Peter Spiegelbauer

Eukalyptus

Der Ventilator des Computers surrte leise, während sich eine erlesene Liste aus musikalischen Meisterwerken im Hintergrund abzuspielen begann. Die leere Seite des Textverarbeitungsprogrammes erhellte das Wohnzimmer, wie ein Mahnmal der Leere im Inneren des Schreibers. Nachdenklich saß er mehrere Minuten davor und versuchte ein Gefühl für die Zeilen zu bekommen, die er in den nächste Minuten darauf bannen wollte. Eigentlich war es mehr Routine, als er sich anschickte die Tastatur nun entgültig in Betrieb zu nehmen.

"Viele Wochen waren vergangen..." lautete der erste Versuch einen Anfang zu wagen. Plötzlich brach er ab. Etwas stimmte nicht. Es dauerte ein wenig, bis ihm bewusst wurde, wie sehr ihn die Umstände der letzten Tage mitgenommen hatten.
Immer wieder lenkte er seinen Blick auf einen kleinen, rosafarbenen Elefantenstein, den er vor kurzem geschenkt bekommen hatte. Sein starrer Blick, schien dieses unbelebte Schmuckstück hypnotisieren zu wollen. Doch in Wirklichkeit versuchte er seine Gedanken zu ordnen, um entschlossen an die Niederschrift heranzugehen. Schließlich schrieb er....

 
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Das Treiben der Masse um ihn herum nahm zu. Niemand schenkte dem anderen besondere Beachtung. Der Zug fuhr in die Station ein. Er machte sich auf um einzusteigen. Im Inneren des Zuges herrschte eine merkwürdig konträre Stimmung. Keine Menschenseele zu sehen. Er suchte sich einen der vielen Vierersitze und nahm Platz, als sich die Bahn in Bewegung setzte. Der Ausflug hatte begonnen. Noch einmal durchsuchte er vorsichtig seine Taschen, um sich zu vergewissern ob noch alles an seinem Platz war.

In der linken äusseren Manteltasche befanden sich die Fahrscheine und die Zigaretten. Das Feuerzeug steckte in der linken Innentasche des Mantels. In der rechten Aussentasche fand er das schwarze Etui, in dem sich die Zyankalikapseln  befanden. Die Wohnungsschlüssel steckten wie immer in der linken Hosentasche, während die Eukalyptuspastillen sich wie immer in der linken Gesäßtasche befanden. Sein Gesicht war sorgfälltig rasiert und mit einem leichten Film Feuchtigkeitscreme überzogen. Der schneidende Wind trocknete seine Haut meist aus, woraufhin er vor einigen Jahren angefangen hatte, sich regelmäßig einzuschmieren um keine auffälligen Hautirritationen an sich bemerken zu müssen.
Ganz ruhig lehnte er sich wieder in seinen Sitz zurück und schloss für ein paar Sekunden die Augen.

Leise Schritte näherten sich den vier Sitzen, in denen er alleine saß. Zu seiner Verwunderung schien es sich nicht um jemanden vom Zugpersonal zu handeln, der seine Fahrscheine sehen wollte. Die Augen noch immer geschlossen sog er die Luft ein wenig stärker durch die Nase ein. Nein, das war definitiv nicht das Parfum eines Mannes. Auch die schwere der Schritte und die leichte Unruhe in der Schrittfolge verriet ihm, dass es sich um eine Frau handeln musste, die ebenfalls mit dem Zug reiste. Hinzu kam das die Schritte immer wieder kurz unterbrochen wurden, bevor sie schließlich gegenüber  Platz nahm.

Ein unmerkliches Lächeln huschte über sein Gesicht, als er ihren Blick spürte. Mehrere Stationen zogen an den Fenstern vorbei, bis sie schließlich aufstand und zum Ausstieg ging. Ganz leicht öffnete er seine Augen und erkannte, dass sie mit einem Kugelschreiber eine Telefonnummer auf die Platte des kleinen Reisetisches unterhalb des Fensters geritzt hatte. Kurz überlegte er, und begann schließlich die Nummer abzuschreiben. Als der Zug in die Endstation einfuhr, erfasste ihn eine merkwürdige Unruhe. Ein ungwöhnlich starker Wind schob die schweren Wolken des erblühenden Morgens vor sich her. Er stellte den Kragen seines Mantels hoch und zündete sich eine Zigarette an. Kurz atmete er den blauen Dunst ein, hielt inne und blies ihn einige Sekunden später wieder heraus. Nach einigen Zügen, dämpfte er die Zigarette ab, warf sie in einen kleinen Aschenbecher vor dem Wartebereich, und machte sich auf den Weg zu einer Ruine, die sich in der Nähe des Bahnhofs befand.

Obwohl die Sonne ihre Strahlen bereits durch die dünner werdende Wolkendecke schob, erschien die Landschaft immer noch in einem seltsamen Zwielicht. Wenige Meter vor ihm lag die Feuerstelle, die Mittler Weile vor wucherndem Unkraut kaum mehr zu erkennen war. Er ließ seinen Blick über diesen baufälligen Ort schweifen und erneuerte die Erinnerungen an einen Unfall, der sich vor vielen Jahren hier ereignet hatte und dessen Zeuge er  geworden war. Damals brannte hier ein Feuer. Daneben lag ein Junge mit einer größeren Wunde im Schläfenbereich. Wenige Meter hinter dem Feuer stand jemand, und obwohl er sich genau an dessen Gesicht zu erinnern schien, konnte er noch immer nicht mit Sicherheit sagen, ob es diese Person jemals gegeben hat. Alles in jener Nacht war schwarz und düster. Nichts schien real. Eigentlich konnte er sich selbst zu Anfang nur an das Feuer erinnern. Aus seiner Erinnerung fehlten ihm mehrere Stunden. Nach und nach sah er weitere Fragmente dieser Nacht in seinen Träumen auftauchen. Bis schließlich ein Bild entstand, dass ihn zutiefst erschütterte.

Eigentlich hatte er den Ausflug unternommen um sich selbst einem Test zu unterziehen. Seine Ängste aus der Jugend hatte er bereits nahezu alle besiegt. Bis auf diese hier. Die Angst vor der Vergangenheit.
Langsam glitt seine Hand in die Tasche mit der Kapsel und umschloss die kleine Schachtel. Ewig lange Momente verharrte er in dieser Position, während in ihm der Todeswunsch stärker und stärker wurde. Seine absolute geistige Abwesenheit liesen ihn nicht einmal mitbekommen, dass er langsam auf die Knie sank und die Schachtel öffnete. Wie in Trance starrte er auf die seltsame Kapsel im Inneren der Schachtel. Bewust langsam stellte er sie geöffnet vor sich auf den Boden. Dann nahm er die Eukalyptuspastillen heraus und legte sie zu der Kapsel in die Schachtel. Sie glichen der Kapsel bis ins letzte Detail. Er schloss die Augen und wühlte die kleinen Tabletten mehrmals durch. Als er damit fertig war, offnete er seine Augen wieder und blickte in den Himmel, der inzwischen hellblau leuchtete. Keine Wolke zu sehen und auch die Sonne verbreitete nun wohltuende  Wärme. Mit einem Mal fasste er nach einer der Kapseln, steckte sie in den Mund und zerbiss sie schließlich, während die Sonne den Platz an dem  er kniete erreichte. Schließlich sank er zu Boden...
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Das Telefon klingelte. Einmal, Zweimal.... schließlich hob sie ab.
„Sie haben ihre Nummer im Zug vergessen, und ich dachte sie würden sie gerne wiederhaben.“ Sofort nahm sie sein Lächeln am anderen Ende der Leitung wahr.
„Wenn sie möchten können wir uns gerne treffen, damit sie sie mir geben können.“ Gab sie den Scherz zurück.
„Ich bin zur Zeit noch im Büro, doch ich könnte sie gegen fünf abholen, sofern sie mir ihre Adresse geben wollen.“ Sagte er mit sanfter Stimme.
„Gerne. Fünf Uhr würde mir passen.“
....und niemand von den beiden wusste, dass sie das schönste Feuerwerk der Welt auf einem fremden Kontinent viele Monate später gemeinsam bestaunen würden...

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Zufrieden lächelnd schloss er sein Textverarbeitungsprogramm und fuhr den Computer herunter. Draussen zeigten sich bereits die ersten Morgenröte am Himmel. Im Hintergrund hörte er "...Oh non, rien de rien
Oh non, je ne regrette rien..." aus den Lautsprechern der Anlage. Eines seiner Lieblingslieder, dass ihn an kurze Momente der Glückseligkeit erinnerten. Für einen Moment schloss er die Augen und erinnerte sich. Eine gefühlte Ewigkeit hing er den Bildern aus einer längst vergangenen Zeit nach. Schließlich riss er sich, fast schon gewaltsam von seinen Gedanken los und öffnete die Augen. Sein Herz bebte und sein Atem beschleunigte sich für einen kurzen Moment. Als er sich erhob um zum Bäcker an der Ecke zu gehen, hätte er schwören können, einen Hauch von Eukalyptus auf seiner Zunge zu schmecken...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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