Peter Spiegelbauer

Kristian - Gangrel - Teil 2

 

Auri sacra fames

Es war bereits Jahre her, dass Kristian sein Heimatdorf verlassen hatte, dennoch schien sich auf den ersten Blick nicht das geringste geändert zu haben. Er stieg von seinem Pferd und verharrte für einen kurzen Moment um die friedliche Szenerie am Fuße des Hügels auf sich wirken zu lassen.

„Wir müssen weiter. Xaviar erwartet uns.“ Aro-khan warf seinem Bruder einen genervten Blick zu. Als er aber in dessen Augen sah, wurde ihm bewusst wie viel Kristian dieser Ort bedeutete. Kristian hatte die Erinnerung an die Ausrottung ihrer Familie noch nicht so gut verarbeitet zu haben, wie sein jüngerer Bruder. Aro-khan folgte seinem starren Blick und erspähte das verfallene Haus am Rande des Dorfes. Es hatte einmal einem Adeligen gehört. Jetzt war nichts mehr übrig vom Glanz des Anwesens. Die Nacht in der eine Horde wütender Bauern das Gebäude gestürmt hatten lag schon eine Ewigkeit zurück, doch er erinnerte sich an diesen Tag als ob er gestern zu Ende gegangen wäre. Zu frisch waren noch die Wunden, die ihm in dieser Nacht geschlagen worden waren. Die Ermordung seiner Eltern hatten sich unauslöschlich in seine Seelen gebrannt. Damals hatte Kristian nicht verstanden, warum sich Menschen gegenseitig nach dem Leben trachteten. Heute waren die Gründe für die vergangenen Ereignisse offensichtlich. Politik. Nicht Moral oder Ethik bestimmten die Handlungen ganzer Volksgruppen. Politik und die Rebellionen der unterdrückten Leibeigenen bestimmten das Weltgeschehen in Mittel- und Osteuropa. Ihr Elternhaus war, in den Augen der meisten Leibeigenen seiner Familie, lediglich eine weiter Bastion der Unterdrückung, welche es zu vernichten galt. Nicht das diese gewalttätige Aktion irgendeine langfristige Auswirkung gehabt hätte, doch allein das Symbol des Zerstörens schien die Wut der Untertanen für eine kurze Zeit zu befriedigen. Sie waren alle Opfer eines Verbrechens geworden, dass logischer und gefühlskälter nicht sein konnte.

Kristian riss sich von den wehmütigen Gedanken an ihre unbekümmerte Kindheit und den Ereignissen dieser einen dramatischen Nacht los.

„Lass uns weiter reiten. Wir haben schon genug Zeit vergeudet.“ Mit einer fließenden Bewegung schwang sich Kristian wieder in seinen Sattel. In gestrecktem Galopp ritten sie auf das Dorf zu. Als sie an den ersten Häusern vorbei ritten, bemerkten sie vier bewaffnete Männer, die ihnen den Weg versperrten.

„Haltet ein! Gebt euch zu erkennen!“
Einer der Männer trat vor und hielt seine Fackel hoch in die Luft um die Gesichter der beiden Reiter besser erkennen zu können. Kristian und sein Bruder brachten ihre Pferde wenige Schritte vor den Männern zum stehen.

„Wir sind auf Befehl des Fürsten unterwegs. Wer wagt es unsere Reise zu stören?“ Die kalte Wut in Kristians Stimme war unüberhörbar.

„Ich bin Offizier der Wache und stehe im Dienste des Barons Martago. Wir haben Anweisung niemanden dieses Dorf passieren zu lassen. Es sei denn ihr seid bereits angemeldet und habt den Wegzoll entrichtet.“ Ein verschlagenes Grinsen zeichnete sich auf dem vernarbten Gesicht des Mannes ab.

„Wir wollen keinen Ärger. Wieviel beträgt der Wegzoll?“ Kristian unterdrückte seinen Ärger, so gut er konnte. Er hatte während des Gesprächs das Wappen des Barons auf der Rüstung des Mannes erkannt. Das letzte was sie im Moment gebrauchen konnten, war die Aufmerksamkeit von ein paar streitsüchtigen Wachen auf sich zu ziehen.

„Zehn Kupferstücke. Andernfalls muss ich euch auffordern diesen Grund und Boden umgehend zu verlassen.“ Genüsslich zwirbelte der Offizier seinen Bart.

„Zehn Kupferstücke! Sollte dies ein Scherz sein, so vergebt mir, dass ich ihn nicht mit einem herzhaften Gelächter kröne. Er ist geschmacklos.“ Kristian war fassungslos aufgrund der unverfrohrenen Forderung des Offiziers.

„Steigt ab von eurem Pferd und ich werde euch zeigen, wie ich meine Scherze zum Besten gebe.“ Die unterschwellige Aufforderung zum Zweikampf war nun nicht mehr zu überhöhren.
Als Kristian sich anschickte von seinem Pferd zu steigen, ergriff Arocan seinen Arm und schüttelte stumm den Kopf. Als er ein kaum hörberes „Xaviar erwartet uns.“ flüsterte, wurde Kristian bewusst, was für eine Dummheit er beinahe begangen hätte.
Wortlos wendeten die beiden ihre Pferde und ritten den Hügel wieder hinauf. Nach eineiger Zeit verfielen ihre Pferde wieder in Trab.

„Was sollte das eben? Hast du vergessen, was Xaviar sagte?“ Aro-khan schien sichtlich verärgert.

„Dieser verdammte Sohn einer reudigen Hündin wollte es doch so. Von so einem dahergelaufenen Lümmel lass ich mir doch nicht vorschreiben, was ich zu tun habe.“ erwiderte Kristian.

„Xaviars Anweisungen waren klar und deutlich. Kein Aufsehen erregen! Hast du das vergessen? Vergiss für einen Moment deinen Stolz und lass uns lieber eine Route finden, die uns unbeschadet zu Xaviar bringt.“ Aro-khan hatte für das Verhalten seines Bruders anscheinend nicht das geringste Verständnis.

„Ach zum Teufel! Er hätte es verstanden…“

„Nein. Hätte er nicht!“ vernahm Kristian plötzlich eine Stimme neben sich. Als er sich umwandte erkannte er seinen Sire am Wegesrand stehen.

"Xaviar! Was zum…." Kristian war so verblüfft, dass ihm die Worte fehlten.

"Aro-khan! Bring diese Nachricht in die Schenke "zum goldenen Vlies". Dort wirst du einen Boten finden, der bereits sehnsüchtig darauf wartet. Er ist ein wahrer Riese. Du kannst ihn gar nicht übersehen." Mit einem bestätigenden Kopfnicken nahm Aro-khan das Pergament entgegen und ritt davon.

"Nun zu dir. Immer noch durch und durch ein Mann der Tat. Prinzipiell keine negative Eigenschaft. Jetzt musst du nur noch lernen, den richtigen Zeitpunkt für Taten zu erkennen. Steig ab!"
Ohne sich dagegen wehren zu können, gehorchte Kristian Xaviars Befehl. Instinktiv zog er sein Kurzschwert.

"Leg dein Schwert weg. Hör endlich auf den Heißblütigen zu spielen. Ich habe euch bewusst angewiesen diese Route zu nehemen. Auch das ihr auf einen cholerischen Wachoffizier des Barons treffen würdet, war geplant. Es war ein Test in dem ihr euch gemeinsam gut geschlagen habt. Aber alleine fürchte ich, hättest du versagt."

Plötzlich stieß Kristian mit seinem Schwert zu, täuschte einen Angriff auf die Flanke seines Meisters an vollführte eine Drehung um ihm mit einem schwungvollem Hieb den Kopf von den Schultern zu trennen. Die Schnelligkeit und Exaktheit seiner Bewegung hätte vermutlich jeden menschlichen Gegner das Leben gekostet. Doch Xaviar tauchte hinter ihm auf und hielt ihm einen Dolch an die Kehle.

"Lass es gut sein, Frischling. Dein Angriff war gut, doch hast du mich ausweichen gesehen?"
Kristian schüttelte seinen Kopf.

"Dies ist eine Fertigkeit unseres Blutes. Ich werde sie dich lehren, doch zunächst musst du lernen dein erhitztes Gemüt zu zügeln. Erst dann erweise ich dir die Ehre der Unterweisung."

"Ich bin soweit. Lasst uns… beginnen…." Als Kristian sich umdrehte, stand Xaviar nicht mehr hinter ihm. Er war nirgends mehr zu sehen.
'Ich hasse es, wenn er verschwindet ohne ein Wort des Abschieds.' Dachte Kristian bei sich, während er sein Kurzschwert wieder in die Scheide steckte.
 

 

Diese Geschichte basiert zum größten Teil auf den Rollenspielbüchern von White Wolf, genauer gesagt auf den Sourcebooks von Vampire the Masquerade. Da es dieses Spielsystem schon seit vielen Jahren nicht mehr gibt, und es demnach kaum noch von irgendjemandem heutzutage gespielt wird, wollte ich dieser Kindheitserinnerung von mir Tribut zollen, in dem ich einige Geschichtsfragmente dazu verfasste.
Es tut mir leid, wenn sich der eine oder andere Leser erst ein wenig durch-googeln muss, um zu verstehen worum es in diesem Spielsystem überhaupt geht, beziehungsweise um den Hintergrund der Geschichte zu verstehen. Ich bedanke mich schon jetzt für euer Verständnis.
Da ich diese "Kurzgeschichte" schon seit Langem nicht mehr überarbeitet habe, bin ich für jeden konstruktiven Vorschlag zur Verbesserung des Textes dankbar. Liebe Grüße Peter Spiegelbauer
Peter Spiegelbauer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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