erlebt, wie ehrbare Frankfurter sofort abwinkten oder allenfalls wild mit dem abgewinkelten Zeigefinger in der Gegend umherfuchtelten und dabei aus blutunterlaufenen Augen gleichzeitig traurig dreinschauten, als ob es eine besondere Bürde wäre, als Frankfurter über den Erdball schreiten zu müssen und das ausgerechnet in Frankfurt, dieser Stadt der Ehrbarkeit und Ignoranz. Ich habe allmählich das Fragen eingestellt, es kam mir nach und nach abhanden, bis ich es beim fünften oder sechsten Frankfurtbesuch ganz eingestellt habe und seitdem nicht mehr frage, wonach auch immer, ich frage  nicht mehr, um eine weitere Enttäuschung zu vermeiden. Wer sich ein zutiefst verstörendes und niederschmetterndes Erlebnis gönnen möchte, ich muss es so sagen, trete, beispielsweise aus dem Goethehaus kommend, am Großen Hirschgraben auf die Straße und versuche durch das unübersichtliche Straßennetz Frankfurts unter Mithilfe  x-beliebiger Frankfurter zur Textorstraße zu gelangen. Wenn schließlich, sage ich zu Karin, das leidige Schuhproblem hinzukommt, und es kommt immer hinzu, könnte ich kotzen, und hätte es längst schon getan, wenn nicht mein gespanntes Verhältnis zu Frankfurt mich davon abgehalten hätte, gerade dieses gespannte Verhältnis führt bei mir zu einer gewissen Zurückhaltung Frankfurt gegenüber, die das Kotzen im öffentlichen Raum ausschließt. So begnüge ich mich damit, sage ich zu Karin, den Alptraum Frankfurt still leidend zu ertragen, jedes Jahr ertrage ich Frankfurt und die Ignoranz seiner ehrbaren Bürger und sein unübersichtliches Straßennetz und stehe plötzlich auf dem Römer oder umrunde verzweifelt die popelige Kotzpaulskirche zum wiederholten Male oder finde mich vor einem der zahlreichen Dreckstürme aus Glas und Stahl wieder, weil ich es gar nicht oder nur auf Umwegen schaffe, auch aus eigener Blödheit und Beschränktheit, wie ich einräumen muss, den richtigen Weg zur Textorstraße einzuschlagen, der mich, soviel weiß ich mit absoluter Sicherheit, über den Main führen muss und zwar in den Stadtteil Sachsenhausen, einer bevorzugten Wohngegend Frankfurts. Solange ich also keine Mainbrücke passiert habe, bin ich mit absoluter Sicherheit nicht in Sachsenhausen, meinetwegen auf dem richtigen Weg aber noch nicht in Sachsenhausen und damit nicht, genauer, noch lange nicht in der Textorstraße, wohin es mich nach jedem Besuch im Großen Hirschgraben treibt und wo ich jedes Mal verspätet und manchmal, durch fahrlässig oder böswillig falsch abgewinkelte Frankfurter Zeigefinger in die Irre geleitet, gar nicht ankomme. Erreiche ich jedoch die Textorstraße, was immerhin gelegentlich vorkommt, bin ich für eine Weile gerettet, wenn es möglich ist, in Frankfurt und unter Frankfurtern für eine Weile gerettet zu sein. Genau genommen ist die Textorstraße nämlich trotz des klingenden Namens bloß eine Apfelweinsaufkneipenstraße, durch die ich mich gerne bewege, weil mir eben jene Apfelweinsaufkneipen, zumal an warmen Augusttagen, als angemessenes, wohltuendes Gegenstück zum Großen Hirschgraben erscheinen, wo die sogenannte Hochkultur zu Hause ist oder doch zumindest einen Ort gefunden hat, einen halbwegs wiedererrichteten, wiederhergerichteten Ort, sage ich leise zu Karin, immerzu weckt die Frankfurter Hochkultur, oder sollte ich sagen die in Frankfurt präsentierte Hochkultur, den nicht anders als psychologisch zu erklärenden Wunsch nach Frohsinn und Lasterhaftigkeit in mir, sodass der Stadtteil Frankfurt-Sachsenhausen, ich wiederhole Frankfurt-Sachsenhausen und in ihm die Textorstraße für mich die Rettung ist, die frohe Lasterhaftigkeit Rettung, selbstverständlich in gemäßigter Form, sage ich zu Karin. Wer wie ich, fahre ich fort, sei es aus der Not heraus oder aus Langeweile für ein paar Tage so tut, als sei er selbst ein ehrbarer, herumirrender, in die Jahre gekommener Halb- oder Viertelfrankfurter, gar ein mit Blödheit geschlagener Hochfrankfurter durch und durch oder ein Möchte-gern-Achtel-oder-Sechszehntelfrankfurter, gewissermaßen ein Angefrankfurterter, mit anderen Worten fast ein Nichts, wer eben diese paar Tage zum Simulanten wird, kann gar nicht anders, als sich den gemäßigten Formen des Apfelweinkonsums hinzugeben, eingedenk, ich sage eingedenk der Alternative, die da hieße, in der Umgebung des Großen Hirschgraben zu verweilen und über Frankfurts Ehrbarkeit nachzudenken, die mit der Ehrbarkeit der Frankfurter nahezu deckungsgleich ist. Am Morgen danach, nach dem ersten oder zweiten oder dritten Besuch einer oder mehrerer Apfelweinsaufkneipen breche ich mit leichtem Apfelweinbrummschädel und dem obligatorischen falschen Schuhwerk von meinem Hotel an der Ludwig-Ehrhard-Anlage erneut zum Großen Hirschgraben auf und warte dort vor dem Goethehaus, dem Hochkulturhaus, bis es öffnet, immer bin ich mindestens eine Stunde früher da, aber nach fünfzehn Minuten verlasse ich das Haus, gehe den weiten Weg zurück ins Hotel, packe den Koffer, meine Siebensachen, wie es so schön heißt und verfüge mich zum Hauptbahnhof, um überstürzt abzureisen, jedes Jahr reise ich früher oder später überstürzt ab, ich kann, sage ich zu Karin, ohne Übertreibung von einer Tradition der überstürzten Abreise sprechen, meistens nach Berlin aber gelegentlich auch nach Bremen oder Dresden, um, die frischen Frankfurter Eindrücke im Gepäck, den direkten Vergleich anstellen zu können, der, sagen wir, eine Woche später kaum mehr möglich wäre, weil ich alles vergesse, in zunehmendem Maße vergesse ich alles, was Frankfurt betrifft und neige nicht zuletzt aus diesem Grunde zur überstürzten Abreise, da der ruckartige Abschied die Erinnerung konserviert, wie ich glaube, sage ich zu Karin, allerdings weiß ich um die Gefahr, die in allem Traumatischen steckt und bin daher, was meine Abreise betrifft, jedes Jahr hin- und hergerissen, entscheide mich aber jedes Mal früher oder später für ein überstürztes Vorgehen, weil mir, wie du sagen würdest, liebe Karin, nichts anderes zur Verfügung steht, so drückst du es aus, und du hast recht, die Flucht rettet mich, nachdem mich die Apfelweinsaufkneipe rettet, rettet mich die Flucht aus Frankfurt, was keinesfalls dem allgemeinen Vergleich der städtischen Eigenarten im Wege steht, der die Ehrbarkeit ebenso zum Gegenstand haben kann, wie die Verzehrgewohnheiten, zu denen die Trinkgewohnheiten zweifellos gehören, wie ich schon oft in Bremen oder Dresden festgestellt habe, wo Ehrbarkeit und Ignoranz der Ehrbarkeit und Ignoranz in  Frankfurt zum Verwechseln ähneln, wo aber, wie ich betonen muss, die Wettervorhersage fast immer der Wahrheit entspricht, während sie in Frankfurt immer unwahr ist und kaum übertrieben einer faustdicken Lüge gleichkommt. Besser sollte ich, sage ich zu Karin, nicht mehr nach Frankfurt fahren, Frankfurt und die Frankfurter scheinen mit einem Fluch behaftet zu sein, vielleicht sogar einem ehrbaren Fluch aber einem Fluch, der mich immer wieder in diese unwegsame und charakterlose Stadt, diese Jauchegrube mit Hochkultur, mit den Scheißtürmen aus Scheißglas und –stahl, fahren lässt und mir die rettenden Apfelweinsaufkneipen in der Textorstraße als Trostpreis unterjubelt und mich großzügig überstürzt ziehen lässt, bis ein Jahr später wieder alles von vorn beginnt und ich als Lachnummer die Kotzpaulskirche umrunde auf der Suche nach Main und Maus, und die Maus bin mal wieder ich, lieber wäre ich der Main, die Alte Brücke oder der Römer, lieber wäre ich der Römer oder das Städel, natürlich vor allem das Städel, Hauptsache, sage ich laut zu Karin, nicht der Börneplatz, bitte auf keinen Fall der Börneplatz, der stille, der versteckte Börneplatz, auf dem ich verstohlen auf meinen Irrungen, ja, verdammte Irrungen sind es, auf meinen Irrungen zwischen Großem Hirschgraben und Textorstraße, ich möchte sagen, wie Falschgeld zirkuliere, bis ich auf einer Bank zur Ruhe komme, immer auf der selben Bank, von der ich einige der kleinen Gedenkquader an der Friedhofsmauer im Blick habe, einige tausend von einigen tausend mehr, auf gar keinen Fall möchte ich dieser Börneplatz sein, der früher anders hieß und davor genauso und davor noch ganz anders,  dieser Börneplatz, den ich beschweigen möchte, dessen Vor- und Nachgeschichte ich beschweigen möchte, und, wenn ich auf meiner Bank sitze, beschweige, dieser Börneplatz will ich um Himmels willen nicht sein, ich will und will und will nicht, der versteckte Börneplatz verbaut mir den Weg zwischen zwei Punkten, abstrakt gesprochen, natürlich abstrakt gesprochen, ich sage nichts mehr, sage ich zu Karin, vielleicht sollte ich, aber mit nassen Füssen sage ich nichts mehr, und mit trockenen Füssen, die in zu schwerem Schuhwerk stecken, sage ich erst recht nichts, und besonders dem ehrbaren Frankfurter sage ich nichts, dem ortsunkundigen Tölpel, der in Kotzfrankfurt herumfuchtelnd seiner Wege geht und mich sehr kräftig gernhaben kann, wie auch der Kotzbremer oder der Kotzdresdner, alle machen sie mich wahnsinnig, aber besonders die Frankfurter, von denen ich behaupte, dass es nicht nur Unkundige sind, in jeder Hinsicht unkundig und verstockt, sondern auch Wahnsinnige, dem Wahnsinn verfallen, sage ich wieder ruhiger zu Karin, seit fünfundzwanzig Jahren mische ich mich als Wahnsinniger unter Wahnsinnige. Bald kann ich nicht mehr, meine Kräfte schwinden, und die falsche Wettervorhersage wird triumphieren und Feste feiern, vielleicht sogar in der Textorstraße, sage ich zu Karin, diese Vorstellung nagt besonders an mir, dass alles triumphiert, dass Frankfurt triumphiert und nimmt, was es mir nicht gegeben hat, mein kleines Leben, Frankfurt richtet mich nach all den Jahren, sollen eben Frankfurt und die ehrbaren Frankfurter mich richten, gleich hier in der Textorstraße oder am Großen Hirschgraben neben einer lieben Frankfurterin wie dir, sage ich zu Karin, mit allem bin ich einverstanden, es nagt, aber ich bin einverstanden, lediglich ein plötzlicher Herztod auf dem Börneplatz möge mir erspart bleiben, ich mag gar nicht daran denken, sage ich zu Karin, wie es wäre, am Börneplatz mit Blick auf die Friedhofsmauer mit ihren Quaderchen, Lebensquaderchen, lang hinzuschlagen und von ehrbaren Frankfurtern fortgetragen zu werden. Vielleicht ist es mir vergönnt, im Städel vor einem meisterhaften Vermeer zusammenzusacken oder meinetwegen vor einem blöden Tischbein und seinem Goethe mit den zwei linken Füßen in der Campagna, oder sind es nur linke Schuhe, aber einmal, einmal soll die beschissene Wettervorhersage stimmen, dann kann Frankfurt mich richten und meine sterblichen Überreste dem träge fließenden Main überantworten, das ist es, sage ich zu Karin, ich gehöre in den Main, Frankfurt schickt mich, eine Wasserleiche, die den Main hinuntertreibt bis zu seinem großen Bruder und diesem weiter bis ins Meer und dem Meer ins Unendliche folgt. Sage ich es, und ich sage es, dann versöhne ich mich mit Frankfurt, weil Frankfurt am Meer liegt, so gesehen liegt Frankfurt am Meer, und ich versöhne mich, sozusagen stellvertretend für mich begehe ich den Versöhnungsakt, wo es nichts aber auch gar nichts zu versöhnen gibt. Der ehrbare Frankfurter ist ein Meerestier, damit kann ich leben, Karin, oder ich irre mich, aber ich irre mich nicht, und Karin sagt ich weiß.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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