Klaus Buschendorf

Auf der Gartenterasse

 

Es war einer dieser seidenweichen Abende, an denen die Luft die Haut zu streicheln scheint. Im Ausschnitt des Himmels zwischen dem Dach des Bungalows und den Wacholderbüschen am Terrassenrand lockten frühe Sterne, die Augen aufzuheben. Zeitweise verschwammen die Konturen der Himmelskörper, wenn fast unsichtbare, schwache Wolkenschleier vom Westen her unseren Abendbaldachin unterwebten, Das blieb nicht so, klar funkelten sie wieder und hielten unsere Blicke fest. Figuren entstanden und verwischten. Sternbilder, in der Kindheit gelernt und lang vergessen, drängten sacht in unsere Gedanken. Wir erinnerten uns, wann wir sie zum ersten Mal erkannt haben, wer sie uns gelehrt hatte. So lange her, so lang vergessen, und dennoch war es uns, als sei es gestern erst gewesen.   
 
Kleine Flammen prasselten in unserem einfachen Terrassenofen. Glückliche Gartenbesitzer! So fühlen wir uns heute und hatten nie an eine solche Möglichkeit gedacht. Wir gehen auf die Goldene Hochzeit zu. Gartenbesitzer sind wir noch nicht lange.
 
Nun werkeln wir und entdecken ungeahnte Möglichkeiten. Doch vorher mussten wir den Garten kaufen – wir Großstadtmenschen, die Bushaltestelle vor der Haustür, das Auto hinterm Haus in der Garage!
 
 
Die Frühlingssonne sank langsam auf die rechte Seite unseres Balkongeländers und schickte ihre Strahlen schräg in unsere Wohnstube. Ich zappte gelangweilt durch die Fernsehprogramme. Meine Frau studierte Kleinanzeigen. Das ist ein Hobby von ihr, eigentlich nutzt sie die nie. Doch unvermittelt unterbrach sie meine Suche und sprach: „Hier wird ein Garten angeboten. Ich glaube, dieselbe Anzeige stand schon voriges Jahr drin. Hat ihn wohl nicht los gekriegt?“ – „Dann wird er auch danach sein“, antwortete ich gelangweilt. – „Er wird Arbeit machen. Vielleicht schaffen sie die nicht mehr und haben keine Kinder. Oder die sind weit weg. Wer weiß?“ – „Arbeit könnten wir ja brauchen.“
 
Könnten wir wirklich. Unser mehr oder minder freiwilliger Übergang ins Rentnerdasein ist vollzogen. Befreit von den Pflichten eines Arbeitslebens zu sein, das hatten wir genossen. Doch nun öffneten sich Fenster eines tatenlosen Daseins. Noch blieben sie klein, aber wir spürten beide: Sie beginnen zu wachsen.
 
„Es wäre eine Arbeit, bei der wir nur das zu tun bräuchten, was uns Spaß macht.“ Laut ließ ich meine Gedanken aus mir heraus fließen. – „Du denkst ernsthaft über einen Garten nach?“ – „Ob das ernst wird, weiß ich noch nicht. Ich habe doch keine Ahnung von ...“ Der abgebrochene Satz hing in der Luft, suchte nach Fortsetzung in unseren Gedanken.
 
Meine Frau sann ihren Worten nach. Ich kenne sie lange genug – dann kommt immer etwas auf mich zu. Aber warum eigentlich nicht? Man müsste das prüfen, ehe man Ja sagt. Nein sagen geht immer noch. Schließlich kennen wir beide Gärten nur von Besuchen. Wir bewunderten pflichtschuldig Blumen und Beete, lobten den Ausbau des Bungalows – und vergaßen schnell. Kam für uns nie in Betracht. Vier Kinder wollten groß gezogen sein, ihre Freunde beim Kindergeburtstag beköstigt, vier Schuleinführungen, vier Jugendweihen, vier Hochzeiten, drei Scheidungen ... Nun sind sie alle weit weg, der Arbeit nachgezogen, normales, ostdeutsches Schicksal. Man könnte einen neuen Lebensinhalt brauchen, man könnte ...? Ach was, so spontan, wie meine Frau sich jetzt der Anzeige zugewandt hat, so spontan kann sie Nein sagen, wenn der Garten vor uns liegt. „Schauen wir ihn an. Dann sehen wir weiter.“ – „Du trägst dich wirklich mit einem Garten?“ – „Weiß ich noch nicht. Muss ihn erst sehen.“ – „Ich nehme dich beim Wort.“ Schon griff sie zum Telefon.
 
 
Die Gartenverkäuferin holte uns mit dem Auto von unserer Wohnung ab und fuhr zehn Kilometer vor uns her. Wir kannten das Dorf nicht, in dem sie von der Straße mitten in ein Maisfeld abbog. Links tauchten Bäume darüber auf, schon hielt sie vor einem Gartentor. Büsche wehrten dem Blick hinein.
 
Autotüren klappten. Die Frau, Ende Fünfzig, schien etwas verlegen zu blicken, als sie die Augen hob. Lange hatte sie gebraucht, das Vorhängeschloss zu öffnen, knarrend bewegte sich die Holztür. „Treten Sie ein! Schauen Sie sich um. Ich gehe vor zum Bungalow.“
 
Eine große, breite Fichte in der Mitte ließ nur eine braune Holzwand mit einer Tür sehen. Steinplatten teilten als Weg eine gepflegte Blumenanlage halbrund um die Terrasse links und um die Seitenwand des Bungalows rechts. Vor ihr führte ein Weg aus Natursteinen ins Nirgendwo. Büsche, kleine Bäume, Bodendecker überwucherten ihn, er war nicht begehbar. So folgten wir zum Bungalow, staunten über Wacholder und hohe Lebensbäume als Terrassenbegrenzung. Die Besitzerin hielt den Bungalow geöffnet, doch wir blieben stehen, schauten erst nach rechts. Rasen umfasste ein großes Wirtschaftsbeet, überragt von einem hohen, vollen Kirschbaum. Ein prachtvoller Baum, hoch fast wie die Fichte. In der Mitte des Rasens, so auch in der Gartenmitte, prangte ein Brunnen mit Pumpe und Schwengel. Nostalgie pur! An allen Zäunen ringsum wuchsen Sträucher, Fichten und Lebensbäume.
 
Wie ein lange gewachsenes und sorgfältig geplantes Versteck, dachten wir beide, sprachen es nicht aus, bestätigten uns erst viel später diesen gemeinsamen Eindruck. Dann traten wir in den Bungalow.
 
Später zeigte uns die Frau einen komplett eingerichteten Werkzeugschuppen an der Seite mit Kettensäge, elektrischer Heckenschere, Rasenmäher und diversen Gartengeräten in Hülle und Fülle, Riesenvorräten an Nägeln, Schrauben und Bauholz – alles im Preis inbegriffen. Arbeit wollten wir haben – die hätten wir nun genug. Uns imponierte die Grundanlage. Sie war nur sehr verwahrlost. Aber: Wir hätten Zeit – und immer etwas zu tun. Es triebe uns niemand.
 
„Mein Mann ist vor zwölf Jahren gestorben. Die Kinder sind weit weg. Ich schaffe es nicht mehr.“ Entschuldigend sah die Frau in unsere Augen. Hoffnung leuchtete uns an. Leise fügte sie hinzu: „Ich komme ihnen auch entgegen.“
   
 
Wir hatten keinen Schrebergarten in einer Gartenanlage erworben, sondern eigenen Grund und Boden. Unterordnen wäre für uns nie mehr in Frage gekommen. Behördenwege dauern, doch dann legten wir los. Meine Frau wollte sich um Blumen und Beete kümmern, meine Kompetenz sollten die „männlichen“ Bereiche sein.
 
Für mich hieß das: Heckenschere frei! Ich kämpfte mich den Weg ins Nirgendwo voran. Abend für Abend häuften sich auf der Terrasse Ligusterzweige und Wacholderäste. Dann holte ich den Häcksler aus dem Schuppen. Mühsam schrumpften Blätter und Zweige zu Mulch. Wohin mit dieser Menge?
 
„Ein Hochbeet.“ – Praktische Lösungen sind meiner Frau schon immer schnell eingefallen. „Wir kaufen dekorative Steine und setzen sie an den Rand.“
 
Sorgsam schichtete ich Stein auf Stein, erinnerte mich des Bauens mit dem Anker-Steinbaukasten in Kindertagen, schaufelte vorsichtig Erde in die Hohlräume und freute mich gerader Linien an den Außenseiten meines Werkes. Eine Sache wachsen sehen unter meinen Händen. Immer hatte ich nachzudenken und vorauszuplanen. War aus meinen Gedanken Handgreifliches geworden, waren sie schon wieder mit dem nächsten Projekt beschäftigt. Erwartung der Vollendung mischte sich stets mit der Angst vor Misslingen. Das war nun vorbei. Ich sah die kleine Mauer sich an die Terrasse schmiegen, exakt die Fugen versetzt, wie es sein sollte. Nein, ich war nicht nur ein „Geistesmensch“, meine Hände können doch mehr, als nur einen Nagel gerade in die Wand zu schlagen. Natürlich dauert es länger als beim Handwerker. Der hat das ein Leben lang getan und von der Pike auf gelernt. Doch Zeitdruck plagt mich heute nicht mehr. Termine stelle ich mir höchstens selber – doch wozu?
 
„Fein gemacht!“ Marianne holte mich in die Gegenwart zurück. Sie blickte auf meine Mauer. Ein Stein fehlte noch, dann bin ich mit ihr fertig.
 
„Ich hole noch Erde.“ – „Kann ich selbst.  Da bist du als Mann der Bessere.“
 
Sie schenkte mir ein Lächeln, beugte sich herab, drückte mir einen herzhaften Kuss auf und gab meinen Kopf frei.
 
„Du überraschst mich immer wieder.“ – Verwirrt richtete ich mich auf. – „Ja, ja. Es ist schön, seinen Mann zu loben, wenn er es verdient hat. Man fühlt sich so – beschützt. Und das will jede Frau. Leider weiß man das erst, wenn man so alt geworden ist, wie wir beide sind.“
 
Bedeppert stand ich da. „Dann hole ich die Heckenschere.“ Ich musste mich in Arbeit flüchten, konnte ihr kaum in die Augen sehen, so, wie sie jetzt leuchteten.
 
Am späten Nachmittag legte ich die Heckenschere aus der Hand.
 
„Sagtest du was?“ Mariannes Ruf traf mich beim Nachdenken. Das muss sie sehen. „Kannst du mal kommen?“ – „Ich tanze nicht nach deiner Pfeife. Musst warten!“ – Aha, da will irgendetwas nicht so, wie es Marianne möchte. Früher regte mich auf, wenn sie ihren Unmut so auf mich ablud. Früher ...
 
„Oh, Gott!“ Versunken in den Anblick der auf mich zukommenden Arbeit und die Gedanken an unser „Früher ...“, hatte ich Marianne nicht kommen hören. Nun stand sie neben mir. „Welche Überraschung werden wir noch finden?“ Sie wies auf die Gartenecke, zu der die Hecke führte. Fichten, Wacholder, Bodendecker – was wird darunter verborgen sein? Jetzt erinnerten die wuchernden Büsche an eine Friedhofsecke. Das wollten wir ändern, aber – was kommt da noch auf uns zu?
 
„Wollten wir nicht Arbeit haben, weil sie uns fehlen würde, Marianne? Das ist Männerarbeit. Pflanze du Zwiebeln, habe Ideen, was wir aus dieser Wildnis machen. Diese Arbeit können wir nach eigenem Willen tun – da stört mich doch ihr Umfang nicht.“
 
Sie blickte zweifelnd. „Kannst du das?“ – „Du wirst es sehen.“        
 
Grummeln aus Nordost ließ uns beide aufblicken. „Pack die Heckenschere weg, Bernhardt. Kommt es von dort, wird es ernst, hat der Nachbar gesagt.“ Dunkel wälzte sich eine Wolkenbank über den bewaldeten Berg. Schwarz drohten die Masten einer Hochspannungsleitung vor grau schimmernden Himmel.
 
Ein Donnerschlag floss hinter dem dunklen Wald in die Breite und klang knatternd aus. „Das ist nicht mehr weit. Bleiben oder flüchten, Marianne?“ – „Es erwischt uns unterwegs. Es wäre der erste Regen im eigenen Garten. Ich fände es romantisch. Lass uns bleiben!“ – Ich blickte in die Augen eines jungen Mädchens. Meine alt gewordene Marianne! Wie viele Gesichter sie noch immer hat?
 
Wir räumten auf und schlossen den Schuppen. Als wir die Tür vom Bungalow ins Schloss zogen, fielen erste Regentropfen. Schummriges Licht, zwei große, breite Fenster im Zimmer, leise klapperten Tropfen auf dem Dach – ich fand es nur ungemütlich, keine Spur Romantik. Marianne sah auf die wenigen Möbel. Ich folgte ihrem Blick und fand: Irgendwann hatten unsere Vorbesitzer ihre alten Wohnzimmermöbel hier „entsorgt“: Stil der fünfziger Jahre.
 
„Das muss erst nach uns aussehen, dieses Zimmer, dieser Bungalow“, sinnierte Marianne laut und traf meine Gedanken. „Kalt wirkt das, kein bisschen romantisch.“ Bedauernd klangen ihre Worte.
 
In dieser erzwungenen Regenpause beschlossen wir, aus diesem Bungalow „etwas zu machen“. Und wenn das schon mit Geld verbunden war, sollten es keine halben Sachen sein. Ein Ofen musste her, Wasser aus einer Leitung – hatten wir nicht einen Brunnen? Die Küche war noch gut, doch unbequem, darin zu arbeiten.
 
Wir überlegten noch lange, auch auf der Heimfahrt über den matschig werdenden Feldweg und später auf der breiten Asphaltstraße. Abends kamen wir zum Schluss: Das wird ein Programm für Jahre. Wir beiden Rentner und Pläne – passt das? Aber natürlich, hatten wir nicht Zeit unseres Lebens welche? Warum nicht heute? Wir leben – jetzt!
 
 
Tagelang regnete es. Der Garten ließ meine Frau nicht los. Sie fand ein altes Gartenbuch und las. Jede freie Minute füllten Gespräche unsere Zeit.
 
 
Tropfnass waren Äste und Blätter, als ich mit der Gartenschere wieder der Hecke zu Leibe rückte. Schlamm im großen Beet statt Erde, wie sollten wir das jemals bepflanzen können? Wir hatten zwar Bretter im Schuppen genug, um provisorische Wege legen zu können – aber aus Provisorien sollte unser Garten nicht bestehen. Ich dachte viel nach, während ich mich mit der Heckenschere zum Plumpsklo vorkämpfte. Da mussten noch Wege in das große Beet, möglichst gepflastert.
 
Marianne lief mit dem Handwerker durch feuchtes Gras, quer durch den Bungalow und ließ sich erklären. Ich trat hinzu.
 
„... geht alles“, hörte ich ihn sagen. „Was ich nicht kann, da kenne ich Kumpels, die es können.“ – „Wie teuer?“ – Er nannte den Stundenlohn – mit ihm könnten wir leben. – „Ich lege bei Hilfsarbeiten Hand an“, mischte ich mich ein. – Mariannes Blick rutschte missbilligend auf mich, wandte sich wieder dem Handwerker zu. „Wann können Sie kommen?“ – Er schaute in den Kalender, wir stimmten seinem Vorschlag zu. „Bis dann!“
 
Die Summe war ziemlich hoch für unser Budget. So dicke haben wir es schließlich nicht als stinknormale Neurentner im Osten. Andererseits, so dachte ich weiter, lohnt es sich nicht, zu kleckern. Bei dieser Summe sollte etwas Handfestes entstehen. So sagte ich zu Marianne: „Dann können wir die Wasserleitung auch winterfest verlegen. Das kostet nicht mehr, wenn ich den Graben selbst aushebe.“ – „Das willst du tun?“ Zweifelnd und überrascht blickte sie mich an. „Du in deinem Alter?“ – „Ich muss mir keine Termine mehr setzen. Langsam geht noch alles.“ Ich lächelte.
 
„Schuft! Ach, ihr Männer habt immer nur das Eine im Kopf, das hört wohl nie auf?“
 
Nun grinste ich richtig unverschämt.
 
„Wenn du meinst ... kannst schließlich noch so manches ... und im Alter immer besser!“ Marianne lachte auf. – Genauso hat sie damals schon gelacht – im Park, auf der Bank – wie lange ist das her? Es klingt in mir wie gestern.
 
Weg mit dem Vergangenen! Wir haben zu entscheiden. Ernsthaft fügte ich an: „Beim Ausheben und Zuschütten des Lochs kann ich mich auch einbringen. Die rechnen nach Stunden ab.“ Stellen wir es richtig an, können wir eine Ferienwohnung daraus machen – so billig, wie es kaum einer kann! Doch das ist noch Zukunftsmusik. Ich rede davon noch nicht. Sonst bin ich wieder mal „... überspannt ...“
 
„Räum die Heckenschere weg! Ich mache Mittag. Mit dem Campingkocher geht das schnell.“ – Mit einem richtigen alten Herd würde es Marianne noch mehr Spaß machen, führte ich ihren Gedanken weiter. Aber die Zeit, es auszusprechen, wird erst noch kommen.
 
Beim Essen sah mich Marianne forschend an. „Was führst du im Schilde, Alter?“ – „Dein Essen schmeckt gut.“ – „Ich weiß. Du kochst etwas aus, ich kenne dich doch.“ – Mehr konnte sie mir nicht entlocken.
 
 
Marianne schaute bedauernd auf das große Loch rechts neben dem Bungalow. Das schöne Staudenbeet der Vorbesitzerin – es war Geschichte. Sorgfältig hatte sie alle erhaltenswerten Pflanzen ausgegraben. Mit ihnen verdichtete sie den Bewuchs des Beetes vor der Terrasse. Die letzten standen bereit und warteten auf ihren neuen Lebensort.
 
Das große Loch wuchs tiefer. Der Löffel eines kleinen Baggers fuhr in den Lehm, griff sich eine Schaufel voll, wurde vom Maschinisten gedreht und in eine Bauschubkarre gekippt. War sie voll, fasste sein Gehilfe die Griffe und fuhr sie hinüber auf das große Beet. Ich schob meine kleine Gartenschubkarre unter den Schwenkbereich des Löffels. Im Beet unter dem großen Kirschbaum in seiner Mitte häufte sich der Lehm. Anfangs hatte ich gehofft, mit einer großen Plane auszukommen. Neben dem Loch legte ich sie weit ausgebreitet auf den Rasen. Inzwischen lugten nur noch ihre Ränder unter der Erde hervor. Zwei Meter Tiefe für den Tank wollten ausgehoben sein. Der Baggerfahrer hatte gleich gezweifelt, als er die Plane sah, war erst beruhigt, als ich ihm das Beet als Reserve zeigte. „Kommt viel wieder hinein, doch bleibt auch etwas übrig.“ Dann legte er los, mit ihm sein Helfer, und ich musste eilen, mit meiner kleineren Schubkarre dennoch ihr Tempo zu halten. Sind schließlich nicht halb so alt wie ich, die Beiden – beruhigte ich mein aus Jugendtagen erwachendes, sportliches Ehrgefühl.
 
Da hältst du nicht mehr mit. Es gibt anderes, was du besser kannst. Und wie sie mit dir umgehen, dich vor den schwersten Handgriffen unauffällig schonen wollen, daran erkennst du ihre Achtung. Das tut gut. Ich bin froh, es zu bemerken.
 
Am Abend sah ich in ihren Augen und las: Gut, Alter! Sie sprachen es nicht aus. Sie sagten: „Rufen Sie an, wenn das wieder rein soll.“
 
Da werdet ihr lange warten, dachte ich heimlich.
 
Unter Mariannes staunenden Blicken hob ich den Graben für das Wasserrohr metertief aus, verfüllte die Erde über dem Tank, ebnete das Beet ein und andere holprige Flächen. Nur ein kleiner Haufen blieb zurück. Abende mit schmerzendem Rücken wurden mir zur Gewohnheit. Ein prasselndes Feuer, ein Gläschen Wein – schlafen im Bungalow, duschen auf der Wiese unter dem Wasserstrahl neben dem Bungalow – Herz, was willst du mehr?
 
 
Zwei Jahre später saßen wir im aufgefrischten Abendwind auf der Terrasse. Die Hecke am Zaun hielt ihn nicht mehr ab. Eine Böe griff unter das Tischtuch, hob es an und ließ eine Klammer abspringen. Der Ständer im mittig angebrachten Sonnenschirm begann zu schwanken und der Stoff über uns zu schlagen. Besorgt schaute Marianne nach oben. „Hält. Doch wird der Wind stärker, gehen wir rein.“
 
Beide schauten wir nach Westen, wo der Wind herkam, der unsere Idylle störte. Er wird es nicht lange tun. Dann kommt wieder einer jener seidenweichen Abende, an denen die Luft die Haut zu streicheln scheint. Das wussten wir aus der Erfahrung der letzten beiden Jahre.
 
Ich dachte an jenen Tag, als Regen uns zum ersten Mal vertrieb. Fleißig waren wir seitdem gewesen, nicht wieder zu erkennen unser „Weg ins Nirgendwo“ und der ganze Garten. Eine Mauer begrenzte den Weg rechts vor einem sacht ansteigenden, halbrunden Blumenbeet. Er mündete wie früher an Hecke und Zaun. Doch der war neu. Alle alten schiefen, angebrochenen Pfosten lagen als Schutz jetzt draußen, wo eine frische, neue Hecke die alte verlängern sollte. Ein grüner Maschenzaun ragte aus den abgeschnittenen Zweigen hervor – radikal gestutzt war das alte Gesträuch. Es soll dicht werden und wieder wachsen.
 
„Jetzt haben wir eine richtig schöne Pergola.“ Marianne lenkte meinen Blick den Weg weiter bis an den Bungalow. „Die schützt den Schuppen und die Hütte vor dem Westwind. Unser Vorgänger dachte klug, als er den Garten anlegte. Wenn der ihn jetzt sehen könnte ...“ – „Kann er nicht, ist schon so lang gestorben, und seine Frau hat ihn uns verkauft. Des einen Leid, des anderen Glück ...“ So konnte ich den Wunsch meiner Frau erfüllen ...
 
Marianne, manchmal nenne ich sie Ännchen. Ihre Figur beschreibt das heute nicht mehr, doch in meinem inneren Auge ist sie das noch immer. Immer aufs Neue bin ich von mir selber überrascht, wie oft ihr heutiges Aussehen in meinem Blick auf sie verschwindet. Das junge Mädchen sitzt mir auf der Terrasse gegenüber, wenn ich unseren Ofen mit Holz gefüttert habe, die Flammen lodern, die Äste knacken, Funken in Haufen in die Höhe stieben, verlöschen und den samtblauen Abendhimmel wieder sehen lassen. Man kann nicht immer reden, sitzt man so an einem Feuer. Von Zeit zu Zeit hebe ich die Augen und sehe in ihre Rehaugen – es sind noch immer dieselben. Marianne merkt stets, wenn ich so denke. Sie senkt den Blick wie vor langen Zeiten, hebt ihn und flirtet. Das Lied des Ännchens von Tharau steigt in mir auf, die Zeile „... ist die mir gefällt ...“ durchzieht als Melodie meine Seele und fügt die Worte an „... Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein, soll unsrer Liebe Verknotigung sein ...“ Das Leben hat uns „verknotigt“, schade, dass es bei unseren Kindern nicht so kam. Ich bedaure die heutige Zeit, welche so vielen jungen Liebespaaren dieses unser Gefühl im Alter nicht schenken wird. „Fun“ ist angesagt und „Selbstverwirklichung“ – wie leer, wie dumm, egoistisch. – „Aber Bärchen“, holt mich Ännchen in die Wirklichkeit zurück, „... werde nicht sentimental. Es nützt nichts.“ – Bernhardt heiße ich. Doch die alten Worte gebrauchen wir noch immer, nie haben sie sich abgenutzt.
 
Gedanken und Gespräche dieser Art durchziehen unsere Abende auf der Terrasse. Ein Glas Wein steht auf dem Tisch, in großen Abständen nippen wir daran ... – „Du bist immer schneller“, mault Marianne. „Wie Männer eben sind, es fällt ihnen schwer zu warten ...“ Wieder blickt Ännchen aus braunen Augen, und nicht selten beginnt Bärchen dann mit ihr umzugehen wie auf einer Parkbank vor so vielen Jahren ... 
 
Kleine Flammen prasselten in unserem einfachen Ofen. Es war wieder einer dieser seidenweichen Abende, an denen die Luft die Haut zu streicheln scheint. Glückliche Gartenbesitzer!
 
               
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.09.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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