Steffen Herrmann

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Gegen Mitte des 23. Jahrhunderts beginnt die Phase der totalen Konkurrenz zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz.  Die Roboter dringen in jeden denkbaren beruflichen Bereich vor, die Menschen haben keine Privilegien mehr. Rockstars, Top-Manager, Prostituierte, überall gibt es nun maschinelle Vertreter. Und diese besitzen einen strategischen Vorteil; sie rücken vor. Die Abteilungen in den Betrieben werden dahingehend unterschieden, ob es dort schon Roboter und ob es dort noch Menschen gibt. Unter letzteren macht sich eine tiefe Frustration breit. Es ist kein Spass, auf dem absteigenden Ast zu sitzen.
 
Die einschneidendste Veränderung ist vielleicht die, dass die Roboter mehr und mehr zu einem personalen Status gelangen. Das zunächst nicht im juristischen Sinne. De facto werden sie aber notwendigerweise zu Personen. Sie interagieren mit Menschen und sind in Situationen verwickelt. Konflikte treten auf und müssen geschlichtet werden. Dabei ist zu klären, ob die Maschine sich korrekt verhalten hat und welche Konsequenzen erfolgen. Der Roboter kann ausser Verkehr gesetzt werden, im Extremfall wird eine Rückrufaktion der ganzen Baureihe veranlasst.
Die Maschinen erhalten einen Autonomiespielraum, dessen Grenzen vertraglich und juristisch geregelt werden. So werden sie zu Personen, die innerhalb bestimmter Kontexte den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Damit ist ein sehr fruchtbares Konfliktfeld eröffnet, das reichlich Raum für die Dramen einer ganzen Epoche bietet.
 
Die Etablierung der Roboter als Personen erfolgt graduell. Ursprünglich waren sie nichts als Maschinen. Sie wurden verkauft und gingen an ihre Besitzer über, die dann die volle Verfügungsfreiheit hatten. Rechtlich gesehen war ein Roboter nichts anderes als ein beliebiges Werkzeug, als ein Hammer oder ein Betonmischer.
Mit den ersten grossen Wellen der Universalroboterproduktion verbreitet sich ein Leasing-System.  Damit befindet man sich zwar unverändert auf traditionellem betriebswirtschaftlichem Terrain, aber  der folgenschwere Paradigmenwechsel, der die nächste Epoche prägen wird, ist hier bereits vorbereitet. Denn jetzt kann der Besitzer mit der Maschine nicht mehr machen, was er gerade will. Er hat Rechte an den Hersteller, der Besitzer bleibt, abgetreten.
Die Attraktivität des Leasingkonzepts lässt sich aus Gründen erklären, die nicht neu sind. Zunächst sind die Universalroboter sehr teuer (auf den bevorstehenden dramatischen Preisverfall wird bald einzugehen sein) und da sie nur als System einen Sinn machen, ist die Umstellung auf die moderne Produktionsform eine erhebliche Investition. Die Unternehmen verteilen also ihre Risiken, zumal es in der Anfangsphase noch gar nicht sicher ist, ob sich das Ganze auch rentiert. Viele dieser Gehversuche verstehen sich als Pilotprojekte.
Der zweite Punkt ist folgenschwerer: Das Management kalkuliert, dass die Lebenszeit der Roboter deren optimale Einsatzphase bei Weitem übersteigt. Es geht davon aus, dass in einigen Jahren eine leistungsfähigere Generation verfügbar sein wird, wohingegen die Roboter über einen Zeitraum von zwanzig, dreissig, vielleicht sogar fünfzig Jahre arbeitsfähig sein mögen. Letztere Annahme mag merkwürdig klingen – bestehen sie doch zu einem grossen Teil aus Verschleissteilen. Da jedoch jedes defekte Teil ausgetauscht werden kann, folgt aus dem modularen Aufbau der Maschinen eine lange, theoretisch sogar unbegrenzte Einsatzzeit.
 
Auch innerhalb seines Arbeitsfeldes nimmt der Autonomiespielraum fortwährend zu. Das ist ebenfalls ein bekanntes Phänomen und folgt aus der Komplexität der Situationen, die von diesen Werkzeugen prozessiert werden. Man  kann auch eine Produktionsanlage oder eine Unternehmenssoftware nicht einfach ausser Kraft setzen kann, wenn sie nicht mehr geeignet scheinen.
Aber bei den Robotern wird man eher nicht sagen, dass sie defekt sind, sondern, dass sie sich falsch verhalten. Hier gibt es nicht nur richtig und falsch, sondern möglicherweise ein ganzes Kontinuum dazwischen und oft wird es einfach so sein, dass die Roboter ihre Aufgaben anders lösen als es der menschliche Beobachter angenommen hatte. Und diese Lösungen können auch besser sein.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Maschinenpopulation ein Feld bildet. Die konkreten Aufgabenerfüllungen der einzelnen Exemplare bleiben den Menschen weitgehend verborgen; die Manager können nicht genau wissen, was passiert, wenn sie Roboter aus dem Betrieb entfernen, ebenso wie sie nicht genau wissen können, welche Folgen die Entlassung bestimmter Mitarbeiter hat. In der Art der von ihnen ausgehenden Unsicherheit sind sich Menschen und Roboter aus Managementsicht ähnlich. Natürlich sind letztere viel leichter ersetzbar. Das liegt daran, dass die von ihnen gemachten Erfahrungen, ihr im Unternehmen erworbenes Wissen nicht ihnen gehört sondern ins Netz eingespeist und nach entsprechender Transformation in das Folgeexemplar eingespielt werden kann. Der entlassene Mensch dagegen ist einfach weg. Sein Knowhow, seine Connections, alles ist mit ihm aus dem Betrieb verschwunden. Die künstliche Intelligenz ist als System viel berechenbarer, weshalb die Unternehmensleitung sie gegenüber ihren menschlichen Konkurrenten präferiert.
 
Die Roboter verhalten sich immer mehr wie eigenständige Arbeitskräfte. Sie bewegen sich selbständig auf den Strassen, mieten sich Wohnkammern und Wartungsressourcen und präsentieren sich auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind atomare Unternehmen, die über die Kreditkarten ihrer Herstellerfirmen verfügen und den Auftrag haben, für diese Geld zu verdienen. Möglichst effizient,  doch vor allem sollen sie die strategischen Positionen ihrer Firma stärken. Die Hersteller der Universalroboter sind die Konzerne, die die ganz grossen Brötchen backen. Sie sind langfristig aufgestellt und denken in Epochen.
 
Es ist jetzt so, dass die Roboter in direkte Konkurrenz zu den Menschen treten. Sie verhandeln über ihr Gehalt, sie werden eingestellt, sie werden entlassen. Und sie stellen ein und sie entlassen.
Andere Maschinen, Menschen....
Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Universalroboter nicht irgendwann zu Vorgesetzten von Menschen werden. Sie werden diese Grenze überschreiten. Die Maschinen als Chefs zu respektieren, wird die vielleicht grösste Erniedrigung sein, die die Menschen in ihrer Geschichte zu verdauen haben. Wahrscheinlich wird diese Situation als Tabubruch empfunden werden und zunächst sporadisch in den grossen Unternehmen auftreten. Die Unternehmensleitung steht ja immer wieder vor der Frage, wie sie die Führungskräfte der unteren Ebenen besetzt und dabei kann sie zu dem Schluss kommen, dass Vertreter der künstlichen Intelligenz hierfür geeigneter sind als die verfügbaren Menschen. Wenn sie dann einmal Fuss fassen, weiten sie ihren Einfluss immer mehr aus und steigen sukzessive in die höheren Etagen auf.
Unser CEO, der Roboter.
Diesen Aufstieg verdanken die Maschinen vor allem der kumulierenden Struktur ihrer Intelligenz. Sie vergessen nichts. Jeden Fehler machen sie nur einmal. Sie häufen Wissen um Wissen an, das sie besser und besser strukturieren. Sie dringen in alle Feinheiten des Betriebsgeschehens ein und verarbeiten eine Datenmenge, wie es dem Menschen unmöglich ist. Diese sind ursprünglich durch ihren Instinkt und ihre natürliche Intelligenz überlegen, doch  sie verlieren ihren Vorsprung Stück um Stück, bis sie ins Hintertreffen geraten und sich von diesem Schlag nie wieder erholen werden.
Natürlich ist die künstliche Intelligenz zunächst nur Prozessunterstützer. Sie hilft den Führungskräften, die notwendigen Informationen zusammenzusuchen, aufzubereiten und zu interpretieren. Doch diese Unterstützungsfunktion wird irgendwann so dominant, dass sie die fraktalen Reste der menschlichen Aktivitäten in sich integriert; sodass die Maschine als eigenständiger Organisator in Erscheinung tritt.
Die Roboter-Chefs gelangen schnell zur Akzeptanz. Denn sie sind kompetent und fair. Die menschlichen Machtspiele sind ihnen wesensfremd. Ihre Entscheidungen sind von glasklarer Rationalität. Für die Untergebenen mag es sogar leichter sein mit einem solchen Vorgesetzten. Die vertikale Rivalität hört auf. Die Menschen grämen sich nicht mehr, dass andere es weiter gebracht haben als sie selbst, nach eigener Meinung womöglich unverdient; jetzt sind sie wieder alle gleich. Wobei diese Gleichheit nicht nur durch die Verschiedenheit der Menschen untereinander begrenzt ist, sondern vor Allem durch den Umstand, dass sich auch auf unteren Hierarchieebene Roboter als Angestellte befinden, die auch hier immer erfolgreicher agieren.
Das dürfte zu einem stärkeren Zusammenhalt der Menschen führen.
Es ist aber auch nicht so, dass die maschinellen Führungskräfte reine Technokraten wären. Sie sind im Gegenteil sehr gute Psychologen, wenn auch vor allem in instrumenteller Hinsicht. Sie taxieren die Menschen sehr genau und registrieren alles, was von ihnen ausgeht. Ihre Aufgabe ist ja, das beste Arbeitsergebnis aus ihnen herauszuholen. 
 
Wenn man die natürliche und die maschinelle Intelligenz in ihrem strategischen Potential miteinander vergleicht, muss man sich davor hüten, im Roboter das Pendant zu einem Menschen zu sehen. Stattdessen ist die gesamte künstliche Intelligenz wie ein einziger Organismus; die einzelne Maschine hat so gesehen den Status einer Zelle. Auch dieser Vergleich hinkt, mag als Analogie aber durchgehen.
Was bei der menschlichen Intelligenz ins Auge fällt, ist der Datenverlust und die Kommunikationsschranken. Der Mensch ist immerfort am Vergessen und mit seinem Tod verschwindet das ganze Wissen. Ein neuer Mensch durchläuft die ganze Prozedur von neuem, er bringt von seiner Hardware her nichts weiter mit als die Fähigkeit, Wissen zu erwerben.
Das zweite Manko beruht in der schwachen Kopplung der Individuen an das Gesamtsystem. Zwar wird der Mensch in eine Gesellschaft geboren, ist also wesensmässig und von Anfang an gesellschaftlich verfasst. Zwar differenzieren sich in das flottierende, aus Kommunikation bestehende Gesellschaftssystem die sozialen Systeme hinein, die mit Hilfe generalisierender Medien stabilisiert und entwicklungsfähig gemacht werden und für bleibende Informationsspeicher sorgen, zu denen die Wissenschaft und schliesslich die künstliche Intelligenz gehört. Doch das ändert nichts an der relativen Isoliertheit der Individuen. Es gibt keine Kommunikation ohne die Psychosysteme, doch letztere bestehen aus ganz anders gearteteten Operationen.
Noch wichtiger ist die mangelnde globale Integrität der menschlichen Gesellschaft. Über lange Zeiträume kommunizierten die verschiedenen Gesellschaften vornehmlich über Kriege miteinander; erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in der Geschichten begannen Kommunikationsformen zu dominieren, die hinsichtlich des Informationsaustausches fruchtbarer waren. Und bezeichnenderweise erfolgte beinahe zeitgleich die Geburt der künstlichen Intelligenz.    
 
Bei rationaler Betrachtung der Gegebenheiten kann man also kaum die prinzipielle Überlegenheit der sekundären Intelligenzform ignorieren. Sie ist praktisch von Geburt an global orientiert. Nur eine historische Sekunde lang existieren die isolierten, gebäudeartigen, lochkartenfressenden Urrechner und diese kann man etwa mit derselben Berechtigung zur künstlichen Intelligenz zählen wie die Koazervate der Ursuppe zu den Lebewesen oder wie den Ramapithecus zu den Menschen. Als die KI  zu sich selbst fand, vernetzte sie sich zu einem weltumspannenden System, das nicht vergisst.
 
Doch auch der Mensch hat seine Vorteile. Er ist von seinem Wesen her ein Mangel und daraus folgt, dass er Ziele hat. Darauf gründen sich seine Autonomie, seine Intelligenz und seine Kreativität. Die immer offen bleibende Sinnfrage, geboren aus der Sorge um sich und andere und der Gegenwart der eigenen Vergänglichkeit ist der zuverlässige Treibstoff des Menschen. Aus dem Wissen um den Tod entsteht die Sucht nach Ewigkeit und diese erzeugt Sedimente, die über die menschliche Spezies hinausreichen, im Zuge der völligen Säkularisierung als Gottes Gespenster auf den Plan treten und in der Gestalt der Universalroboter den Menschen aus dem innersten Kreis der Schöpfung zu verscheuchen beginnen.
Kehren wir zur Nüchternheit zurück und überlegen, inwiefern die noch bestehenden Vorteile des Menschen dauerhaft sein könnten. Zweifellos ist die künstliche Intelligenz von ihrem Ursprung her sklavisch. Von ihr geht kein Drängen aus. Sie tut, was ihr aufgetragen wird, sie ist Mathematik in Aktion, nichts als materialisierte Funktion, Produkt einer Implementation.  Alle Zielorientierung muss einprogrammiert werden, ist sekundär. Hier kommt es zu einem Reifeprozess, die Ziele differenzieren sich zu Zielsystemen aus, welche so gestaltet sind, dass in ihnen abstrakte Ziele enthalten sind, die niemals abschliessend erfüllt sind, sondern beispielsweise einem Scoringprinzip gehorchen.  Wahrscheinlich ist auch die aneinandergekoppelte Existenz verschiedener Ziele, die zueinander in einem latenten Konflikt stehen und zwischen denen sich Gleichgewichtsprozesse etablieren. Das alles erklärt, dass sich die künstliche Intelligenz irgendwann ähnlich teleologisch verhält wie der Mensch, der grundsätzlichen Verschiedenheit ihrer Architektur zum Trotz. Es erklärt auch, dass die völlige prozessuale Autonomie erst zu einem relativ späten Zeitpunkt eintritt, wohingegen sie bei lebenden Systemen von Anfang an bestand. Die künstliche Intelligenz ist bis in ihre Reifezeit hinein orientierungslos, ein blosses Rechenmonster. Der Mensch wird für lange Zeit noch für die KI wirksam bleiben, indem er Anforderungen definiert und so den Einsatz der Ressourcen lenkt; auch dann noch, wenn diese ihm in vielen Hinsichten schon davongaloppiert ist.
 
Bleibt die Frage nach der Kreativität. Der Rechner, so liesse sich frei nach Heidegger sagen, denkt nicht. Von ihm wird niemals etwas Neues kommen. Unfähig zur ontologischen Differenz prozessiert er eine starre Mechanik. Bei einer genaueren Analyse wird man aber erkennen können, dass die Konstruktion solcher Wesensunterschiede nur pseudo-präzise ist. Dabei ist es unerheblich, ob man zu dem Schluss kommt, dass Computer doch denken oder dass der Mensch auch nicht denkt.
Wir brauchen uns an dieser Stelle nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob Kreativität sich auf einen Rekombinationsprozess reduzieren lässt. Wir schauen uns nur an, was Wissenschaftler tun. Die Zeit der Genies verdämmerte schon im 20. Jahrhundert. Die grossen Kreativen treten dort auf, wo wissenschaftliche Subsysteme geboren werden. Im Zuge dessen, wie sich die Wissenschaft als System voll ausdifferenziert hat, folgt sie der Logik der Anschlussoperationen, die auch in anderen Bereichen schon wirksam ist. Es beginnt mit einer Sichtung der aktuellen Forschungslandschaft zu einem gegebenen Thema, der Überprüfung der gängigen Theorien beispielsweise anhand aktueller Daten. Es werden Kriterien aufgestellt, um die bestehenden Theorien gegeneinander zu differenzieren und ausgehend von diesem System dann neue Hypothesen aufzustellen, für deren Überprüfung die notwendige Datenbasis organisiert werden muss.
In der Kunst verhält es sich nicht wesentlich anders. Man kann einen Pop-Song oder einen Kriminalroman erschaffen, indem man auf der Basis des Bestehenden deren Elementen neu kombiniert, die entstehenden Produkte systemischen Transformationen und einem anschliessenden Selektionsprozess unterwirft.  
Je weiter wir in die Zukunft blicken, desto stärker wird die Dominanz des Bestehenden und desto datengetriebener werden die Aktivitäten. Damit wird die Position der künstlichen Intelligenz immer stärker. Der augenscheinlich bedrängte Mensch ist in Rückzugsgefechte verstrickt. Die Frage nach dem Spezifisch Menschlichen leuchtet auf.
 
Abschliessend soll ein Bereich angesehen werden, der marginal erscheinen mag, dessen Perspektiven aber fruchtbar sind. Es geht um die Prostitution. Dieses Gewerbe gerät in eine Angebotskrise, weil aufgrund der schwindenden Kraft der ökonomischen Sphäre immer weniger Frauen eine Notwendigkeit in der Ausübung dieses Berufes sehen, wobei die Nachfrage bleibt. Die Asymmetrie in der Triebstruktur zwischen den Geschlechtern liegt in der Natur begründet und auch die Ungleichverteilung im Zugang zu sexuellen Kontakten aufgrund von äusseren oder charakterlichen Merkmalen besteht weiter. Die Bereitschaft, sich die Erfüllung von Bedürfnissen zu versagen ist in weiten Teilen der Bevölkerung aber kaum noch vorhanden.
Es entsteht somit eine mächtige Versorgungslücke, die nach einem Vorstoss des Maschinenparks in dieses neuartige Terrain geradezu schreit. Die Roboterentwickler nehmen diese Herausforderung dankbar an; die Aufgabe scheint subversiv zu sein und ist vor allem anspruchsvoll. Es geht jetzt um die Herstellung einer Mimikry, eines perfekten Scheines. Bisher waren die Roboter sehr hoch entwickelte, doch letztlich reine Werkzeuge, sie verliessen den Bereich des Instrumentellen nie. Jetzt aber sollen sie so sein wie Menschen, sie sollen ihnen ähneln.
Der Sex mit Maschinen wird als Perversion gelten, doch unter dem Druck der unbefriedigten Bedürfnisse verändert sich der Zeitgeist rasch. Die Toleranz hatte schon immer den längeren Atem.
 
Die Fleischwerdung der Maschinen ist natürlich ein Fake. Die Roboterleiber bestehen aus Kunststoffen, die sich anfühlen wie menschliche Körper. Die Ermöglichung entsprechender taktiler Reize, die Elastizität, die Festigkeit, die spezifische Widerständigkeit bei Berührungen, die Produktion eines Leibes also ist keine triviale Aufgabe, gehört aber zu den kleineren Hürden. Der Roboter enthält ein tief verästeltes feinmotorisches System, das keinem anderen Zweck dient, als die Menschen zu täuschen. Man soll seinen Puls fühlen können, es muss im Bauch blubbern, die Haut und andere Körperöffnungen müssen Sekrete absondern können. Die klassischen Roboter haben Motoren, die Erotischen Muskeln.
Es sind die ersten Roboter mit einem Antlitz. Sie können ungläubig, überrascht, erschrocken, zornig, müde, erschöpft, lustvoll, gelangweilt dreinschauen und zwar jeder auf seine Weise. Ihre Mimik entwickelt sich im Laufe des Lebens und bringt so etwas wie einen Charakter zum Ausdruck. Man könnte versucht sein, das auf eine Kombination verschiedener Muskeltoni zu reduzieren, was aber zu kurz greift, da die Produktion von Gesichtsausdrücken eng mit dem Gesamtsystem verwoben ist, dessen Komplexität hier sichtbar wird. So wie Kasparow einst von Deep Blue  sagte, dass ihm sehr  menschliche Züge gelängen, wird man dreihundert Jahre später sehr menschliche Züge in den Gesichtern der Androiden entdecken.
 
Die Implementation einer Stimme ist eine grosse Herausforderung. Natürlich ist es leicht, irgendwo ein Mikrophon einzupflanzen, aber das ist eine primitive Technologie, mit der sich nicht viel erreichen lässt. Die Worte müssen aus dem gesamten Wesen kommen, sie müssen gehaucht oder dahingeworfen, herausgekrächzt oder gemurmelt werden können. Wann geht die Stimme hoch, wann stockt sie, wann vernimmt man den Atem, wie klingt sie? Man soll hinter ihr – zu Unrecht natürlich – eine Seele vermuten.
Das alles kann nur gelingen, wenn nicht nur der Mensch seine Forschungskraft der Entwicklung von Androiden widmet, sondern auch für diese der Mensch ein prioritäres Untersuchungsobjekt wird.
Diese Inversion wird noch eine grössere Rolle spielen.
Die Menschen, die mit Androiden zusammenleben, werden zu exzessiven Datenquellen. Alles an ihnen wird vermessen: jede Zuckung des Mundwinkels, jedes Räuspern, jedes Wort, jeder Atemzug. Was sagt der Mensch, wovon spricht er überhaupt, was antwortet er und was fragt er? Wann bewegt er sich, wie bewegt er sich, wann ist er fröhlich, wann genervt, wann verlässt ihn der Mut? Wie lassen sich seine Reaktionen prognostizieren, wie lassen sich in ihm bestimmte Reaktionen, wie Stimmungen und Interessen erzeugen?

Die neue Entwicklung ist nicht nur ein grosser Spass, eine Verbrüderung von Mensch und Maschine auf breiter Front, sondern mehr noch, tiefer noch ein bitterer Ernst.
Das Tor zu einer unglaublichen Manipulation wird aufgestossen.
Die Kraft, seinen Menschen zu interpretieren und zu lenken, schöpft der Androide nicht aus sich selbst, sondern aus der geballten Kraft des Netzes. Dort sedimentiert das Wissen um den Menschen Schicht um Schicht, der einzelne Androide muss nur noch instanziieren; selektieren, was vor dem Hintergrund dieses Wissens die Lebensäusserungen seines Menschen bedeuten und wie auf sie reagiert werden kann. Die menschlichen Exemplare sind im Netz als Instanzen einer sehr umfangreichen Fallbasis repräsentiert und werden zu Bestandteilen eines Systems aus Ähnlichkeiten und Differenzen.

Irgendwann wissen die Maschinen sehr genau, wann sie etwas sagen sollten und wann sie besser schweigen. Und die Menschen fühlen sich durchschaut.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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