Petra von Breitenbach

wenn der Tag eine Stunde mehr hätte


 
Prof. Elisabeth Lichtenthal lehrte Wirtschaftsökonomie an der Universität Freiburg. Sie hatte den Auftrag, zum Thema
"Entschleunigung und Effektivität"
einen Fachvortrag auf einer Tagung des Arbeitgeberverbandes zu halten.
 
Die besondere Herausforderung bestand darin, dass es sich um ein sehr heterogenes Publikum handeln sollte. Manager, Ärzte, Ökonomen, Philosophen
und hochrangige Kirchenleute.
Wie war man eigentlich auf sie gekommen? Sie genoss den Ruf, sich im Gegensatz zu ihren Kolleginnen und Kollegen
verständlich auszudrücken und dabei ein hohes Leistungsniveau in ihren Seminaren zu erreichen.

 Nachdem sie sich etwas entspannt hatte, schien die Sache ganz einfach....sie würde dieses trockene Thema ein bißchen aufmischen.

Als der Tag näherrückte, war sie in prickelnder Vorfreude.
Pünktlich 10 Minuten vor Beginn der Veranstaltung war sie im Vortragssaal
des 25hour Hotels in Hambung, sie war in Hochform.
Nach und nach betraten die Zuhörer den Raum und die Reihen füllten sich, sie schätzte, dass es um die 150 Menschen sein mußten.
Als sie an das Rednerpult trat, legte sich ihre Aufregung.

"Meine sehr verehrten Damen und Herrn!
Es ist mir eine große Freude, Sie so zahlreich begrüßen zu dürfen. Ein ranghohes Fachpublikum aus den unterschiedlichsten
Bereichen unserer Gesellschaft hat sich hier zu einem der spannendsten Themen unserer Zeit zusammengefunden!
"Entschleunigung und Effektivität" -
Bewegen wir uns nicht alle tagtäglich auf dem Hochseil der Anforderungen, immer schneller, besser und konkurrenzfähiger werden zu müssen?
Wir dürfen uns hier und heute einen ganz persönlichen Zugang zu diesem modernen Phänomen erarbeiten, um dann später allgemeingültige
Schlußfolgerungen daraus ziehen zu können.

Stellen Sie sich bitte vor, Ihr Tag hätte ab heute eine Stunde mehr, meine sehr verehrten Damen und Herrn!"
Ein Raunen ging durch den Saal, einige fingen an zu gähnen.
"Verehrtes Publikum", Elisabeth mobilisierte ihr komplettes Autoritätspotential -
"Sie werden staunen, zu welchen interessanten und gesellschaftsrelevanten Ergebnissen dieser Exkurs führen wird!"
Die Unruhe legte sich Gott sei Dank und sie konnte fortfahren.
"Der Tag hat 24, die Woche 168 Stunden, addiert man eine Stunde pro Tag dazu, so haben wir 175 Stunden pro Woche!"
Dr. Marker, ein Arbeitgebervertreter unterbrach sie ohne Wortmeldung: "Frau Prof. Lichtenthal, da machen Sie aber ein Faß auf,
die Gewerkschaft sitzt mitten unter uns!"
Wieder gab es Unruhe im Publikum und ehe sie sich versah, waren sie in medias res.
Herr Dr. Phil. Unsicht - seines Zeichens Philospoh stellte die Frage:
"Woran würde man denn erkennen, dass der Tag eine Stunde mehr hätte?"
"Ganz einfach, man müßte das Zifferblatt aller Uhren völlig umgestalten, die jetzige Uhr hätte ausgedient,"
meinte einer aus der Branche und bekam zustimmendes, breites Grinsen von Herrn Zeiger aus dem Vorstand des Uhrenherstellers timewatch.
Der wurde sogleich konkret und schritt zum Flipshart. In einen großen Kreis malte er die Zahlen 1-25.  "So würde unser neues Zifferblatt aussehen!"
              Die beiden Vertreter der Christlichen Kirchen tauschten  vielsagende Blicke aus. Der Katholik triumphierte innerlich - und rechnete prompt aus: zur Abendstunde um sechs Uhr würde die Kirchturmuhr dann folgerichtig 18 mal schlagen!
Welch ein Zugewinn an Aufmerksamkeit!
Ein bekannter Internist meldete sich zu Wort: "Endlich kann ich das mal loswerden:
Patienten, die in der Nähe von Kirchen wohnen, klagen überproportional über Schlafstörungen! Ich bin im Laufe meiner langjährigen Praxis
zu der Erkenntnis gekommen, dass das Schlagen von Kirchturmuhren abgeschafft gehört, es ist genausowenig mehr zeitgemäß
wie vordem der Berufsstand der Nachtwächter."
"Nun werden Sie aber bitte nicht polemisch" wetterte der evangelische Kollege und fügte hinzu: "das Glockenläuten dient dem Menschen nicht nur zu seiner zeitlichen Orientierung, sondern v.a. dazu, sich seiner Endlichkeit bewußt zu werden!"
Elisabeth hatte den Eindruck, dass es nun Zeit für eine Kaffeepause sei, die Luft war ein wenig stickig geworden.
Der Geräuschpegel auf dem Flur an den Bistrotischen gab ihr völlig Recht. Unmengen an Plätzchen und Kaffee wurden konsumiert.
Danach konnte es weitergehen. Der Pastor war inzwischen mit Herrn Zeiger ins Gespräch gekommen und meldete sich nocheinmal zu Wort und 
sprach in Blickrichtung des Internisten: "Wenn Ihr Patient, der unter Schlafstörungen leidet, bisher jeden Morgen in der Früh um 3 Uhr wach wurde und ab 22 Uhr geschlafen hatte, so
hätte er immerhin bei einem 25 Stundenrhythmus nicht nur 5 sondern dann 6 Stunden Schlaf gehabt.
Wäre das nicht ein wunderbarer Beitrag zur Volksgesundheit?"
Einige klopften zustimmend auf die Stuhllehnen ihres Vordermannes, während andere sich verbal empörten.
Da meldete sich Frau Prof. Algebrei zu Wort: "Wissen Sie Herr Dr. Wunderlich, ein Mensch mit einem gestörten
Schlafrhythmus wird sicher nicht eine Stunde mehr Schlaf haben, nur weil irgendwelche profitgierigen Uhrenfabrikanten ein neues  Zifferblatt erfinden wollen.
Nun war der passende Moment des Herrn Prof. Dr. Kantig gekommen. Er wollte den folgenden Satz zelebrieren und
wartete effektvolle Sekunden des Schweigens im Saale ab.
"Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Ich bitte Sie - ist die Zeit nicht eine Erfindung des Menschen? Wer zwingt die Menschheit zur Uhr
mit einer begrenzten Anzahl an Stunden? Wir unterliegen einer großen Täuschung - einer Illusion!"
Einer der Arbeitgebervertreter verließ wutschnaubend den Saal, woraufhin Frau Dr. Rosa, Obermedizinalrätin endlich den Mut fand,
ihren Gedanken freien Lauf zu lassen: "Das ist doch ein wunderbares Geschenk nicht nur an die Menschen, wenn der Tag eine Stunde mehr hätte.
V.a. für Kalle, meinen Spitz, der morgens beim Gassigehen immer viel zu kurz kommt!"
Elisabeth war dankbar für diesen Brückenschlag und sah auf die Uhr.
Der Arbeitgebervertreter war inzwischen wieder hereingekommen und nahm nocheinmal Fahrt auf:
"Eine Stunde mehr - meine Damen und Herrn - das ist ein unschätzbarer Wert für unser Wirtschaftswachstum.
Bei einer Stunde mehr pro Tag kommen wir auf 365 Stunden mehr pro Jahr. Wir wären unseren Konkurrenten  weltweit um einige Nasenlängen  voraus!
Wir sollten mit diesem Gut verantwortungsvoll umgehen und nicht - wie ich eben von meinem Nachbarn erfuhr, vergeuden, z.B. mit
Gassigehen der überflüssigen Vierbeiner."    
Eine beunruhigende Röte stieg im Gesicht des Gewerkschaftsvertreters auf, Frau Prof.Lichtenthal befürchtete Schlimmstes.
Der etwas untersetzte Mann bewegte sich auf den Flipshart zu, schnappte sich den dicken roten Filzschreiber und malte eine neue Uhr daneben
und die hatte 30 Ziffern! In Versalien setzte er daneben:
F Ü R   D I E   30 - S T U N D E N W O C H E
Nun war es  aus mit der Disziplin, es brach ein Tumult aus, bei dem man nicht mehr unterscheiden konnte zwischen ablehnender Empörung und jubelnder Zustimmung.
"Über die Emotion kommt die Erkenntnis", dachte Elisabeth selbstsuggestiv. Sie atmete tief durch und zählte bis zehn, da hatte sich der Saal allmählich wieder beruhigt.
Sie mußte zum Schluß kommen. Die Beiträge waren ausgewogen, dachte sie zufrieden. Alle anwesenden Berufsgruppen waren zu Wort gekommen und am Ende hatte die Gewerkschaft einen  effektvollen Schlußakkord inszeniert.
"Verehrtes Publikum,
Ich habe Ihnen zu Anfang unserer Tagung nicht zuviel versprochen, dessen bin ich mir ganz sicher. Ich möchte Ihnen zu bedenken geben:
Die Zeit ist ein kostbares Gut, das der Mensch nicht vergeuden sollte. Er, der Mensch hat die alleinige Verantwortung im Umgang damit.
Der Mensch an sich ist der lebende Beweis, dass es den Faktor Zeit gibt - da muss ich Herrn Prof. Dr. Kantig leider widersprechen.
Einzig die Entschleunigung kann den vorzeitigen Verschleiß unserer Ressourcen aufhalten. Die Effektivität der Produktionsprozesse wird nicht
durch eine zusätzliche Zahl auf dem Zifferblatt erhöht. Meine sehr verehrten Damen und Herrn, denken Sie sich diese fiktive zusätzliche Stunde am Tag und
werden Sie   la n g s a m e r,  gesünder, geselliger, freundlicher und und und....
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!"


 
 

 

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