Achim Müller

Osterhasen tragen eine grüne Uniform

Osterhasen tragen eine grüne Uniform

Es war erst gegen 13 Uhr, Guido stand schon lange vor der Türe und wartete auf seine Mutter. Hastig hatte er gegessen, zum Glück hatte er heute keinen Tischdienst.
Seine Mutter hatte ihm geschrieben, ich komme um 14 Uhr. Endlich! Das war Grund genug, für Guido, schon um 13:00 Uhr in seinen besten Klamotten vor der Türe zu
stehen. Er hatte sein Taschengeld gespart und eine Schachtel Pralinen für seine Mutter gekauft und diese liebevoll in Geschenkpapier eingepackt. Auch eine Osterkarte hatte er ihr gemalt.
Lange hatte er seine Mutter nicht mehr gesehen, sehr lange. Das letzte Mal hatte er morgens mit seiner Mutter, wie immer gefrühstückt und ist in die Schule gegangen. Da war er noch in der 3. Klasse der Grundschule. Als er aus der Schule kam, war ein VW Bus vor seiner Haustüre gestanden. Als er klingelte, hatte ihm seine Mutter nicht die Türe aufgemacht, stattdessen sind 2 Frauen aus dem VW-Bus ausgestiegen
und haben ihn mitgenommen. Seine Mutter währe nicht da, mehr hat man ihm nicht gesagt.
Dann wurde er 2 oder 3 Tage bei einer fremden Familie untergebracht. Danach ist er hier ins Heim gekommen. Da ist er jetzt immer noch. Mittlerweile geht er in die 5. Klasse. Lange hat man ihm nicht gesagt, wo seine Mutter war und warum er weg musste. Sein Vater hatte seine Mutter verlassen, als er noch sehr klein war, den kannte er eh nicht. Im Heim hatte man ihm erste Briefe von seiner Mutter vorgelesen. Auch hatte er viele, viele Briefe an seine Mutter geschrieben. Später auch mit ihr telefoniert. Aber rausbekommen hatte er es trotzdem. Einmal hat er einen Brief seiner Mutter mit Briefumschlag bekommen.
Justizvollzugsanstalt hat auf dem Absender gestanden. Das war ein Schock für Guido gewesen, dumm war er nicht, was das bedeutete wusste er ganz genau. Seine Mutter hatte man eingesperrt. Und ihm wollte man das nicht erklären. Lange Zeit hat er mit niemandem darüber gesprochen. Dann hat er seiner Mutter geschrieben, dass er es wüsste. Aber warum seine Mutter genau im Gefängnis war, das hatte auch sie ihm nie verraten. Sie hätte halt einen großen Fehler gemacht, und es täte ihr ganz doll leid hatte sie geschrieben. Na er wusste, dass noch andere Kinder im Heim waren, deren Eltern auch im Gefängnis waren. Auch hatte er sich im Fernsehen die Serie mit dem Frauengefängnis öfter angesehen. Besuche waren ihm schon öfters versprochen worden, jedoch hatte es nie vorher geklappt. Woran dies gelegen hat, hatte er nie verstanden.
Wenn die anderen Kinder angegeben hatten, was ihre Eltern alles für tolle Leute sind, hatte er gesagt, dass seine Mutter eine große Firma in Amerika leitet und er bald nachkommt. Das war zwar gelogen, aber die anderen hatten ja bestimmt auch gelogen.
Aber heute war sein großer Tag, seine Mutter würde kommen. Er war am träumen und am planen, was könnte man unternehmen, wo könnte man hingehen. Was könnte er seiner Mutter zeigen. Die 2 in der Englisch Arbeit, auf die er so stolz war? Unwichtig! Hauptsache sie kommt erstmal her. Dass sie noch immer im Gefängnis war und nur so eine Art Urlaub hätte, hatte Sie ihm geschrieben. Das sie große Chancen hätte früher raus zukommen hatte sie ihm auch geschrieben. Sie hätte sich nun geändert und müsse nur 2/3 ihrer eigentlichen Strafe absitzen, dann käme sie vorzeitig zur Bewährung raus. Wann dies genau ist hatte sie aber auch nicht geschrieben. Guido hofft, dass es bald sein wird. Er wurde immer ungeduldiger. Nach und nach sah er, dass andere Eltern und Besucher von den anderen Kindern kamen. Es waren Osterferien, und viele durften mit ihren Eltern in die Ferien fahren. Wie gerne wäre auch er mit seiner Mutter in die Ferien gefahren. Das wäre toll. Einmal ist er mit seiner Mutter nach Italien geflogen, dort haben sie Urlaub gemacht und im Meer gebadet. Da war er aber noch nicht in der Schule. So etwas würde er gerne wieder machen. Mehrmals ist er ins Haus gelaufen, und hat auf die Uhr geschaut. Immer noch nicht zwei Uhr. Aber vielleicht würde Sie ja etwas früher ankommen. Immerhin hatte sie geschrieben, das Sie von weit her kommt und lange fahren müsse.
Er hatte an diesem Tag bis 11:20 Schule, und konnte kaum still sitzen. Zum Glück ist es der Lehrerin nicht so aufgefallen.
Rein ins Haus und auf die Uhr geschaut, 13:22; 13:36; 13:41; 13:49; 13:51; 13:55; 13:58; 4:00; 14:01 er traute sich schon gar nicht mehr hinein. Nach langen warten kam ein grüner Kleinbus um die Ecke. In jedes Auto, das in der letzten halben Stunde gekommen war, hatte er geschaut. Aber das hatte er nicht erwartet. Das Auto sah aus wie ein altes Polizeiauto, nur ohne Blaulicht. Vorne stieg eine Frau aus, diese hatte eine grüne Uniform, ähnlich wie eine Polizistin an. Sie öffnete von außen die Seitentüre und eine weitere Frau in Uniform stieg aus. Dann seine Mutter, endlich!
Stefan, ein andere Junge in seinem Alter stieß ihn an, “Deine Alte eh!“ Er setzte an, um den Guido abzuziehen, als er die Tränen in Guido´s Augen sah, schwieg er, und ging. Guido und seine Mutter schauten sich an. Er hätte Sie kaum wieder erkannt. Sie trug eine Jeans und einen Pullover und war viel dünner als sonnst. Dass sie mit Gefängniswärterinnen kommen würde hatte Guido nicht erwartet. Jedoch hatte er so etwas schon im Fernsehen gesehen.
Langsam ging er auf seine Mutter zu. Selbst seine Mutter hatte auch mit den Tränen zu kämpfen. Guido, Guido, Mensch bist du groß geworden sagte Sie. Sie umarmten sich. “Weinst du Mutti?“ “Nein, nur Freudentränen“. Guido gab seiner Mutter sein vorbereitetes Geschenk. “Ich freue mich so, dich wider zu sehen.“ “Ich mich auch, endlich!“
Einer der Erzieher war raus gekommen, und sprach mit einer der Gefängniswärterinnen.
Dann gingen alle zusammen ins Gruppenhaus, in den Fernsehraum. Guido währe lieber mit seiner Mutter alleine gewesen, die Gefängniswärterinnen machten jedoch keine Anstalten zu gehen. Aber Guido war froh, dass seine Mutter endlich da war. Sie hatte ihm sogar als Geschenk ein Osterkörbchen mit Ostereiern und Süßigkeiten mitgebracht. Wenigstens der Erzieher hatte sich verzogen. Aber draußen im Flur versuchten die anderen Kinder aus der Gruppe in den Raum hinein zu sehen. Denn das mit den Gefängniswärterinnen hatte sich im Nu herumgesprochen. “Können wir nicht raus gehen, irgendwo anders hin?“, schlug Guido vor. Die Jüngere der beiden Gefängniswärterinnen schaute die Ältere an, doch diese schüttelte den Kopf. “Ich will aber lieber alleine mit dir, ohne Gefängniswärterinnen ......“ Seine Mutter sagte ihm, das die Begleitung durch Beamtinnen die Bedingung war, unter der Sie überhaupt hätte kommen dürfen. Außerdem würde man nicht “Gefängniswärter“ sagen, das wäre ein Schimpfwort. Sie stellte ihm dann beiden Frauen als Monika und Brigitte vor. Beide waren doch netter, als Guido zuerst geglaubt hatte. Guido hatte von seiner Mutter erfahren, dass es die Wohnung, in der er vorher mit seiner Mutter gewohnt hatte nicht mehr gibt. Seine Mutter würde sich, sobald sie entlassen wird dort in der Nähe eine neue Wohnung suchen und ihn aus dem Heim holen. Dies hatte sich ganz fest vorgenommen. Die Papiere dafür währen schon vor Gericht, und Sie hofft rechtzeitig zum Anfang der Sommerferien soweit zu sein, damit Guido das nächste Schuljahr direkt auf der neuen Schule beginnen könne. Guido freut sich da schon sehr drauf. Seine Mutter hatte ihm auch nicht erzählen wollen, warum sie im Gefängnis ist, sie würde ihm das später einmal erklären. Jedenfalls währe sie jetzt in einem Resozialisierungsprogramm und würde mit Sozialarbeitern zusammen an ihrer Entlassung arbeiten. Da sie in diesem Programm ist gäbe es gute Chancen, dass ihr der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt würde und Sie bald raus käme. Dieser erste Besuch wäre ein Teil dieser Maßnahme. Das nächste Mal würde Sie alleine mit dem Zug kommen. Ohne Beamte! Vielleicht würde ein Sozialarbeiter mitkommen um den Guido kennen zu lernen. Dann könnte sie mit Guido auch etwas zusammen unternehmen.
Sie habe den Guido ganz doll lieb, und nur die Erwartung und Freude darauf ihn wieder zu sehen habe ihr die Kraft gegeben schwierige Zeiten im Gefängnis zu überstehen. Ihr würde es unendlich Leid tun, das der Guido im Heim wäre und sie würde alles dafür geben, wenn sie ungeschehen machen könnte, was passiert ist. Sie hatte ihm auch nicht schreiben dürfen, dass sie nicht alleine kommt, weil dies gegen die Sicherheitsbestimmungen verstößt und sie sonst den Brief nicht hätte absenden dürfen. Alle zusammen haben dann Kaffee getrunken und Osterkuchen gegessen. Die meisten der anderen Kinder wurden bereits für die Ferien abgeholt. Guido aber würde bleiben müssen. Da das Haus nun fast leer war, hatte er es riskieren können, seiner Mutter sein Zimmer zu zeigen. Dort hatte er auch ein Bild, auf dem er zusammen mit seiner Mutter in Italien zu sehen war. Auch sein Englischheft hatte er ihr noch gezeigt.
Hinterher hatte seine Mutter noch mit dem Erzieher gesprochen. Ob es wohl möglich währe, das der Guido sie mal im Gefängnis besucht, ob jemand den Guido Pfingsten etwa hinfahren könnte. Sie würde dies auch bezahlen, wenn es nötig sein sollte. Die Heimleitung würde es prüfen, welche Möglichkeiten es da geben würde, wurde ihr versprochen.
Weil es noch einen langen Weg zurück bis in die Vollzugsanstalt währe, musste seine Mutter gegen 17:30 die Rückfahrt antreten.
Jedenfalls war der Besuch nicht so gewesen, wie Guido sich das vorgestellt hatte. Aber über den Besuch seiner Mutter hatte er sich doch gefreut. Guido ist dann in den Ferien über in die Ostergruppe gekommen, in der die anderen Kinder zusammengefasst wurden, die auch bleiben mussten. Eine andere Ostergruppe war zusammen mit älteren Kindern in die Winterferien zum Rodeln gefahren.
Hinterher ist er zwar tagelang von anderen Kindern gehänselt worden, aber das war es ihm wert. Von wegen “Knastmamma“ hatte man ihn verspottet.
Jetzt hofft er, dass er wirklich in den großen Ferien das Heim verlassen darf, und wieder zu seiner Mutter ziehen darf. Wenn es nicht in den großen Ferien klappen sollte dann wird er abwarten.




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.05.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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