Elke Lüder

Leben-Morgen könnte es schon anders sein

 

Im Nikolaiviertel, trifft neu auf alt, Stille auf Lärm. In dem kleinen Café an der Ecke trinke ich einen Kakao und lasse die letzten Stunden noch einmal an mir vorüber ziehen. Und während meine Gedanken im Klinikpark landen, brummt hinter mir der Verkehr in den verdienten Feierabend. Ich habe einen Freund besucht, vor unendlichen vielen Tassen Kaffee, wir wollten einmal im Monat eine gemeinsam trinken, haben wir uns das letzte Mal gesehen. Aus den Augen haben wir uns nie verloren. Eine besondere Freundschaft, die sich nicht immer sehen muss. Die nicht immer Kontakt halten muss und trotzdem ihren Bestand hat.

Als ich ins Zimmer trete, ist es als hätten wir uns erst vor wenigen Tagen gesehen, dabei ist unsere Begegnung schon 22 Tassen Kaffee her. Eine andere Zeitrechnung, die uns verbindet. Seine Herzlichkeit ist wie immer, wir umarmen uns. Nur eines ist anders. Wir begegnen uns in der Klinik.Mein großer (fast zwei Meter) Superheld strahlt mich an, humpelt unter Schmerzen in seinen Rolli und los geht’s. Seine Ausstrahlung nimmt mir die Hemmungen vor der neuen Situation.

Er hatte mir nur geschrieben, dass er wieder wegen seines Rücken´s in der Klinik liegt. Mir kommt ein Bild in den Sinn, als er hoch oben auf einem Gerüst saß mit seinem Kollegen und sie sichtbar lachend Spaß daran hatten in luftiger Höhe einen Plausch zu halten.
Schon immer sprühte er voller Leben und selbst jetzt, wo seine Zukunft so offen ist, strahlt die Liebe zum Leben aus ihm.

Ich bin unbeholfen, als wir in der Cafeteria sind. Erst Momente später wird mir bewusst, nimm ihm doch mal den Kaffee ab.

So langsam kehrt meine Stimme zurück. Wir gehen in den Klinikpark, die Sonne scheint und es ist warm. Schnell finden wir eine freie Bank und kommen ins Gespräch. Wind kommt auf und weht uns die trockenen Blätter der Parkbäume ins Gesicht. Wir wechseln einmal die Seiten und haben nun den Wind im Rücken und die Nachmittagssonne blinzelt durch das ausgedünnte Laub der Bäume auf unsere Gesichter.

Gedankenaustausch.

Einen Moment lang blicken wir in die Vergangenheit, lassen dann die Gedanken kurz in die Zukunft schweifen um uns dann mit der Gegenwart zu beschäftigen. ER erzählt mir von dem was passiert ist, was noch bevorsteht und das er damit rechnen muss ein Leben im Rollstuhl zu verbringen.

So abgeklärt, mit sich im reinen habe ich ihn noch nie erlebt. Trotz all der Unsicherheiten, trotz all der bevorstehenden Untersuchungen strahlt er Zuversicht aus. Mein Superheld war immer ein Chaot, ein liebenswerter Chaot. Für jeden da und doch auch immer Zeit verplant. Oft ließ er Dates platzen.

Unsere Freundschaft begann vor einigen Jahren im Internet, dann gingen wir getrennte Lebenswege zu verschiedenen Zielen, der Kontakt lag auf Eis. Eines Tages brauchte ich Hilfe. Ich fragte meine „Freunde“, die immer für mich da sein wollten, wenn ich sie brauchen würde. Doch ihre Ausreden waren fadenscheinig und dürr. Mir blieb noch Einer. Ich schrieb eine sms und es dauerte nicht lange, da erhielt ich eine Antwort. Morgen früh um acht. Bin da.

Ja und er war da, half mir aus der Not. Trotz allem, was zuvor geschehen war, war er da. …

Langsam gibt der Tag sein Regiment an den Abend ab. Mein Kakao ist getrunken. Doch ich bleibe noch, schreibe noch ein paar Zeilen.

Während wir reden baden zwei Krähen im Wasserlauf des Park´s. Sie genießen wie wir die Sonne und haben Spaß. So verstreichen fast unbemerkt zwei Stunden und der Abschied naht. Wir nehmen uns in den Arm. Ungewohnt, sich zu dem großen Kerl runter zu beugen. Ich gehe zur Bahn und erst jetzt fällt mir ein, das ich mich nicht noch einmal umgedreht habe. Die Eindrücke sind nachhaltig, die Gedanken schwirren in mir wie junge gerade flügge gewordene Vögelchen. Die Begegnung hallt mit den verschiedensten Gefühlen in mir nach.

Kurzfristig entscheide ich mich, nicht am Alexanderplatz auszusteigen und fahre weiter bis zum Hackeschen Markt. Nehme mir vor, von dort mit der S-Bahn nach Hause zu fahren. Auch hier werfe ich meine Pläne wieder um. Der Hackesche Markt gefällt mir nicht, irgendwie erdrücken mich die Häuser und sie strahlen einfach nur Kälte aus. Der Tag ist so schön, das Herbstliche Wetter lädt ein zum genießen. Ich entschließe mich, langsam zum Alex zurück zulaufen. Vor mir immer den großen Silbernen im Blick. Ja, auch an diesem Tag gibt er mir Halt und das Gefühl von Geborgenheit. Aus den verschiedensten Blickwinkeln fotografiere ich den Fernsehturm und meine Gedanken schweifen immer wieder zurück zur heutigen Begegnung. Wie wird es weiter gehen für ihn, meinen Chaoten? Für ihn, der gerade seine Mitte gefunden hat und so viele Pläne.

Die Blickwinkel sind interessant, wechselt doch der Turm scheinbar seinen Standort.

Ich mache beim Fischrestaurant halt, setze mich und lasse meinen Gedanken einen Moment um es mir gleich zu tun.

Wieder ein interessanter Blick auf den Turm. Nun steht er genau hinter der Kirche und wenn ich aufstehe wird er nach „rechts getreten“ sein. Ich fotografiere. Wie so viele hier.

Keine Sekunde zögere ich beim weitergehen und laufe in Richtung Nikolaiviertel. Ich möchte in das kleine Café ….. da wo niemand nach Zeit fragt.

Plötzlich ist alles anders. Plötzlich … man weiß es. Und doch vergisst man es viel zu oft. Konfrontiert mit der Situation sind meine Gedanken stiller, gehen in andere Richtungen. Was wäre wenn?

Ich packe ein, zahle und gehe weiter.

Im Viertel ist viel los. Touristen erkunden die Läden. Ich bin ohne Plan. Langsam schlendere ich einfach wie es mir gefällt. Aber heimwärts. Richtung Alex. Die U Bahn ist proppenvoll. Kurz vor meinem Ziel befällt mich ein Hauch von Panik. Spürbar hatte sich meine Stimme während der Fahrt wieder von mir verabschiedet. Doch es steigen viele aus, so dass ich nicht stimmlos die Ellbogen benutzen muss.

Meine Füße schmerzen und noch während ich beim Treppen steigen überlege den Bus zu nehmen, zeigt sich mir am dunkelblauen Abendhimmel der fast volle Mond.

Ich vergesse die schmerzenden Füße. Jeden Schritt genießend, bewusst auftretend, laufe ich langsam nach Hause …. denn es könnte Morgen schon anders sein.

Danke mein Held  

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Elke Lüder).
Der Beitrag wurde von Elke Lüder auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

Bild von Elke Lüder

  Elke Lüder als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Das Mädchen aus Oberschlesien von Brigitte Hanisch



Das kleine Mädchen Brigitte wächst wohlbehütet in einer Großfamilie im katholischen Oberschlesien auf. 1938 siedeln die Eltern mit Brigitte nach Kiel um. Dort wird Ihre Schwester Eva-Maria geboren. 1939 beginnt der Krieg und Kiel wird besonders gebeutelt. Entsetzliche Jahre für das kleine Mädchen. Tag und Nacht Bombenangriffe. Hungersnot und immer die Angst um den Vater. Das Mädchen ist seelisch in einem so schlechtem Zustand, dass die Eltern Brigitte nach Oberschlesien zur Schwester der Mutter schicken. Dort wird sie eingeschult und geht auch in Schomberg zur ersten heiligen Kommunion. In den nächsten Jahren pendelt sie hin und her. Kinderlandverschickung nach Bayern, Kriegserlebnisse in Kiel, danach wieder zurück nach Oberschlesien zur Erholung. Dort aber hat sie große Sehnsucht nach ihrer Schwester und den Eltern und fährt deshalb Weihnachten 1944 nach Kiel zurück. Das ist ihr Glück, denn im Januar 1945 marschieren die Russen in Beuthen ein.
Die Nachkriegsjahre und der Aufbau der jungen Bundesrepublik prägen Brigitte. Sie lernt einen Flüchtling aus Pommern kennen und lieben. Sie heiratet ihn nach vielen Hindernissen 1954. Ein Jahr später ziehen sie nach Stuttgart. Dort endet das Buch.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Lebensgeschichten & Schicksale" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Elke Lüder

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Windgespräche Parla Mamento Hedera von Elke Lüder (Autobiografisches)
Wofür ? Warum ? von Rüdiger Nazar (Lebensgeschichten & Schicksale)
Alles nur Zufall...? von Mirjam Horat (Erinnerungen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen