Ulrich Waffenschmidt

Frank Wagners verlorene Zeit

Oktober 1995
 
   Frank Wagner wollte nach Hause. Als Versicherungs-Generalagent hatte er gerade den letzten Kundenbesuch hinter sich. Es war kurz nach neun Uhr abends. Er fuhr auf der etwas abgelegenen Bundesstraße und hatte nur noch sechs Kilometer. Daheim würde er es sich gemütlich machen. Nicole, seine hübsche Frau, würde si-cherlich wieder etwas Gutes zum Essen vorbereitet haben. Er erinnerte sich dabei an das hervorragende Filetsteak mit Steinpilzen, welches er an seinem letzten Geburtstag mit Nicole gegessen hatte. Hoffentlich, so dachte er, liegen keine Anrufe von Kunden vor, die noch heute zurück gerufen werden wollen. So etwas kam in letzter Zeit immer häufiger vor. Aber wenigstens lief sein Geschäft.
 
   Bei diesem letzten Kunden hatte er schon seine Blase gespürt – vermutlich durch die zwei Tassen Kaffee – hatte das Bedürfnis aber unterdrückt. Da sah er eine kleine Parkbucht und fuhr hinein. Er stieg aus, machte weder das Radio aus noch die Tür zu und stellte sich in der Dunkelheit an einen Busch. Schon auf dieser kurzen Fahrt hatte er sich an dem wunderschönen Abendhimmel erfreut. Die Sterne und der Mond waren klar und deutlich zu sehen. Dabei fiel ihm sein Bekannter ein, der so oft über Astronomie redete. Während der Verrichtung seines menschlichen Bedürfnisses bemerkte er auf einmal mehr Helligkeit, als es auf so einem verlassenen Parkplatz sein durfte. Als er nach oben blickte, entdeckte er in großer Höhe ein relativ helles Licht, welches rasch näher kam. Dann kam auch noch ein Summton hinzu, der immer lauter wurde. Frank  erinnerte sich an die Fernsehsendung letzte Woche, bei der das Thema unbekannte Flugobjekte behandelt wurde. War das vielleicht ein UFO?
 
   Es war ein UFO, wie er Sekunden später feststellte. Es landete neben dem Parkplatz auf dem Acker. Fast lautlos, nur ein Summen war zu vernehmen. Er betrachtete sich das ‚Ding’ jetzt genauer, da er mit dem Grund seines Parkens fertig war. Ein Flugobjekt, fast so lang und breit wie unser Fußballplatz, dachte Frank, und so fünfzehn bis zwanzig Meter hoch. Es hatte viele beleuchtete Fenster, ähnlich den Bullaugen an einem Schiff. Auf einmal leuchteten starke Lampen auf, welche rund um das unbekannte, ovale Raumschiff angebracht waren. Der Parkplatz war auf einmal taghell. Ein Strahler, ähnlich wie eine starke Halogenlampe, lief an diesem Objekt herum und suchte offenbar das Umfeld ab. Frank Wagner wurde urplötzlich von dem Licht erfasst. Es blieb nun an ihm haften, hielt ihn fast fest. Er wagte kaum zu atmen. Angst kroch in ihm hoch. Er dachte jetzt nicht mehr an Nicole. Seine Gedanken holten sich die UFO-Sendung zurück. Jedoch brachte diese Erinnerung keine Hilfe. Im Gegenteil. Plötzlich merkte er in diesem gelben Licht des Strahlers ein zusätzlich bläuliches, dass nun noch intensiver auf ihn gerichtet wurde.
 
   Dieses blaue, intensive Licht veränderte sein bisheriges Leben auf eine seltsame, fast brutale Art völlig. Nur wusste Frank Wagner das in diesem Augenblick noch nicht. Dieses Licht zwang ihn, ob er es wollte oder nicht, auf das UFO zuzugehen. Als er näher kam, bemerkte er einen ausgeprägten metallischen Geruch wie bei einem Kunden letzte Woche in dessen Schlosserwerkstatt. Als sich eine Tür an dem UFO öffnete und gleißendes Licht sichtbar wurde, war dieser Geruch nur noch Nebensache. Gebannt und voller Angst starrte Frank Wagner auf diese Öffnung. Eine kleine Gangway wurde herunter gelassen, auf der er – immer noch unter Zwang – nach oben ging. Als er oben war, sah er durch die Öffnung einen vielleicht drei Meter langen Schacht, der hell erleuchtet war. Am Ende des Schachtes bemerkte er eine silberfarbige Metalltür. Und er schätzte die Höhe dieses Schachtes auf vielleicht nur ein Meter fünfzig. Jetzt geschah etwas unheimliches. Er wurde wie durch Geisterhand auf die Knie gezwungen und eine Kraft, gegen die er machtlos war, zog ihn in dieser unbequemen Haltung zu der silbernen Tür, die sich dann lautlos öffnete. Danach fühlte er, dass er sich wieder aufrichten konnte, was er auch tat. Links hinter dieser Tür öffnete sich eine weitere und er ging in einen großen, runden Raum hinein, indem vier Gestalten an Geräten und Bildschirmen arbeiteten. Eine weitere kam in sein Blickfeld – ungefähr ein Meter dreißig groß und so klein wie die anderen auch – mit einem goldfarbenen Anzug und einem übergroßen Helm. Sein Anzug war wie aus einem Guss. Auf der linken Brustseite war ein Symbol, dessen Zusammensetzung Frank Wagner an fremde Schriftzeichen erinnerte.
 
   Das Gesicht hinter der Helmscheibe war dunkel, hatte helle Augenhöhlen und nur eine Mundöffnung. Frank Wagner vermisste Nase und Ohren. Das Wesen hob die rechte Hand zum oberen Rand der Helmscheibe. Plötzlich sah er dort wie beim Fernsehen ein Schriftband laufen, dessen Text in klarem Deutsch abgefasst war:
 
 Bewohner dieses Planeten - wir kommen in friedlicher Absicht – wir haben Ihren Planeten schon öfter besucht – jetzt erst haben wir den Auftrag, Kontakt mit einem Bewohner aufzunehmen – das tun wir jetzt, in dem wir Ihnen einmal unsere Fähigkeiten vorführen – o - Zu Ihrer weiteren Information: wir kommen von einem Planeten außerhalb eures Sonnensystems – aber ganz in ihrer Nähe – wir sind von Ihrem Heimatplaneten exakt 10,5 Lichtjahre entfernt – eine Entfernung, die von Ihren Wissenschaftlern so bezeichnet wird - o - Unser Planet ist bei dem Stern Epsilon Erdani und hat den Namen Anilon – wir nennen uns deshalb Anilonier - o - Wir brauchen für unsere Reise hierher nur ungefähr 11 Erdenjahre, wie ihr es so bezeichnet – wir haben einen Antrieb, der fast Lichtgeschwindigkeit erreicht – feste Nahrung wie ihr brauchen wir nicht, nur flüssige  - o - Unser Präsident hat eure Signale, die in einer gewissen Regelmäßigkeit bei uns ankommen, empfangen und wird sie auch auf diesem Weg beantworten – unsere Mission ist mit dieser Landung beendet – aber wir wollen Ihnen einmal einen richtigen Raumflug demonstrieren – wir wissen, dass Sie sicherlich nicht der richtige Ansprechpartner sind – wir haben aber keine Zeit mehr für einen Kontakt mit ihrer Regierung – unser Präsident wird aber Ihre Regierung darüber informieren – nun werden sie auf diesem Flug unsere technischen Kenntnisse und Fähigkeiten erleben – wenn wir Sie wieder zurückbringen, haben Sie ja Gelegenheit ihrer Regierung alles mitzuteilen - o -
 
   Frank Wagner war beeindruckt. Dann wurde er auf einen Sessel gedrückt, sah dann, dass die Gestalt zu einem Pult ging und dort auf einen Knopf drückte. Er merkte an verschiedenen Geräuschen, dass sich offenbar die Türen schlossen. Dann sah er – nun auf dem Sessel liegend – oben an der Decke einen riesigen Bildschirm, auf dem der Parkplatz und sein Auto zu sehen waren. Von der Beschleunigung merkte er körperlich nichts, er sah nur den Parkplatz ver-schwinden. Das UFO stieg. Da es dunkel war, sah er nur die vielen Lichter der umliegenden Dörfer auf dem Bildschirm, die immer kleiner wurden. Zwei Minuten später sah er den Mond übergroß auf dem Bild. Kann es sein, dass das UFO jetzt schon in der Nähe des Mondes fliegt, dachte er? Offensichtlich ja. Dann sah er auf dem Schirm nur noch Lichtpunkte,  Sterne. Es ging sichtlich alles rasend schnell. Er merkte, dass er sein normales menschliches Urteilsvermögen langsam verlor, konnte nur noch staunen und seine Angst kam wieder in ihm hoch.
 
   Kurz dachte er noch an Nicole. Er würde ja durch diese aufgezwungene ‚Reise’ später nach Hause kommen. Würde sie ihm das alles glauben? Sie war durch ihren gelernten Beruf als Rechtsanwaltsgehilfin ziemlich nüchtern in ihren Ansichten. Seit zwei Jahren arbeitete sie nun bei ihm im Versicherungsbüro und war für ihn eine große Hilfe. Mit Kindern wollten sie noch zwei, drei Jahre warten, bis die Agentur noch mehr abwerfen würde.
 
*
 
   Nach nur einigen Stunden Flug – so schien es ihm – drehte sich das außerirdische Raumschiff und flog offenbar wieder zurück. Zwischendurch hatte Frank Wagner fast ständig aus einer Art Zapfpistole Flüssigkeit in den Mund gespritzt bekommen. Diese schmeckte ähnlich wie Milch. Wieder verging die Zeit, sprichwörtlich wie im Flug und Frank Wagner verlor ganz seine Gedanken, auch die, die sich um sein Heimkommen drehten. Die Anilonier  hantier-ten an den Apparaten herum und beachteten ihn kaum. Nur diese Gestalt mit dem Goldanzug – die anderen hatten ähnliche, aber silberne Sachen an – deutete immer wieder auf seinen Helm, auf dessen Scheibe fortwährend Informationen abliefen. Diese bestanden hauptsächlich aus Zahlen, die er nicht deuten konnte. Das Einzige, was er sich einprägte, war
 
   -o- 284.802 Kilometer/Sekunde -o-
 
und eine Prozentzahl dahinter, die er sich aber nicht merkte.
   Erst später konnte er auf dem Bildschirm ablesen, dass dies die momentan geflogene Geschwindigkeit war. Waren es tatsächlich nur Stunden, die er in diesem Ding verbrachte? Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Auf einmal sah er die Erde groß und ganz vor sich. Eine wunderschöne große und runde Kugel, blau mit weissen Wolken in dem dunklen Weltall. Irgendwie hatte er jetzt das Gefühl, als ob er schon länger von der Erde weg gewesen war und auch, dass er die ganze Zeit nicht immer auf diesem Sessel zugebracht hatte. Er versuchte sich, fast krampfhaft, zu erinnern, aber alle diesbezüglichen Gedanken waren verschwommen und ebenso auch sein normalerweise gutes Wahrnehmungsvermögen, wie er später erkannte.
 
   Aber das Gefühl, dass diese Reise länger gedauert hatte, wurde ihm nun schlagartig bewusst, als er genau neben diesem, ihm vertrauten Parkplatz wieder abgesetzt wurde. Der Goldfarbene deutete noch auf seinen Helm, worauf die Worte zu lesen waren:
   -o- auf Wiedersehen–o-
 
*
 
   Frank Wagner wunderte sich jetzt nicht, dass sein Auto nicht mehr da war. Er dachte gleich, dass es wohl gestohlen wurde, da er es nicht abgeschlossen hatte. Sofort überlegte er, ob ihm seine Versicherung deshalb überhaupt den Schaden ersetzen würde. Und wenn er die tatsächliche Begründung angeben würde, ob die ihn dann nicht für verrückt erklären. Er lief dann auf die Straße und machte in der Dunkelheit – ja, es war auch jetzt dunkel – das Anhalterzeichen bei den wenigen vorbeifahrenden Fahrzeugen. Das vierte Auto hielt. Als er einstieg bemerkte er das fremdartige Cockpit dieses Autos. So eines hatter er noch nie gesehen. Der Fahrer deutete an, dass er zu Franks Wohnort fahren würde. Frank Wagner sprach nicht viel, er konnte es einfach nicht. Er wollte nur noch nach Hause. Der Fahrer setzte ihn in der Innenstadt ab, nahe am Bahnhof und er beabsichtigte dann, ein Taxi zu nehmen. Da es jetzt heller wurde, konnte er die Taxis von weitem schon sehen. Autos, welche er noch nie gesehen hatte. Auch das Bahnhofsgebäude war in ocker angestrichen. Auch das machte ihn stutzig. Dass der Bahnhof renoviert worden sein soll, daran konnte er sich auch nicht erinnern.
 
   Frank Wagner bestieg ein Taxi und nannte dem Fahrer seine Adresse: „Martin-Luther-Straße 42!“ Als dieser dort anhielt und auf dem Taxameter die Zahl 8,40 stand, gab er dem Fahrer einen Zwanzigmarkschein aus seiner Geldbörse - die er noch hatte - und sagte:
   „Stimmt so!“
   Der Fahrer betrachtete den Schein, dann ihn und sagte:
   „Sagen Sie mal, waren Sie lange aus Deutschland weg? Wir haben jetzt Euro und diese Scheine sind schon lange nicht mehr gültig!“
 
   Urplötzlich war ihm jetzt klar, dass er länger im Weltall gewesen sein musste. Wie lange? Er gab dem Fahrer einen Scheck über 20 Euro. Auch über diesen Scheck wunderte sich der Fahrer, sagte aber nichts weiter dazu. Frank Wagner stieg aus und ging auf die Haustür seines Einfamilienhauses zu. Auf dem Briefkasten stand der Name Robert Bauer! Er prüfte, ob er sich im Haus geirrt hatte, nein, es war sein Haus.
   Natürlich wunderte er sich nicht mehr, dass sein Schlüssel nicht passte. Er läutete. Einmal, zweimal. Endlich wurde die Tür einen Spalt geöffnet.
   Eine Frau im Bademantel erschien:
   „Ja bitte?“
   Frank Wagner stellte sich vor und fragte die Dame, wo seine Frau sei? Die Frau antwortete, dass sie nur eine Frau Wagner kenne, die ihr und ihrem Mann vor rund fünf Jahren dieses Haus verkauft hätte. Er fragte die Frau, wo seine Frau nun wohne?
   „Damals wollte Frau Wagner nach Hamburg umziehen“, antwortete sie und dann: „sind Sie wirklich ihr Ehemann? Meines Wissens war Frau Wagner damals Witwe!“
   Frank  deutete ihr an, dass dies eine längere Geschichte sei und er jetzt nicht die Muße hatte, darüber zu sprechen. Was sollte er auch mit einer fremden Person darüber reden?
 
   Er hatte jetzt die unheimliche Tatsache erkannt, dass er offensichtlich in diesem UFO unter Bewusstseinsstörungen gelitten hatte. Er musste jahrelang im Weltall gewesen sein. Er schaute an sich herunter, als er wieder zur Straße ging. Er blickte nicht mehr zurück und sah so auch die Frau nicht, welche ihm – in der Tür stehend – ungläubig nachsah. Er stellte fest, dass er denselben Anzug und auch noch seine Uhr anhatte, so wie an jenem Abend als er nach Hause fahren wollte. Sie ging aber nicht mehr. Das konnte er gleich am Sekundenanzeiger erkennen. Nach der Helligkeit zu urteilen, war es jetzt ungefähr sieben Uhr morgens. Er lief die Straße entlang und staunte ständig über die nicht bekannten Automodelle, die vor den Häusern parkten. Er lief fast an dem Polizeirevier vorbei, welches ihm ja bekannt war. Am Besten ist es doch, dachte er, wenn ich mich da einmal melde und von den Beamten etwas mehr erfahre. Ein Beamter fragte ihn höflich, was er für ihn tun könne. Frank  legte dem Beamten seinen Personalausweis vor. Dieser schüttelte den Kopf und machte ihn darauf aufmerksam, dass dieser schon seit 1997 abgelaufen sei und dass er dann einen dieser neuen, scheckkartengroßen Personalausweise hätte bekommen müssen. Ob er gerade aus dem Ausland komme, wurde er gefragt. Frank  zögerte mit der Antwort und sagte, so etwas Ähnliches wie das Ausland sei schon richtig. Er bat den Beamten, ob er ihm über seine Adresse nähere Auskunft geben könne. Dies sei sein Haus gewesen, in dem er mit seiner Frau gewohnt hätte. Jetzt würden andere Leute dort leben, ein Ehepaar namens Bauer. Der Beamte ging an seinen Computer und gab dort seine Adresse ein.
   „Ja“, sagte er, „ein Ehepaar namens Bauer. Sie wohnen da schon seit 2005! Vorher hat da ein Frank Wagner mit Frau Nicole gewohnt!“
   „Das bin ich, aber wo ist jetzt meine Frau?“ fragte Frank Wagner. Da könne ihm um acht Uhr das Einwohnermeldeamt Auskunft geben, bei dem er sich dann auch gleich einen neuen Personalausweis beantragen könne. Seit 2005, dachte Frank, wohnen die Leute da drin. Hatte die Frau nicht gesagt, schon seit 5 Jahren? War er jetzt im Jahr 2010? Er wollte den Beamten nicht fragen. Völlig mit diesen Gedanken beschäftigt, ging er die Treppe nach oben zum Meldeamt.
 
   Das Amt war im ersten Stock und als er da ankam, wurde gerade die Tür aufgeschlossen. Auch da legte er seinen alten Ausweis hin, deutete auf seine Adresse und bat um Auskunft über die neue Anschrift seiner Frau. Die Auskunft war präziser als die von Frau Bauer: Hamburg-Harburg, Steinstr. 14. Umgezogen am 03. Juli 2005.
   Die Beamtin schob ihm ein Formular hin und bemerkte, dass er sofort einen neuen Personalausweis beantragen müsse. Frank  antwortete, dass er ja keine richtige Adresse angeben könne, da in seinem Haus jetzt andere Leute wohnen, sowie, dass er lange im Ausland war und er erst einmal versuchen will mit seiner Frau Kontakt aufzunehmen. Er versprach aber, dann wieder zu kommen.
 
   Jetzt dachte er an den Taxifahrer, das neue Geld und seine alten Schecks. Er ging zu seiner Bank, legte dem Kundenberater Schecks und Scheckkarte vor und nannte seine Kontonummer. Dieser schaute ungläubig auf die Karte und bemerkte, dass da ja noch 1994 eingedruckt sei. Auch die Schecks seien heute in anderer Farbe und Aussehen. Der Bänker gab die Kontonummer in den Computer ein, drehte sich dann herum und sagte ihm, dass gerade eben ein Taxifahrer hier gewesen sei, der einen Scheck von diesem Konto einlösen wollte. Dieses sei aber schon 1997 aufgelöst worden und gehöre jetzt einem anderen Kunden. Auch hier sprach Frank  von einem langen Auslandsaufenthalt. Der Kundenberater murmelte etwas von Scheckbetrug, sagte aber dazu, dass der Taximann von einem verwirrten Fahrgast gesprochen hatte und dass er diesen Geldverlust hinnehmen könnte.
   Frank Wagner sagte dem Bänker, dass er wiederkommen will, wenn bei ihm alles geklärt sei und verließ dann die Bank. Dabei sah er zufällig über der Eingangstür auf die große, moderne Digitaluhr:
   08:56:37 – 03.10.2010
    
   2010? Ist das wirklich wahr, dachte er und betrachtete sich in einer Schaufensterscheibe. Er konnte absolut nicht feststellen, dass er möglicherweise fünfzehn Jahre älter geworden sei. Was mache ich jetzt? Keiner wird mir diese Geschichte glauben. Wieder dachte er an den Taxichauffeur und dessen verwirrten Fahrgast und auch daran, dass er kein Geld hatte und auch keine gültige Scheckkarte. Der Bänker hatte ihm in dieser Hinsicht auch nicht helfen können. Jetzt erst dachte er an seine Schwester Sonja und beschloss sie zu besuchen. Hoffentlich, ging es ihm durch den Kopf, ist sie nicht auch umgezogen. Als er dort ankam, öffnete ihm ein vielleicht achtjähriges Mädchen, das Sonja ähnlich sah. Sonja war 1995 erst fünfundzwanzig gewesen und er hatte noch ihre Hochzeit mitgefeiert. Die Kleine sagte ihm, dass die Mama erst nachmittags käme und der Papi erst abends. Beim Umdrehen kündigte Frank  dem Mädchen an, dass er dann nachmittags noch einmal kommen würde. Er ging dann hinaus und machte einen ausgedehnten Spaziergang durch den Stadtpark. Es war ja auch ein schöner Herbsttag. Dem Mädchen hatte er aber nicht gesagt, wer er ist...!
 
   Nach der Mittagsessenszeit läutete er wieder an Sonjas Tür. Eine Frau mittleren Alters öffnete. Da er Sonja mit langen, blonden Haaren in Erinnerung hatte, erkannte er sie erst beim zweiten hinschauen. Sonja erblasste und sagte:
   „Frank, bist Du es wirklich?“ -
   „Ja Sonja, ich bin es! Wie geht es Euch? Wo ist Nicole? Ist das Deine Tochter?“ -
   „Halt mal die Luft an, Frank. Zu viele Fragen auf einmal. Wo warst Du gewesen? Warum hast Du Dich nicht gemeldet? Wir haben uns alle große Sorgen gemacht. Aber komm erst mal herein!“
   Frank  legte zunächst seiner Schwester seinen Personalausweis, die Scheckkarte und das DM-Bargeld hin und sagte:
   „Da hast du den Beweis, Schwester, dass ich nicht etwa abgehauen bin und euch bewusst im Stich gelassen habe. Alles Dinge, die 1995 noch gültig waren. Ich habe vorhin fast einen Schlag be-kommen, als ich in der Bank das Datum 2010 gelesen habe. Sind wir wirklich im Jahr 2010? Dann müsste ich ja fünfzehn Jahre weggewesen sein? Auch habe ich noch denselben Anzug, dieselbe Krawatte und meine alte Uhr an, die allerdings nicht mehr geht!“ -
    „Ja aber wo warst Du denn um Himmels Willen? Meinst Du, was da los war, als Nicole Dich für tot hat erklären müssen? Das ist gesetzlich, wenn jemand verschwindet, erst nach soundsovielen Jahren möglich! Dann hat sie das Haus verkauft und ist weggezogen.“
   „Wohin?“
   „Zunächst nach Hamburg, weil sie da eine gut bezahlte Stelle bekommen hat. Jetzt lebt sie in Darmstadt und ist mit einem Architekten verheiratet!“
   „Ist sie glücklich? Hat sie Kinder?“
   „Ja, einen Jungen, Markus. Ein Jahr alt, aber die Ehe ist offenbar nicht so gut. Ihr Mann hat zu viele gesellschaftliche Verpflichtungen und vernachlässigt sie. Aber sage mir doch endlich wo Du warst?“
 
   Frank  setzte sich auf die Couch und erzählte Sonja alles! Vorher hatte er sie aber darauf hingewiesen, dass seine Geschichte auch für ihn selbst unglaublich und schwer zu verdauen sei. Er schwor ihr aber, dass dies alles sich so zugetragen hat, wenigstens aus seiner Erinnerung heraus. Sonja ließ ihn erzählen, unterbrach ihn nur kurz einmal, um ihm mitzuteilen, dass Nicole ihn am nächsten Tag als vermisst gemeldet hatte und dass sein Auto damals vier Tage später völlig demoliert in Mannheim aufgefunden wurde, noch mit einem Strauß Rosen auf dem Rücksitz. Frank  erinnerte sich dann, dass er für Nicole noch Blumen besorgt hatte. Als Frank  fertig war meinte Sonja, dass diese Geschichte in der Tat haarsträubend sei, schränkte aber gleich ein, dass Thilo, ihr Mann und sein Schwager, der erst später nach Hause käme, vor kurzem eine Sendung gesehen hätte, die ihn fasziniert hatte. Es ging dabei um die Relativitätstheorie und die Zeitunterschiede bei überschnell fliegenden Raumschiffen. Dabei würde eine so genannte Zeitdilatation, eine Dehnung der Zeit, auftreten.
 
   Als Thilo kam, war dieser natürlich ebenfalls völlig überrascht, hörte sich zunächst von Sonja die Geschichte an und sagte dann:
   „Frank, vorausgesetzt, dass das wahr ist, warst Du vielleicht nur ein bis drei Jahre unterwegs. Und jetzt sind aber auf der Erde fünfzehn Jahre vergangen. Die Zeit, welche man außerhalb der Erde, im Weltall, mit übergroßer Geschwindigkeit verbringt, hat mit der Zeit auf der Erde absolut nichts mehr zu tun. Sie vergeht wesentlich langsamer als hier. Aber dass gerade Du so etwas erlebt hast, ist schon ein ganz dicker Hund!“
   „Ihr müsst mir jetzt helfen mein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Ich soll doch auch den Behörden davon berichten, sagten mir die Außerirdischen noch.“
   „Ich weiß nicht ob das gut ist, Frank “, sagte Thilo, „bedenke bitte, dass Du für tot erklärt worden bist und Du vielleicht leicht als Psychopath abgestempelt wirst. Behalten wir es besser für uns, erzählen den Behörden und Deiner Versicherungsgesellschaft, dass Du einen Blackout gehabt hättest und im Ausland warst. Sonja kann ja gleich einmal Nicole anrufen und es ihr schonend beibringen. Mit ihrem Mann – Günther – ist sie ja in letzter Zeit nicht mehr zufrieden. Vielleicht gibt es ein Happy End mit euch?“
 
   Sonja nahm das Telefon und wählte eine Nummer.
   „Hallo, guten Abend Günther. Hier ist Sonja. Gibst Du mir bitte  mal die Nicole?“
   Dann sagte sie Nicole, dass sie eine unglaubliche Geschichte für sie hätte und ob sie sitzen würde und fragte sie auch noch, ob sie den Lautsprecher einschalten dürfe.
   „Was meinst Du wer neben mir, Thilo und Melanie sitzt? Es ist, halte dich fest, Frank  Dein erster Mann!“
   „Du spinnst ja, Sonja, er muss doch tot sein?“
   „Nein, Du selbst hast ihn ja für tot erklären lassen!“
   „Ich hab’ ihn für tot erklären lassen müssen, sonst hätte ich das Haus nicht verkaufen können und auch wegen den Versicherungen und so weiter, Du weißt ja, wie das damals alles so war. Aber gib ihn mir mal an den Apparat!“
   „Nicole, ich weiß nicht ob das gut ist. Du willst ihn jetzt nur mit Fragen löchern, wo er die ganze Zeit war. Aber diese Sache ist nicht mit einem Satz glaubhaft zu sagen! Aber eines nur vorweg: Frank  kann nichts dazu, dass er so lange weg war. Du weißt Nicole, dass er jetzt nach fünfzehn Jahren 45 Jahre alt sein müsste. Er sieht aber immer noch so aus wie damals. Könnten wir uns nicht vielleicht morgen treffen? Thilo kann sich Urlaub nehmen. Treffen wir uns doch wieder in dem Café im Einkaufszentrum Viernheim, morgen um drei?“
   „Ja, okay, aber gib ihn mir doch bitte mal kurz! – Hallo Frank, bist du es wirklich?“
   „Ja Nicole, ich bin’s. Kannst Du sprechen?“
   „Ja Günther ist in sein Büro gegangen. Wo warst Du, Frank?“
   „Im Weltall, Nicole, ob Du’s glaubst oder nicht. Ich bin entführt worden. Aber lass uns morgen darüber sprechen.“
   „Aber um Himmels Willen, was machst Du jetzt? Wo lebst Du, Frank?“
   „Liebes, ich mache noch gar nichts. Ich bin ja heute erst zurückgekommen und da unser Haus jetzt anderen Leuten gehört, bin ich zunächst einmal zu Sonja gegangen. Ich nehme an, dass ich auch da übernachten kann oder Sonja?“
   Das Gespräch wurde bald beendet und der Termin für den nächsten Tag festgelegt!
 
*
 
   Nicole war mit ihren 43 Jahren immer noch eine hübsche und attraktive Frau, wie er am nächsten Tag gleich feststellte. Sie schaute Frank  prüfend an, stellte dann fest, dass er wirklich nicht wie ein Mittvierziger aussieht. Auch sie war von den ‚Beweisen’, der alten Scheckkarte und den DM-Scheinen beeindruckt und glaubte ihm schließlich die ganze Geschichte, letztendlich auch durch die wissenschaftlichen Bemerkungen von Thilo über die Zeitdehnung. Zum Schluss sagte Frank noch:
   „Also glaubt mir, es geht so vieles durch meinen Kopf. Aber beim besten Willen, mehr als das Erlebnis auf dem Parkplatz, die Gestalten, den Helm mit den Informationen, die helle Flüssigkeit die ich schlucken musste und dann die Rückkehr, weiß ich auch nicht mehr. Ich fühle zwar, dass da noch viel mehr war, aber in mir drin ist es wie abgeschlossen!“
   Dann wollte er natürlich von Nicole noch wissen, was sie nach seinem Verschwinden noch so alles gemacht hätte. Sie berichtete ihm, dass sie noch an jenem Abend seinen Kunden angerufen und von diesem nur erfahren hätte, dass er so gegen neun Uhr nach Hause fahren wollte. Sie hätte sich fürchterliche Sorgen gemacht, wollte dann aber in der Nacht niemand sonst mehr belästigen und sei dann eingeschlafen. Am nächsten Morgen hätte sie die Polizei angerufen, ob diese etwas über den Verbleib ihres Mannes und des Autos mit dem Kennzeichen soundso wüsste. Aber alles negativ. Auch seine Versicherungsgesellschaft wusste von nichts und dann hätte sie tags darauf bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Die hätten ihr alle möglichen und unmöglichen Fragen gestellt. Nichts wäre aber geschehen, außer dass seine Kunden ständig angerufen hätten, wie sonst auch. Sie hätte dann dieses Problem mit seiner Geschäftsstelle erledigt und ein junger Inspektor hätte dann für ihn die unaufschiebbaren Termine durchgeführt. Monate später sei dann der Gebietsdirektor zu ihr gekommen, hätte ihr klar gemacht, dass es mit dieser doch relativ großen Agentur so nicht mehr weiter ge-hen könne und hätte ihr im Auftrag der Direktion eine Abfindung von 120.000 DM überweisen lassen.
   „Viel zu wenig“, rutschte es Frank  heraus.
   Nicole erzählte weiter:
   „Dann hat mir mein alter Arbeitgeber wieder eine Stelle in seinem Anwaltsbüro gegeben. Ach so ja, interessant war auch, dass Dein Auto vier Tage später völlig beschädigt in Mannheim gefunden wurde und auch noch ein Strauß Rosen auf dem Rücksitz lag. Keiner konnte sich das erklären. Nun, ich dachte natürlich immer noch an Dich, pflegte – außer bei Verwandten und guten Bekannten – keinerlei Beziehungen und ließ dann auch Deine Lebensversicherungen, deren Beiträge ja ziemlich hoch waren, beitragsfrei stellen. Dann war es im Dezember 2004, als ich durch meinen Chef einen gut situierten Anwalt aus Hamburg kennen lernte, der mir einen guten Job und eine hübsche, günstige Zweizimmerwohnung in Hamburg anbot. Unser Haus, indem ich drei Zimmer vermietet hatte um die Tilgung weiter zahlen zu können, wollte ich dann aber verkaufen. Es wurde mir dann klar gemacht, dass ich Dich dann, als Miteigentümer für tot erklären lassen müsste!“
   „Und was ist mit meinen Lebensversicherungen?“
   „Die sind immer noch beitragsfrei gestellt. Um die musst Du Dich jetzt bemühen. Aber lass mich weiter erzählen: Ich habe nach Abzug der Verbindlichkeiten noch 200.000 Euro für das Haus bekommen, die ich gut angelegt habe. In Hamburg hatte ich mich gut eingearbeitet und lernte dann bei einem Empfang meinen jetzigen Mann – Günther – kennen. Ich wollte ja auch wieder einmal auf andere Gedanken kommen und heiratete ihn dann auch. Er ist sehr erfolgreich und 48 Jahre alt. Aber er kennt nur seinen Beruf, seine Erfolge, Empfänge, Clubs und was sonst noch. Und wenn ich mich beschwere, meint er nur, dass es mir doch gut ginge und ich versorgt sei. Nur um unseren Sohn bekümmert er sich, wenn er mal da ist, fast abgöttisch. Er spricht schon von ‚seinem Nachfolger’! So, das ist meine Geschichte. Wie soll es nun weitergehen, Frank?“
 
   Frank  antwortete ihr, dass das eine gute Frage sei, aber er zunächst feststellen müsse, dass er fünfzehn Jahre seines Lebens mit ihr verloren hätte und sie nicht mehr seine Frau sei. Auf der anderen Seite sei er physisch offenbar nicht so alt, wie er laut seinem Per-sonalausweis sein müsste. Und dass er sich einmal vollständig untersuchen lassen wolle, ob diese außerirdische Reise keine gesundheitlichen Schäden hinterlassen hätte. Zunächst wolle er aber seine weitere Zukunft planen und in Ordnung bringen. Er würde auch bei seiner Gesellschaft vorsprechen. Außerdem brauche er wieder Geld, ein Konto und auch ein Auto.
   Nicole warf dann noch ein:
   „Du Frank, die 120.000 DM Abfindung für Deine Agentur habe ich damals in den Jahren – auch wegen dem Haus – verbraucht. Aber gleich morgen überweise ich Dir die Hälfte von dem angelegten Geld für das Haus. Ich hoffe, Du bist damit einverstanden? Beantrage bitte gleich ein Bankkonto!“
   „Vielen Dank Nicole, aber noch bin ich ja für tot erklärt. Erst muss das mal geregelt und geklärt werden. Ich glaube, es wäre gut, wenn du als meine ‚Witwe’ zu den Behörden mitgehst. Kannst Du Dir frei nehmen?“
   „Ja sicher, wir haben ja ein Kindermädchen in dem großen Haus in Darmstadt. Die sorgt schon für den Kleinen. Und meinem Mann erzähle ich, dass ich ein Klassentreffen hätte!“
   „Gut, aber wie ist es eigentlich, wenn ein für tot Erklärter wieder auftaucht? Wird dann die alte Ehe wieder gültig und eine eventuell neue für nichtig erklärt?“
   Niemand von ihnen kannte die rechtliche Antwort. Als sie sich trennten, küsste er Nicole sehr innig auf den Mund, was er drei Stunden vorher beim ersten Wiedersehen noch nicht getan hatte. Dann fuhr er mit seinen Verwandten wieder zurück.
 
*
 
   Am nächsten Tag richtete er sich ein Konto mit einem Scheck von seinem Schwager wieder ein, den dieser ihm wie selbstverständlich als ‚Einstiegsdarlehen’ ausgestellt hatte. Er bekam noch keine Scheckkarte, da er polizeilich noch nicht gemeldet und noch für tot erklärt war. Außerdem wurde bemängelt, dass er noch kein festes Einkommen hätte. Schwierigkeiten über Schwierigkeiten, dachte Frank, aber als Versicherungsmann kannte er ja den Papierkrieg. Alles musste schließlich seine Ordnung haben. Einen größeren Bargeldbetrag nahm er aber mit. Mit dem Bus fuhr er dann zu seiner alten Geschäftsstelle. Statt der rund fünfzehn Kollegen von damals, arbeiteten jetzt nach einer Umstrukturierung nur noch drei Leute, die ihm unbekannt waren. Er bat den Leiter um ein vertrauliches Gespräch, nannte seinen Namen, informierte ihn, dass er von 1989 bis 1995 eine Generalagentur mit der Agenturnummer soundso gehabt hätte. Er wolle einmal nach seinem damaligen Kundenbestand fragen, da er nun wieder hier sei und dass seine Frau eine Abfindung erhalten hätte. Der Leiter gab etwas in den Computer ein und sagte ihm dann:
   „Herr Wagner, diese Agenturnummer läuft jetzt als direkte Agentur dieser Geschäftsstelle. Der Bestand wurde mehrfach aufgeteilt. Allerdings stelle ich fest, dass diese Bestände, und zwar noch rund fünfzig Prozent von damals, jetzt wieder frei sind. Wenn Sie unserer Direktion – zuständig ist dafür Direktor Hausmann – einen glaubhaften Bericht über Ihr damaliges Fernbleiben machen und erklären, dass Sie sich wieder um einen Bestand bewerben, könnte ich mir wieder eine selbständige Zusammenarbeit vorstellen!“
 
   Der gute alte Hausmann, dachte Frank, ist also immer noch da. Da wird es keine Probleme geben. Er ließ sich Hausmanns Telefonnummer geben und verabschiedete sich.
   Zwei Monate später hatte Frank Wagner seine alte Agentur, wenigstens teilweise, wieder. Nicole hatte mit ihm bei den Behörden alles geklärt. Er hatte auch wieder einen gültigen Personalausweis und eine Wohnung mit einem darunter liegenden Ladenbüro. Seinen alten Kunden erzählte er etwas von verwandtschaftlichen Gründen und vom Ausland, wenn er gefragt wurde. Es lief beruflich wieder an und er hatte sich auch ein gebrauchtes Auto gekauft, eines von diesen neuen. Mit Nicole hatte er ständig – zunächst hauptsächlich telefonisch – Kontakt. Sie waren sich wieder näher gekommen und sie sprach schon von Scheidung, wenn er wolle. Dies bejahte er, jedoch wolle er erst beruflich wieder sicherer sein. Auch seine ärztliche Untersuchung hatte er hinter sich. Es war alles in Ordnung. Natürlich hatte er dem Arzt nichts von seiner langen Raumreise erzählt, auch sonst noch keiner fremden Person. Aber über die Äußerung des Internisten hatte er sich gefreut, der ihm seine 45 Jahre gar nicht abnehmen wollte. Seine inneren Organe seien die von einem etwa dreißigjährigen Mann…!
 
*
 
Januar 2011
 
   In diesem Januar änderte sich das Leben von Frank Wagner zum zweiten Mal. Der Grund war eine Schlagzeile in der Zeitung. Sie lautete:
Erster Beweis für die Existenz von außerirdischem, intelligentem Leben!
 
   Früher hatte er sich für solche Meldungen nicht sonderlich interessiert, sie höchstens nur überflogen. Jetzt las er aufmerksam. In diesem Bericht wurden die Leser informiert, dass die astronomische Wissenschaft schon seit Jahrzehnten mit übergroßen Parabol-spiegeln – in der Eifel stünden auch welche – den Himmel ‚abtasten’ und bestimmte ‚Sendungen’ ausstrahlen, welche Informationen vom Standort der Erde, deren Bewohner und so weiter enthielten. Noch nie sei eine Antwort ‚eingetroffen’! Jetzt sei aber die Sensation perfekt. In Houston hätte man eine Antwort erhalten, die das menschliche Leben eventuell drastisch verändern würde. In klaren, völlig verständlichen Impulsen hätte der Absender, der Chef eines von  irdischen Astronomen bereits vermuteten Planeten, erklärt, dass seine Abgeordneten schon dreimal die Erde überflogen, Aufnahmen gemacht hätten, die Industrie, die Infrastruktur sondiert, sowie gegliedert haben und zur Überzeugung gelangt seien, dass dieser Nachbarplanet der einzige bewohnte sei und mit dem es sich lohne, zusammenzuarbeiten. Außerdem wolle man mit dieser nachbarlichen Hilfe dessen Bewohnern viel Erleichterung und besseres Leben ermöglichen.
 
   Als Frank Wagner weiter las, wurde er blass:
   Beim dritten Besuch hätte man einen männlichen Bewohner auf einen kurzen Raumausflug - gezwungenermaßen - mitgenommen und diesem alles gezeigt, was technisch alles machbar sei. Sie würden sich bei diesem Erdenbewohner für dessen ‚verlorene’  Zeit – sie seien mit ihm nach Erdenjahren gerechnet zwei Jahre und acht Monate unterwegs gewesen – entschuldigen. Für sie, die Anilonier – so sollen wir sie bezeichnen – sei die Zeit fast belanglos, da man diese steuern könne, aber für diesen Erdenbewohner sei die tatsächlich verlorene Zeit, die er auf der Erde zurück ließ, erheblich größer gewesen. Man hätte aber diese Zeit gebraucht, um ihm alles in sein Gehirn einzuspeichern, was für die Menschheit wichtig ist. Alle Formeln und Berechnungen für zukünftige Technologien hätte dieser Mann in sich. Er würde noch leben, das wisse man, da er mit seinem Gehirn mit ihnen noch in Verbindung stünde. Gesundheitlich würde ihm das keinen Schaden einbringen. Man müsse diesen Bewohner nur finden, damit dieser in Hypnose alles berichten könne. Subjektiv würde dieser Mann sicherlich nichts von all dem wissen. Man hätte ihm zwar gesagt, dass er seinen Be-hörden darüber berichten solle, aber das hätte dieser aus Angst vor Blamage noch nicht getan.
 
   Frank  war total geschockt. Weiter stand da geschrieben:
   Man solle diesen Mann auch in irgendeiner Form ‚entschädigen’. Man wisse aber nur, dass man ihn in der nördlichen Erdhälfte ‚aufgenommen’ hätte und sein Name auf einem ‚Papier’ sei Frank Wagner gewesen. Außerdem sei noch ein Datum darauf erwähnt gewesen: 10.10.1965...
 
   Frank  hatte es bei den letzten Sätzen fast vom Stuhl gehauen. Die meinten ihn. Er las dann den Schlusssatz der Zeitung, dass die deutschsprachige Bevölkerung aufgefordert sei, den zuständigen Polizeibehörden mitzuteilen, wer dieser Frank Wagner sei und wo er sich aufhielte. Die Wissenschaft sei an diesem Mann verständlicherweise immens interessiert.
 
   Nachdem Frank  sich mit Nicole und seinen Verwandten darüber ausgesprochen hatte, fuhr Frank  zum Polizeirevier und traf dort zufällig den gleichen Beamten wieder, den er am ersten Tag seiner Ankunft kontaktiert hatte. Er legte ihm die Zeitung mit dem markierten Schlusssatz vor und auch seinen Personalausweis.
   Jetzt begannen die Behördenmühlen zu laufen. Der Beamte telefonierte und nahm anschließend mit Frank  ein Protokoll auf und sagte ihm, dass er Bescheid erhalte. Auch abends brachte man diesen Aufruf nochmals im Fernsehen. Und schon acht Tage später bekam Frank  ein Einschreiben vom astronomischen Institut in Berlin mit einem Flugticket 1. Klasse und der höflichen Aufforderung, sich zwei Tage später dort zu melden. Er flog dann auch nach Berlin. Mit einem tollen neuen Jet aus dem Jahr 2009...
 
   Frank  war dann dort auch verwundert, dass zahlreiche Wissenschaftler - darunter auch aus Houston - anwesend waren und ihn aufforderten, zu erzählen. Das was er sagen konnte, berichtete er den Damen und Herren. Nach seinem Bericht erfuhr er von dem Sprecher, dass die Außerirdischen nicht von Hypnose gesprochen hätten, denn das ginge ja nicht bei jedem Menschen, sondern von einem Tiefschlaf, bei welchem dann automatisch alle Informationen, die in seinem Gehirn seien, ‚herausgelassen’ werden können, wenn für eine ‚Aufnahme’ alles klar sei. Der Tiefschlaf würde gesundheitlich nichts ausmachen. Und wenn diese Informationen dann tatsächlich für die Menschheit bedeutsam wären, würde er als freier, wissenschaftlicher Berater sehr gut bezahlt werden und eine Pension eines Staatssekretärs im Forschungsministerium sei ihm ebenso sicher wie eine Entschädigung des Staates.
   Frank  erklärte sich damit einverstanden und wurde drei Tage später nach eingehenden Untersuchungen in einen Tiefschlaf versetzt. Als er wieder erwachte, war ihm sichtlich wohl und er wurde von allen anwesenden Leuten beglückwünscht.
  
   „Wir haben alle Informationen sauber aus ‚Ihnen’ herausbekommen. Jetzt können wir nur hoffen, dass diese auch etwas für uns bringen?“, sagte der wissenschaftliche Leiter.
 
*
 
   Und sie brachten was! Mehr als nur das. Informationen, die für die Politik, Wissenschaft, Technik und das Gesundheitswesen von höchster Bedeutung waren und die fast das gesamte bisherige irdische Wissen auf den Kopf stellten...!
 
   Bereits Monate später hatte man die ganze Menschheit soweit, dass Kriege für alle Zukunft unwahrscheinlich waren. Die Wissenschaft lernte Dinge dazu, alles besser zu verstehen und dementsprechend zu handeln. Die Techniker staunten, dass sie selbst nicht darauf gekommen waren, wie einfach es ist, Fahr- und Flugzeuge ohne Treibstoff zu bewegen, wie man die Schwerkraft erkennen und in Griff bekommen kann, wie man Supercomputer herstellt und noch vieles mehr. Die ärztliche Wissenschaft der Erde arbeitete mit Hochdruck und hatte bald Gegenmittel für die großen Leiden der jetzigen und auch der zukünftigen Zeit. Auch würden die Menschen in großer Gesundheit sehr alt werden und die sozialen, daraus folgenden Probleme, waren in den Informationen für alle Zeiten gelöst...
 
   Frank Wagner konnte seine Nicole doch wieder heiraten. Er war endlich wieder ganz glücklich mit seinem Leben. Nicole hatte nur noch das Problem mit ihrem einzigen Kind Markus, aber das würde sich auch noch in irgendeiner Form lösen...
 
Die Zeit, die Frank Wagner durch seine
Begegnung mit den Anilonier verloren
hatte, war für ihn und die gesamte Menschheit
zu einem großartigen Gewinn geworden...














 

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