Olaf KF

Die ZDF-Hitparade als Friedensstifter

Es ist ein Phänomen: In den 70er Jahren lief Monat für Monat die ZDF-Hitparade. Schlagersänger traten dort auf. Sangen ihre komischen Lieder. Wurden originell-väterlich eingeführt von Dieter-Thomas Heck. Und Monat für Monat sah sich das ein Millionenpublikum an. Einschaltquoten, die heute nur noch die Bundesliga erreicht. Aber nicht nur das: Das Publikum war in bemerkenswerter Weise gemischt: Alte saßen genauso davor wie Junge, Frauen wie Männer, Zuschauer aus Stadt und Land.

Erinnern wir uns, was das für eine Zeit gewesen ist: Es waren die Post-68er Jahre. Eine turbulente Zeit. Die Gesellschaft war in Bewegung geraten. Die alten Ideale der Eltern waren vielen Jungen unglaubwürdig geworden. Neues wurde gesucht. Vieles ausprobiert. Verworfen. Es gab Streit mit den konservativen Eltern. Konflikte. Rebellion.

Und dann ... dann sah man zusammen die ZDF-Hitparade. In dieser rebellischen Zeit eine Oase des Friedens. Worüber ansonsten heftig und voller Leidenschaft gerungen wurde, das ruhte in den 45 Minuten, in denen Dieter-Thomas Heck die Top Ten des Deutschen Schlagers präsentierte.

Warum war das so? Genau wissen wir das natürlich nicht. Aber ich habe eine Vermutung: Die in der ZDF-Hitparade präsentierten Schlager waren von besonderer Art. Sie waren in bestimmter Weise besonders dazu geeignet, eine Verbundenheit zwischen den ansonsten im Streit befindlichen Generationen zu schaffen. Und das hatte weniger mit den Inhalten zu tun, als mit den Sängern und Sängerinnen.

Was ich damit meine, wird schnell klar, wenn wir uns die Interpreten einer beliebig ausgewählten ZDF-Hitparade auswählen. Wie wäre es mit der (80.) ZDF-Hitparade vom 10. April 1976? Da war auf Platz 1 Lena Valaitis, auf Platz 2 stand Costa Cordalis , gefolgt von einem Benni, und die goldene Stimme von Prag, Karel Gott, belegte Platz 4.

Oder ein knappes Jahr später, die 89. Hitparade vom 22. Januar 1977: Da stand Costa Cordalis auf Platz 1, Platz 2 hatte sich Tina Rainford erobert, Platz 3 ging an Elfi Graf, während sich auf Platz vier Gitte befand.

Noch ein Beispiel? Nehmen wir die Sendung 101 vom 9. Januar 1979. Auf Platz 1: Howard Carpendale, Platz 2: Toni Holiday, Platz 3: Chris Roberts, Platz 4: Roland Kaiser.

Merken Sie etwas? Fällt Ihnen bei den Namen etwas auf? Natürlich: Die deutsche Hitparade war eigentlich gar keine deutsche Hitparade. Anders als die heutigen deutschen Schlager- und Volksmusiksendungen war die ZDF-Hitparade von Anfang an so international aufgestellt, dass es einen im Nachhinein Staunen macht. Lena Valaitis: Litauen. Costa Cordalis: Griechenland. Karel Gott: Tschechien. Gitte: Dänemark. Howard Carpendale: Südafrika. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Die Sänger der deutschen Schlager kamen aus Israel (Daliah Lavi), aus Frankreich (Adamo), aus England (Graham Bonney), aus Schweden (Siw Inger), aus Jugoslawien (Bata Illic), der Schweiz (Paola), den Niederlanden (Mouth and MacNeal) und und und.

Und all die Sänger, die deutsche Wurzeln hatten? Erstaunlich viele gaben sich englische Namen, gaben sich ein internationales Flair. Oder was meinen Sie, warum sich seinerzeit Christian Klusacek Chris Roberts nannte? Warum Monika Schwab nicht als Monika Schwab auftrat, sondern als Tina York? Und warum sich Klaus Hill und Hans Odenthal in Phil und John umbenannten, bevor sie an die Öffentlichkeit traten???

Nein: Wer Heino, Gunter Gabriel und Bernhard Brink als typische Vertreter des deutschen Schlagers der 70er Jahre begreift, der hat das Besondere am Schlager der damaligen Zeit nicht erfasst. Diese deutschen Schlagersänger waren die Ausnahme. Die Regel waren Sänger mit entweder echtem oder gefaktem internationalen Flair.

So konnte die ZDF-Hitparade die ansonsten im Clinch befindlichen Generationen zusammen führen: Die Alten bekamen ihre deutschen Lieder, ihre schnulzigen Songs von Liebe und Schmerz. Die Jungen hingegen durften ein bisschen weite Welt fühlen. Durften Menschen aus all den Ländern bestaunen, in die sie demnächst mit dem Interrail-Ticket fahren würden.

Dann aber kam eine Entwicklung, die im Nachhinein nicht anders als tragisch bezeichnet werden kann: Das Ende der ZDF-Hitparade wurde eingeläutet von einer neuen Musikrichtung, die das bis dahin so erfolgreiche Konzept der ZDF-Hitparade sprengte: die Neue Deutsche Welle. Deren Siegeszug zu Beginn der 80er Jahre bedeutete nicht weniger als das Aus für die bewährte, generationenübergreifende Hitparade. Denn gerade diese Welle, die innovativ und gewagt sein wollte, war in einer erschütternden Weise ... deutsch. Die Alten konnten damit nichts anfangen, weil Musik und Texte scheiße waren. Die Jungen nicht, weil hier nichts mehr international war.

Kein Wunder, dass Dieter-Thomas Heck dann bald ausstieg und die Hitparade sich zu der Monstershow entwickelte, die sie dann noch für ein paar Jahre für ein verstörtes Restpublikum blieb, bis sie anno 2000 dann endlich, endlich eingestellt wurde.

Aber damit nicht genug! Nur wer die Dinge oberflächlich betrachtet, wird die Zusammenhänge nicht wahrhaben wollen, die zum damaligen politischen Geschehen in Deutschland bestehen: Denn es kann doch kein Zufall sein, dass das Ende der goldenen Zeit der ZDF-Hitparade mit dem Ende der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt zusammen fällt. Der Versuch, Deutschlands Rolle in Europa neu zu definieren, war in jenen Jahren sowohl politisch, als auch musikalisch zum Stillstand gekommen. Wo kein Raum mehr war für Dieter-Thomas Hecks ZDF- Hitparade, da war eben auch kein Raum mehr für politische Visionen. Das Eine bedingte das Andere. Nun begann eine bleierne Zeit (und wofür in der Politik der Name Helmut Kohl steht, stehen in der Musik Namen wie Wolfgang Petri und G.G. Anderson).

Wir, die wir es damals erlebt haben, trauern diesen goldenen Aufbruchsjahren immer noch nach. Dieter Thomas Kuhn zaubert uns bisweilen ein kleines, verträumtes Lächeln ins Gesicht, wenn er die damaligen Größen mehr oder weniger gekonnt imitiert. Die heutigen Schlager-'Stars' wie Helene Fischer oder Andreas Gabalier indes lassen uns nur den Kopf schütteln, denn sie haben nichts, aber auch gar nichts von dem visionären und letztlich innen- wie außenpolitisch hochbedeutsamem Flair, das für die Schlager der ZDF-Hitparade in den 70er Jahren kennzeichnend gewesen ist.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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