Francesco Lupo

Die Bauchtänzerin

Die Bauchtänzerin von Konstantinopel oder
wie ein deutscher Film entsteht
Eine Satire

Die besten Jahre seines unaufregenden Lebens, literweise Herzblut und jede Menge Klinkenputzen hatte es den Autor F. gekostet, bis eine renommierte deutsche Film-Produktionsfirma sich endlich entschlossen hatte, sein Drehbuch - mit Bundesmitteln finanziert - in die Tat umzusetzen.
‚Die Bauchtänzerin von Konstantinopel’ lautete der vielsagende Titel und verhieß Erotik pur, pittoreske Regionen, idyllische Meeresgestade, jede Menge Land und Leute, massenhaft heimtückische Morde, eine spannende Liebesgeschichte. Und es versprach auch Millionen von Zuschauern in die Lichtspielhäuser strömen zu lassen.
Stets um Authentizität bemüht, hatte Autor F. herausragend recherchiert, auf eigene Kosten weite Reisen zum Bosporus unternommen, sich die türkische Mentalität zu eigen gemacht und sogar die Sprache erlernt, was für ihn nicht einfach war, sich aber lohnen sollte. Sämtliche osmanische Museen wurden von ihm zum Thema Bauchtanz durchwühlt, Moscheen beinahe geschändet. Mehrere anatolische Gebirgspuffs vermochten seinem Ansturm nicht zu widerstehen und mußten ihm schließlich kapitulierend ihre feuchten Pforten öffnen, was F. zu nutzen wußte. Rein beruflich, versteht sich. F. war ein Prinzipienreiter.
Sein Drehbuch umfaßte mehrere hundert Seiten, vielfach türkische Dialoge mit deutschen Untertiteln versehen, äußerst filigran strukturiert. In seinem Kopf war der Film fertig und bereits oscarprämiert, er mußte nur noch in die Tat umgesetzt werden; wie es seinerzeit etwa Mozart mit seinen Sonaten getan hat.
Die Handlung ist schnell erzählt: Stavros, ein feuriger einäugiger Grieche, ist der türkischen Bauchtänzerin Fatima in Liebe verfallen und befreit sie trotz der Widerstände ihrer Familie aus einem Istanbuler Edelbordell - in dem ihr strenggläubiger Vater Stammkunde ist - wobei er versehentlich einen ihrer Brüder ertränkt. Er flieht mit ihr nach Athen, hält sich dort versteckt, muß öfter den Standort wechseln und lebt lange Zeit mit seinen drei Brüdern im Verborgenen, bis Steppengras über die Sache gewachsen ist. Am Ende heiraten sie und bekommen viele Kinder. Sie wird griechische Sportministerin.
Die Produktionskosten waren auf bescheidene 3 Millionen Euro veranschlagt worden, verglichen mit den üblichen Hollywood-Produktionen ein eher genügsames Budget. F. zeigte sich gewillt, notfalls auch ein paar winzige künstlerische Abstriche in Kauf zu nehmen. Solange dadurch nicht das Kleinod der Handlung litt – was nicht passieren sollte, das versicherte man ihm an Eides Statt mehrfach.
Erste approximative Gespräche mit dem bayrischen Produzenten Buchfink waren vielversprechend verlaufen, und dessen Begeisterung unterschied sich kaum mehr von der des Autors. Beinahe hätte man meinen können, es seien seine eigenen Ideen gewesen, die hier auf Zelluloid gebannt werden sollten.
Einen kleinen Wermutstropfen auf den Lippen des Drehbuchschreibers bedeutete allenfalls die Absage des von ihm vorgesehenen Hauptdarsteller, eines US-amerikanischen Filmstars, der vor Jahren in einem atlantischen Schiffskatastrophendrama erfolgreich agiert hatte, dessen italienischer Name nichts zur Sache tut, und der wohl etwas - zu teuer gewesen war. Seine Gagenvorstellungen überstiegen die Produktionskosten um etwa das Fünffache. F. nahm es gelassen. Solange sich sonst nichts änderte.
Die Vorbereitungen waren in vollem Gange, der weltberühmte chilenische Regisseur mit internationaler Erfahrung Ignaz Fichtelhuber - er hatte das Anden-Drama ‚Die Trauer im Blick des Meerschweinchen’ zu verantworten - war Feuer und Flamme für das Projekt, einige Szenen waren bereits im Kasten. Da traf ein Schreiben der Produktionsfirma bei F. ein, sie baten um ein letztes richtungsweisendes Gespräch. Es ging um Belanglosigkeiten. Mit der Bahn reiste F. nach München.
Überschwenglich wurde er von Produzent Buchfink empfangen, der ihm sofort ein Glas Champagner angedeihen lassen wollte, es in temporärer Ermangelung desselben dann jedoch lieber bei Leitungswasser bewenden ließ, wie er seinem Gast professionell erklärte.
„Mein lieber F.“, hub der Filmschaffende diskret an, „Sie wissen gar nicht, wie viel es uns bedeutet, gerade mit Ihnen dieses Projekt in Angriff genommen zu haben. Trinken Sie doch!“
F. fühlte sich geschmeichelt und nippte untertänigst am Süßwasser. Er betrachtete sich lediglich als ein winziges Rädchen im Produktionsgetriebe der übermächtigen, zur Selbstüberschätzung neigenden deutschen Filmindustrie.
„Das Projekt steht“, fuhr der Produzent fort, setzte sich und schaute zur Decke hinauf. „Ich habe alle Szenen schon in meinem Kopf gespeichert. Sowohl die bereits abgedrehten als auch die Piratenszene. Großartig!“
So intensiv F. auch nachgrübelte, aber an eine Piratenszene in seinem Skript konnte er sich gar nicht erinnern.
„Von welcher Szene sprechen Sie?“ fragte er, um Aufklärung bemüht.
„Das war eine Idee des Regisseurs“, so Buchfink, „glänzend. Wir bauen sie ein zwischen der gigantischen Bordellszene und Meyers Flucht.“
Weil das Interesse des US-Stars an einer Mitwirkung bei diesem Projekt- aufgrund der Tatsache, daß sich zwischen seinen üblichen Forderungen und der ihm hier feilgebotenen Gage eine unüberbrückbare Kluft aufgetan hatte - nun mal auf ein physikalisches Nichts geschrumpft war, mußte Bruno Meyer die Rolle des einäugigen Stavros übernehmen. Er war landesweit bekannt durch eine tägliche Seifenoper mit dem Titel ‚Dumm und stark’, die in allen Programmen ohne Ende lief, mit diesem obligaten Gelächter im Hintergrund. Meyer schielte entsetzlich, geradezu anomal, was die Augenklappe kaschieren sollte.
Der Vorschlag, den ein Kameramann unmittelbar nach den Probeaufnahmen machte, lautete: Meyer sollte unbedingt zwei Augenklappen tragen. Er wurde mit Rücksicht auf dessen Sicherheit abgelehnt.
„Aber Stavros flieht“, gab F. zu bedenken, „nachdem er das Bordell in Brand gesetzt und es, leicht angesengt, wieder verlassen hat, nicht mit einem Schiff, sondern mit einem Flugzeug.“
„Natürlich. Selbstredend wissen wir das. Wir sind ja nicht von gestern. Der Spielleiter aber meint, die Flucht mit Hilfe eines Piratenschiffes sei um ein Vielfaches rustikaler, und wir sind da ganz seiner Meinung. Ihr Einverständnis vorausgesetzt. Sie trinken ja gar nichts.“
„Damit bin ich nicht einverstanden!“
„Das ist sehr großzügig von Ihnen.“
Damit nippte Buchfink heimlich an einem hinter der Fotorafie seiner Frau versteckt stehenden Champagnerglas.
„Kommen wir zum nächsten Punkt. Da es enorme Kosten verursacht, die gesamte Filmcrew nach Istanbul zu transportieren, hatte unsere langjährige Sekretärin Inge den Vorschlag gemacht, die Außenaufnahmen in Budapest zu drehen; wir betrachten das als eine herausragende Idee. Diese zweigeteilte bulgarische Hauptstadt verfügt über eine ausreichende Menge islamisches Kulturgut und ist bedeutend näher. Und mittendurch fließt die berühmte Moldau. Kein Mensch wird den Unterschied bemerken. Wasser ist Wasser. Dadurch wird es erheblich billiger, wir können uns andere Extras leisten, die alle schon eingeplant sind. Na, sind Sie überrascht?“
F. nickte, maßlos enttäuscht.
„Es freut mich, daß Sie so kooperativ sind. Das wären die einzigen Änderungen. Vielleicht noch folgendes am Rande: Meyer springt nicht in den Agrafiotis - diesen Flußnamen kann kein Mensch aussprechen - sondern in den Neckar. Und er flieht nicht nach Athen. Er versteckt sich in Heidelberg!“
F. sah seine cineastischen Träume im trüben Schwabenrinnsal versinken. Das paßte überhaupt nicht in sein orientalisches Konzept. Sein schwacher Einwand war wie folgt:
„Aber Fatima, die Bauchtänzerin, deren Bruder er getötet hat, ist Türkin.“
„Auch das wissen wir, mein Guter. Wir haben schließlich das Drehbuch gelesen. Über die Tänzerin…müssen wir noch einmal…ein paar Worte verlieren. Wissen Sie, Bauchtänzerinnen sind kostspielig. Und meine Schwiegermutter hat früher mal einen dreiwöchigen Aerobic-Kurs an der Volkshochschule belegt. Sie ist unglaublich beweglich.“
„Ihre Schwiegermutter? Wie alt ist Ihre Schwiegermutter?“ wollte F. wissen.
„Hören Sie mal zu, mein Lieber“, und sanft legte sich Buchfinks Hand auf F.s Schulter. „Alter ist relativ. Nehmen Sie zum Beispiel mal den…den Himalaja. Der ist wirklich alt. Der ist unsagbar alt. Meine Schwiegermutter dagegen ist viel jünger.“
„Wie alt ist sie?“
„Oder nehmen Sie den Grand Canyon. Millionen von Jahre hat der auf seinem eingedellten Buckel.“
„Herr Buchfink. Ich bitte Sie. Fatima ist 26. Wie alt ist Ihre Schwiegermutter?“
„In Kalifornien gibt es Bäume, die sind …72!“
„72 Jahre alte Bäume sind nichts Außergewöhnliches. Das sind sogar recht junge Bäume.“
„Eben! Meine Schwiegermutter ist 72.“
„Um Gottes Willen! Stavros… ich meine, Meyer und Fatima sind ein Liebespaar!“
„Darauf freut sich meine Schwiegermutter schon ganz besonders. Sie hat den ganzen Text schon auswendig gelernt. Die atemberaubenden Verfolgungsjagden drehen wir in Mannheim. Internationale Schauplätze folgen: Bruchsal, Rastatt, Waghäusel.“
„Aber Stavros flieht doch zu seinen drei Brüdern nach Athen!“
„Athen oder Mannheim. Wo liegt der Unterschied? Beide Städtenamen bestehen aus zwei Silben. Und auch in Mannheim leben jede Menge Türken.
„Athen ist eine griechische Stadt, Herr Buchfink.“
„Gut, daß Sie das gerade ansprechen, mein lieber F. Wahrscheinlich verzichten wir auf die Auslanddrehorte ganz. Stellen Sie sich nur vor, was das an Einsparungen bedeutet. Übrigens: Das Buch ‚Krieg und Frieden‘, welches Meyer in seinem Versteck in Heidelberg liest, konnten wir nicht auftreiben. Wir haben uns für ein anderes entschieden.“
„Das ist aber wichtig. Er zitiert einige Stellen daraus, während er mit Fatima, während er mit Ihrer Schwiegermutter … für welches?“
„Es ist dünner.“
„Dünner?“
„Etwas.“
„Aber nicht zu dünn. Sonst sieht man es nicht.“
„Keine Sorge. Wenn Meyer den Karl May Band geschickt auf seinem Schoß plaziert, wird ihn niemand im Kino erkennen.“
Ernüchtert sank F.s Kopf auf seine Brust.
„Aber sonst haben Sie keine Änderungen am Konzept? Immerhin ist es eine internationale Produktion.“
„Sonst nichts. Meine Hand darauf.“
Buchfink setzte sich kurz, trank sein Glas leer und schenkte sich hinter dem Bilderrahmen heimlich nach, bevor er fortfuhr.
„Weil Einsatzfahrzeuge der Polizei kostspielig sind, haben wir uns auch für die zahlreichen Verfolgungsszenen eine passable Lösung erdacht: Anstelle von Polizeiwagen nehmen wir Inline-Skater. Die sind unglaublich wendig, und wenn sie in der richtigen Farbe gestrichen sind, merkt das kein Mensch. Die Fahrer bekommen leuchtend blaue Mützen auf.“
„Hat wenigstens Sidney Poitier für die Rolle des Haremswächters zugesagt?“ seufzte ein desillusionierter Autor.
„Das war überhaupt kein Problem. Kein Problem.“
„Das ist großartig. Wann kommt er?“
„Wir malen meinen jüngeren Bruder schwarz an, der hat unheimlich wulstige Lippen. Das wird richtig gut.“
Immer mehr schrumpfte F. auf seinem Sitz zusammen.
„Ich befürchte“, hauchte er erschöpft, „mein Film wird wohl nicht ganz so bombastisch ausfallen, wie ich mir das in meiner Phantasie vorgestellt habe.“
„Sagen Sie das nicht. Schütten Sie nicht die Flinte zusammen mit dem Kind ins Korn! Es wird alles genau so, wie Sie es geschrieben haben. Allerdings mußten wir wegen der Überlänge ein paar Szenen streichen, was Regisseur Ignaz Fichtelhuber nur entgegen kam, weil seine 13jährige Tochter in Chile ein Kind erwartet, und er deswegen nach Hause fliegen will. Darum ist er ziemlich nervös. Es ist erst ihr zweites. Und weil wir einige Szenen in Mainz in den ZDF-Filmstudios gedreht haben, hat dies das Interesse der dortigen Verantwortlichen geweckt. Merken Sie was? Für Fortsetzungen.“
„Für Fortsetzungen?“
Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigte sich auf F.s Gesicht, auch Produzent Buchfink ließ ein väterliches Lächeln aufblitzen, während er wieder heimlich an seinem Champagnerglas schlürfte.
„Fortsetzungen für die nächsten paar Jahre. Ach was sag ich, für die nächsten Jahrzehnte!“
Die aufkeimende Begeisterung im Raum ließ längst vergessen, daß F. nur Wasser trank.
„Auf Jahrzehnte hinaus“, betonte Buchfink immer wieder.
„Gibt denn der Stoff so viel her?“ fragte F.
„Ehrlich gesagt…ja“, damit hob der Produzent philosophisch die Augenbrauen. „Nachdem wir alle unwesentlichen Teile herausgenommen und uns auf die wichtigen Figuren konzentriert hatten, wollten die Verantwortlichen des Zweiten Deutschen Fernsehens unbedingt…die Rechte haben.“
„Welche Rechte? Auf das Buch?“
„Teile davon …“
„Teile?“
„Von einigen Figuren.“
F. dachte angestrengt nach. Wenn das ZDF sich für seine Figuren interessierte, war vielleicht doch noch nicht alles verloren.
„Um welche Figuren handelt es sich denn?“
„Um die vier Brüder.“
„Was wollen sie denn mit den vier Brüdern anfangen?“ mußte ein leicht irritierter Autor unbedingt in Erfahrung bringen.
„Sie verwenden sie. Für Intermezzi.“
„Was für Intermezzi?“
„Das ganze Jahr über. Täglich. Das bringt eine Menge Tantiemen.“
F.s Phantasie, ein Intermezzo betreffend, war offenbar ein wenig überfordert.
„Das ganze Jahr hindurch? Täglich?“
„Eben“, fuhr der Produzent unbeirrt fort. „Sie werden als Zwerge gezeichnet, tragen lustige bunte Mützchen, heißen als Mainzelmännchen fürderhin Berti, Conni, Det und Edi.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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