Sara Wipauer

Der ertrunkene Junge (nach Edvard Munch)

Die dreiäugige Katze hatte wieder einmal zugeschlagen. Diesmal war es ein Junge. Zwölf Jahre hatte er erleben dürfen, er überragte beinahe schon seine Mutter und half ihr auch oft auf dem Gehöft. Schluchzend brach sie zusammen als sie davon erfuhr und stellte Kerzen auf die Kredenz. Die dreiäugige Katze hatte wieder einmal zugeschlagen. Jedoch hatte sie ein Auge dabei zugedrückt und es sozusagen beinahe wieder mit normalen Umständen überschüttet und –flutet. Das Wasser wollte ihm nicht mehr aus dem Mund und soweit er auch nach oben schlug, es kam nur noch mehr Wasser nach. Er spürte die warmen Hände des Mannes nicht mehr und hörte das Rattern der Fuhrwerke nicht mehr. Er hörte die Stille nicht mehr, als die Gespräche der Damen verstummten als er über die Straße getragen wurde. Seine Mutter betete am Abend um seine arme Kinderseele, mein Gott, sein ganzes Leben hatte noch vor ihm gelegen. Die dreiäugige Katze sah schmunzelnd beim Fenster herein, aber sie verschwendete keinen müden Gedanken an das zähe Fleisch der mütterlichen Waden. Sie war ihr zu alt. Sollte sie ruhig weiterschluchzen, dann würde bald noch jemand ertrinken. Fast am nächsten Tag kamen sie ihr Beileid auszusprechen, Weiß und Schwarz. Der Tod und sein Engel. Sie standen vor ihr und betrachteten sie. Das Wasser. Ich will noch nicht sterben. Nein. Mutter! Sie standen vor ihr und sprachen ihr Beileid aus und dann drehten sie sich wieder um und gingen. In der Ecke, da tropfte es und die Wäsche flatterte draußen an der Leine im Wind, wie gefangene Drachen ohne Feuer. Als dann es blieb die Allee auch bei Nacht und die Fuhrwerke brauchten nicht mehr die Damen zum Verstummen bringen, denn die waren daheim und saßen bei ihren Öllampen. Oder was auch immer. Das Wasser ist wichtig, das wusste die dreiäugige Katze und sie selbst blieb melancholisch blickend am Ufer zurück, denn sie scheute das Nass. Die Mutter weinte nun schon zwei Tage lang und wollte einfach nicht mehr aufhören. Sie war allein, sonstige Gehilfen konnte sie sich nicht leisten. Alles ging ihr. Diesmal aber hatte die dreiäugige Katze wieder zugeschlagen. Auch ihr tropfte es hinter die Ohren und sie spitzte sie nun ohne es zu wagen, sich umzublicken. Dann huschte sie unter die Hecken davon und ließ ihn da so die Allee dahintropfen. War es denn die Straße, wo so mancher schrie, so sollte bald auch jemand schreien. Es war nicht mehr weit bis zu seinem Hause und ja, er hatte das süße Kätzchen bemerkt, das um seine Füße strich. Einmal war es ihm schon begegnet, war das nicht kurz bevor er ausglitt und in den Fluss stürzte? Er wollte seiner Mutter Adieu sagen, was manchmal auch heißt, man erwarte sich eine Begleitung. Er wollte seiner Mutter eigentlich nur sagen, sie solle mitkommen, nun eigentlich wollte er gar nicht mehr reden, denn dann kam nur noch mehr Wasser in seinem Mund. Die Algen in seinem Gesicht bewiesen anderes und eignet sich auch als tropfende Schlingpflanzen, die so manches Übel schon verursachten und wenn es auch nur der Auftakt zur Ausbleichung war, die unter dem glitzernden Spiegel stattfand. Er klopfte und die Mutter öffnete mit verheulten Augen. Die dreiäugige Katze sah noch einmal kurz zurück und sah den Schrecken im erstarrten Gesicht der Mutter. Dann wandelte sie zufrieden zum Ufer des Flusses zurück, bedacht auf ihre Tatzen, sie wollte nicht ausgleiten, nein. So saß sie dann am Ufer und sah dem Mondschein zu, der seine breite Bahn fließend durch den Fluss bestritt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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