Christa Astl

Lob der Stille


 
Es ist früh am Tag, die Morgendämmerung schwer hängt im Raum. Der Blick durchs Fenster zeigt Grau, das monotone Grau eines Regenhimmels, unten von den Wipfeln des Nadelwaldes aufgefangen.
Gestern war es noch so herrlich warm, für einen Oktobertag zu sommerlich, die Türen standen weit offen, um Wärme einzulassen, das Bächlein plauderte und rauschte munter wie um die Lebenslust noch zu unterstreichen. Ja, so ein Sonnentag macht Lust zum Leben.
Doch heute früh? Grau - die Straßen feucht. Um halb sieben werde ich wach, – noch viel zu früh! Eine halbe Stunde drehe ich mich im Bett herum, ein Einschlafen gelingt nicht mehr. Also doch aufstehen? Neunzehn Grad zeigt der Innenthermometer, da werde ich wohl später einheizen.
Der erste Weg führt ins Bad, der zweite an den Computer. Die Einladung zu irgendeinem Lese- und Schreibseminar kann ich gleich löschen, ein kleiner, lieber Morgengruß darf mich durch den Tag begleiten.
Bald ist die Kaffeemaschine bereit, mir ihr belebendes Getränk zu spenden.
Es ist noch dämmrig, doch ich schalte das Licht aus, stattdessen zünde ich zwei Kerzen an, deren warmes Licht gerade den Frühstückstisch erleuchtet. Der Blick durchs Fenster zeigt unverändert konturenloses Grau. Doch zum anderen Fester, in Richtung der Berge im Osten, beginnt in aller Stille das große Schauspiel der Natur. Mal da, mal dort geben die Nebel einen kleinen Ausschnitt der Berge frei, momentlang, denn unaufhaltsam ist die Veränderung, einem eigenen Gesetz folgend. Bewegung, leise und unbemerkt, wenn ich dem Bewegungslauf folgen will,  doch in jedem neuen Hinblicken zeigt sich ein anderes Bild. Geheimnisvolle, stille Faszination der Natur.
Ich überlege, das Radio einzuschalten, um Nachrichten und Wetterbericht zu hören, unterlasse es aber. Ich genieße die Stille. Ab und zu summt der Kühlschrank, leise ticken meine beiden Uhren.
Diese Stille, von vielen gehasst und gefürchtet, ich liebe sie. In ihrem Nichts, ihrer Leere an Reizen können meine Gedanken fließen, sich ausbreiten, reifen, ich kann sie  weiterspinnen, für mich in Worte fassen, verändern...
Ich beobachte eine meiner Kerzen, ihr unruhiges Aufflackern, wie ein letzter Kampf scheint es, dann ihr plötzliches Erlöschen – ohne Lärm, einfach aus. – Da könnte man schon ins Sinnieren kommen, doch ich lasse es heute bei dieser Beobachtung.
Allmählich wird der Himmel heller, zarte gelbrote Streifen künden zaghaft von Sonne. Die Natur spricht mit mir, unhörbar, in der Stille oder durch die Stille?
 
 
ChA 21.10.14
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christa Astl).
Der Beitrag wurde von Christa Astl auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

Bild von Christa Astl

  Christa Astl als Lieblingsautorin markieren

Buch von Christa Astl:

cover

Sie folgten dem Weihnachtsstern: Geschichten zu meinen Krippenfiguren von Christa Astl



Weihnachten, Advent, die Zeit der Stille, der frühen Dunkelheit, wo Menschen gerne beisammen sitzen und sich auch heute noch Zeit nehmen können, sich zu besinnen, zu erinnern. Tirol ist ein Land, in dem die Krippentradition noch hoch gehalten wird. Ich habe meine Krippe selber gebaut und auch die Figuren selber gefertigt. So habe ich mir auch die Geschichten, wie jede wohl zur Krippe gefunden hat, dazu erdacht.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (9)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Gedanken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Christa Astl

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Mauern des Reichtums von Christa Astl (Ernüchterung)
Alte bleiben länger jung von Norbert Wittke (Gedanken)
Alpen sind nicht der Ural von Rainer Tiemann (Erinnerungen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen