Peter Spiegelbauer

Die Alexandria Chronik -Teil 2-

Martin
 
In der Eingangshalle des Luxushotels fühlte sich Martin in seinem schäbigem Outfit fehl am Platz. Die dunklen Marmorplatten des Bodens spiegelten sein Äußeres wage wieder. Er fühlte sich durch die klinisch reine Atmosphäre äusserst unwohl. Dennoch ging er zur Rezeption und gab die gefälschten Ausweise dem jungen Mann am Computer. Dieser telefonierte kurz und gab sie ihm mit einem freundlichen Lächeln zurück.

„Es ist alles vorbereitet. Suite 318. Hier ist ihre Zutrittskarte. Ich wünsche ihnen einen schönen Aufenthalt.“

Mit einem gezwungenem Lächeln nahm Martin die Papiere sowie die Karte entgegen, und machte sich auf den Weg zu den Fahrstühlen. Als sich die Türe öffnete, betrat Martin entschlossen die fast schon obszön große Kabine. Er betätigte den Knopf zum 3 Stock und geräuschlos schlossen sich die Türen. Als er alleine in der verspiegelten Kabine stand, betrachtete er sein Spiegelbild etwas genauer. Über sein Gesicht verlief eine feine Narbe, die noch nicht ganz verheilt war. Hemd und Hose hatten kleine Löcher doch die darunterliegenden Wunden waren allesamt verschlossen und bluteten nicht mehr. Er brauchte dringend neue Kleidung. Hoffentlich hatte man alles für ihn in die Wege geleitet, dachte er. Während sich die Türen des Liftes wieder öffneten. Martin trat in den fast zwei Meter breiten Flur und fand rasch die ihm zugedachte Zimmernummer. Mit einem leisen Piepsen schaltete der Schließmechanismus auf grün und er betrat das Zimmer.

Das Vorzimmer war mit einer eleganten Holzvertäfelung ausgestattet, dazu eine begehbare Garderobe und einen zwei Meter hohen Wandspiegel. Das daran anschließende Wohnzimmer bestand aus einer Couch mit zwei dazupassenden Ohrensesseln sowie einem Kniehohen Glastisch und einem darüber hängenden Kristallluster mit zwölf flamenförmigen Glühbirnen. Durch die linke Türe kam man in die Küche, die im amerikanischen Stil, Kochzeile und Abwasch, in der Mitte des Raumes, eingerichtet war. Alle Möbel der Wohnung waren aus vollem Holz und dunklem Braun lackiert. Durch die rechte Türe kam man in das Schlafzimmer, dass ein französisches Doppelbett beinhaltete, mit anschließendem Badezimmer, welches Martin gleich als allererstes nutzen wollte.

Als er sich ausgiebig geduscht und neu eingekleidet hatte, ließ er sich auf das weiche Bett fallen, und schloss für einen Moment die Augen. Martin dachte an sein Leben bevor er Teil der Familie wurde. Es schien ihm wie ein Traum als er an seine Frau und seine Tochter dachte, die beide den Krieg nicht überlebt hatten. Als er desertierte um nach Deutschland zurückzukommen, wurde er in Italien aufgegriffen und wäre beinahe erschossen worden, wenn nicht ein einflussreicher General ihm eine Anstellung als persönlicher Sekretär verschafft hätte. Damals hielt er dies für Zufall. Er musste lächeln, als er über seine Naivität nachdachte. Er konnte nicht ahnen, dass er von einem Giovanni zum Ghoul gemacht werden und fortan „der Familie“ dienen müsse. Der Ausgang des Krieges war für Martin irgendwann vorhersehbar geworden. Rommel war ein ausgezeichneter Stratege und Vorgesetzter gewesen. Aber Martin wollte nicht mehr die Entbehrungen der Wüste ertragen und so fern von seiner Familie sterben. Eines Nachts tötete er zwei der vier Wachen ihres Wüstenlagers und entkam. Die Ironie des Schicksals wollte es jedoch, dass er in Deutschland niemals ankommen sollte. Erst nach einigen Jahren erlaubte ihm „die Familie“, dass er sein Heimatland besuchen durfte. Er brachte in Erfahrung, dass seine Frau und seine Tochter bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen waren. Ebenso viele seiner Verwandten und Freunde. So blieb ihm nur noch dieses Leben. Der General, der ihm damals das Leben rettete, handelte auf Wunsch von Viktor Giovanni.

Dieser machte ihn nach einigen Wochen zu seinem Ghoul und vertraute ihm meist Aufgaben in Sizilien an. Meistens ging es darum Personen zu eskortieren oder Botengänge für Viktor zu erledigen. Nichts Aufregendes. Bis Viktor eines Nachts beschloss, Martin nach Alexandria zu schicken um für ihn einen verschwundenen Giovanni zu suchen. Wie einfach doch alles schien. Doch als er ankam, wollte keiner der Kainiten mit ihm zu tun haben. Was war er denn schon... doch nur ein Ghoul. Sie hielten eisern den Mund und beobachteten jeden seiner Schritte. Tagein, Tagaus. Gerade als er herausfand, wer in dieser Stadt so das Sagen hatte, kamen die Assamiten. Zumindest nahm er an, dass es Assamiten waren, die den Hafen einäscherten. Er konnte gerade noch fliehen und nach Italien zurückkehren. Die Schuld für die Anschläge am Hafen schob man ihm in die Schuhe. Den Grund dafür wusste er zwar nicht, aber mit Sicherheit, gab es auch die einen oder anderen Kainiten, die wussten, dass er nichts mit der Sache zu tun hatte. Viktor war zunächst sehr aufgebracht, weil Martin mit leeren Händen zurückgekehrt war. Doch er hörte sich seine Geschichte an, überlegte einige Nächte und stattete Martin mit genügend Zahlungsmitteln aus, um sich bei den Nosferatu und den Schlangen einzukaufen. Zumindest hoffte Martin, dass es reichen würde. Doch was konnte man schon sicher wissen... Es würde wohl eher ganz darauf ankommen, wie sehr man ihm vertrauen würde. Abgesehen davon konnte es ja auch sein, dass die Anschläge ihm selbst galten. Aber das wäre dann doch zu unwahrscheinlich, oder etwa nicht? Mit dieser ungestellten Frage in seinen rastlosen Gedanken schlief er letztlich doch ein.
 
Ulima
 
„Was glaubst du, Nabil? Warum ist er zurückgekehrt?“

„Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht, aber ich werde es schon noch herausfinden. Es scheint überhaupt nur Wenige zu geben, denen ich vertrauen will und kann.“ Erwiderte Nabil frustriert während er gedankenverloren in die Ferne starrte.

„Ich hoffe du zählst mich noch zu deinen Vertrauten, oder...?“ Ulima lächelte ihn unschuldig an.

„Wie sollte ich dich auch nicht dazuzählen, oh du weise Mutter Alexandrias.“ beteuerte Nabil mit einem Anflug gespielter Entrüstung, bei der er selbst fast schon lächeln musste.
Nach dem kurzen Moment der Heiterkeit, fuhr Ulima ernsthaft fort,“Sei nicht so stolz. Du weißt wie schnell diese Stadt fällt, wenn wir uns zu sehr in Sicherheit wiegen. Noch ist nichts passiert.“

„Nichts? Soll das dein Ernst sein? Oh du ahnst ja nicht was sich in jenen Nächten am Hafen abspielte. Einige meiner besten Leute schlossen für immer die Augen. Und wofür? Für nichts!“ rief Nabil aufgebracht.

„Eben“, erwiderte Ulima,“für nichts. Ein paar Gebäude müssen renoviert und vier Schiffe geborgen werden. Wenn das alles ist, war es kein schlauer Angriff. Die Frage ist doch, wer profitiert davon? Sind es tatsächlich die Assamiten, was ich langsam aber sicher bezweifle. Und selbst wenn, was gewinnen sie dadurch? Und dann noch dieser italienische Laufbursche. Wer ist er eigentlich?“ fragte Ulima fast gelangweilt.

„Du erinnerst dich sicher noch an seinen letzten Besuch, vor einigen Nächten. Er schien einen Kainiten zu suchen, und fragte jeden, den er traf danach aus. Natürlich wollte ihm niemand etwas sagen. Dann kamen diese Anschläge. Viele unserer Brüder und Schwestern glauben, er selbst war es. Ich lasse sie vorerst in dem Glauben und schweige dazu. Ist gut für die Moral der Stadt, solange die Sache noch nicht ausgestanden ist.“ Nabil nippte kurz an seinem Glas und schmeckte das dünne aber dennoch sättigende Menschenblut.

„Hör dir doch an, was er zu sagen hat und dann schick ihn wieder nach Hause. So oder so... dieser Ghoul bedeutet nur Ärger. Andererseits... vielleicht erzählt er uns ein wenig mehr, wenn wir... etwas ‚netter‘ zu ihm sind, wenn du verstehst.“ Ulima lächelte Nabil verschwörerisch an, als sie ihm nachschenkte.

Nabil schien kurz darüber nachzudenken, bis er meinte,“wie du meinst. Ich kümmere mich persönlich darum. Mich würde interessieren was er hier wirklich will, so fern von seiner Heimat. Weiß Melih vielleicht mehr darüber?“

„Gedulde dich noch einen Augenblick und du kannst ihn selbst danach fragen.“ Sagte Ulima rätselhaft. Nabil sah sie ein paar Sekunden verwundert an, als plötzlich eine Gestalt mitten im Raum sichtbar wurde.

„Ich hoffe ich störe nicht...“ Mehil genoss sichtlich seinen Auftritt, während er gleichzeitig einen verzeihungsheischenden Hundeblick aufsetzte.

„Irgendwann werden dich deine plötzlichen Auftritte noch den Kopf kosten, Mehil.“ Nabil starrte ihn missbilligend an, und schlürfte weiter an seinem Glas.
Mehil verbeugte sich tief und verharrte in dieser Geste für Sekunden.

„Ich bringe Neuigkeiten. So wie es aussieht waren es tatsächlich Assamiten, die den Angriff verursachten, die Schäden am Hafen sind nicht so groß wie erwartet, und bevor ich es vergesse, wir haben seit gestern einen Gast in unserer Stadt.“ Mehil war etwas enttäuscht über die Wirkung seiner Worte, als Nabil entgegnete,“Nichts was wir nicht schon wissen. Gibt es Beweise, dass es die Assamiten waren?“

„Aber... wieso wusstet ihr... von Martin?“ Mehil schien tatsächlich verdutzt zu sein.

„Nicht nur du hast Spione hier in dieser Stadt. Wielange versuchst du jetzt schon mich in diesem Bereich zu übertrumpfen?“ fragte Ulima herausfordernd. „Wie lange? Fünf oder gar zehn Jahre? Wann wirst du endlich einsehen, dass...“

„GENUG!“ Nabil schien sichtlich verärgert über die Sticheleien der beiden. „Wir haben jetzt wichtigeres zu besprechen als euer Kräftemessen. Was will Martin?“

„Er will mit Sinan sprechen, so weit ich weiß. Momentan befindet er sich in einem von Ulimas Hotels. Natürlich unter falschem Namen.“ Mehil schien immer noch beleidigt wegen der ungewöhnlich angriffslustigen Äusserung von Ulima zu sein.

„Ich rede selbst mit ihm. Vielleicht kommt er ja mit einem Angebot von den Giovanni. Wer weiß das schon? In Nächten wie diesen, ist alles möglich.“ Nabil erhob sich übertrieben langsam und verließ das Teezimmer. Insgeheim ekelte es ihn an seine beiden engsten Vertrauten anlügen zu müssen, doch er konnte zur Zeit tatsächlich niemandem vertrauen.
 

Diese Geschichte basiert zum größten Teil auf den Rollenspielbüchern von White Wolf, genauer gesagt auf den Sourcebooks von Vampire the Masquerade. Da es dieses Spielsystem schon seit vielen Jahren nicht mehr gibt, und es demnach kaum noch von irgendjemandem heutzutage gespielt wird, wollte ich dieser Kindheitserinnerung von mir Tribut zollen, in dem ich einige Geschichtsfragmente dazu verfasste.
Es tut mir leid, wenn sich der eine oder andere Leser erst ein wenig durch-googeln muss, um zu verstehen worum es in diesem Spielsystem überhaupt geht, beziehungsweise um den Hintergrund der Geschichte zu verstehen. Ich bedanke mich schon jetzt für euer Verständnis.
Da ich diese "Kurzgeschichte" erst vor Kurzem geschrieben habe, bin ich für jeden konstruktiven Vorschlag zur Verbesserung des Textes dankbar. Liebe Grüße Peter Spiegelbauer
Peter Spiegelbauer, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Peter Spiegelbauer).
Der Beitrag wurde von Peter Spiegelbauer auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Peter Spiegelbauer als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Planet der Isolanten - Ein anderes Märchen von Gabi Mast



Die Menschheit macht kaum noch Schwierigkeiten. Die großen Probleme sind gelöst, als da sind:
Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Kriege, Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit.
Bis sieben Personen einen darauf trinken...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Rollenspiele / Adventures" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Peter Spiegelbauer

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Unterschied von Peter Spiegelbauer (Gesellschaftskritisches)
Ist denn Lust, verwerflich? von Helmut Wendelken (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen