Wolfgang Ranft

Linda on the Rocks oder Die Frau im Kühlschrank

Linda on the Rocks oder Die Frau im Kühlschrank
Teil 1 (Fortsetzung folgt)
 
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich einer Sinnestäuschung unterliege. Vielleicht brauche ich Hilfe.
Die Dinge ereigneten sich, nachdem ich vor einigen Wochen den Kühlschrank sauber gemacht habe, dazu muss ich bemerken, es ist einer von diesen supergroßen Kühlschränken. Während einer großen Versorgungskrise ließen sich darin theoretisch Vorräte für einen sehr langen Zeitraum unterbringen, ich schätze für einen halben Winter, wobei ich noch nicht einmal genau sagen könnte, wie lang ein ganzer Winter ist, es kommt mir auf jeden Fall so vor als ob ein ganzer Winter länger ist als zwei halbe Winter, das mag verrückt klingen, aber das ist nicht einfache Bruchrechnung, hier gibt es eine Komplexität zu bedenken, die nicht vielen Fragestellungen anhaftet.
Aber was soll man in einer großen Versorgungskrise mit einem großen Kühlschrank? Es wird wahrscheinlich keinen Strom geben, das macht einen Kühlschrank, ob groß oder klein, völlig überflüssig. Man kann dann ebenso gut Schuhe, Bücher oder Werkzeug darin lagern.
Nun - ich bin vom Thema abgewichen. Nach der gründlichen Reinigung des Kühlschranks unter Einhaltung aller gebotenen klassischen Schritte wie Strom abstellen, abtauen, aufsammeln des Tauwassers und sorgfältiges und wiederholtes Putzen mit recht angriffslustigen und todsicher wirkenden Haushaltsreinigungsmitteln, überlegte ich, wie die Geschichte mit meinem Kühlschrank weitergehen sollte.
Sollte ich ihn umgehend wieder befüllen? Vor der Reinigung hatte ich alles entfernt, was sich im Kühlschrank befand, manches war überfällig, wenn man dem Verfallsdatum Glauben schenkte, manches war noch scheinbar gut, manches war noch gefühlt brauchbar, aber ich entsorgte alles, wirklich alles, sehr sorgfältig in die schwarze Mülltonne, obwohl ich ehrlich  gesagt kein Verfallsdatums-Neurotiker bin. Zumindest war ich es früher auf keinen  Fall. Da hatten sich in meinen diversen Kühlschränken unüberschaubare Biotope gebildet, ich musste gar nicht mehr einkaufen gehen und konnte buchstäblich von der Substanz leben. 
Ich beschloss aus irgendeinem Grunde, den Kühlschrank nach der Reinigung in gekühltem Zustand in Ruhe zu lassen. Er sollte sich von all den vorherigen, zugegebenermaßen nicht immer positiven Erlebnissen, gründlich erholen. Ich wollte irgendwie einen sauberen Neuanfang machen mit mir und meinem Kühlschrank. Für ein paar Tage aß ich dann auswärts.
Frühstück in einer nahegelegenen Bäckerei, mit zwei Brötchen und einem Cappuccino. Serviert von einer umwerfend hübschen Frau in der besagten Bäckerei.
Zum Mittag essen war ich bei Franco, dem Italiener, man weiß ja, was die so kochen
Zum Abendessen ging ich wieder zu Franco.
Nach einigen Tagen, ich hatte mich schon fast an das kühlschrankfreie Leben gewöhnt, dachte ich an meinen Kühlschrank, während ich bei Franco eine Spaghetti Carbonara aß. Köstlich zubereitet und dazu etwas Weißwein. Eine halbe Flasche war geplant, am Ende wurde es eine ganze Flasche. Wie im Sozialismus, man übertrifft begierig nicht immer zwangsweise unwillig  die gesetzten Normen.
Nicht, dass ich den Kühlschrank nicht sah, wenn ich zu Hause in meiner Küche war, obwohl ich seit der Grundreinigung viel weniger Zeit in der Küche verbrachte. Der Kühlschrank war weiterhin allgegenwärtig.
Die meiste Zeit saß ich in meinem Arbeitszimmer vor meinem Computer und übersetzte Bücher von mir nicht immer bekannten Autoren aus dem englischen oder italienischen in die deutsche Sprache. Das ging mir ganz gut von der Hand, ich konnte gut davon leben und ich genoss die Freiheit, Zusammenhänge, Sätze und Wörter und ganze Geschichten noch besser zu formulieren oder noch eleganter beschreiben als es nach meiner Beurteilung im Originaltext geschehen war. Außerdem erlangte ich frühzeitig durch die Bücher einen Einblick in neue Welten und Ideen, noch lange bevor die Bücher in den Handel gelangten, um einer breiten Leserschaft zur Verfügung zu stehen.
Die gelegentlichen Spaziergänge von meinem Arbeitszimmer in die Küche, direkt an den Kühlschrank, entfielen, solange sich der Kühlschrank in der Erholungsphase befand. Genauer gesagt -  ich machte einige Exkursionen in die Küche, das war pure Gewohnheit, dann widerstand ich aber dem Drang, den Kühlschrank zu öffnen.
Warum sollte ich ihn auch öffnen? Es war nichts darin, was für mich bei meiner laufenden Lebensbewältigung von irgendeinem Wert war.
Dieser völlig leere, außen und innen weiße Kühlschrank war wie ein weißes Loch, wenn dieser Begriff erlaubt ist.
Schwarze Löcher verschlingen alles, was ihnen zu nahe kommt, und geben es nie wieder preis, alles ist unwiderruflich verloren. Dieser als weißes Loch metaphorisch umschriebene Kühlschrank verschlang alles, was durch seine Tür hineingereicht wurde, jedoch gab er auch alles wieder her, auch wenn Dinge nach der Herausnahme nicht mehr exakt dem entsprachen, was hineingelegt worden war. Sei es die Konsistenz, die Farbe, der Geruch, das allgemeine Aussehen, der Geschmack, die Form, nichts ging so hinaus wie es hineingekommen war. Manchmal wurde scheinbar totes Material hineingelegt und lebendiges kam wieder heraus. Auch etwas beängstigend, aber bei weitem nur halb so gefährlich wie ein schwarzes Loch.
Nun - während ich also bei Franco in der Pizzeria saß, beschloss ich nach erfolgreichem Abendessen und nach einem kurzen Schwätzchen mit Franco, den Kühlschrank wieder in Betrieb zu nehmen, einige Einkäufe zu tätigen, um meinen Kühlschrank wieder zu befüllen und um mein Leben in gewohnten kulinarischen Bahnen fortzusetzen. Franco hatte mir von seiner neuen Freundin erzählt, besser gesagt, er hatte mir die Ohren vollgeschwärmt. Irgendwann würde ich sie gewiss kennenlernen, aber leider hatten Franco's Freundinnen sehr kurze Halbwertszeiten, und sie strahlten auch nicht sehr lange, aber dann kam wieder eine Neue mit einer vielleicht noch kürzeren Halbwertszeit.
La vita deve continuare, waren Franco's Worte jedes Mal nach einem seiner zahlreichen Neuanfänge mit weiblichen Schönheiten, life must go on, würde der Engländer sagen.
Ich hätte Franco gewünscht, dass er mal für eine längere Zeit bei einer Frau bleiben würde, aber vielleicht hielten es die Mädels auch nie lange mit ihm aus. Bei Franco waren Beziehungen immer nur zu Ende oder fingen gerade frisch an. Ein verblüffend simples duales System von zwei möglich Zuständen einer Beziehungssituation. Über das warum und weshalb wurde nie ein Wort verloren
Ich ging also in einen dieser Supermärkte um die Ecke und begann den Einkaufswagen mit allerlei Dingen des täglichen Bedarfs zu füllen.
Dabei ist anzumerken, dass ich auch Produkte aus den Regalen auswählte, die garantiert nicht im Kühlschrank enden würden.
Ich werde ihnen meine Einkaufsliste nicht vorenthalten, aus einem sehr einfachen Grund. Beim Durchlesen meiner Einkaufsliste werden sie mehr über mich erfahren, als wenn ich mich in vielen Schilderungen über mich ergehe, die vielleicht nicht nachvollziehbar, nicht aussagefähig oder auch nicht glaubwürdig sind.
Sie werden mit Hilfe meiner Einkaufsliste einen erheblich Teil meiner Persönlichkeit kennenlernen, auch einen großen Teil meiner Probleme.
Also - hier ist die Liste:
12 Flaschen Bier,
6 Flaschen Rotwein der Sorte Rioja
2 Flaschen Sekt
1 Paket geschnittenes Brot
1 kg Bananen
500 g Kaffee
4 Becher Joghurt
8 Brötchen
500 g Käse
500 g Schinken
100 g Spaghetti
20 Unterhosen
12 Paar Socken
1 Asthma Spray
200 Kopfschmerzentabletten
 
Ich beendete meinen Einkauf, packte alles in die wie immer zu kleinen Einkaufstüten und ging nach Hause.
Ich ging in die Küche und nahm die Einkäufe aus den Plastiktüten. Nachdem alles irgendwie auf dem freien Platz auf der Arbeitsplatte neben dem Kühlschrank aufgebaut war, nach irgendwelchen undefinierbaren Kriterien vorsortiert oder auch nur zufällig dahingestellt, war nun alles bereit, um die Einkäufe im Kühlschrank zu verstauen wie Bücher in einem Bücherschrank nach irgendeinem simplen Ordnungsprinzip oder nach einem komplexen Ordnungssystem, nach Größe, Gewicht, Herkunft, Zweck, Qualität, Beliebtheit, vielleicht sogar nach Preis oder alphabetischem Gehalt des Aufdrucks oder nach Farbe, Buntheit, Geruch oder Aussehen oder nach dem Motiv auf der Verpackung oder einfach nur sequenziell, ohne jegliches komplexes System.
Jeder befindet sich gelegentlich in einer solchen Situation, am Ende kommt oft nichts vernünftiges dabei heraus, das einzig zuverlässige System, bei dem man dann vielleicht wieder landet, ist das alte wohlbekannte Chaos.
Es gibt Leute, die ihre professionelle Berufung darin sehen, anderen Leuten bei solchen Problemen zu helfen.
Es wäre vielleicht mal einen Versuch wert, sich von so einem Experten beraten zu lassen, irgendwann, in naher oder ferner Zukunft oder vielleicht nie, oder ganz sicher nie, jeder ist schließlich am besten in dem von ihm selbst gestalteten Chaos am besten aufgehoben, so dachte ich jedenfalls. 
Ich hatte noch die absolute Leere des Kühlschranks in Erinnerung, das erst Mal diese Leere, nachdem die Möbelpacker den Kühlschrank aus der Lagerhalle im Warenhaus in meine Wohnung in die 2te Etage einer alten Villa in Hamburg geschleppt hatten. Das vor ca. 5 Jahren.
Sie entfernten behutsam die Verpackung, falteten die Überreste der  Verpackung sorgfältig zu einem handlichen Paket zusammen und stellten dann den Kühlschrank an den von mir vorbestimmten Platz in der Küche, direkt neben die Spülmaschine, sie steckten den Stecker in die Steckdose, das Licht funktionierte dann sofort beim Öffnen der Tür und ich starrte in diese vom grellen Licht erhellte Leere, die Männer empfahlen mir, den Kühlschrank erst nach ein paar Stunden anzustellen, damit sich die Flüssigkeiten, die sich beim Transport in Bewegung gesetzt hatten, erst einmal beruhigen konnten.
Das machte irgendwie Sinn, obwohl sich ja hier physikalische Vorgänge abspielten, und ob "beruhigen" hier der richtige Begriff war, erschien mir zweifelhaft. Beruhigen ist ja ein elementarer Begriff aus der bizarren Welt der menschlichen Verhaltensmöglichkeiten.
Ein Kind muss sich beruhigen, wenn es weint oder gar schreit, wenn man ihm etwas wegnimmt oder wenn man ihm etwas nicht gibt, oder es schreit einfach nur so, aus Lust, oder aus Schmerz, oder es schreit aus sehr komplexen Gründen, ein Experte muss hinzugezogen werden, um die Ursache zu finden, manchmal schreit das Kind ein Leben lang, auch wenn es schon längst erwachsen ist, manche Eltern sind froh, wenn sie so ein Kind nicht haben, dann haben sie vielleicht ein anderes Kind mit anderen Problemen, die noch weniger wünschenswert sind, manche Leute haben keine Kinder und auch viele Probleme, man kann sich die eigenen oder die Probleme seiner Kinder nicht aussuchen.
Eine Frau muss sich beruhigen, wenn ihre innerste Seele aus dem Gleichgewicht geraten ist. Vielleich ausgelöst durch einen Streit mit ihrem Mann oder mit ihrem Boss oder mit ihrem Geliebten oder durch alle drei gleichzeitig oder durch eine erlebte aber nicht genau erkennbare Ungerechtigkeit oder durch ein nicht bestandenes Examen oder durch eine beim Kochen missglückte Mahlzeit oder durch ein Dank einer Ungeschicklichkeit beim Abwasch zersprungenes Sektglas.
Sogar Männer müssen sich manchmal beruhigen, wenn sie nicht Herr der Lage sind oder wenn ihnen der Schmerz oder die Situation über den Kopf gewachsen sind oder wenn sie einen Brief vom Finanzamt bekommen oder von der Bank oder von einer Geliebten, die nicht mehr Geliebte sein will oder wenn bei einem wichtigen Ereignis wie einem Fußballspiel keine ausreichende Menge gekühlten Bieres zur Verfügung steht oder wenn der Fernseher kaputt ist
Es gibt tausend Gründe, warum man sich beruhigen muss, aber es gibt nur wenige erfolgreiche Methoden zur Beruhigung.
Nun fällt mir doch nachträglich ein, schon mal davon gehört zu haben, dass sich auch Flüssigkeiten beruhigen können, vielleicht habe ich doch vorschnell den beiden Handwerkern, die mit Behutsamkeit und Geschick den Kühlschrank bei mir aufgestellt haben, mit einer allzu kritischen Bewertung des Begriffes "beruhigen" etwas Unrecht angetan. Aber ich habe das nicht öffentlich gesagt und ich habe auch nie ihre Professionalität angezweifelt. Im Gegenteil - als Anerkennung für ihre Arbeit gab ich jedem von ihnen 10 €, sie bedankten sich für diese Art von Großzügigkeit, die ihnen offensichtlich nicht täglich mehrfach widerfuhr. Sie wünschten mir viel Glück mit dem Kühlschrank, verabschiedeten sich dann und verließen dann  mit den zu entsorgenden Verpackungselementen, die sie gemeinsam trugen,  meine Wohnung, ohne großen Lärm zu machen.
Also - wie empfohlen öffnete ich nach einer Schonzeit oder auch Beruhigungszeit, wie zuvor schon erläutert, den Kühlschrank, starrte in die weiße Leere, arrangierte die verschiedenen Einlegeböden entsprechend einer spontanen Einschätzung meiner Kühlbedürfnisse und der zu kühlenden Objekte nach Größe und Volumen, zugegebenermaßen, keine höchst wissenschaftliche Vorgehensweise. Bliebe anzumerken, dass auch der Nichtwissenschaftler zu einem Ziel gelangen kann, mag dieses auch verschieden sein vom, was der Wissenschaftler erreicht hätte. Auch Ziele sind relativ, hanzu zu schweigen von den Wegen zur Erreichung der Ziele. Wen wundert das?
Mir fiel damals auf, dass man zur optimalen Befüllung eines Kühlschrankes über ein gewisses Maß an abstraktem Denkvermögen verfügen sollte, um Herr der Lage zu bleiben.
Es ist jedoch zum Glück noch nicht üblich, dass man beim Kauf eines Kühlschrankes eine Intelligenzbescheinigung vorlegen muss. Das könnte man durchaus überdenken, auch dem Gesetzgeber könnte es nicht ungelegen sein, solche Restriktionen einzuführen. Wenn die besagte Intelligenzbescheinigung per Gesetz zwingende Voraussetzung für die Neuanschaffung eines Kühlschrankes wird, würden viel weniger Kühlschränke verkauft, vielleicht bald sogar überhaupt keine mehr, wenn man die Intelligenzanforderungen nur genügend hoch schraubt. Man müsste weniger Kühlschränke entsorgen oder überhaupt keine mehr, und wir würden uns an einer verbesserten Umwelt erfreuen.
Naheliegend wäre es vielleicht auch, die Vorlage solcher Intelligenzbescheinigungen bei der Anschaffung aller anderen Güter einzuführen. Die Umwelt würde ohne Zweifel davon profitieren.  Das war nur so ein Gedanke, der auch möglicherweise ein paar abwegige Aspekte hat, aber um das zu verstehen, müsste man intelligenter sein als mit allen Intelligenzbescheinigungen dieser Welt belegbar wäre.
Ich erinnerte mich sogar, dass ich den nagelneuen Kühlschrank mit einem feuchten Lappen sehr oberflächlich reinigte, diese Aktivität hatte mehr eine Alibifunktion als irgendeinen messbaren Effekt. Aber gut - so hatte ich es von zu Hause in Erinnerung, ein neuer Kühlschrank musste gereinigt werden. Man kann viele erlernte Reflexe nicht so ohne weiteres ablegen.
Der Kühlschrank wurde noch am gleichen Tag mit Lebensmitteln aller Art befüllt und es gab bis zu dem Ereignis der Großreinigung 5 Jahre später nichts Auffälliges zu berichten, der Kühlschrank verrichtete klaglos seinen Dienst, die Geräuschkulisse war erträglich, fast beruhigend, im Arbeitszimmer hörte ich so gut wie gar nichts. Das Öffnen und schließen der Kühlschranktür zur Entnahme von Speisen, zur Befüllung mit Essbarem und Trinkbarem unterlag den üblichen Reflexen von Entnahme, Befüllen, Hunger, Durst und Neugier und es stellte sich eine halbwegs erträgliche Öffnungsfrequenz der Tür ein mit den üblichen Abweichungen an Festtagen, Geburtstagen oder wenn ich mich mal wieder besaufen musste oder wollte.
Manchmal öffnete ich auch nur die Tür und sah hinein und machte die Tür wieder zu. Man vergisst ja schnell. was so im Kühlschrank drin ist, und so muss man sich gelegentlich durch Öffnen der Tür einen Überblick verschaffen.
Ich kann noch nicht einmal sagen, warum ich das tat. Vielleicht war es die Suche nach dem Unbekannten, die Suche nach etwas Aufregung in meinem eigentlich recht aufregungslosen Leben. Vielleicht war es auch etwas anderes. Vielleicht sollte ich mich mal einer Kühlschrank-Selbsterfahrungsgruppe anschließen, um mehr zu dem Thema zu erfahren. Vielleicht sollte ich das auch besser lassen.
Ich hielt eigentlich nichts von jedweden Therapiegruppen. Eine unnütze Geldausgabe im besten Falle. Aber man lernt manchmal andere Menschen kennen. Vielleicht auch komplette Idioten. Das wäre vielleicht spannend. Mal einen richtigen Idioten zum Nulltarif in Reinkultur zu erleben, könnte mir einen Hauch von Normalität zurückgeben. aber wer weiß, vielleicht dachten die anderen Idioten genau so, wenn sie mich sahen. Das wäre der Titel eine Buches, das ich vielleicht mal irgendwann schreiben werde:
Ein Idiot ist nie allein!
Während einer leider nur sehr kurzen Phase meines Lebens, in der mir noch intellektuelle Qualitäten anhafteten, die selbst von objektiven dritten neidlos bestätigt wurden, hatte ich immer einen ausgeprägten Sinn für Gedanken, und Texte und sogar Äußerungen, die etwas Beleidigendes an sich hatten.
Ich weiß nicht genau, warum. Aber ich glaube, jeder kennt das Phänomen der Lustempfindung durch aktive beleidigende Äußerungen, vorausgesetzt, die Äußerungen stammen von einem selbst. Ungleich schlimmer ist es, von anderen beleidigt zu werden, und noch schlimmer ist es, nichts dagegen machen zu können.
Nun stand also das Befüllen des Kühlschranks nach der Großreinigung bevor. Ich war ein bisschen aufgeregt, denn nie zuvor in meinem Leben hatte ich etwas so gründlich gereinigt, wie diesen Kühlschrank. Noch nicht mal bei der Reinigung meines eigenen Körpers hatte ich jemals solchen Aufwand getrieben. Bei der Körperreinigung ging ich wenig systematisch vor, ich wusch eigentlich nur solche Stellen, die mir dreckig erschienen. Der Kühlschrank hingegen war klinisch sauber, man hätte darin Operationen am offenen Herzen ausführen können. Aber es wäre mit Sicherheit schwierig gewesen, ein komplettes chirurgisches Team und einen Patienten in den Kühlschrank hineinzuzwängen. Auch wäre die  Sache mit dem Licht, das ja bekanntlich ausgeht, wenn man die Tür schließt, nicht unproblematisch. Wer möchte schon gerne bei Dunkelheit operiert werden. Ein Kompromiss könnte möglicherweise in folgenden liegen: Operation an offenem Herzen und bei offener Tür (vielleicht sogar noch mit offenem Hemd).
Der Vergleich zur Beschreibung des hygienischen Zustandes meines Kühlschrankes mag etwas übertrieben oder weit hergeholt erscheinen, aber man weiß ja, man muss manchmal etwas übertreiben, um Dinge auf den Punkt zu bringen.
Ich griff also mit der rechten Hand eine Flasche Sekt aus dem unübersichtlichen  Haufen der frisch eingekauften Lebensmittel, sie fühlte sich so an als ob ihr etwas Kühlung gut tun könnte. Ich hielt die Flasche in der Hand, um sie unmittelbar nach Öffnen der Tür in das in der Tür eingebaute Fach zu stellen.
Ich öffnete die Tür, das Licht ging sofort an und ich blieb da stehen wie von einem Blitz getroffen. Vor Schreck fiel mir die Sektflasche aus der Hand, auf den Fliesenboden und zerbarst in Tausend Stücke.
Im Kühlschrank saß eine Frau, sie schaute mich an und ich verschloss die Tür sofort wieder reflexartig.
Ich stand inmitten des Scherbenhaufens und fasste mit beiden Händen an meinen Hinterkopf. Träumte ich, war das wahr? Stimmte etwas nicht mit mir?
Ich hatte wohl häufig eine Frau vor einem Kühlschrank gesehen oder an einem Kühlschrank oder in der Nähe eines Kühlschrankes, aber noch nie hatte ich eine Frau in einem Kühlschrank gesehen. Das war unfassbar.
Ich öffnete die Tür erneut und da saß diese Frau immer noch. Sie schaute mich an und sagte:
Hallo, keine Panik, vielleicht machen Sie erst mal den Fußboden sauber und dann reden wir weiter.
Ich schloss die Tür wieder und hatte nicht die geringste Kraft zur Entwicklung irgendeines vernünftigen Gedankens.
Fast mechanisch, wie ein Roboter reinigte ich den Fußboden und dachte dabei intensiv über das Erlebte nach, während ich die Glasscherben einsammelte und den Sekt aufwischte. Ich schaute zurück in mein Leben und fragte mich, ob meine geistige und psychische Gesundheit in der Vergangenheit jemals ernsthaft angeschlagen war. Oder war ich durch irgendetwas völlig ausgestresst, ohne dass mir das deutlich bewusst war?
Ich wollte die Kühlschranktür wieder öffnen, zögerte aber einen Augenblick.
Dann nahm ich allen meinen Mut zusammen und öffnete die Tür erneut, mit der Absicht, wenigstens ein Stück Butter in das dafür vorgesehene Fach in der Tür zu legen.
Die Frau war noch immer da. Sie lächelte, während ich die Butter in das Fach legte.
Ich schloss die Tür und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
Dann öffnete ich die Tür erneut, die Frau war nicht mehr da. Ich verspürte Erleichterung und Enttäuschung zugleich. Der Albtraum schien sich in Luft aufgelöst zu haben
Ich erinnerte mich, die Frau war sehr schön, aber jetzt war sie nicht mehr da.
Ich arbeitete noch eine halbe Stunde in meinem Arbeitszimmer, versuchte es irgendwie, aber mein Gedanken waren bei den unglaublichen Ereignissen. Ich beschloss, mir ein Sandwich zuzubereiten und ging in die Küche. Ich benötigte dazu die Butter. Ich öffnete die Tür, die Butter war noch da, aber die Frau war nicht mehr da.
Ich nahm das Paket mit der Butter aus dem Kühlschrank, verschloss die Tür, öffnete das Butterpaket, entnahm mit dem Messer eine gehörige Portion, verschloss das Paket wieder, um es in den Kühlschrank zurückzulegen.
Ich eröffnete die Tür, da war die Frau wieder, ich war nun auf so etwas oder etwas ähnliches ein bisschen vorbereitet. Ich ließ vor Schreck nichts fallen und starrte die Frau nur an, während ich mit der linken Hand die Tür offenhielt.
Sie sagte wieder:
Keine Panik.
Sie lächelte und sagte dann mit ruhiger Stimme:
Ich bin Linda und möchte ihnen jeglichen Stress ersparen. Ich parke hier in ihrem Kühlschrank. Sie werden es schon gemerkt haben, manchmal bin ich da und manchmal bin ich nicht da.
Auch möchte ich ihnen langes Experimentieren ersparen. Also -  solange nur ich in dem Kühlschrank bin und keine Lebensmittel und keine anderen Objekte, solange können Sie mich sehen.
Wenn Sie irgendetwas in den Kühlschrank legen und sei es auch noch so klein, dann werde ich nach Schließen der Tür und erneutem Öffnen nicht mehr da sein.
Ach so - wenn eine andere Person den Kühlschrank öffnet, werde ich nach dem Öffnen der Tür nicht zu sehen sein; auch wenn sie mit einer weiteren Person in der Küche sind, kann man mich nicht sehen, wenn die Tür geöffnet wird, egal, ob der Kühlschrank voll oder völlig leer ist.
Nun holen Sie mal tief Luft, machen Sie Tür zu und vielleicht bis später.
Ich schloss die Tür, ihre Worte klangen so überzeugend, dass ich nicht im Geringsten den Mut gehabt hätte, mich ihren Anweisungen zu wiedersetzen.
Ich öffnete die Post. Einer meiner Auftraggeber hatte mir ein neues italienische Manuskript geschickt mit der Bitte, ein formales Angebot abzugeben. Das war wie gesagt, eine Formalität, der Auftrag war mir sicher.
Titel der Publikation: La donna nel frigerifero. 150 Seiten. Termin für die Abgabe der Übersetzung: Ende August. Das waren ca. 50 Tage, ausreichend Zeit für die gesamte Übersetzung. Das wäre ein ganz normaler Auftrag gewesen, wie viele meiner anderen Aufträge, wenn nicht ..........
Ja -  wenn dieser Titel nicht gewesen wäre. Den Titel würde jeder erfahrene Übersetzer übersetzen mit: Die Frau im Kühlschrank.
Ich traut meinen Augen nicht, der Wahnsinn schien kein Ende zu nehmen oder er begann gerade.
Ich verschob das Öffnen des Umschlages mit dem Manuskript auf den nächsten Tag, weil ich für heute genügend Überraschungen erlebt hatte.
Ich ging wieder in die Küche, direkt zum Kühlschrank, wie Sie sich leicht denken können. Ich zögerte vor dem Öffnen der Tür. Vor 500 Jahren hätte ich mich vielleicht erst mal bekreuzigt. Ich öffnete die Tür.
Da saß sie. Meine Frau. Linda. Ich war erleichtert. Sie schien andere Kleidung angelegt zu haben. Aus meiner Erinnerung war die Farbe ihrer Hose beim letzten erfolgreichen Öffnen blau, jetzt trug sie eine rote Hose. Es wurde immer besser.
Sie fragte:
Möchten Sie ein Bild von mir?
Ich nickte mit dem Kopf - nach einer kleinen Bedenkpause.
Sie hatte also Sachen bei sich, während sie in meinem Kühlschrank saß. Vielleicht eine Handtasche mit den allernötigsten Dingen, wie eine Frau, die einkaufen geht, oder ins Büro geht. Vielleich hatte Sie eine Scheckkarte bei sich, vielleicht ein Handy. Vielleicht sogar einen Koffer.
Zu wie viel Überraschungen war sie noch gut? Sie reichte mir das Bild, das sie irgendwo hergeholt hatte und ich kam ihrer rechten Hand sehr nahe, so nahe wie nie zuvor. Ich verspürte einen Drang, ihre Hand zu ergreifen, aber ich hielt mich zurück.
Ich warf einen Blick auf das Bild: Ja, das war ein Bild von ihr, ich konnte sie klar erkennen, deutlicher als bei der Ansicht im Kühlschrank. Sie war wunderschön, betörend schön. Sie war vielleicht 30 Jahre alt, hatte lange schwarze Haare. Auf dem Bild lehnte sie an einen Baum, ein Kirschbaum inmitten von einer hellen, bewachsenen, begrünten Landschaft. Ihre graziöse Figur war nicht zu übersehen. Ich spürte, wie eine  Sehnsucht in mir wach wurde.
Sie konnte sich also bewegen, verfügte über eine Grobmotorik, vielleicht sogar über eine Feinmotorik. Und sie konnte gut reden.
Sie sagte:
Haben Sie noch irgendwelche Fragen?
Mir wurde bewusst, dass ich bisher noch nichts zu ihre gesagt hatte, kein Wort war über meine Lippen gekommen. Nur sie hatte bisher gesprochen.
Ich wollte soviel sagen und fragen, aber ich war wie gelähmt, erstarrt vor Schreck und Ehrfurcht. Ich schüttelte den Kopf und schloss die Tür. Ich war sicher, irgendwann, vielleicht sogar bald, würde eine richtige Unterhaltung stattfinden. Ich freute mich darauf, gleichzeitig war ich wieder völlig unsicher, ob das jemals passieren würde.
Ich ging in mein Arbeitsbüro und versuchte an einem alten Projekt weiterzuarbeiten. Den Umschlag mit dem neuen Projekt traute ich mich noch immer nicht zu öffnen, vielleicht lag in diesem italienischen Script der Schlüssel zu der ganzen Geschichte, vielleicht würde die Geschichte ein plötzliches tragisches Ende nehmen, wenn ich beginne, das Script durchzulesen. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand. Ich konnte mit keinem Menschen darüber sprechen, man würde mich für verrückt erklären, ich verspüre aber auch gar keine Lust, mit irgendjemand darüber zu sprechen. Ich wollte nur mit einer einzigen Person sprechen, das war sie, Linda, die Frau im Kühlschrank.
Ich hatte Mühe, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich war süchtig nach diesem Phantom in meinem Kühlschrank.
Warum war sie auf mich dressiert, warum würde es nicht funktionieren, wenn eine Person zugegen war oder wenn eine andere Person den Kühlschrank öffnete?
Ich raffte meinen ganzen Mut zusammen und ging in die Küche. Ich öffnete nach einer gehörigen Pause den Kühlschrank.
Da saß sie, noch immer mit der roten Hose und dem gelben Pulli bekleidet.
Sie sagte:
Hallo!
Ich sagte:
Hallo!
Sie sagte:
Wie geht's?
Ich sagte
Es geht mir gut. Und Ihnen?
Sie sagte:
Es geht mir sehr gut. Ich fühle mich sehr wohl bei Ihnen!
Ich sagte:
Das freut mich zu hören! Soll ich ihnen die Temperatur etwas herauf oder herunterstellen?
Sie sagte:
Sehr freundlich von Ihnen. Aber ich kann mir die Temperatur ohne Probleme selbst einstellen!
Ich warf einen Blick auf das Einstellrädchen für die Temperatur. In der Tat, bei der Wiederinbetriebnahme des Kühlschrankes hatte ich die Einstellung auf Stufe 2 gesetzt. Jetzt stand die Einstellung auf 4. Sie konnte also im dunklen Kühlschrank die Temperatur selbst einstellen. Nicht zu glauben! Vielleicht hatte sie eine Taschenlampe in ihrem Gepäck, von dem ich nur annahm, dass es möglicherweise existierte. Wo es untergebracht war oder sein könnte, war mir völlig schleierhaft.
Ich fragte:
Darf ich Ihnen eine Frage stellen?
Sie sagte:
Natürlich, schießen Sie los!
Und lächelte dabei. Es gibt tausend und mehr Arten von Lächeln, aber ihr Lächeln war einzigartig, das sagte mir mein Gefühl, das von einem verwirrten Geist gesteuert wurde.
Ich fragte:
Könnte auch ein Mann in diesem Kühlschrank sitzen, ich meine, so ein Mann von ihrer Sorte?
Sie antwortete ohne zu überlegen, und sah mich dabei etwas streng an.
Was für eine Frage? Was bedeutet ein Mann von meiner Sorte? Ich bin eine Frau, eine richtige Frau. Es gibt keinen Mann von meiner Sorte.
Ich versuchte, meine ungeschickte Frage zu erläutern. Ihre Enttäuschung über meine vielleicht oder bestimmt sehr dumme Frage war deutlich spürbar.
Ich sagte:
Ich meine, so ein Mann, der sich nur in Kühlschränken aufhält, so wie Sie.
Sie antwortete:
Wer sagt denn, dass ich mich nur in Kühlschränken aufhalte?
Ich verzweifelte etwas, entweder konnte oder wollte sie mich nicht verstehen.
Dann sagte sie:
Stellen Sie sich vor, ein Mann sitzt statt meiner in ihrem Kühlschrank, der würde nur Dreck machen, der müsste sich rasieren, der würde haaren, der würde sich kratzen und auch noch andere unangenehme Dinge machen. Sie wissen schon, ich könnte mir nicht vorstellen, dass sie so etwas ertragen könnten oder wollten.
Der ganze Kühlschrank würde nach kürzester Zeit aussehen wie ein Saustall.
Der theoretische Mann, von dem wir hier vielleicht sprechen,  wenn ich Sie richtig verstehe, würde vielleicht den ganzen Tag in ihrem Kühlschrank sitzen und nur Bier trinken, und sie müssten das ganze Bier unter nicht unerheblichem finanziellem und physischem Einsatz herbeischaffen.
Stellen sie sich vor; sie öffnen den Kühlschrank und jedes Mal, wenn sie das tun, lallt ihnen ein besoffener Mann irgendetwas entgegen, viel schlimmer noch, vielleicht hat er in ihren Kühlschrank gekotzt. Von gepflegter, kultivierter, anregender Unterhaltung und intellektueller Anregung ganz zu schweigen.
Das waren deutliche Worte. Sogar sehr deutliche Worte. Ich verstand irgendwie, ein Mann war kein begehrenswertes Objekt für einen Aufenthalt in meinem Kühlschrank und für eine regelmäßige Kontaktaufnahme mit mir, sowie ich die Tür öffnete.
Ich wollte noch einwenden, dass nicht alle Männer potenzielle Säufer sind, aber um ehrlich zu sein, so einen Mann kannte ich persönlich nicht.
Sie sagte:
Denken Sie genau nach, bevor Sie mich wieder etwas fragen. Ich möchte auf keinen Fall unhöflich zu Ihnen sein. Ich lege größten Wert auf eine kultivierte Unterhaltung.
Ich sagte:
Ich verstehe. Ich werde mir Mühe geben. Bis bald!
Ich verschloss die Tür.
Das war ein denkwürdiges Gespräch. Wenigstens hatte ein Dialog stattgefunden, auch wenn dieser nicht sehr weit geführt hatte. Im Gegenteil, ich war richtig deprimiert nach diesem vielleicht doch etwas einseitigen Gespräch. Sie hatte einen langen Monolog gehalten während ich nur dumme Fragen gestellt hatte.
Trotz der mich überfallenden Depression verspürte ich plötzlich wieder Hunger. Ich schaute auf die noch nicht eingeräumten Vorräte und traf eine fundamentale Entscheidung.
Ich beschloss, alle Vorräte wie ursprünglich geplant einzuräumen, die Frau würde verschwinden oder sich in eine dunkle Ecke des Kühlschranks verkriechen, wenn das Drehbuch so ablief, wie sie es mir geschildert hatte,  und ich wäre wieder in der Lage, ein halbwegs normales Leben zu führen.
Gesagt getan, obwohl mir sehr deutlich bewusst war, dass man nach dem Stand der Wissenschaft im depressiven Zustand keine wichtigen Entscheidungen treffen sollte und noch viel weniger die den Entscheidungen zugeordneten Handlungen zur Ausführung bringen sollte. Leichte oder auch größere Zweifel packten mich und gewannen die Oberhand.
Trotzdem öffnete ich die Tür, die Frau saß da, ein gewohntes Bild. Unsere Blicke begegneten sich, keiner sagte etwas. Ich legte die Butter an ihren Platz und die Frau war verschwunden. Dann packte ich alles übrige in den Kühlschrank und verschloss die Tür.
Irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen, gleichzeitig überkam mich spontan ein sehr schlechtes Gewissen. Was hatte ich da angestellt? Hatte ich ihr die Luft zum Atmen geraubt? Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge, der sich daran gemacht hatte, einen kleinen Frosch zu quälen. Das ist in der bekannten Realität ein Ereignis mit zunächst erhofft ungewissem Ausgang, aber am Ende ist der Frosch immer tot. Aus kindlicher Neugier ist fahrlässige Tötung geworden oder war sogar Mordsucht im Spiel?
Panik ergriff mich. Ich wollte alles so schnell wie möglich rückgängig machen.
Ich riss die Tür auf und entfernte in Windeseile alles aus dem Kühlschrank, was ich greifen konnte. Ich stellte alles kreuz und quer auf die Arbeitsplatte neben dem Kühlschrank. Schließlich, nach ca. 20 Sekunden, war der Kühlschrank wieder leer.
Ich verschloss die Tür, um sie unmittelbar danach wieder zu öffnen.
Die Frau war nicht da. Verzweiflung machte sich in mir breit. Ich war nicht mehr Herr der Lage. hatte ich die  für das Erscheinen und Verschwinden der Frau gültigen Regeln nicht richtig interpretiert? Stimmte etwas mit meinem Verstand nicht? Wenn man in Panik ist, kann man keine wichtigen Dinge erledigen. Ich verschloss die Tür wieder und ging in mein Arbeitszimmer und dachte nach.
Dann beschloss ich, den Kühlschrank noch mal sehr sorgfältig zu inspizieren.
Ich öffnete die Tür. Die Frau war nicht da. Ich schaute links und rechts. Dann die Erlösung. Ich sah etwas Rotes im obersten Fach. Das musste eine Tube mit Tomatenmark sein, die ich übersehen hatte. Ich entnahm die Tube mit dem Tomatenmark aus dem Kühlschrank, versuchte dabei so ruhig wie möglich zu erscheinen und umklammerte die Tube gleichsam wie eine seltene Trophäe und verschloss die Tür.
Ich wartete einige Sekunden und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
Bitte lass sie wieder da sein!
An wen auch immer das Gebet gerichtet war.
Ich öffnete die Tür mit spürbarer Ungeduld. Das Licht ging an, die Frau war wieder da.
Sie sagte und lächelte dabei, eigentlich lächelte sie fast immer, wenn sie etwas sagte, lediglich meine Dummheit pflegte sie mit einem eisigen Blick zu quittieren.
Sie wollten mir also Untreu werden und haben es sich doch wieder anders überlegt?
Ich sagte:
Ja, es tut mir leid.
Sie sagte.
Ich kann Sie sogar sehr gut verstehen. Niemand möchte ohne einen funktionierenden Kühlschrank sein.
Das klang lustiger als wenn sie gesagt hätte.
Niemand möchte eine Frau in seinem Kühlschrank sitzen haben.
Ich antwortete:
Ich freue mich auf jedes Wiedersehen mit Ihnen.
Sie sagte:
Das freut mich zu hören. Ich fühle mich sogar geschmeichelt. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Wie wäre es, wenn Sie sich einen zweiten Kühlschrank zulegen. Ich bleibe hier geparkt und sie verstauen ihre Speisen in dem neuen Kühlschrank. Oder noch besser - ich würde mich in dem neuen Kühlschrank wohler fühlen. Ich ziehe also um. Das können Sie bestimmt verstehen, in einem unbenutzten Kühlschrank, der in seinem ganzen Leben noch keine Speisen beherbergt hat, weder Speisen noch Getränke, in einem Kühlschrank, der noch keinen Dreck gesehen hat, werde ich mich bestimmt noch wohler fühlen, obwohl es hier auch recht schön ist. Was halten Sie davon?
Ich überlegte einen Augenblick, an einen zweiten Kühlschrank hatte ich auch schon gedacht.
Ich sagte:
Ja das ist eine sehr gute Idee. Ich werde mich umgehend darum kümmern. Vielen Dank. Also - dann bis bald.
Sie sagte:
 Also,  dann bis bald. Machen Sie es gut.
Ich verschloss die Tür und wischte mir den Schweiß  von der Stirn.
So weit war es nun schon gekommen, nun plante ich bereits die Anschaffung von Küchenmöbeln gemeinsam mit der Frau, die in meinem Kühlschrank parkte. Mich wunderte gar nichts mehr. Was war aus mir geworden?
Der Gedanke war grundrichtig. Offensichtlich waren wir zwei, die Frau im Kühlschrank, die sich mir als Linda vorgestellt hatte und ich, ein Team mit einem gewissen Sinn für praktische Dinge.
Ein zweiter Kühlschrank musste her, wenn ich den regelmäßigen Kontakt zu ihr auf halbwegs zivile Weise aufrecht erhalten wollte, ohne jedes Mal den ganzen Kühlschrank leerräumen zu müssen. Ich konnte nicht ständig  in der Bäckerei oder bei Franco essen oder sonst wo.
Ich musste mich halbwegs normal ernähren können und dazu war nun mal ein funktionierender Kühlschrank erforderlich, der nicht so fundamentalen Einschränkungen unterlag.
Ich musste den Grundumsatz meines Nahrungsmittelbedarfes aus unmittelbarer Nähe zu meinem Arbeitszimmer beziehen können, und das war nun mal meine Küche mit meinem Kühlschrank.
Außerdem gefiel mir die Frau aus irgendeinem unerfindlichen Grund. Ich verspürte, ich hatte eine ständige Sehnsucht nach ihr.
Ich fuhr zum selben Laden, wo ich vor 5 Jahren den alten Kühlschrank gekauft hatte und bestellte das größte lieferbare Modell. Der Liefertermin sollte in 4 Tagen sein. Auf dem Rückweg kam ich an einem Baumarkt vorbei. Ich beschloss, hier noch einige Besorgungen zu machen. Eine geniale Idee, so dachte ich,  war mir gekommen, die ich zur Ausführung bringen wollte.
Ich wollte wissen, ob Linda  sich vielleicht nicht irgendwo in der Küche oder an einer anderen Stelle in meiner Wohnung aufhielt oder sogar versteckte, wenn ich kurzfristig oder für längere Zeit nicht daheim war. Ich kaufte ein ganzes Paket Mausefallen, die ich in der Wohnung aufstellen würde. Die Kassiererin schaute mir mit Kopfschütteln nach, als ich den Laden verließ.
Zuhause angekommen öffnete ich nicht den Kühlschrank, ich widerstand dem Drang, Linda wiederzusehen. Statt dessen verteilte ich also eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Mausefallen in meiner Wohnung. Ich machte dazu einen kleinen Plan von der Wohnung, auf dem jede der Mausefallen eingezeichnet war und dachte, so würde ich problemlos herausfinden, ob sie jemals den Kühlschrank verlies.
Noch dümmer hätte das nicht anzustellen vermocht. Ich trat ständig in meine eigenen Mausefallen, die schnappten zu und flogen dann wie von Geisterhand angetrieben durch die Wohnung.
Ich öffnete die Kühlschranktür und wie es das Schicksal so wollte, trat ich dabei wieder auf  eine Mausefalle. Die Mausefalle  flog hoch, stieß gegen den Schrank und prallte ab und flog dann direkt in den Kühlschrank, während ich die Tür öffnete.
Die Frau verschwand natürlich, nachdem sich ein Gegenstand im Kühlschrank befand, diesen Mechanismus hatte ich schon vor langer Zeit verstanden oder ich glaubte, diesen zu verstehen.
Beim nächsten Öffnen der Tür, nachdem ich vorher sorgfältig die Mausefalle entfernt hatte, nicht ohne den Kühlschrank dabei zu säubern, diesen wieder zu verschließen, um ihn dann erneut zu öffnen, saß sie wieder da, wie erwartet.
Sie sagte:
Hallo! Das mit den Mausefallen hätten sie sich sparen können. Ich stolpere nicht in Mausefallen wie Sie. Ich könnte sogar in ihre Aktentasche klettern und sie würden es nicht merken.
Ich sagte:
 AHA,
Irgendetwas war in meinem Hals stecken geblieben, und ich konnte nicht weitersprechen.
 

Geschichte wird fortgesetzt, ein Abenteuer mit noch unbekanntem Ausgang.
Hoffentlich hattet ihr etwas Spaß.
 
Grüsse WR

 
 
 
 

 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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